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Phil Collins – Not Dead Yet live in Los Angeles 2018

Im Rahmen seiner USA-Reise, in dessen Rahmen er auch Chester Thompson traf, besuchte Robert Ivanov auch das Abschlusskonzert des nordamerikanischen Tourabschnitts der Not Dead Yet-Tour von Phil Collins und schildert seine Eindrücke.

[Teil 2 des Reiseberichts – Teil 1 über das Treffen mit Chester Thompson findet ihr hier]

… fast forward acht Tage: Nach einer tollen Woche in Nashville habe ich eine Woche Arbeit in San Francisco hinter mir und bin mittlerweile in Los Angeles angekommen, wo ich meinen guten Freund Michel Reis vom Flughafen abhole. Wir kennen uns schon seit Schulzeiten und stammen beide aus Luxemburg. Er ist mittlerweile ein international erfolgreicher Jazz-Pianist und lebt in Luxemburg und New York. Obwohl wir beide zwar ab und zu miteinander Jazz gespielt haben, ist es viel mehr die gemeinsame Liebe zu der „klassischen“ Pop- und Rockmusik: Dire Straits, Genesis, Supertramp, Pink Floyd, Sting, Phil Collins, Roger Hodgson um nur einige zu nennen. Obwohl wir uns damals noch nicht gekannt haben, waren wir beispielsweise beide unabhängig voneinander im Alter von 11 Jahren mit Eltern auf dem gleichen Phil Collins Konzert 1994 auf der Both Sides Tour in Metz, welches auch für uns beide gleichermaßen das ‚erste große Rockkonzert‘ darstellte. Und obwohl das Konzert für uns beide lang zurückliegt, wissen wir noch welche Energiebombe Phil damals war und wie perfekt seine Live-Konzerte galten. Es war nicht nur die Musik, es war das ganze Ensemble von Leuten, die er in seiner Band versammelte, das stets zur absoluten Weltklasse zählte. Gerade in der Profi-Musiker-Szene sind natürlich Leute wie Lee Sklar, Nathan East, Ricky Lawson, Chester Thompson, Daryl Stuermer absolute Referenzen.

Phil Collins live – das bedeutet für uns als Musiker also abgesehen von der persönlichen Vorliebe für seine Musik schon mal eine musikalische Performance auf Champions League Endrunden Niveau – wenn nicht gar Champions League Finale.

Die Angst, diesmal wegen den gegebenen Umständen enttäuscht zu werden, war wahrscheinlich auch der Grund, warum wir also noch keine Karten besaßen für das Forum-Konzert von Phil am darauffolgenden Tag, unterstützt durch die sehr hohen Ticketpreise. Das Konzert sei ausverkauft, seine Performances in den letzten Wochen in den USA seien allesamt sehr gut bis überragend gewesen, meldete die Presse von New York bis Chicago über Milwaukee bis Oakland.


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Wir beschlossen, das Schicksal herauszufordern und am Sonntag Abend einfach zum Forum zu fahren, und dort zu schauen, ob es noch Restkarten gab. Gegen 18:15 bestellten wir ein UBER zu unserer Mietwohnung in Brentwood und drängelten uns dann mehrere km durch den dichten, aber fließenden Verkehr von Los Angeles. Dann etwa zwei Meilen vor dem Forum stockte es und es staute von allen Seiten. OK, das ist L.A. Hier fährt niemand U-Bahn, alle fahren mit dem Auto, und zurzeit fuhr wohl jeder zu Phil. Das Konzert war um 20.00h angesetzt, wir saßen um 19:25 immer noch im Auto. Wir beschlossen kurzerhand früher auszusteigen und die restliche Meile zu Fuß zu laufen. Dann erblickte ich das Forum: mir war die Silhouette bekannt von Fotos, dem Videospiel GTA 5 und Genesis-Bootlegs aus den 80er, Basketball-Übertragungen im TV (hier hatten immerhin auch die Los Angeles Lakers mehrere Jahrzehnte gespielt und etliche Meistertitel geholt, Michael Jordan unter anderem seinen ersten Titel gegen Magic Johnson gewonnen). Es war eine Art Mekka für Entertainment und ich näherte mich den Eingängen ehrfürchtig in der Hoffnung noch eine Karte zu ergattern. Dann kam schnell Ernüchterung auf: Anstatt Menschen, die ein paar Karten loswerden wollten, sah ich nur Leute mit Hinweisen „looking for ticket“. Okay, das Konzert muss echt begehrt sein, also ab zur Abendkasse. Mit etwas Glück ergatterten wir noch 2 Tickets im Unterrang mit perfektem Blick auf die Bühne. Ab nach innen, es war 19:55. Als wir uns gesetzt hatten, waren aber noch lange nicht alle Leute auf ihren Plätzen, so dass die Halle weiterhin mit Motown Musik bespielt wurde und man die Dia-Show mit etlichen sehr schönen Photos von Phil auf der Bühnen-Leinwand begutachten konnte. Der Mann vor mir nahm sein iPhone raus, öffnete die SMS Funktion, wählte einen gewissen „Daniel Fornero“ aus den Kontakten und schrieb „Hi Danny, thanks for providing the seats.“ Menschen aller Alterskategorien mit Phil Collins T-Shirts und Genesis T-Shirts zogen mit Essen und Getränken vorbei.

