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Peter Gabriel – Encore Series 2003 Collectors Box – Rezension [CD]
Die Beliebtheit von Bootlegs bei Fans ist unbestritten. Peter Gabriel veröffentlicht nun alle Konzerte seiner Growing Up / Stripped Down Nordamerika Tour 2003 als Soundboardaufnahmen auf 2CD. Das ganze gibt es auch als aufwändiges Boxset. Was euch erwartet, könnt ihr hier nachlesen.
Vom 07. Juni. bis zum 06.Juli. 2003 gab es Teil 2 der Growing Up USA-Tournee; inoffiziell auch Stripped Down Tour genannt, da sie auf normalen Bühnen stattfand (zumeist Open Air, z. B. in Amphitheatern) und nur ein Teil der von der USA / Europa Tournee 2002 / 2003 bekannten bühnentechnischen Besonderheiten fortgeführt wurden. Was man also weiterhin zu sehen bekam, waren der Zorb-Ball für Growing Up und das intime Arrangement bei Mercy Street. Es gab aber keine „Up-Stage“ mehr, und das Ei von oben fiel auch weg. Dafür wurden aber einige alte Bekannte wieder zu neuem Leben erweckt, wie z. B. Don’t Give Up, um Melanie nach dem Wegfall von Downside-Up wieder einen Solo-Spot zu verschaffen, Games Without Frontiers, wobei Gabriel und Melanie auf Segways (ein einachsiger Roller mit zwei Rädern, der elekronisch im Gleichgewicht gehalten wird) über die Bühne flitzen; und für Come Talk To Me feierte die gute alte rote Telefonzelle ihre Wiederauferstehung. Bei den letzten 4 Shows gab es sogar auch noch San Jacinto zu genießen.
Eine wirklich gelungene Überraschung war allerdings, was kurz nach Beginn dieser „Stripped Down“ Tournee verkündet wurde – alle noch folgenden Konzerte in den USA und Kanada würden jeweils wenige Wochen später als offizielle ungekürzte Live-CDs verkauft werden. Und das von einem Künstler, der dafür bekannt und berüchtigt ist, alle seine bisherigen Live-Veröffentlichungen bei der „Post-Production“ nach allen Regeln der Kunst nachbearbeitet zu haben?
Aber genau so ist es tatsächlich – zunächst wurden die letzten 15 Shows vom Juni / Juli 2003 herausgebracht, um dann kurze Zeit später auch die ersten 4 Shows nachzureichen. Jetzt ist also die gesamte USA 2003 Tournee offiziell als perfekt klingende offizielle Soundboards erhältlich – man braucht nur noch einen Internetanschluss, eine Kreditkarte und einiges an Kredit auf dieser Karte, denn pro Konzert sind satte 25 US-Dollar zu berappen, und es wird ausschließlich über’s Internet von www.themusic.com vertrieben. Bestellt man alle 19 Shows auf einmal, gibt’s immerhin zwei davon umsonst. Für kurze Zeit war sogar eine auf 150 Stück limitierte und nummerierte Box im Stil eines Mini-Roadcase erhältlich, dazu das Tourbook als Mini-Ausgabe und ein Autogramm vom Meister. Diese Box mit 19 Shows wurde für 750 US-Dollar angeboten – nach ca. 2 Wochen waren alle 150 Stück verkauft. Weiterhin erhältlich sind alle Shows einzeln oder zusammen in einer weniger aufwändigen Box mit Mini-Tourprogramm, aber ohne Autogramm, für 475 US-Dollar inklusive Versand.
Ob man bereit ist, dafür so viel Geld auszugeben, muss natürlich jeder selber entscheiden, aber es wird auf jeden Fall einiges für’s Geld geboten. Es ist zwar nicht bekannt, ob die Aufnahmen von Multitrack-Tapes stammen, aber sie sind auf jeden Fall so gut abgemischt, dass man alle Instrumente gut heraushören kann, speziell auch Tony Levins Bass. Auch die Stereobandbreite ist voll gegeben, und es ist keinerlei Hall hinzugefügt (außer auf Gabriels Stimme bei den Ansagen), so dass alles absolut knackig und direkt klingt. Das Publikum ist grundsätzlich nur ziemlich leise zu hören, so dass man die Leute beim Mitsingen, wie z. B. bei Shock the Monkey, nur im Hintergrund hören kann. Andererseits sind immer wieder einzelne Zuschauer von ganz vorne mit Pfeifen und Zwischenrufen (meist das völlig hysterische „I love you Peter!“) zu hören, was manchmal einfach nur stört, manchmal aber natürlich auch höchst amüsant ist, besonders wenn Gabriel solch eine Liebeserklärung aufgreift und darauf antwortet: „I promised that we weren’t gonna talk about it“, als eine Frau es ruft, und ein anderes Mal: „I’m actually quite partial to you too!“, als ein Mann es ruft.
