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Interview mit David Longdon über die Audition bei Genesis 1996

Mario Giammetti (DUSK) interviewte 2010 den britischen Sänger David Longdon. David war neben Ray Wilson ein Favorit für die Nachfolge von Phil Collins als Sänger. Dies war auch der Schwerpunkt des Interviews.

Es ist in der Fanszene hinlänglich bekannt, dass der im November 2021 verstorbene David Londgon (Big Big Train) einer derjenigen war, die neben Ray Wilson als Genesis-Sänger „getestet“ wurden. Unter anderem hat Mike Rutherford dies im it-Interview in Berlin 1997 bestätigt.

Im Jahr 2010 hatte Mario Giammetti Gelegenheit, mit David Longdon über seine Audition für den Posten im Jahr 1996 zu sprechen. Das Interview erschien dann im Magazin des italienischen Fanclubs DUSK und ist in englischer Sprache hier zu finden. Mit freundlicher Genehmigung haben wir das Interview für euch übersetzt.

DUSK: Wann und wo bist du geboren?
David: Ich wurde am 17. Juni 1965 in der Stadt Nottingham im Vereinigten Königreich geboren.

DUSK: Wer waren deine musikalischen Einflüsse?
David: Die erste Schallplatte, die ich im Alter von acht Jahren kaufte, war Beethovens erste Sinfonie in C-Dur. Aufgeführt vom Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Charles Groves. Sie war Teil einer wöchentlichen Serie, die sich mit den größten Komponisten der Welt und ihrer Musik beschäftigte. Ich habe sie immer noch hier in meinem Studio. Sie steht neben meinen Boxen The Famous Charisma Box und Harvest Festival. Als ich ein Junge war, spielte mir mein Onkel Jack eine eklektische Mischung aus Klassik, Country-Musik und Oper vor. Er kaufte mir auch Bücher zum Lesen. Dinge wie Tales of Mystery and Imagination von Poe. Ich war neun Jahre alt, als mich ein Freund mit der Musik von The Who bekannt machte, und aus irgendeinem Grund inspirierte mich die Musik von Pete Townshend dazu, meine eigene Musik zu schreiben. Ich mochte auch Musik von den Beatles, Led Zeppelin, Pink Floyd, Deep Purple, King Crimson, David Bowie, XTC, Todd Rundgren, Queen, The Velvet Underground, Richard Thompson und natürlich Genesis.

DUSK: Ich habe gelesen, dass du ein Multiinstrumentalist bist; welche Instrumente kannst du spielen?
David: Ich bin ein Sänger. Ich spiele aber Keyboards, akustische und elektrische 6- und 12-saitige Gitarren, Bassgitarre, Flöte, Mandoline, Akkordeon, Schlagzeug, Dulcimer und Glockenspiel. Wenn ich Songs schreibe, schlägt das Material oft eine bestimmte Instrumentierung vor, so dass ich mich bemühe, diese Teile auf den jeweiligen Instrumenten zu spielen.

DUSK: Deine Hauptband hieß The Gifthorse, kannst du mir etwas über ihre Musik erzählen?
David: The Gifthorse war eine Art-Folk-Rock-Band. Sie entwickelte sich aus der Asche meiner früheren Gruppe O‘ Strange Passion. Obwohl man uns für interessant hielt, spielten wir die falsche Art von Musik am falschen Ort zur falschen Zeit. Wir hatten zwar das Interesse von Plattenfirmen, vor allem von Epic, aber man hielt uns für ein zu großes Risiko. Unsere Liveshows waren leidenschaftlich, dramatisch und etwas düster, vor allem zum Ende hin.

DUSK: Du warst auch in der Band von Louis Philippe; kannst du mir etwas über diese Erfahrung erzählen?
David: Ich war ein Fan von Philippes Album Appointment With Venus. Wir wurden im Laufe der Zeit Freunde und nachdem ich The Gifthorse im The Borderline in London sah, lud er mich ein, in seiner Live-Band mitzuspielen. Ich habe auf mehreren seiner Alben mitgewirkt, und es ist immer eine große Lernkurve, wenn man so etwas macht. Philippe und Danny Manners sind erstaunlich talentierte Musiker. Ich habe Dave Gregory (ex XTC) während der Arbeit am Jackie Girl Album kennen gelernt. Danny spielt Kontrabass auf British Racing Green von der neuen Big Big Train EP Far Skies Deep Time.

