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Brand X – Do They Hurt? – Rezension

Im April 1980 wurden die Brand X Songs der Nachtband (die Sessions von 1979) unter dem Titel Do They Hurt? veröffentlicht

Vorbemerkung

Während der Ausarbeitung der Rezension habe ich vom viel zu frühen Tod John Goodsalls erfahren. Mit ihm starb das Herz der außergewöhnlichen Jazzrockprogpopswing-Combo. *1 So ist es nicht verwunderlich, dass der Kern des Albums von Goodsalls Kompositionen Voidarama, Act of Willund Campodia gebildet wird. John Goodsall sind die folgenden Zeilen gewidmet. Möge er unvergessen bleiben.

Hintergrund

Im September 1979 erschien mit für die Band untypisch großem Werbeaufwand Product, das erste Album der Aufnahmesessions im Startling Studio.  *2

Dies war das Output der „Tagesband“ um Goodsall, Lumley, Collins und Giblin. Die Ergebnisse der „Nachtband“ mit Goodsall (was war der Mann fleißig!), Jones, Robinson und Clarke harrten noch der Veröffentlichung, da sich Management und Plattenfirma gegen ein Doppelalbum ausgesprochen hatten. Ebenso wollte man mit Product neue Hörerschichten erreichen und den Verkauf forcieren. Daher ging die Band nach Veröffentlichung von Product auf eine zweimonatige UK- und US-Tour. Es wurden die letzten Aktivitäten von Brand X mit Phil Collins, der mit Genesis und einer sich abzeichnenden Solo – Karriere zu viel zu tun hatte.

Es vergingen Monate und erst im April 1980 wurden die Songs der „Nachtband“ auf einem Album mit dem Titel Do They Hurt? veröffentlicht. In der Zwischenzeit verdingten sich die Mitglieder von Brand X als Sessionmusiker u.a. bei Peter Gabriel (III), Kate Bush (Never For Ever) und Jon Anderson (Song Of Seven).

Titel und Covergestaltung

Wie bei Product wurde Hipgnosis mit der Covergestaltung beauftragt.

Do They Hurt?Wir sehen einen im Dunkeln liegenden, schwach beleuchteten Gartenweg, über den eine Frau in Richtung Ausgang läuft. Dort wird sie von einem Krokodil erwartet. Die Kamera fängt die Szene knapp über dem Boden ein, daher kann man nur die Beine der Frau, die von einem roten Kleid, bzw. Mantel umsäumt werden, sehen. Ihre Füße stecken in rötlich schimmernden Krokodillederschuhen. Das Backcover betrachtet die Szene aus einem höheren und seitlichen Blickwinkel. Das Krokodil wirkt bedrohlicher, die Frau in schreiendem Schrecken erstarrt. Sie hält eine rötlich schimmernde Krokodillederhandtasche in der Hand. Der Bezug zum Albumtitel ist deutlich: Wer tut wem weh?

„A woman stepping out in her best crocodile shoes is confronted by a real crocodile. Do They Hurt? The shoes or the annoyed croc? A classic Storm visual pun based on the title. Looking back, it’s amazing that bands where so trusting. They had to give approval, of course, but rarely did anyone complain. They found, and loved, the humour in many Hipgnosis covers. And we where a humorous bunch. Storm and I could be at each others throats one minute and best buddies the next. Sometimes, though, people left because of Storms erratic behaviour and the brought projects to a grinding halt. Storm generally shrugged it off. Snappy like a crocodile sandwich.“, erklärt Aubrey Powell *3

Interessant sind die Linernotes auf dem Backcover für Monty Pythons Fans. Kein Geringerer als Michael Palin hat sie verfasst. Er ist ein Freund von Robin Lumley, der ihn bat, ein paar Worte zum Album zu schreiben. Was er schließlich sehr ausführlich tat. Es gibt wohl Parallelen zum „Holy Grail“ (Ritter der Kokosnuss). *4

Songs

Noddy Goes to Sweden (Jones) – 4:30:

Der Opener des Albums erschien erstmals ein Jahr vorher auf der B-Seite der Soho – Maxi-Single. *5 Das Stück wurde von Percy Jones geschrieben und, wen wunderts, zeigt die Möglichkeiten des feinen Bassspiels auf. Begleitet wird Jones vom Schlagzeuger Mike Clarke, dem Perkussionisten Morris Pert und dem Keyboarder Peter Robinson. Nach einem krachenden Schlagzeuggewitter dampft, blubbert und wummert es in Moll. Es hört sich an, als wäre eine Katze über eine schräg eingestellte Keyboard-Tastatur getanzt. Jones „singt“ verzerrt mit Vocoderstimme.

Der kurze Song klingt eher improvisiert als gut strukturiert auskomponiert. Es zeugt vom Brand X Humor als Album-Opener eine derart verstörende, funky Basshuldigung gewählt zu haben.

Voidarama (Goodsall) – 4:21

Nun wird richtig in das Album gestartet und die Philosophie von Product fortgeführt. Gitarrenarpeggien intonieren, Phils Schlagzeug nimmt den Rhythmus auf, der Bass von John Giblin ergänzt. Eine schöne solierende E-Gitarre bestimmt das Stück. Ab Minute zwei erfolgt durch einen Keyboardwirbel ein jazziges Break. Robinson und Lumley ergänzen sich dabei an Piano und Keyboards. Schließlich gleitet die Musik in das bekannte Auf – und Ab des Brand X – Sounds, um in sanften Keyboardteppichen zu entschwinden. Weather Report und das Mahavishnu Orchestra stehen Pate. Hier hören wir die „Tagesband“ musizieren.

