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Anthony Phillips – Wise After The Event – Album Rezension

Nur ein Jahr nach The Geese And The Ghost erschien mit Wise After The Event 1978 bereits das zweite Soloalbum von Anthony Phillips. Peter Musto hat sich damit näher beschäftigt.

Das Album erschien im März 1978 (UK) bzw. im Juni 1978 (USA). Es ist das zweite „Solo“-Album nach The Geese And The Ghost des ehemaligen Genesis-Gitarristen. Er selbst sieht es eher als das erste richtige Solo-Album, da der Vorgänger eine Ko-Produktion mit Mike Rutherford war, die unter Phillips Namen erschien.

Die Songs (mit Autor) und Laufzeit der Original-LP/der 2016er Re-Issue:

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We’re All As We Lie (Anthony Phillips) 4:34/4:37

Eine Akkustikgitarrenfigur startet und Anthony Phillips singt sanft fast flüsternd darüber. Bei Refrain kommen Synthesizer und E-Gitarre hinzu, aber es bleibt eher ruhig, auch weil sich das Schlagzeug merkbar zurückhält. Eine gekürzte Version erschien als Single.

Birdsong (Anthony Phillips) 7:30/6:47

Der Birdsong beginnt wie ein ruhiger Folksong. Ab dem Refrain kommen Bass und Schlagzeug hinzu. Die Zweitstimmen wirken etwas unsauber. Nach vier Minuten hören wir ein Gitarrensolo bis am Schluss ein ruhiges Outro mit Wiederholungen ein- und ausgeblendet wird.

Moonshooter (Anthony Phillips) 5:52/5:58

Der Strophe ist in 4/4 und der Refrain in 6/8, so das der Übergang Schwierigkeiten beim Mitschnippen verursacht. Zumindest der Refrain ist eingängig und hätte als Single vielleicht besser getaugt als We’re All As We Lie. Ansonsten haben wir wieder das gleiche Rezept: Akkustikgitarren, einfacher Bass, sanftes Schlagzeug und etwas brüchiger Gesang.


Poster
Wise After The Event
(Anthony Phillips) 8:45/10:32

Nach einem halbminütigen ruhigen Intro bricht das leicht angezerrte Riff einer 12-saitige Gitarre durch, die über einer stampfenden 4/4-Bassdrum spielt. Ich wartete damals darauf, dass es hier mehr in Richtung „heavy“ gehen würde, aber gleich danach folgt ein Zwischenstück mit sanftem Schlagzeug und Gitarrenarpeggios, was die Fahrt eher rausnimmt. Zwar setzen Bass und Schlagzeug danach wieder kräftiger ein, aber etwas mehr „Wumms“ hätte es in dem Song schon sein können. Der Mittelteil besteht aus gezupften Gitarren, die mal schneller und mal langsamer werden. Die dritte Strophe wird wieder von der gesamten Band gespielt. Am Ende gibt es wieder ein ruhiges Outro, in der 2016er Version inkl. Synthesizer, die das Thema von Now What? aufgreifen.

LP Seite 2

Pulling Faces (Anthony Phillips) 4:32/4:37

1978 hatte ich zwei Monate zuvor Genesis And Then There Were Three gekauft hat und Phillips war ja mal deren Gitarrist. Mit Pulling Faces begann der erste Song des Albums so, wie ich es von einem Ex-Genesis-Mitglied erwartet hatte – mit mächtigen Keyboards und Breitwandsound. Nach 30 Sekunden kam die erste Strophe und der Bombast war vorbei, kurz danach wurde es noch ruhiger und durch meine Erwartung wurde ich hier richtig enttäuscht. Es klang wie ein gebrochenes Versprechen und war danach nur noch ein Skip-Kandidat. Es ist nicht wirklich schlecht, aber wenigstens ein durchgängig kräftiger Song auf dem Album hätte es schon sein dürfen. Auf Sides machte er es mit Um & Aargh dann besser.