DUSK: Du hast 2004 eine Solo-CD namens Wild River veröffentlicht. Erzähl uns davon.
David: Wild River war die Musik, an der ich nach Genesis gearbeitet habe. Es war eine Zeit großer Veränderungen, die Welt war von einem Jahrhundert ins andere gewechselt. Mein Vater war gestorben. Ich hatte eine Scheidung hinter mir. Schließlich lernte ich eine andere Frau kennen und habe jetzt Kinder. Wild River beschreibt die Ereignisse dieser Zeit. Mir gefällt das Album sehr gut. Wenn ich es höre, ist es, als würde ich in eine Schachtel mit alten Fotos schauen. Dave Gregory spielt darauf Gitarren und Mellotron.

DUSK: Machst du noch ein neues Soloalbum?
David: Ich habe Songs für ein zweites Soloalbum, das zu 85% fertig ist, aber der Tag hat nur begrenzt Stunden. Ich habe eine junge Familie, ich arbeite und meine musikalische Tätigkeit bei Big Big Train nimmt den größten Teil meiner kreativen Zeit in Anspruch. Irgendwann werde ich es vielleicht fertigstellen, aber im Moment liegt es auf Eis.

DUSK: Wie war es, auf Martin Orfords letztem Album zu singen?
David: Es war ein sehr bedeutender Moment, als Martin mich einlud, auf The Old Road zu singen, was zu weiteren Gelegenheiten führte. Martin gab mir freundlicherweise zwei Lieder, die ich übernehmen sollte. Er sagte, wenn ich sie besser singen könnte als er, würden meine Darbietungen auf sein Album kommen. Also reiste ich ins Aubitt Studio in Southampton, um die Parts aufzunehmen, und traf Rob Aubrey. Rob schlug eine Band vor, die sehr daran interessiert wäre, dass ich für sie singe, und so stellte er mich Big Big Train vor.

DUSK: Du bist seit 2009 bei Big Big Train. Kanntest du sie bereits? Erzähl mir von deinen Erfahrungen mit diesen Prog-Veteranen.
David Longdon 2018David: Martin und Rob haben mir die Möglichkeit gegeben, bei Big Big Train einzusteigen. Greg und Andy hatten an The Underfall Yard gearbeitet und mir die Demos geschickt. Ich habe meine Parts aufgenommen und an den Gesangsarrangements gearbeitet. Wir kommen sehr gut miteinander aus. Es ist, als ob wir uns schon seit Jahren kennen würden. Die kreativen Ideen fließen schnell zwischen uns, und wir sind alt genug, um zu wissen, dass nicht nur die Musik, die wir machen, sondern auch die Chemie zwischen uns etwas ganz Besonderes ist. Ich bin es gewohnt, alleine an musikalischen Projekten zu arbeiten und die einzige treibende Kraft zu sein, aber bei BBT ist es ein Team. Wir haben gerade unsere neue EP namens Far Skies Deep Time veröffentlicht. Ich betrachte die Band als mein musikalisches Zuhause und kann es kaum erwarten, dass die Welt die Musik hört, die wir machen.

DUSK: In der neuen Big Big Train-Besetzung ist auch Dave Gregory von XTC dabei, der bereits mit dir zusammengearbeitet hat. War es dein Vorschlag, ihn in die Band aufzunehmen?
David: Dave war immer sehr ermutigend, was meine Musik angeht. Er hat einen großartigen Sinn für Humor. Seine Art zu spielen und seine hochentwickelte Musikalität haben BBT unermesslich bereichert. Ja, ich habe BBT ursprünglich vorgeschlagen, dass Dave Teil der Band wird, aber Andy und Greg mussten nicht überredet werden.

DUSK: Kommen wir zu Genesis. Mochtest du deren Musik, bevor sich eure Wege kreuzten?
David: Ja. Mein bester Freund Simon Withers stand auf sie, als wir in der Schule waren, und er hat mir ihre Alben vorgespielt. Das erste Genesis-Album, das ich mir von meinem Weihnachtsgeld gekauft habe, war eine gebrauchte Vinyl-Kopie von Foxtrot bei Selectadisc in der Market Street in Nottingham. Sie kostete £1.99. Ich kaufte es, weil Watcher Of The Skies und Supper’s Ready darauf waren.

