- Artikel
- Lesezeit ca. 7 Minuten
Steve Hackett – Beyond The Shrouded Horizon – Rezension
Im September 2011 erschien das neueste Rockalbum von Steve Hackett. Steffen Gerlach hat sich mit dem Album auseinandergesetzt und gibt auch einen Überblick über das satte Bonusmaterial der Special Edition 2CD.
Das Licht am Ende seines persönlichen Tunnels hat Steve Hackett bereits mit seinem letzten Albums Out Of The Tunnel’s Mouth erreicht. Zwei Jahre und etliche Konzerte später hat sich etwas für ihn geändert: Er hat seine Lebensgefährtin Jo Lehmann geehelicht! Und die Liebe scheint groß zu sein, wenn sie mittlerweile fester Bestandteil der Songwriter-Kollektivs um Keyboarder/Co-Producer Roger King und Steve Hackett selbst geworden ist. Und auch vorbei sind die Zeiten der notgedrungenen „Wohnzimmer-Produktion“, denn mittlerweile hat man in den eigenen Map Studios auch wieder Platz, um echte Drums aufzunehmen.
Gibt es musikalische Veränderungen? Nicht viele, was aber bei Hackett nicht zwangsläufig negativ auffallen muss, wenn man seine qualitativ hochwertigen Outputs der letzten Jahre zu schätzen weiß. Wer mit seiner Vorliebe für gewagten Stilmix jedoch Probleme hatte, dürfte auch mit seinem aktuellen Werk seine Schwierigkeiten haben. Er kann es einfach nicht lassen, romantischen Folk, harten Blues Rock und minimalistische bis bombastische Klassik nach Lust und Laune zu vermengen und hier und da mit exotischen Elementen zu garnieren. Zugegeben: die Zutaten kennt man bei Hackett bereits, und möglicherweise wird sich manch einer mittlerweile Experimente mit anderen Zutaten wünschen. Aber ganz offensichtlich gibt es genügend Fans, die den seit Jahren eingeschlagenen Weg mitgehen.
Beyond The Shrouded Horizon kommt in einem gewohnt düsteren, aber auch exotischen, von Harry Pearce gestalteten Cover daher und enthält 13 reguläre Tracks, wobei die Special Edition mit weiteren neun Tracks den Käufer lockt. Die beteiligten Musiker umfassen die reguläre (Live-)Band, die bewährte Streicher-Fraktion unter Leitung von Dick Driver, Bruder John Hackett an der Flöte, Yes-Basser Chris Squire und Promi-Gast-Drummer Simon Phillips. Die Songs im einzelnen:
01 Loch Lomond
Mit düsterer E-Gitarre begleitet von wehmütigen Streicher-Chords leitet Hackett den Album-Opener ein, für den der bekannte schottische See gleichen Namens Pate stand. So düster und tief wie der See, so traumhaft schön sind seine Ufer. Musikalisch wechselt Hackett hier zwischen schweren Stadion-Drums samt Hackett-typischem Riff-Thema – der Teil erinnert etwas an Cell 151 – mit wiederum sehr akustisch-romantischen Strophen.
02The Phoenix Flown
Das direkt anknüpfende, kurze Instrumental könnte glatt als Loch Lomond Part IIdurchgehen, denn das Tempo wird beibehalten und die Drums bleiben mächtig und die Streicher-Chords riechen nach großem Finale. Passenderweise lässt Hackett hier wieder seine Gitarre singen.
03 Wanderlust
Ein kleines, verträumtes Intermezzo auf klassischer Gitarre.
04Til These Eyes
Die Rockband muss hier draußen bleiben! Entspanntes Picking auf der akustischen Gitarre, leidenschaftliche Streicherbegleitung und Steves sehnsüchtiger Gesang reichen hier vollkommen aus.
05Prairie Angel
Bereits auf den letzten Konzerten live erprobt, lebt diese Intrumental-Nummer von Hacketts majestätischer Gitarrenmelodie (die im nächsten Song wieder aufgegriffen wird), zu vergleichen mit Songs wie Sierra Quemada, allerdings mit dem Unterschied, dass hier als Kontrast ein heftiger Bluesrock-Teil im 7/8-Rhythmus folgt, bei dem Steve auch mal wieder seine Blues Harp zum Einsatz bringt.
06A Place Called Freedom
Folkig wird’s bei diesem anschließenden Song. Das Picking auf der 12-seitigen Gitarre erinnert natürlich an seine Zeiten mit Genesis.