Nach Games Without Frontiers kommentiert er die Segways als „Disco for Geriatrics“ oder „Dancing for the over fifties“ oder „Toys for Boys“ oder er bezeichnet seine Tochter und sich als „satisfied graduates of the George Bush school of Segway“ (was vermutlich heißen soll, dass sie genauso schlecht Segway fahren können wie George Bush Politik macht…).
Interessant ist die Entwicklung der Ansage zu Signal To Noise. Er leitet sie zwar immer damit ein, dass früher das britische Empire große Teile der Welt beherscht hat und dadurch auch große Verantwortung trug, und dass diese Rolle heutzutage den USA zufällt. Aber einige Male gibt es vereinzelte Buh-Rufe aus dem Publikum, als er andeutet, dass die momentane US-Regierung nicht ihr Volk repräsentiert, so dass er nach einiger Zeit die Bemerkung hinzufügt, dass dies keinesfalls gegen die US-Army gerichtet sei.
Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass die für Mai 2004 angekündigte Stripped Down Tour in Europa ebenso veröffentlicht wird und dass es ein kleines bisschen preiswerter wird.
Besondere Vorkommnisse in den Shows:
7. Juni:
Alle singen Happy Birthday für Tony
11. Juni:
Vor Games gibt es ein Problem, sie versuchen etwas mehrere Male, wahrscheinlich ein Problem mit den Segways, das ist aber nicht genau zu hören; bei Don’t Give Up vergisst Melanie einige Zeilen, was sonst eigentlich nicht vorkommt; während Monkey gibt es einige Kratzer und Empfangsstörungen auf der Aufnahme
12. Juni:
Solsbury Hill: Am Anfang verpasst Gabriel seinen Einsatz, dann zögert er noch etwas, kommentiert es mit: „that’s a new bit“, aber dann geht es normal weiter
14. Juni:
Nach den ersten Takten von Red Rain brechen sie ab, Gabriel erklärt, dass er auf seinen In-Ear-Monitors nichts hört, was aber bald behoben ist, und er sagt: „Just between us, nothing happened, this is the start of the show“. Am Anfang von In Your Eyes erwähnt er den Vollmond.
16. Juni:
Hier wird Animal Nation gespielt, weil das dem Song zugrundeliegende Experiment mit den musikalischen Bonobo-Affen an der dortigen Universität stattgefunden hatte. Die Wissenschaftler sind beim Konzert anwesend und Gabriel erwähnt sie auch namentlich. Ansonsten ist sein Intro ähnlich wie bisher auch; die Zawoses kommen vom Band; das Publikum singt während des Songs mit, aber nicht mehr hinterher.
18. Juni:
Vor Mercy Street muss die Bühne gewischt werden, weil der Regen dort eine Pfütze hinterlassen hat, was natürlich perfekt zum Thema mit dem Boot passt. Tonys Eltern sind anwesend und haben ihren 64. (?) Hochzeitstag.
20. Juni:
Vor Secret World erwähnt Gabriel, dass es auf der Bühne so stinke, weil da wohl ein „music-loving skunk“ unter der Bühne gewesen sei.
21. Juni:
das IEM-System macht mal wieder Zicken. Sie spielen ausnahmsweise wieder No Way Out.
22. Juni:
Bei Darkness sind nicht die Gitarren, sondern die Keyboards im Vordergrund.
24. Juni:
Bei der Ansage zu Mercy Street verspricht er sich: …“it’s called Anne Sexton – no it’s not called Anne Sexton, it’s called, where did you put those pills this morning?“
Vor Don’t Give Up erwähnt er die Stände von Witness auf dem Gelände.