DUSK: Wie hast du es geschafft, dass das Management von Genesis auf dich aufmerksam wurde? Ich meine: Wurdest du von jemandem kontaktiert, oder hast du einfach auf eine Anzeige geantwortet?
David: Ich war bei Rondor Music UK als Songwriter unter Vertrag und arbeitete mit einem anderen Songwriter und Plattenproduzenten namens Gary Bromham zusammen. Gary war in einer Band namens The Big Blue, die bei EMI unter Vertrag war und ihr Album mit Nick Davis in The Farm aufnahm. Phil war weg und sie suchten einen neuen Sänger. Gary hatte einen Song von mir namens Heiroglyphics Of Love produziert. Er spielte ihn Nick vor, und Nick mochte ihn so sehr, dass er ihn an Tony Banks weitergab. Tony mochte ihn und spielte ihn Mike Rutherford vor. Sie dachten, es sei einen Versuch wert, und ich erhielt einen Anruf von Tony Smith, der mich einlud, zum Vorsingen auf The Farm zu kommen.

DUSK: Es wurden mehrere Namen als möglicher Ersatz für Phil Collins genannt, darunter auch einige, die wahrscheinlich von den Fans vorgeschlagen wurden, aber nicht wirklich zuverlässig erscheinen (z. B. Fish oder Paul Carrack). Weißt du, ob diese Kandidaten wirklich im Rennen waren? Und hast du von weiteren Personen gehört, die ein persönliches Vorsingen hatten?
David: Ich weiß, dass Fish erwähnt wurde, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass er tatsächlich vorgesungen hat. Paul Carrack wollte es machen, aber ich bin mir nicht sicher, wie gut das Tony Banks passte. Leider verstarb Kevin Gilbert, bevor er die Chance für eine Audition hatte. Francis Dunnery und Nick van Eede haben auch eine Audition gehabt, aber die Entscheidung fiel ziemlich schnell zwischen Ray und mir.

The FarmDUSK: Ray Wilson erzählte, dass er bei seinem ersten Vorsingen am 30. Mai 1996 gebeten wurde, ein paar Genesis-Songs wie In The Cage, Land Of Confusion und No Son Of Mine zu singen, wobei er Phils Backgroundgesang auf dem Ohr hatte! Ist das auch bei dir passiert?
David: Ja, in den Mischungen war Phils Leadgesang gedämpft, aber seine Backing Vocals waren präsent. Ich kam im Studio The Farm an und musste für sie einige Songs von einer Setlist singen, die sie mir gegeben hatten. Bei den Abmischungen handelte es sich um Albumabmischungen, bei denen Phils Leadgesang entfernt wurde. Diese Abmischungen waren wahrscheinlich ursprünglich für Werbeauftritte im Fernsehen gedacht. Genesis würden zu ihrer neuesten Single mimen und Phil fügte eine Live-Gesangseinlage hinzu, denke ich. Ich war also im Live-Raum und schaute zu Tony, Mike und Nick hinüber, die am Mischpult saßen und mir zuhörten.

DUSK: Wie kam es zu deiner ersten Studio-Audition? Wie lange hat es gedauert? Was solltest du tun?
David: Das Vorsingen dauerte drei Stunden. Die Lieder, die ich gesungen habe, waren: No Son Of Mine, I Can’t Dance, Mama, Throwing It All Away, Tonight Tonight Tonight, Turn It On Again, In The Cage, Land of Confusion.

DUSK: Bei Rays zweitem Vorsingen, etwa vier Wochen später, wurde er gebeten, etwas zur neuen, von Mike und Tony geschriebene Musik zu improvisieren. Hast du das auch gemacht?
David: Ja, das Gleiche ist mir passiert. Ich wurde gebeten, aus dem Stegreif zu ihren Ideen zu improvisieren. Sie haben ihre Parts gespielt und ich habe dazu gesungen. Es war toll, unter diesen Umständen mit ihnen zu arbeiten. Tony hatte alle seine Notizen auf einem kleinen Post-it. Er und Mike waren im Kontrollraum des Studios. Sie spielten ihre Instrumente und spielten Teile der Songs, die für Calling All Stations bestimmt waren. Ich musste improvisieren und mitsingen. Sie mögen diese Arbeitsweise, weil ich dann direkt auf die Musik reagieren muss und sich daraus vielleicht eine unerwartete Melodie entwickelt.

