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Steve Hackett – Out Of The Tunnels Mouth – Rezension
Drei Jahre nach dem letzten Rockalbum Wild Orchids veröffentlicht Steve Hackett ein neues Werk. Out Of The Tunnel’s Mouth heißt das Album. Steffen Gerlach hat es sich genauer angehört.
Es scheint ganz so, als hätte der einstige Genesis-Gitarrist das Licht am Ende des Tunnels ohne größere Blessuren erreicht. Seit seinem letzten Band-Album Wild Orchids im Jahr 2006 gab es für Steve Hackett nicht unerhebliche private Turbulenzen, die ihn in besagten Tunnel führten: die Trennung von seiner langjährigen Weggefährtin Kim Poor, mit der er eine künstlerische Symbiose einging, die von gegenseitiger Inspiration geprägt war, und der darauf folgende Abbruch der fast 20-jährigen, erfolgreichen Zusammenarbeit mit Manager Billy Budis. Mit Erscheinen des klassischen Tribute-Albums 2007 auf deren gemeinsamen Labels Camino Records wurde auch dieses Kapitel geschlossen.
Mit der neuen Website, die den Namen seines neuen Verlags „Hackett Songs“ trägt, dem eigenen Label „Wolfworks Records“ und einer neuen Frau an seiner Seite markiert die Veröffentlichung von Out Of The Tunnel’s Mouth einen Neustart des 59-jährigen.
Ist das Album auch ein musikalischer Neuanfang? Nein. Zum Großteil sind die Mitstreiter der aktuellen Produktion bereits alte Bekannte des Hackett’schen Universums. Und auch die neuen Songs dürfte zum einen niemand er- oder verschrecken, der die letzten Band-Produktionen von Hackett kennt. Das Album entstand in Hacketts „Wohnzimmer“ in engster Zusammenarbeit mit Roger King, der neben der Rolle des Co-Producers, Co-Writers, und Keyboarders erstaunliche Arbeit beim „notgedrungenen“ Programmieren sämtlicher Schlagzeugspuren geleistet hat. Doch was kam bei dieser sehr intimen Arbeitsweise heraus?
1 Fire On The Moon
(Hackett)
„Das Ehrlichste, was ich je geschrieben habe“, so Hackett über den gut sechsminütigen Opener des Albums, welcher bereits bei seinen Konzerten im Sommer als Live-Opener diente. In dem Song verarbeitet er seinen Trennungsschmerz und dem schweren Abschied von einem Leben, dass für ihn lange Zeit Wohlbefinden und Sicherheit bedeutete. Musikalisch setzt er das in einem Wechselspiel von intimem Gesang, begleitet mit akustischem Gitarrenpicking und einer „Musical Box“-Figur, und von majestätsich, sehnsüchtigen Chorparts mit Schlagzeug und „Bolero“-Bass von Yes-Legende Chris Squire. Zum Finale lässt Steve wieder seine E-Gitarre singen.
2 Nomads
(Hackett / Lehmann)
Der zweite Song beginnt mit schnellen Läufen auf klassischer Flamenco-Gitarre in bewährter Hackett-Manier. Abgelöst von mit Percussion sparsam begleiteten „Gypsy Grooves“ auf Gitarre steigert sich Hacketts Hommage an Andalusien in einen feurigen Flamenco-Teil mit Stampf- und Klatscheinlagen, bevor sich die Nummer in einen schnellen Rocker mit E-Gitarrensolo verwandelt.
3 Emerald And Ash
(Hackett / King)
Mit neun Minuten das längste Stück des Albums fühlt man sich hier die ersten fünf Minuten zunächst wie auf Watte gebettet. Nach kurzem orchestralen Intro schwebt man bei entspannten Grooves aus der Dose, soften Piano- und Bassklängen und Steves Chorgesang regelrecht davon und steigt in den Refrains mit der luftigen 12-String-Gitarre von Anthony Phillips gleich noch ein paar Meter höher. Kurze, bedrohliche Intermezzos lassen schon erahnen, um was es auch im Text geht: „The Honey Trap may close softly around you before you know it“. Wie aus dem Nichts öffnen einem die harten Drums samt schrägen Gitarren die Augen und Ohren.
4 Tubehead
(Hackett / King)
Bei dieser Instrumental-Nummer lässt Steve es krachen. Schneller Drumbeat und gallopierender Bass geben die Grundlage für ein dreieinhalbminütiges „Distortion“-Gewitter, wie man es eher selten von Steve Hackett zu hören bekommt. Hier „battled“ er sich schon fast mit sich selbst. Verzerrte Sounds von Keyboard und Gitarre, allerlei Riffs, Tappings und krumme Takte erfordern schon etwas Aufmerksamkeit, um bei dieser Tour de Force am Ball zu bleiben.
5 Sleepers
(Hackett / King / Lehmann / Clabburn)
So wie dieses über achtminütige Werk beginnt, könnte man fast meinen, man hätte es mit einer Fortsetzung des Genesis-Klassikers Hairless Heart zu tun: ein schwermütiges Haupt-Motiv, gespielt mit klassischer Gitarre und begleitet von orchestralen Streichern. Sobald jedoch der Gesang einsetzt, entwickelt sich das Stück zunachst zu einer sanften Ballade mit spärlicher Begleitung auf Klavier, soften Drums und allerlei sphärischen Klängen. Aber es wäre wohl kein typischer Hackett-Song, wenn auch nicht hier noch so einiges passieren würde: „Alle Schafenden senden dir ihre Träume“ lautete eine SMS, die ihn zu dieser Traum-Collage inspiriert hat. Ab der Hälfte wechselt man aprupt in einen schweren Bluesrock-Teil, bevor man das Tempo verdoppelt und sich in einer hektischen, soundtrackartigen Collage in teils orchestralem Arrangement wiederfindet.