Gegen 20:30 dann ertönte afrikanische Musik: Salif Keita. Jetzt veränderte sich die Stimmung. Die Musik wurde lauter … die Leute wurden aufgeregter. Der Sound beeindruckte jetzt schon. Dann geht das Licht aus: Die Leute toben, ein kleiner schwarz gekleideter Mann kommt mit Gehstock auf die Bühne. Nun rasten die Leute komplett aus. Der Jubel ist so laut, dass es in den Ohren dröhnt. Phil nimmt vorne Platz, begrüßt Los Angeles, sagt seine mittlerweile bekannten Worte und sagt dass wir zusammen einen geilen Abend verbringen mögen und Spaß haben werden. Dann die ersten Takte von Against All Odds. Der Sound ist glasklar, druckvoll und seine Stimme setzt ein. Intonation sitz perfekt, die Leute sind total ergriffen und dann setzt er auch schon mit dem Refrain ein. Alle Ängste, er könne es nicht mehr, sind fehl am Platz: er kann es immer noch, und zwar so gut wie sehr wenige da draußen es können. Das Schlagzeug setzt ein: Gänsehaut. Mein Kumpel und ich schauen uns ein und nicken nur: Er ist immer noch klasse, wir werden einen geilen Abend verbringen, da sind wir uns sicher. Als zweiter Song Another Day In Paradise. Hier singt er tatsächlich ein wenig zu repetitiv, aber im Gegensatz zu anderen Künstler, die immer noch versuchen vokale Eskapaden mehr schlecht als recht hinzubiegen, bewegt sich Phil innerhalb seiner stimmlichen Kapazitäten, intoniert gut. Zum Schluss des Songs die bekannten vokalen Frage-Antwort Sequenzen mit Arnold Mc Culler. Hier variiert Phil im Vergleich zu 1990 oder 2004, bleibt eher im unteren Register, bietet aber trotzdem immer noch einen interessanten Gesang an. Nach Another Day in Paradise, das live immer wieder mal seine ganze kompositorische Klasse auslegt, applaudiert das Publikum wieder mal begeistert. Mit I Missed Again, kommt dann auch schon eins der Highlights, das von einem noch druckvolleren Hang in Long Enoughübertroffen wird. Diese zwei Stücke machen deutlich, was ein Phil Collins zu einem so besonderen Erlebnis macht, selbst für musikalisch verwöhnte Konzertgänger wie meinen Kumpel Michel und mich: es sind die Vine Street Horns. Was das Ensemble an Präzision und Druck an den Tag legt, sucht in der Pop- und Rockbranche live schlicht einfach seinesgleichen. Der Sound in der Halle ist dabei so glasklar, dass es einfach unglaublichen Spaß macht, dieser perfekt eingespielten Band zuzuhören. Für mich als Schlagzeuger waren natürlich alle Ohren und Augen stets bei dem Drummer und Percussionisten, und was soll ich sagen: Da sitzt Phil Collins in jung an den Drums. Der Punch, den Nic Collins an den Trommeln bringt, hat die Band nochmals deutlich verjüngt. Da geht was. Nach frenetischem Applaus und einer herausragenden Gesangsdarbietung von Phil folgt nach Hang in Long Enough eine kleine Rede. Er erwähnt etwas über eine Band, etwas von „vor 300 oder 400 Jahren“ und „sehr guten Freunden“. Dann Genesis, jetzt tobt die Menge wieder. Ich fragte mich langsam, wie es eigentlich sein könnte, dass Phil’s Publikum zwei oder drei mal so laut ist wie das von Sting oder Mark Knopfler, nun ja, seine Musik ist definitiv fetziger als die des letztgenannten. Dann sagt Phil, „dass sie ja mit Genesis einige Alben aufgenommen hätten und er sich bewusst sei, dass die Wahrscheinlichkeit, den Song ausgewählt zu haben, den die Leute hören wollen, doch recht klein sei…aber sie würden den Song jetzt trotzdem spielen, weil schließlich wäre es ja seine verdammte Band und die würden das spielen was er spielen wolle“.