Regrets (Anthony Phillips) 5:15/6:05

Nur mit Klavier und Orchester begleitet, bedauert Phillips die Liebe einer Frau zurückgewiesen zu haben. Wie sehr wünschte er, er könnte die Augen verschließen vor der Liebe, die er nicht fühlt. Seine etwas ungeübte Stimme passt hier in ihrer Ehrlichkeit gut, auch wenn sie manchmal sehr angestrengt wirkt. Wie würde es mit einem ganz großem Sänger klingen?

Greenhouse(Anthony Phillips, Jeremy Gilbert) 3:00/3:04

Der einzige Titel, den Phillips nicht alleine geschrieben hat, ist auch der kürzeste. Eine Gitarrenfigur eröffnet den Song, der in seiner Kürze besser wirkt als beispielsweise Birdsong. Fast poppig arrangiert fehlt nur ein mitsingbarer Refrain, so dass es wohl damals nicht als Single in Betracht kam. Aber es zeigt, dass er auch kurz und knackig arrangieren kann.

Paperchase (Anthony Phillips) 5:28/5:34

Der Aufbau ist ähnlich wie bei den anderen Songs des Albums: ruhige Strophe, etwas mehr Leben im Refrain und am Schluss ein ruhiges Outro.

Now What (Anthony Phillips) 8:30/8:27

Inspiriert von einer TV-Dokumentation singt Phillips von dem Abschlachten von Seehunden, von Ottern und anderen Tieren. Statt Aggression gegen die Schlächter hört man seine Hoffnungs- und Fassungslosigkeit in der Musik und in seiner Stimme. Im Refrain singt er im Falsett, weil es sonst zu hoch wäre. Der Song beginnt ruhig mit Gitarre und kommt nahezu ohne Schlagzeug aus. In den Refrains ersetzen mächtige Synthesizer ein Orchester, so dass es zeitweise sehr bombastisch wird. Am Schluss wird es wieder ruhiger. Klavier, Gitarren und Synthesizer perlen der Auslaufrille entgegen.

Squirrel (4:31) sollte als beigelegte EP mit dem Album erscheinen, was verworfen wurde, so dass es nur als Single erschien und floppte. Anthonys Gesang wird nur vom Klavier begleitet. Es erinnert von der Stimmung her ein wenig an Regrets ohne Orchester. In der Mitte gibt es ein kurzes Solo mit verstimmtem Klavier, bevor eine weitere Strophe den Titel beschließt. Eine Kurzversion von We’re All As We Lie (3:53) wurde ebenso ausgekoppelt und war ebenso erfolglos.

Die Out-Takes

Da das Album damals mit zusätzlicher EP (u.a. Squirrel) geplant war, blieb noch einiges an Material übrig, das mit Demos und Instrumentalversionen ergänzt, später u. a. 1990 und auf der 2016er Re-Issue veröffentlicht wurde. Die Cottage Tapes wurden bereits mit John G. Perry und Michael Giles eingespielt.

01. We’re All As We Lie (Link) 1:25

ist eine kurze Passage, in der eine E-Gitarre den Refrain des Songs spielt, mit Ein- und Ausblendung

02. Sleeping On An Interstellar Plane 3:08

ist das Demo zu Greenhouse mit grauenhaftem mehrstimmigen Gesang (aber es ist ein Demo!!!)

03. Paperchase (Instrumental Demo) 5:34

04. Birdsong (Instrumental Demo) 5:36

05. Moon Shooter(Cottage Tapes Demo) 5:39

06. We’re All As We Lie (Cottage Tapes Demo) 3:56

07. Pulling Faces (Cottage Tapes Demo) 4:33

08. Squirrel (Instrumental Mix) 4:31

09. Wise After The Event (Instrumental Mix) 8:59

10. Magic Garden (Solo Piano Mix) 1:57

erschien zuerst auf Private Parts & Pieces II: Back To The Pavillion

11. We’re All As We Lie (7” Single Version) 3:53

12. Regrets (Piano Mix) 6:04

13. Chinaman (Basic Guitar Mix) 0:48

erschien zuerst auf Private Parts & Pieces II: Back To The Pavillion, wurde aber noch einmal bearbeitet

