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Phil Collins – Both Sides (2016 Deluxe Edition 2CD) – Rezension
Das minimalistische Trennungsalbum Both Sides wurde ebenfalls Anfang 2016 überarbeitet als 2CD neu veröffentlich. Ob und wie das Album davon profitiert und wie sich die Bonustracks einfügen erfahrt ihr hier.
Hinweis: In diesem Artikel wird die Neuveröffentlichung des Albums Both Sides besprochen. Eine ausführliche Rezension zum Album selbst findet ihr unter diesem Link.
Das Artwork
Wie schon bei Face Value gibt es das Album in einem dreiseitigen Digipak und einem mehrfach zusammengefalteten Infosheet. Das alte Artwork wurde komplett durch neues ausgetauscht und wieder ist das alte Albumcover nicht mehr integriert. Dafür ist das neue Cover ein Highlight.
Das Remaster
Um es kurz zu machen – es gibt kein Remaster. Was immer mit dem Album gemacht wurde, eine Verbesserung ist nicht zu erkennen und auch keine hörbare Überarbeitung. Die Durchschnittspegel weichen kaum messbar voneinander ab, vergleicht man alte Versionen mit neuen Versionen. Man hätte durchaus erwarten können, dass die Original Master-Tapes mit mehr Dynamik digitalisiert werden. Natürlich kann man hinterfragen, inwieweit ein Remaster des Albums überhaupt Sinn gemacht hätte, da es seinerzeit ja schon sehr minimalistisch und nicht auf High End Level produziert wurde (was ja aus künstlerischer Sicht gewollt war). Es darf aber auch bezweifelt werden, dass aus diesem Album quasi nichts herauszuholen ist.
Die Bonustracks
Die handverlesenen Bonustracks werfen bei Both Sides eine Menge Fragen schon hinsichtlich der Auswahl auf. Doch zunächst widmen wir uns den einzelnen Tracks:
Take Me With You
Bekannt ist das Stück von der Single We Wait And We Wonder. Die B-Seite ist gefällig und für Both Sides-Verhältnisse recht flott.
Both Sides Of The Story (live)
Diese Version wurde in der Wembley Arena in London aufgenommen (genauer gesagt am 13.12.1994). Die Soundqualität ist äußerst bescheiden, selbst Stereo-Effekte sind kaum erkennbar. Besonders ärgerlich ist dies, da es von dieser Tour, zum Beispiel aus Manchester oder auch aus Japan, glasklare Radioaufnahmen gibt. Doch hier scheppert es und verwabert zu einem ziemlichen Soundbrei. Sehr ärgerlich!
Can’t Turn Back The Years (live)
Weniger schlecht klingt Can’t Turn Back The Years – oder sagen wir: Es klingt besser. Warum man aber die Version der Both Sides Tour wählte und nicht eine Version der Tour 1997 (mit zusätzlicher Akustikgitarre), ist ein Rätsel. Auch diese Version dürfte vom 13.12.1994 stammen.
Survivors (live)
Der Song Survivors wurde nur auf der Both Sides Tour gespielt und nicht wenige Fans kulten gerade diese Version mit seinem treibenden Schlagzeugspiel. Der Sound ist auch nicht optimal. Große Sorgfalt wurde bei der Auswahl jedenfalls nicht an den Tag gelegt. Auch Survivors wurde in der Wembley Arena am 13.12.1994 aufgenommen.
Everyday (live)
Wenngleich wir Manchester eben noch wegen seiner Qualität gelobt haben, haben wir nun eine Aufnahme exakt dieses Konzerts, die mal gar nicht geht. Wirklich schlimm ist (und vermutlich auch der Grund für die schlechte Qualität), dass die Version offenbar von diesem YouTube Link 1:1 übernommen wurde – ohne Überarbeitung. Diese YouTube-Version ist Lichtjahre entfernt von dem in Fankreisen bekannten Bootleg des gleichen Konzerts.
We Wait And We Wonder (live)
Hier dürften wir es mit einer Aufnahme aus Tel Aviv 2005 zu tun haben. Das Stück nahm Phil auf der Farewell Tour 2005 wieder ins Programm. Im Unterschied zur Both Sides Tour hat es keinen lauten Krach und Polizeisirenen am Anfang. Die Version klingt recht gut, wenn auch nicht immer optimal.
Can’t Find My Way (demo)
Dies ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wenig die Struktur und das Gefühl der Demos des Albums für die endgültigen Versionen verändert wurden. Unklar bleibt, warum sich Phil für diesen Song entschieden hat.
I’ve Been Trying
Eine Curtis Mayfield-Coverversion, die Collins zu Both Sides-Zeiten für das Album A Tribute To Curtis Mayfield aufnahm. Der Song erschien auch bereits auf der Phil Collins Compilation Love Songs: A Compilation Old And New.