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Seinen Humor hat er nicht verloren, überhaupt wirkt er sehr gut aufgelegt, hat sichtlich Spaß an der Musik. Daryl schlägt die ersten Akkorde von Throwing It All Away an und das Publikum applaudiert bestätigend, man hört einige „aahhhhhhh“ oder „aaaawwww“ im Publikum. Ich bin auch sehr zufrieden, denn ich liebe das Lied, vor allem aber wieder mal die Darbietung und den Sound, welche vollends überzeugen. Nicolas spielt den Beat exakt mit dem gleichen Feeling wie Phil, der sich gesanglich sehr nah an die Studio-Version hält. Klar, das Stück wir mittlerweile eine Terz tiefer gespielt aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Bei den letzten Takten bleibt die Band stehen, Kamera voll auf Phil, der holt noch ein paar Mal aus „I don’t … no no I don’t …. I don’t wanna“…Orgelpunkt…und dann zuckt er ganz lässig einmal mit der Schulter ohne sich umzudrehen… und gibt der Band das Zeichen für den Schlussakkord an…“goooooo“….wieder Gänsehaut…Die Präsenz, Musikalität und Professionalität des Tausendsassas beeindrucken wieder einmal tief.

In dem Moment fällt mir das Zitat ein einer Kritik seines Chicago-Konzertes ein Tage davor:

‚Es gäbe ein paar wenige Kriterien die einen großartigen Säger ausmache, einer davon ist wenn er genauso gut live singt wie auf Platte, da gehöre Phil Collins dazu. Den Unterschied hätte man deutlich hören können im Vergleich zu dem ein paar Tage vorher stattfindenden Rod Stewart, der die Töne wohl doch nicht mehr ganz hinkriege“. Wenn auch im Juni 2017 definitiv ein paar Videos auf Youtube mich zweifeln ließen ob er es noch könne, hat dieses fantastische Konzert mit weiteren sehr starken Darbietungen von You’ll Be In My Heart, In The Air Tonight, Sussudio und Easy Lover mir das volle Vertrauen zurückgegeben, dass Phil es immer noch kann. Seine Gesangsleistung an dem Abend war stark und seine Band und das ganze Konzert war tatsächlich überragend. zwei Stunden pure Spielfreude, Welthits, ein paar Perlen (You Know What I Mean, Can’t Turn Back The Years) und einem Schlagzeug-Trio wo Phil auf einer Art großem Woodblock mit ein paar ‚trading 4′ Soli mit Richie bewies, dass er immer noch das unvergleichliche Collins’sche Feeling besitzt, ein perfektes Timing und Rhythmusgefühl. Nein der Mann ist nicht tot, er gehört musikalisch immer noch zur Champions League der weltweiten Pop- Rock-Musiker, auch wenn ich sein Schlagzeugspiel natürlich schmerzlich vermisst habe. Auf den Rückweg schwärmen die Konzertbesucher und singen seine Lieder laut. Das letzte Mal wo ich tatsächlich solch eine übereinstimmende Begeisterung gefühlt habe war bei Roger Hodgson in Berlin vor zwei Monaten, wenn auch die Performance von Phil’s Band noch eine Liga über der Hodgson Band gelten kann. Klar, Phil sitzt und er drummt nicht mehr, das kann man nicht mehr mit 1997 vergleichen – aber seine Kompositionen, seine Stimme, Bühnenpräsenz und seine unglaubliche Band rechtfertigen seinen Status immer noch, und bisher habe ich noch so gut wie keinen Journalisten gelesen, der das Gegenteil behauptet.

Nun also hatte ich Chester und Phil innerhalb 2 Wochen erlebt, wenn auch getrennt, es hatte nur noch Nir Zidkyahu gefehlt, der war aber leider auf Tour, sonst hätte ich ihn wohl auch in Nashville getroffen. Ein USA-Aufenthalt, der sich in Genesis-Hinsicht also auf jeden Fall gelohnt hatte!

Autor und Fotos: Robert Ivanov