07Between The Sunset And The Coconut Palms
Akustische Gitarre und Steves Gesang, mal alleine und mal im Chor mit Bruder John, reichen hier völlig aus, um eine verträumt-romantische Stimmung zu erzeugen. Die Streicher inklusive Violin-Solo steigen gegen Ende ein und geben dem Song ein warmes Ende.
08 Walking To Life
Der Track überrascht nicht nur mit seinem zunächst treibenden Beat mit allerlei fernöstlichen Percussions und Steves Begleitung auf der indischen Sitar, sondern vor allem mit den weiblichen Lead Vocals von Amanda Lehmann. Aber auch ansonsten gibt’s hier sehr kurzweilige 5 Minuten mit diversen instrumentalen Wendungen, diversen Soli und fast schon soundtrackartigen Spielereien.
09Two Faces Of Cairo
Das unscheinbar beginnende Instrumental-Stück lässt zunächst nicht vermuten, dass das, was sich wie ein aus der Ferne anrollender Zug anhört, zu einem mächtigen, Phil Collins’schen Tom-Tom Beat entwickelt. Der Basston bleibt, die Akkorde wechseln und Hackett und Orchester solieren in teils fernöstlichen Skalen – fast so wie bei The Steppes. Gäbe es ein Genesis-Revival mit Steve, hätte der Song gut ins Programm gepasst. Wer entdeckt die kurz zitierte Stelle eines Tony Banks-Solos?
10Looking For Fantasy
Und wieder ein Schwenk ins romantische Lager! Fast schon zeitlos schmalzig leitet das Orchester in das Stück, basierend auf klassischer Gitarre und Steves intimen Gesang. Eine leise Band begleitet, hier mit Chris Squire am Bass.
11Summer’s Breath
Für diese eingängigen Melodiebögen bleibt Steve auf seiner klassischen Gitarre – weiteres Instrumentarium ist nicht von Nöten.
12Catwalk
Hier hat man’s mit einem reinrassigen BluesRocker zu tun! Simon Phillips drischt sich hier durch einen entspannten 6/8-Takt, Chris Squire lässt seinen Rickenbacher-Bass dazu knarzen und Hackett gibt als Blues-Klampfer und -Sänger alles.
13Turn This Island Earth
Mit fast zwölf Minuten greift Hackett zum Abschluss noch ein mal tief in seine Trickkiste, gemeinsam mit den Gästen Simon Phillips und Chris Squire. Gruselige Orchesterklänge, zerhackte Stakkato-Vocals, Bombast-Teile, psychedelische Gitarren-Soli, Riff-Rock im 7/4-Takt, filmscore-ähnliche Collagen, klassisches Spinett im Swing-Gewand und und und. Definitiv das anspruchsvollste Werk auf dem Album, dass den Hörer fordert und möglicherweise auch überfordert.
Nick Beggs: bass, chapman stick, pink ukele (1, 6)
Dick Driver: double bass (4, 7, 10, 13)
John Hackett: flute (9) vocals (7)
Steve Hackett: guitars, vocals, harmonica (1-13)
Roger King: keyboards, programming (1-13)
Amanda Lehmann: vocals (1, 6, 8) guitar (5, 6)
Gary O’Toole: drums (1, 2, 5, 8, 9) vocals (1, 6,)
Simon Phillips: drums (12, 13)
Chris Squire: bass (10, 12, 13)
Richard Stuart: cello (4, 7, 9, 10)
Christine Townsend: violin, viola (4, 7, 9, 10)
Rob Townsend: sax, whistle, bass clarinet (1, 4, 5, 6, 8)
Die Bonus Disc wartet mit neun weiteren Tracks auf (sechs davon bislang unveröffentlicht), die definitiv mehr als „Füllmaterial“ sind:
01Four Winds: North
Anderthalb Minuten „Stadionrock“ mit hymnischen E-Gitarrenlines eröffnen die „Mini Suite“, deren Teile jeweils von einem der vier Winde inspiriert sind. Gast am Bass ist dieses mal erneut Chris Squire.
02Four Winds: South
Hier toben sich Steve Hackett an der klassischen Gitarre und Roger King am Piano aus, die aus der Form des schwermütig treibenden Stücks ohne weitere Intrumental-Begleitung immer wieder in improvisierende Teile flüchten.