DUSK: Welche Songs waren das?
David: Ich habe an dem Material gearbeitet, aus dem schließlich Calling All Stations werden sollte. Als ich bei den Auditions gesungen habe, war das gesamte klassische Genesis-Hitmaterial dabei und stimmlich ziemlich hoch. Das Material für Calling All Stations war aber viel tiefer in der Tonlage, was auf einen möglichen Richtungswechsel hindeutete. Ray und ich haben unsere Vocals getrennt aufgenommen. Wir haben uns gegenseitig wahrgenommen, aber sie haben uns während des gesamten Prozesses getrennt gehalten, was mich glauben ließ, dass sie vorsichtig waren. Ich war am 4., 5. und 6. November 1996 im Studio The Farm. Die Tracks, an denen ich gearbeitet habe, hießen Fuzz Intro (daraus wurde schließlich Sign Your Life Away), Paris (daraus wurde Alien Afternoon), 1965 Shipwrecked (daraus wurde Shipwrecked), Breathless (One Man’s Fool), Jelly (If That’s What You Need), Congo und Scotties – ich habe einen Text und eine Melodie für diesen Song geschrieben und Mike auch, aber ich bin mir nicht sicher, was daraus geworden ist oder ob es überhaupt verwendet wurde. Ich war auch gebeten worden, einige musikalische Ideen für drei Stücke zu schreiben. Ich nannte sie Cast Adrift (am Ende wurde es 7/8), Blessed (meine Version von Scotties) und Pretty Bird (ich glaube, auf dem Demo hieß es Phret).

DUSK: Waren das nur Demos, die Tony und Mike gemacht haben, oder war da auch echtes Schlagzeug dabei?
David: Auf einigen waren Schlagzeugteile, die während der Auditions von Nick und Nir aufgenommen wurden. Einige der Tracks hatten Drumloops.

DUSK: Habt ihr die Schlagzeuger Nir Z und Nick D’Virgilio jemals getroffen?
David: Nein, ich habe keinen von beiden getroffen oder mit ihnen gesprochen. Seltsamerweise war ich bisher an vier Projekten beteiligt, bei denen Nick D’Virgilio mitwirkte (Genesis, Martin Orford und zwei Big Big Train Veröffentlichungen). Wir sind uns noch nie begegnet. Wir werden uns jedoch am 28. Dezember 2010 treffen, wenn wir an den Schlagzeugspuren für English Electric, dem nächsten Big Big Train-Album, arbeiten werden. Ich denke, so ist es, wenn man im 21. Jahrhundert Musiker in einer Band ist.

DUSK: Wurden die Texte der Genesis-Songs in dieser Phase schon geschrieben?
David: Einige schon und einige waren noch in Arbeit. Wenn ich eine Zeile sang, baten mich Tony oder Mike manchmal, die Melodie zu ändern oder eine andere Zeile zu singen.

DUSK: Gab es eine Gesangslinie oder wurdest du gebeten, eine Melodie zu schreiben?
David: Ja, es gab Gesangslinien, aber diese wurden von Tony oder Mike im Laufe der Zeit angepasst und optimiert. Sie baten mich, die Melodien und Arrangements natürlich zu gestalten, und bestimmte Abschnitte waren offen für Interpretationen. Wir gingen die Songs Zeile für Zeile durch, und ich sang die Zeilen ein, während sie sie mir per Talkback vorsangen. Am Ende des Tages wurden die Songs auf Kassette aufgenommen und ich lernte sie über Nacht, um am nächsten Tag ins Studio zurückzukehren und neue Takes aufzunehmen. Es gab auch Bereiche, in denen ich improvisieren konnte, normalerweise in der Coda von Stücken wie Shipwrecked. Die Version, die ich habe, in der ich Shipwrecked singe, unterscheidet sich melodisch von der Version, die schließlich auf Calling All Stations zu hören ist. Ich nehme an, dass sie sie verfeinert und bearbeitet haben, um sie besser an Rays Gesangsstil anzupassen.