6 Ghost In The Glass
(Hackett / King)
Mit jazzigem Rhodes-Piano und Improvisation auf akustischer Gitarre startet das kurze, entspannte Instrumental und mündet in einen sehnsüchtig anmutenden E-Gitarren-Solo, unterstützt von lässigen Drums, virtuosem Fretless-Bass von Nick Beggs und epischen Streichern.
7 Still Waters
(Hackett / Lehmann)
Als „Blues meets Gospel in New Orleans“ beschreibt Steve Hackett diese 6/8-Nummer in langsamem Blues-Groove. Neben stark weiblich unterstütztem Chorgesang in den Refrains gibt’s hier viel bluesgetränkte Gitarrenarbeit an E- und Slide-Gitarre.
8 Last Train To Istanbul
(Hackett / King / Lehmann)
Das Album schließt mit einer Mixtur aus nah- und fernöstlichen Klängen und Hacketts westliche, musikalische Wurzeln. Steves Gesang wechselt sich hier mit orientalischen Orchestereinwürfen ab. Dazu gesellen sich reichlich Solo-Einlagen von Steve auf der Sitar, Rob Townshend auf dem Soprano Sax, John Hackett auf der Flöte und Ferenc Kovacs auf der Violine. Die Basis darunter bilden diverse Percussion-Loops mit teilweise sehr wuchtigen Drum-Beats.
Länger als die letzten Jahre von Steve Hackett gewohnt mussten Fans auf ein neues Band-basiertes Album warten. Wer sich bereits mit Vorgänger-Alben wie To Watch The Stormsoder Wild Orchids anfreunden konnte, wird auch mit Out Of The Tunnel’s Mouth schnell warm werden. Wie nicht anders von ihm gewohnt, bietet er uns 45 Minuten lang eine abwechslungsreiche und detailverliebte Mixtur diverser Einflüsse von Elementen klassischer Musik über straighten Rock bis hin zu Ausflügen in das Reich der Ethno-Klänge. Kein schlechter Einstieg für Neulinge, die den Steve Hackett des aktuellen Jahrtausends kennenlernen wollen und ein willkommenes, musikalisches „Update“ für alle, die Hacketts Solo-Werk bereits kennen …
Autor: Steffen Gerlach
Auf Out Of The Tunnel’s Mouth tummeln sich eine Reihe von Musikern und einige können als Überraschung betrachtet werden, darunter Anthony Phillips (wir berichteten). Aufgenommen wurde das Album in Steve Hacketts Wohnzimmer. Die Zahlen hinter den Musikern beziehen sich auf die Songtitel, auf denen mitgewirkt wurde.
NICK BEGGS – bass, Chapman Stick (2, 3, 5, 6, 7)
DICK DRIVER – double bass (5)
JOHN HACKETT – flute (5, 8)
STEVE HACKETT – guitars, vocals (1 – 8)
ROGER KING – keyboards, programming (1 – 8)
LAUREN KING – backing vocals (7)
FERENC KOVAKS – violin (8)
AMANDA LEHMANN – vocals (3, 5, 7)
JO LEHMANN – backing vocals (7)
ANTHONY PHILLIPS – twelve string guitar (3, 5)
CHRIS SQUIRE – bass (1, 2)
CHRISTINE TOWNSEND – violin, viola (5, 6, 8)
ROB TOWNSEND – soprano sax (3, 8)
Produzenten: Steve Hackett, Roger King
Weitere Informationen
Steve Hackett hat im Press-Sheet zu jedem Song ein paar Anmerkungen einfließen lassen.
Fire On The Moon: The difference between a long dark threatening tunnel and a triumphal arch is only one of perspective. Listen out for Chris Squire’s bolero rhythm bass and Roger King’s haunting keys.
Nomads: Beneath the blur of the castanets… Homage to Andalusia, Flamenco and the indomitable spirit of the gypsies.
Emerald And Ash: To quote Milan Kundera, a truth and an illusion can wear the same mask. This track features Anthony Phillips’ glorious twelve string work.
Tubehead: Death by Marshall Cabinet – A suitable end for errant dilettantes and all ye who resist conversion to the true faith…
Sleepers: The bizarro world of dreamscapes with all their unstoppable phantasmagoria. From the gentle violin and viola of Christine Townsend and the rich bowed double bass of Dick Driver to Roger King’s Drums from Hell and Amanda Lehmann’s perfect harmonies
Ghost In The Glass: The ghost of the past meets the ghost of the future… Exquisite fretless bass playing from Nick Beggs.
Still Waters: The pulse of New Orleans – Storyville put to song.
The Last Train To Istanbul: Riding on the coat tails of the East on a runaway train from Europe. Killer solos from bandit crew en route… Rob Townsend, John Hackett and Ferenc Kovacs all playing like frenetic whirling dervishes.
Label und Vorbestellung
Out Of The Tunnel’s Mouth erscheint bei Wolfworks Records. Wo das Album in Deutschland vertrieben wird, steht noch nicht fest. In diesem Jahr wird es aber vor allem bei Steve Hacketts Konzerten erhältlich sein.
Hinweis: Das Album sollte ursprünglich am 5.10.2009 erscheinen. Aus rechtlichen Gründen wird die Veröffentlichung verschoben. Letztlich ist es am 30. Oktober 2009 erschienen.