Both Sides Of The Story (unplugged 1994)
Diese Version wurde bereits auf der No Matter Who-Single veröffentlicht. Die MTV Unplugged Show ist bis heute nicht veröffentlicht. Kurios: Liest man die CD ein bzw. rippt man sie, erscheint „Unplugged Paris 1993“ als Zusatzinfo. Es ist aber definitiv die London 1994 Unplugged Version. Dazu kommt, dass Collins in seinem Begleittext schreibt „nur ich und das Klavier“ – ein Hinweis darauf, das er gegebenenfalls gar nicht die Unplugged Version auf dem Album haben wollte, sondern seine Version, die er 1993 bei Ray Cokes in MTV Most Wanted darbot (hier klicken). So richtig rund ist diese Sache jedenfalls nicht.
Hero (demo)
Das Original dieses Songs wurde von David Crosby auf dessen Album Thousand Roads veröffentlicht, dort singt Collins nur im Hintergrund. Seine Demo-Version hat aber bereits ausgereifte Lyrics. Der Song erschien als B-Seite auf We Wait And We Wonder bereits auf CD.
Bewertung des Bonusmaterials
Auch hier muss man die Frage nach der Auswahl der Songs stellen. Both Sides hatte eine Reihe von B-Seiten, die hier keine Berücksichtigung finden. Allen voran For A Friend, für viele Fans wohl die beste B-Seite der Zeit und ein toller Collins-Song. Der Song entstand aber etwas später als das Album. Dazu gibt es mit Rad Dudeski und Don’t Call Me Ashley noch zwei interessante Instrumentals, die auch beide später mal live gespielt wurden (Don’t Call Me Ashley bei MTV Unplugged, Rad Dudeski auf der Big Band Tour). Auch Demo-Versionen wurden bereits veröffentlicht, insbesondere die frühe Version von Both Sides Of The Story (alias Both Sides Of The Demo), in der noch alternative Lyrics vorkommen, wäre interessant gewesen.
Stevie’s Blues (There’s A Place For Us-Demo) sowie ein Demo von Everyday wurden seinerzeit auch auf den Singles veröffentlicht. Weitaus interessanter wären aber noch ein ganz anderes Stücke gewesen. Deep Water Town tauchte im Rahmen der Archivöffnung im Phil Collins Fanclub auf (siehe auch unser Website Special unter diesem Link) und hätte hier eine Veröffentlichung verdient gehabt.
Bezüglich der Auswahl der Live-Stücke kann man natürlich auch diskutieren. Es ist schön, dass es endlich offizielle Live-Versionen von Both Sides Of The Story, Survivors und Everyday gibt. Warum allerdings hier derart schlechte Aufnahmen verwendet werden, ist ein Rätsel. Die Hannover-Show 1994 aber auch eine vernünftige Aufnahme aus Manchester 1994 wären deutlich bessere Varianten gewesen. Man muss eindeutig die Frage nach der Sorgfalt bezüglich Auswahl, Recherche und Bearbeitung der Live-Tracks stellen.
Kein Fan will Glattgebügeltes, aber derart Schlechtes, dazu auch noch offenbar von einem YouTube-Clip gerippt, hat auch keiner gewollt. We Wait And We Wonder klingt gut, ist aber auch von der Farewell Tour 2005 (allerdings auch von einer Show, die im Fernsehen lief – Tel Aviv). Die Unplugged-Version von Both Sides Of The Story ist aller Ehren wert, auch wenn hier vermutlich die MTV Most Wanted Version mindestens auch mal zur Diskussion stand. Auch diese wäre eine gute Ergänzung gewesen (hier klicken für einen YouTube Clip).
Weitere, nicht verwendete Live-Tracks:
The Way You Look Tonight, Helpless Heart, Get Ready, Can’t Find My Way, I’ve Forgotten Everything, My Girl, Kocking On Heaven’s Door, Amazing Grace
Phils Begleittext ist dazu nicht nur an der Stelle bezüglich Both Sides Of The Story fehlerhaft – zu Can’t Turn Back The Years (live) schreibt er, dass Leland Sklar den Song mit seinem Bass veredele. Der hat das Stück aber nie gespielt – das war Nathan East.
Insgesamt wirkt die Auswahl etwas planlos und vor allem ist die Qualität der Live-Tracks zum größten Teil absolut inakzeptabel.
Fazit
Das Remaster ist nicht existent – was immer hier gemacht wurde, bleibt unklar. Eine Verbesserung im Klang gibt es nicht. Das tut dem Album an sich nichts, aber eine Neuauflage hätte eine bessere Behandlung verdient. Größter Kritikpunkt sind die Bonustracks. Selbst wenn man das Korsett akzeptiert, dass es nur eine Bonus-CD mit einer Auswahl an Tracks gibt, so darf man diese nicht so lieblos zusammenstellen und den Fans derart schlechte Audio-Qualität verkaufen. Es gibt hier wieder nur eine Stunde Gesamtspielzeit auf der zweiten CD – hier wäre erneut noch Platz für 20 weitere Minuten gewesen. Für diese Veröffentlichung kann man abseits des gelungenen Artworks kein positives Schlussfazit ziehen. Das ist in mehrfacher Hinsicht bitter – denn Phil erklärt Both Sides immer wieder zu seinem Lieblingsalbum. Eine so lieblose Wiederveröffentlichung ist bezeichnend.
Autor: Christian Gerhardts
mit inhaltlicher Unterstützung von Tom Morgenstern
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