DUSK: Habt ihr die neuen Songs aufgenommen, oder nur ein Demo gemacht?
David: Es war alles unfertige Arbeit. Soweit ich weiß, hat alles, was ich beigetragen habe, direkt zum eigentlichen Produkt beigetragen. Wir haben keine Demos aufgenommen. Wir haben festgelegt, was und wer auf Calling All Stations zu hören sein würde.

DUSK: Du sagst, dass du von Mai bis November 1996 mit ihnen gearbeitet hast, das war also eine ziemlich lange Zeit. Wie oft wart ihr in den Farm Studios?
David: Ich glaube, es waren insgesamt fünf Mal. Vier Mal auf der Farm und ein weiteres Mal, als sie mich baten, mit meiner Band The Gifthorse für sie zu spielen. Sie haben eine Firma namens Vari*Lite, die Beleuchtung für Konzerte herstellt. Ich musste mit meiner Band dort einen Auftritt absolvieren, mit einer Bühne, die aufgebaut wurde. Sie haben eine Fabrik in einem Industriegebiet in der Hanger Lane in London. Sie machten das, weil sie wussten, wie Ray war, weil sie Videomaterial von ihm hatten, wie er mit Stiltskin auftrat, aber sie hatten keine Ahnung, wie ich in einer Live-Situation sein würde. Also arrangierten sie diesen Auftritt als Gelegenheit, das herauszufinden.

DUSK: An was kannst du dich aus diesen Treffen erinnern? Dein Gemütszustand, das Verhalten von Tony und Mike dir gegenüber, musikalische und persönliche Gefühle? Was auch immer!
David: Ich fuhr nach London und blieb bei Gary Bromham. Am nächsten Morgen sind wir dann ins Studio gefahren. Als ich dort ankam, wurden wir von Dale Newman, Geoff Callingham und Geoff Banks begrüßte. Tony und Mike waren im Kontrollraum des Studios. Ich wurde hineingeführt und fühlte mich sofort wohl bei ihnen. Sie waren freundlich und stellten mir eine Menge Fragen. Das half, das Eis zu brechen. Als ich mit der Live Audition beginnen sollte, gaben sie mir Zeit zum Aufwärmen (sie verließen das Studio und kamen zurück, als ich bereit war) und ließen mich die Reihenfolge der Songs wählen. Ich hatte die Lieder zu Hause geübt und ging sie nacheinander durch. Es waren alles erste Takes. Ich hatte keine Gelegenheit, einen der Songs neu aufzunehmen. Die Mixe von Turn It On Again, Mama und In The Cage stammen von Live-Aufnahmen.

DUSK: Warst du aufgeregt oder hattest du Angst, vor zwei Rocklegenden zu stehen?
The FarmDavid: Mein Adrenalinspiegel war auf jeden Fall hoch. Ich hatte keine Angst, es war, als würde ich auf die Bühne gehen. Ich war bereit, loszulegen. Es war seltsam, sie in natura zu sehen, nachdem ich sie nur auf Fotos oder in Konzertmitschnitten gesehen hatte. Bei den Sessions war viel los, und es blieb nicht viel Zeit, um sich von den Stars beeindrucken zu lassen. Sowohl Tony als auch Mike waren sehr freundlich und wussten genau, was sie von mir verlangten. Sie wussten, dass es eine große Sache war, und während des gesamten Prozesses waren sie rücksichtsvoll und respektvoll. Als ich in den Live-Raum ging, um mit dem Singen anzufangen, nickte Nick zu Phils Schlagzeug, das immer noch im Live-Raum aufgebaut war, und scherzte: „Na los, Dave, wir fangen mit dem Schlagzeug an!“ – Ich spiele kein Schlagzeug. Nach dem Vorsingen unterhielten wir uns, und Tony scherzte: ‚Wo warst du 1975?‘ – ich war zehn Jahre alt!

DUSK: Habt ihr vor allem mit Nick Davis zusammengearbeitet?
David: Ja, Nick hat alle Castings durchgeführt und sogar meinen Live-Sound für den Vari*Lite-Auftritt gemacht.