03Four Winds: East
Santana lässt grüßen! Entspannte Latino-Grooves auf Congas und Keybard-Flächen der Hammond-Orgel bilden die Basis für Hacketts vielseitige Ausflüge auf E-Gitarre. Dieser Track wurde mit dem Titel The Well At The World’s End bereits als Bonustrack der japanischen Ausgabe des Darktown-Albums veröffentlicht.
04Four Winds: West
Das letzte Stück des 4er-Packs gehört wieder einmal alleine Steve Hackett und seiner klassischen Gitarre. Das kurzweilige, gut gelaunte 3min-Stück steht vergleichbaren Albumtracks qualitativ in nichts nach.
05Pieds En L’Air
Nahtlos fügt sich dieses reine, mit Streichern instrumentierte Stück an. Das Werk stammt von dem englischen Komponisten und Musikkritiker Peter Warlock (*1894/+1930), das er 1926 als Teil der Capriol Suite schrieb – ursprünglich nur für zwei Klaviere geschrieben, folgten später noch Arrangements für Streich- & Sinfonieorchester.
06She Said Maybe
Zum größten Teil aus Roger Kings Feder stammend, pendelt das Instrumental-Stück zwischen entspanntem Rock und Fusion Jazz.
07Enter The Night
Überraschenderweise wird hier eine etwas ältere Hackett-Nummer „recyclet“. Bislang kennt man den Track in instrumentaler Fassung unter den Titeln Depth Charge (Time-LapseLive/1990) oder Riding The Colossus (Genesis Revisited/1996). Diese Neuaufnahme ergänzt nun mit neuen Vocals/Lyrics und mutiert so zu einem sehr eingängigen PopRock-Song, der auch gut zu GTR gepasst hätte.
08Eruption: Tommy
Der Hauptthema des Intrumental-Tracks stammt im Original von der niederländischen Band Solution und wurde als Titel-Track des Albums Divergence veröffentlicht. Bekannt wurde er aber erst durch Focus‘ Neuinterpretation und wurde 1971 als Teil des 23 minütigen Werks Eruption auf deren zweiten Album Moving Wavesveröffentlicht. Hackett bleibt bei seiner Fassung nahe an dieser Version mit dem damaligen Gitarristen Jan Akkerman, also entspannter Fusion Rock. Dieser Track war bereits auf der japanischen Ausgabe von Steves Wild Orchids-Album enthalten.
09Reconditioned Nightmare
Auch bereits als Bonustrack der japanischen Wild Orchids-Ausgabe erhältlich ist Steves Neuaufnahme seines Klassikers Air-coditioned Nightmare vom 81er Album Cured. Diese Version bleibt nah am Original, aber gewinnt durch Gary O’Tooles Drum-Einsatz und den frischeren, knackigeren Sound.
Dick Driver: double bass (5)
Benedict Fenner: keyboards, programming (3)
Steve Hackett: guitars, vocals (1-4, 6-9)
Roger King: keyboards, programming (1, 2, 6-9)
Amanda Lehmann: vocals (7)
Gary O’Toole: drums, vocals (7)
Simon Phillips: drums (1)
Chris Squire: bass (1, 7)
Richard Stuart: cello (5)
Christine Townsend: violin, viola (5)
Das Fazit muss lauten: Steve Hackett bleibt seiner Linie treu, keiner Linie nachzulaufen. Beyond The Shrouded Horizon reiht sich nahtlos in die Reihe seiner Rock-Alben der letzten zehn Jahre ein – sowohl qualitativ und soundtechnisch, wie auch musikalisch. Es sind zwar keine wirklich neuen Einflüsse erkennbar, aber Hackett versucht erneut alles machbare zwischen Rock, Blues, Klassik und Folklore auszuloten. Die Mannschaft um Steve Hackett hat sich seit To Watch The Storms bewährt und wird stetig um einige Puzzle-Teile erweitert. Das mag dem einen oder oder anderen noch zu wenig an Weiterentwicklung bedeuten, aber es wird vor allen diejenigen beruhigen, die Hacketts Output der letzten Jahre zu schätzen wissen. Seine Vielfältigkeit gewinnt auf alle Fälle nochmals neue Facetten durch die zweite Disc der Special Edition, die im übrigen wieder sehr geschmackvoll gestaltet wurde: Das kleine Buch mit den CDs enthält zahlreiche Fotos, Song-Lyrics, Anmerkungen und ausführliche Credits.
Autor: Steffen Gerlach
Letztes Update: 28.09.2011