14. Now What (Are They Doing with My Little Friends)? (Instrumental Mix) 8:14

ist die Demo-Version, auf der deutlich mehr Synthesizer zu hören sind

Die beteiligten Musiker (mit ein paar Querverweisen):

• Anthony Phillips –vocals and h armonica

• Michael Giles – drums

(King Crimson, 21st Century Schizoid Band, Murray Head)

• John G. Perry – bass (Wal Custom)

(Caravan, Aviator, Quantum Jump, Rupert Hine)

• The Vicar (= Anthony Phillips)– guitars, keyboards and sundries

• Jeremy Gilbert – keyboards on Greenhouse, Harp on Now What

• Mel Collins – Soprano Sax on We’re All As We Lie, Flutes on Birdsong and Tremulous

(King Crimson, Camel, Paul Carrack, Peter Gabriel, Eric Clapton u.v.m.)

• Robin Phillips – oboe on Sitars & Nebulous

(Bruder von Ant)

• Rupert Hine – percussion, backing vocals, locks, probs, modes and vibes

(Quantum Jump, Thinkman, SpinOneTwo, Produzent für Tina Turner, Saga, Chris DeBurgh u.v.m.)

• Perkin Alanbeck (= Alan Perkins, Engineer) – Synthesizer on Birdsong

• Humbert Ruse (= Rupert Hine) & Vic Stench – drums & bass on Greenhouse

• Rodent Rabble – clicks, craps and crapons

• Gilbert Biberian (Jeremy Gilbert?) – orchestra conductor on Regrets,

die Orchesterarrangements wurden von A. P. arrangiert

Produziert wurde das Album von Oktober 1977 bis Januar 1978. Offiziell ist auf dem Album Anthony Phillips als Produzent angegeben, aber de facto war es Rupert Hine .


Cover
Das Cover

Ich habe damals das Album vor allem wegen des von Peter Cross liebevoll gestalteten Covers gekauft. Die vielen liebevollen Details haben Bezüge zu den einzelnen Songs und man entdeckt lange Zeit noch kleine Feinheiten. Es ist eines der besten Beispiele, wieviel beim Übergang von LP auf CD verloren ging. Wir verbinden Musik auch mit den Gesehenen und dieses wunderschöne Cover hebt die Musik auf eine höhere Ebene. Viele meiner Lieblingsalben verbinde ich mit dem Cover, der der Musik einen eigenen Rahmen gibt.

Einige Angaben auf dem Album sind verwirrend. Zum einen werden einige beteiligte Musiker mit geänderten Namen erwähnt, was dem britischen Humor geschuldet sein dürfte. Zum anderen werden Tracks erwähnt, die auf dem Album nicht auftauchen. Dies liegt jedoch daran, dass das Album mit zusätzlicher EP (u.a. Squirrel) geplant war, aber die EP dann ersatzlos gestrichen wurde. Das Cover wurde wegen anderer Projekt von Peter Cross und wahrscheinlich aus Kostengründen nicht mehr geändert.

Die Kritik


Ant
Die größte Schwäche ist der Gesang von Anthony, der hörbar in den Höhen kämpft und kaum Volumen entwickelt. Aber sie ist authentisch und macht die Songs persönlich. Bei Regrets oder Now What? bringt sie den Schmerz nachvollziehbar rüber. Es ist romantische Musik und dennoch bedauere ich, dass es bei zwei oder drei Songs nicht heftiger zur Sache geht. Es klingt immer wie mit angezogener Handbremse. Der Songaufbau ist häufig ähnlich und die fast immer auftauchenden Outros fallen auf. Wem das zu negativ klingen mag, dem möchte ich versichern, dass ich das Album schätze und vor allem mir ein paar Songs (Regrets, Now What?) ans Herz gewachsen sind. Und das Cover!

Die Folgen

Mit der Kritik stehe ich wohl nicht ganz allein, weil sich auf dem Nachfolgealbum Sideseiniges änderte: souveräner Gesang, von Ant, zusätzliche andere Sänger, straffere Songs, heftigere Zerrgitarren, mehr Variation. Aber das ist eine andere Rezension …

Autor: Peter Musto