DUSK: Wie würdest du die anderen Leute beschreiben, die du auf der Farm getroffen hast?
David: Dale war sehr freundlich. Er gab mir das Gefühl, auf der Farm willkommen zu sein. Ich bin einmal mit ihm zum Suppe essen ins Dorf gelaufen! Geoff war auch dort. Er war ebenso freundlich, aber mit seinen Aufgaben auf der Farm beschäftigt. Ich habe auch Angela getroffen, die das Abendessen für sie kocht, wenn sie auf der Farm an der Musik arbeiten. Sie kocht wirklich gut. Ich habe auch die Katze der Farm getroffen, die, glaube ich, Teaser heißt (falls die zählt). Zufälligerweise wohnte Geoff Banks (Bison), einer ihrer Tourneeleute, in derselben Stadt wie ich. Wir waren einander völlig unbekannt.

DUSK: Wie war deine Beziehung zum Manager Tony Smith?
David: Tony hat mich anfangs angerufen, um mein erstes Vorsingen zu vereinbaren. Ich mag Tony Smith sehr gerne. Er hat eine gutmütige Art an sich und war sehr ermutigend. Er wollte das Beste für Genesis und wollte, dass ich gut abschneide. Ich erinnere mich, dass ich bei meinem Live-Auftritt bei Vari*Lite das lächelnde Gesicht von Tony Smith im Publikum sehen konnte, das mich anfeuerte. Tony ist eine Naturgewalt und es ist leicht zu erkennen, warum er bei dem, was er tut, so erfolgreich ist. Tony sagte auch, dass ich, wenn ich den Job als neuer Genesis-Sänger bekäme, mit den unvermeidlichen Phil & Peter-Vergleichen leben müsste. Er hatte Recht. Ich muss das immer noch tun, sogar in Bezug auf meine Arbeit mit Big Big Train. Es stört mich aber nicht. Der Klang meiner Stimme hat es ermöglicht, dass ich überhaupt zum Vorsingen für Genesis ausgewählt wurde.

DUSK: Letztendlich haben es also nur zwei Sänger in die Endauswahl geschafft? Was hältst du von Ray?
David: Ich bin Ray nie begegnet, und wir haben auch nie Kontakt zueinander gehabt. Ich kenne ihn nicht als Person, also kann ich nicht sagen, was ich von ihm halte. Ich habe Artikel gelesen, in denen er auf die Genesis-Erfahrung zurückblickt, die er bedauert. Es tut mir leid, dass er so denkt. Wie ich schon gesagt habe, ist das Singen bei Genesis eine große Sache und bringt Aufmerksamkeit, gute und schlechte.

DUSK: Stimmt es, dass die Band auch in Erwägung gezogen hat, das Album mit dir und Ray aufzunehmen?
David: Sie wussten, dass es eine schwierige Aufgabe sein würde, auf Phils Weggang zu folgen. Phil ist ein außergewöhnliches Talent. Er lässt es sehr einfach aussehen, aber Frontmann bei Genesis zu sein, ist eine große Aufgabe, und ich denke, sie haben klugerweise alle Optionen in Betracht gezogen. Sie sahen sicherlich den Wert eines möglichen Einsatzes von zwei Sängern. Mike war es gewohnt, bei den Mechanics mit zwei zu arbeiten. Außerdem war ihnen klar, dass derjenige, der der nächste Genesis-Sänger werden würde, mit dem Druck und der öffentlichen Aufmerksamkeit, die damit verbunden war, umgehen müsste.

DUSK: Die Bekanntgabe des neuen Genesis-Sängers erfolgte erst im Juni 1997, aber wann wurdet ihr darüber informiert, dass Ray der Auserwählte ist?
David: Ende November 1996.

DUSK: Hast du eine persönliche Vorstellung davon, warum sie sich für Ray entschieden haben?
David: Ich nehme an, sie mussten sich für das entscheiden, womit sie sich wohlfühlten. Es war eine große Sache für alle Beteiligten, und sie mussten sich sicher fühlen. Damals hatte ich weniger Berufserfahrung als Ray, und durch seinen Erfolg mit Stiltskin war er es gewohnt, von der Presse interviewt zu werden. Vielleicht lag es an den Persönlichkeiten und der allgemeinen Gruppenchemie zwischen uns. Ich glaube nicht, dass sie diese Entscheidung leichtfertig getroffen haben, sondern dass sie sich das sehr gut überlegt haben.

DUSK: Wer hat dir gesagt, dass es Ray werden würde und nicht du?
David: Ich habe mich im Laufe der Zeit mit Carol Willis angefreundet und sie gefragt, ob es ihr etwas ausmachen würde, es mir zu sagen, falls ich keinen Erfolg haben sollte. Und als die Zeit gekommen war, hat sie das getan.