Während Come Talk To Me fiel die Telefonzelle fast auseinander, was man auf der Aufnahme nicht hört, aber hinterher erwähnt Gabriel es: „The heroic attempt to keep our phone booth intact was performed by the stage manager“.
Als er bei der Ansage zu Father, Son wie üblich sagt …“things tend to end where they began“…, ruft jemand aus dem Publikum „Genesis“, darauf Gabriel: „no, that was before that“, darauf ein neuer Ruf „Back in NYC!“, worauf Gabriel antwortet: „I think we have an offer for a return booking“.
26. Juni:
Mercy Street muss mittendrin neu gestartet werden, da Gabriel seinen Einsatz verpasst hat, weil er davon abgelenkt war, dass „Dickie“ (Richard Chapell) an seinem Keyboard am Basteln war.
Mitten beim Singen von Darkness muss Gabriel plötzlich niesen, was deutlich zu hören ist. Hinterher beschreibt er, wie es ihm dabei ergangen ist: „erst kommt das Kitzeln, man denkt noch, man kann es kontrollieren, aber dann entscheiden das Schicksal und der liebe Gott das für dich“.
Bei diesem Festival waren auch die Blind Boys of Alabama mit einer eigenen Show dabei, so dass sie dann auch tatsächlich für Sky Blue dazu kamen.
Unmittelbar vor Father, Son beginnt das Höhenfeuerwerk des Festivals, was man auch auf der Aufnahme hören kann, wovon Gabriel sich zunächst nicht stören lässt, aber bei der Zeile „with my dad by my side I could hold back the tide“ fügt er ein „except the fireworks“ hinzu.
28. Juni:
Es regnet so stark, dass nach Secret World die Bühne gewischt werden muss.
Bei Don’t Give Up bittet Gabriel die anderen Bandmitglieder um Ruhe, damit man das Mitsingen des Publikums besser hören kann.
29. Juni:
Nach Games ruft jemand aus dem Publikum „Giant Hogweed Lives!“, darauf Gabriel: „Giant Hogweed Lives, says the man“.
Danach gibt es offensichtlich wieder Probleme mit dem IEM-System, Gabriel nennt die Übertragungsbox, die er bei sich trägt, „unsere Herzschrittmacher“, und sagt: „yes it could be called Musical Box“.
Mercy Street wird unterbrochen, weil Gabriel den Faden verloren hat, was er so erklärt: „there’s a pulse we follow, and I screwed up!“.
Bei Solsbury Hill müssen sie abbrechen, da die Keyboards nicht zu hören sind und das IEM-System wieder versagt; er nennt es „Solsbury Interruptus“. Diesmal ist es nicht so einfach zu lösen, und Gabriel überbrückt die Zeit mit dem einzigen Here Comes The Flood dieser Stripped Down Tournee. Danach bringen sie ein komplettes Solsbury Hill.
30. Juni:
Animal Nation anstatt Shock the Monkey; nach Don’t Give Up bemerkt Gabriel über seine Tochter: „Nepotism works“.
1. Juli:
Diesmal gibt’s sowohl Animal Nation als auch Shock the Monkey.
2. Juli:
Der Ball für Growing Up hat einen Platten, so dass Gabriel das Stück unterbricht, aussteigt, und die Orange People vorstellt, während der Ball wieder aufgeblasen wird. Dann klettert er wieder rein und der Song fängt von neuem an.
Zum ersten Mal auf dieser Tournee kommt San Jacinto, aber nur mit der Bermerkung, dass es für diese Band das erste Mal ist. Bei der Band-Intro erwähnt er zum ersten Mal, dass Melanie auch fotografiert und schreibt.
4. Juli:
Jetzt erzählt er auch in Kurzform die bekannte Story zu San Jacinto.
6. Juli:
In Montreal spricht Gabriel natürlich fast nur Französisch. Am Anfang von Digging In The Dirt hat Rachel die falschen Keyboardsettings eingestellt, was sie nach ein paar Takten aber korrigiert.
Nach In Your Eyes dankt Gabriel allen an der Tournee Beteiligten, darunter namentlich auch Robert Lepage, der wohl auch anwesend ist.
Autor: Volker Warncke, 2003