Act of Will (Goodsall) – 4:43

Dieser Goodsall-Song beginnt mit perlender Gitarre und Vocoder-Gesang. Diesmal von Goodsall, dessen feine Gitarrenarbeit auch dieses Stück dominiert. Der eher rockig ausgelegte Song wird die Jazzer abschrecken. Er beginnt ruhig und entwickelt sich zum Ende hin zum Kracher. Wie bei Soho sollte wohl der kommerzielle Markt mit dem Stück bedient werden. Soho wirkt jedoch reifer, auskomponierter und mit Phils Gesang tauglicher den Mainstream zu erobern. Es bleibt der fade Beigeschmack, nur der kleine Bruder von Soho zu sein.

Fragile (Jones, Robinson) – 5:26

Brand X AdvertSchlagzeug, Percussion und Bass eröffnen die Jones/Robinson Komposition. Feine Xylophon-Klänge ergänzen sich mit Keybaord – Perlen. Goodsalls Gitarre klingt schön schräg und der Bass pumpt herrlich. Immer wenn es zu ruhig zu werden scheint, wird das Tempo erhöht. Bei Minute vier meint der Rezensent den Rhythmus von Queens Another One Bites the Dust herauszuhören. Feiner leichter funky Jazz-Rock, der an das Masques – Album erinnert.

Cambodia (Goodsall) – 4:31

Das dritte Goodsall – Stück des Albums führt mit einer leisen Solo – Gitarre, um die sich langsam immer mehr Instrumente scharen, in die aufwühlenden Klangspielereien ein. Dichter und bedrohlicher wird die Musik, steigert sich zu einem fulminanten progressiven Gitarrensolo. Clarkes Schlagzeug treibt den klanglichen Taifun unaufgeregt voran. Ein kompakter, progressiver Stadionrocksong, der gut auf das Product-Album gepasst hätte. Das heimliche Highlight des Albums und eine Hommage an die Toten des Vietnamkrieges.

Triumphant Limb (Goodsall, Giblin, Lumley, Collins) – 7:34:

Hier komponiert und musiziert die „Tagesband“. Den Hörer erwartet ein ruhiger Beginn mit Keyboard und Bass, der in jazziges Geplänkel übergeht. Goodsalls Gitarre rockt, das Duo an den Keyboards improvisiert schräge Klänge und Collins drumt wunderbar. Hier haben wir den typischen Jazz-Fusion-Rock von Brand X, der die ersten beiden Alben auszeichnet. Es geht wellenförmig in eine Tour de Force der Klänge, der Soli verschiedener Instrumente bis es ganz plötzlich mit einem Schlagzeugwirbel endet. Das triumphale Statement einer angesagten Band des Jazz – Fusion – Rocks!

D M Z (Jones) – 8:39

Mit diesem verspielt und unbeschwert jazzrockenden und mit über acht Minuten längstem Stück endet das Album. Bass und Keyboards beherrschen die Szene. Man kann sich vorstellen in einer südamerikanischen Bar bei einem Cocktail sitzend diesen Klängen zu lauschen. Goodsall zeigt wieder sein so typisch „abgehacktes“ Gitarrenspiel. Ein Großer seiner Zunft. Das Schlagzeugspiel von Clarke braucht sich nicht hinter Phil Collins zu verstecken. Die Komposition ist ein gelungener Abschluss eines soliden Jazz – Rock – Fusion – Albums.

BadgeZusammenfassung

Do The Hurt? ist das letzte Brand X Album für Charisma. *6 Die Plattenfirma verlor das Interesse an dieser außerordentlichen, aber finanziell nicht sehr gewinnträchtigen Musik. Das, obwohl Do They Hurt? den Weg der Vereinfachung des Sounds, der mit Product eingeschlagen wurde, weiterging. Act of Will ist ein Beispiel dafür. Allerdings fehlt dem Album die Spritzigkeit des Vorgängers, so dass es wie eine Sammlung von Outtakes aus den Product – Sessions wirkt. Bezeichnend dafür ist, dass die zwei eingespielten Stücke der „Tagesband“, die den Weg auf das Album fanden, am homogensten klingen. Um den Namen Phil Collins noch präsentieren zu können, wurde wohl auf den klaren Schnitt der unterschiedlichen Aufnahmen verzichtet.

Es ist trotz allem ein solides Album zwischen Jazzrock, Prog und Rock geworden. Es trägt die typische Brand X Handschrift: Blubbernde Basslinien, schräge Gitarrenläufe, cooles Drumming und bunt malende Keyboards. Hier jammen Könner ihres Fachs munter vor sich hin, ohne die Struktur zu verlieren.

Menschen, die den Mut haben außergewöhnliche Musik zu entdecken, sollten Do The Hurt? ein wenig ihrer Zeit widmen. Es lohnt sich bestimmt!

Anmerkungen:

*1. Siehe: https://www.facebook.com/OfficialBrandX/
*2. Wie immer: Vielen Dank an Stefan Gerlach für seine hervorragende Bandgeschichte!
*3. Aus: Aubrey Powell, Vinyl. Album. Cover. Art, The Complete Hipgnosis Catalogue, London 2017, S. 281
*4. Siehe: https://en.wikipedia.org/wiki/Do_They_Hurt%3F
*5. Siehe z. B. hier
*6. Es sollte noch das Album Is there Anything About? 1982 folgen, womit Brand X ihre vertraglichen Verpflichtungen mit Passport Records USA erfüllten.