DUSK: Hast du dir die finale Version von Calling All Stations angehört?
David: Ja, Carol hat mir eine CD geschickt, als sie erschienen war.

DUSK: Was hältst du davon, ganz ehrlich?
David: Ich mag das Album im Großen und Ganzen. Der eröffnende Titeltrack ist sehr dramatisch. Tonys Keyboards sind auf dem ganzen Album zu hören und ich denke, Ray macht einen guten Job mit dem Gesang. Es ist ein Genesis-Album ohne Phil, und natürlich vermisst man ihn. Das war schon immer so, besonders nach dem phänomenalen Erfolg, den sie hatten. Es ist eine andere Interpretation dessen, was die Band ist, und zumindest hatten Genesis den Mut, etwas zu machen, das in eine andere Richtung ging. Aus diesem Grund denke ich, dass sie künstlerisch gesehen den richtigen Sänger gewählt haben. Es war eine neue Sache, eine Neuinterpretation. Im Laufe der Jahre haben mir Leute gesagt, wenn sie das neue Genesis-Material im Radio hörten, waren sie sich nicht sicher, ob es wirklich Genesis war. Denn der Klang von Phils Stimme und Schlagzeug im Kontext der Band war ein sofort erkennbarer Signature-Sound. Die Veränderung dieses charakteristischen Klangs durch einen Sänger mit einer viel tieferen und heiseren Stimmlage hatte offensichtlich einen erheblichen Einfluss. Als die Ankündigung des neuen Genesis-Sängers kam, sollte es so aussehen, als hätten sie zweifelsfrei den richtigen Mann gefunden.

DUSK: Hast du sie mal auf der Bühne gesehen?
David: Ich habe sie einmal live mit Ray im NEC in Birmingham, Großbritannien, gesehen. Das einzige andere Mal, als ich Genesis live spielen sah, war beim „Six Of The Best“-Konzert mit Gabriel. Ich erinnere mich an den Regen und die Kälte. Ich kaufte zwei Pellkartoffeln an einem Stand. Ich habe sie nicht gegessen, sondern im Ganzen behalten und in meine Taschen gestopft, um mich warm zu halten.

DUSK: Es muss natürlich eine große Enttäuschung für dich gewesen sein, nicht ausgewählt zu werden, vor allem, weil damals niemand ahnte, dass dies der Abgesang von Genesis sein würde. Wärst du der Auserwählte gewesen, glaubst du, dass dein Leben und deine Karriere dann anders verlaufen wären?
David: Das ist schwer zu sagen. Ja, ich denke, es wäre in vielerlei Hinsicht anders verlaufen, aber nicht unbedingt zum Besseren. Ich bin sehr zufrieden damit, wo ich in meinem Leben stehe. Was Genesis angeht, so denke ich nicht: Die Dummen, ich hätte es sein sollen! Wäre ich anstelle von Ray auserwählt worden, glaube ich nicht, dass die Geschichte wesentlich anders verlaufen wäre. Ich habe eine wunderbare Familie (zwei Töchter) und ich bin bei Big Big Train, was mir einen fabelhaften und abwechslungsreichen kreativen Raum bietet, in dem ich neue Musik machen kann. Ich bin sehr glücklich.

DUSK: Als du noch als neuer Genesis-Sänger gehandelt wurdest, warst du da jemals in irgendwelche Diskussionen über die anschließende Tournee involviert?
David: Nicht dass ich wüsste. Es wurde erwähnt, dass Genesis auf Tournee gehen würde, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass es um Daten und Details ging.

DUSK: Was würden du über Tony und Mike sagen, sowohl beruflich als auch persönlich?
David: Was Tony und Mike mit Genesis musikalisch erreicht haben, ist enorm. Damals versuchten sie, Genesis ohne Phil neu zu definieren. Ich hatte den Eindruck, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht allzu sehr an ihrer Vergangenheit interessiert waren. In den darauffolgenden Jahren, seit den Re-Masterings von Genesis und den aufwendigen Box-Sets, die alle Phasen der Band umfassen, haben sie sich offensichtlich auf ihre Leistungen besonnen. Ich bin froh, dass das Wiederauftauchen des Progressive Rock in den letzten Jahren Genesis endlich erlaubt hat, die Ursprünge ihres Erfolgs und ihren Einfluss auf so viele Bands anzuerkennen. Obwohl sie mit Genesis einen riesigen Erfolg erzielt haben, waren sie als Menschen immer noch bodenständig. Sie verhielten sich nicht wie Rockstars. Während der gesamten Zeit, die ich mit ihnen verbracht habe, waren sie freundlich, rücksichtsvoll und gut gelaunt. Ich mag sie als Menschen und bin froh, dass ich die Gelegenheit hatte, eine kleine Rolle in ihrer Geschichte zu spielen, indem ich ihnen half, den nächsten Sänger zu bestimmen und ihnen zu einem so wichtigen Zeitpunkt eine weitere Option zu geben. Ich muss erwähnen, dass ich von allen ‚Genesisianern‘ die letzten paar Alben von Steve Hackett sehr mag. Sie sind sehr kreativ, neugierig und verspielt. Er ist immer noch ein echtes Talent. Ich liebe Wild Orchids, To Watch The Storms und Darktown.

DUSK: Hast du jemals etwas von Tony und Mike gehört, nachdem die endgültige Entscheidung gefallen war?
David: Tony hat mir eine Weihnachtskarte mit einer langen Nachricht geschrieben. Mike rief mich zu Hause an, nachdem sie sich für Ray entschieden hatten.

DUSK: Hast du Aufnahmen von deinen Auftritten bei Genesis-Songs?
David: Ja, ich habe Aufnahmen von meinem Gesang und zwei Kassetten mit Monitormischungen, die aus den Studioaufnahmen und meinem Gesang bestehen.

DUSK: Hast Du irgendwelche Fotos, die dort mit Tony oder Mike gemacht wurden?
David: Nein, ich habe mich entschieden, keine zu machen, weil ich nicht wie ein Tourist aussehen wollte, und soweit ich weiß, wurde während meiner Zeit mit ihnen auch keine Bilder von mir gemacht.

DUSK: Wie siehst du 15 Jahre später die ganze Erfahrung?
David: Es war eine positive Erfahrung. Ich hatte die Gelegenheit, mit zwei Musikern zu arbeiten, deren Werk ich bewunderte. Es gab mir Selbstvertrauen, weil ich wusste, dass ich die Fähigkeit und die Nerven hatte, mit Musikern dieses Kalibers zu arbeiten. Es hat mich klüger gemacht, was das Musikgeschäft angeht. Es half mir auch, mich auf das zu konzentrieren, was im Leben wichtig ist. Es ist eine Erfahrung, über die immer noch gesprochen wird. Immerhin sprechen wir jetzt, Jahre später, darüber. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie Genesis mit mir als Sängerin geklungen hätte. Meine Stimme ist den anderen Sängern der Band nicht unähnlich. Meine Arbeit mit Big Big Train bietet einen Einblick in das, was hätte sein können, aber nicht sein sollte.

Interview: Mario Giammetti für den DUSK 2010

Mit freundlicher Genehmigung übersetzt und hier veröffentlicht. Das englische Original findet ihr beim DUSK unter diesem Link.


Zwei Mal hatte David Longdon nach seiner Audition für Genesis nochmals Berührung mit den Sphären der Band. Einerseits spielten Big Big Train mit ihm das Stück Master Of Time ein, welches es bislang nur als Demo gibt (und auf dem kommenden Archive Collection Boxset enthalten ist). Master Of Time erschien auf einer EP namens Far Skies Deep Time, allerdings wurde der Track auf der zweiten Auflage wenig später durch Kingmaker ersetzt. Wir haben ein YouTube Video des Songs in der Newsmeldung zum Tod von David Longdon eingefügt.

2015 dann kam es zu einem besonderen Projekt. Im Rahmen eines Projekts für die Parkinson Society UK wurde der Song Spectral Mornings von Steve Hackett neu eingespielt. David Longdon war Teil dieses Projekts und steuerte einen Text sowie den Gesang bei. Hier gibt es mehr Infos.

Vor seinem plötzlichen Tod im November 2021 hatte David Longdon ein Album mit Big Big Train fertiggestellt. Welcome To The Planet soll am 28. Februar erscheien und ist bei JPC und Amazon vorbestellbar.