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Peter Gabriel – Get Up, Stand Up – DVD Rezension

Amnesty International hat auf DVD eine Konzertzusammenstellung veröffentlicht: Ausschnitte aus vier Events, die im Zeitraum von 1986 bis 1998 stattgefunden haben und an denen unter anderem Peter Gabriel beteiligt war. Wir schauen rein.

Amnesty International hat eine DVD herausgebracht, auf der Ausschnitte von vier Konzerten versammelt sind, die zum Ziel hatten, AI zu unterstützen, weiter bekannt zu machen und für die politischen Rechte der Menschen zu werben. Im Beiheft zur DVD erklärt ein recht ausführlicher Artikel (auf Englisch), weshalb sich Musiker für Amnesty auf diese Weise einbringen und auch, wie es zu den vier Konzerten kam, die hier vertreten sind. Sie fanden in einem Zeitraum von 12 Jahren stattfanden.

Grund, diese DVD auf unserer Webseite vorzustellen, ist natürlich Peter Gabriel, der wiederholt auf ihr in Erscheinung tritt. Aber es gibt auch viel anderes, lohnenswerte zu erleben. Diese DVD ist eine Reise in die Vergangenheit. In die Zeit, als unsere Musikhelden noch in vollen Jugend und Kraft standen. In der politische Aussagen zu machen, sich sozial zu engagieren, für zentral angesehen wurde. Beflissen war man selbst bereit, wie seine Idole ebenfalls für eine gute Sache einzutreten. Und es ist auch eine Reise in die Zeit, in der so manche modische Sünde grassierte…

Werfen wir einen Blick auf die vier Konzerte und einige Highlights daraus.

A Conspiracy Of Hope (1986)

Aus den Secret Policemen’s Balls entwickelte sich das Bewusstsein, dass Musiker durch ihre Darbietungen die Interessen und Ziele von Amnesty bekannter machen können. 1986 wurde deshalb die sechs Konzerte umfassende Conspiracy Of Hope Tour ins Leben gerufen, die durch die USA führte und deren letzte Show damals im wahrhaft riesigen Giant Stadium New Jersey vom Fernsehen übertragen wurde.

Die Abfolge der insgesamt 13 Tracks, die von diesem Event auf der DVD enthalten sind, entspricht der Auftrittsreihenfolge des Abends. Man erkennt es an der zunehmenden Eindunklung in der Arena und auch daran, dass die Gäste nach hinten hin einer massentauglichen Dramaturgie folgend immer prominenter werden.

Es beginnen Bob Geldof und Steven Van Zandt (seinerzeit ‚Little Steven‘) mit einem akustisch vorgetragenen Redemption Song. Es folgen teilweise durchaus beachtliche Auftritte von Künstlern wie Joan Armatrading, Ruben Blades, Miles Davis und Lou Reed.

An Stelle 7 dann Peter Gabriel mit Shock The Monkey. Gabriels Darbietung ist dynamisch und geradezu sportiv, wie er über die Bühne fetzt. Ihm scheint aus jedem Knopfloch das Begehren zu sprühen, seinen Song auf die Zuhörer zu übertragen. Auch wenn (oder gerade weil?) er dabei eine eher ernsthafte Miene aufsetzt. Seine Band besteht aus Rhodes und Katché, die auch bei der kurz darauf beginnenden Tour zum So-Album mitkommen werden, sowie aus Larry Klein am Bass (schon auf So dabei) und Ian Stanley von Tears For Fears an den Keyboards, die allesamt eine kraftvolle, vielleicht aber auch eher solide Version des Songs bieten. PGs modische Assecoirs allerdings: Karottenhose und Schulterpolsterhemd!

Bemerkenswert ist im weiteren Verlauf der Auftritt von U2 (mit sogar zwei Songs vertreten). Bono ist geradezu noch ein Jüngelchen und gibt eine zwar vor Energie überbordende Darbietung, die aber auch noch keineswegs so souverän ist, wie er es heute beherrscht. Amüsant hingegen zu beobachten, welch Probleme bzw. Arbeitsaufwand er mit seinem Mikrokabel einem Bühnegehilfen macht.

Der Auftritt von The Police (ebenfalls zwei Songs) ist dagegen eher routiniert. Besonders wird er allerdings dadurch, dass es der letzte des Trios für die nächsten 21 Jahre sein sollte. Was zum damaligen Zeitpunkt natürlich niemand so richtig ahnen konnte.

Human Rights Now! (1988)

Nur zwei Jahre später fand die Human Rights Now! Tour statt, die die Headliner N’Dour, Chapman, Gabriel, Sting und Springsteen an 20 Terminen um die halbe Welt führte. Nach Auftritten von jeweils lokalen Musikern und Aktivisten, spielte die Top Five in obiger Reihenfolge jeweils ein etwa dreiviertelstündiges Set. Gabriel und Sting konnten dabei auf das Programm ihre gerade jeweils laufenden Solotouren und deren Bühnenshow zurückgreifen (PG hatte z.B. seine „Lichtarme“ dabei).

Etwas merkwürdig ist, dass von dieser Tour kein Song von Youssou N’Dour enthalten ist. Er als Mit-Headliner der Tour und als durchaus nicht unbekannter Weltmusiker hätte durchaus berücksichtigt werden sollen.

Gabriels Part ist mit Sledgehammer vertreten, was uns einen grandiosen Gastbeitrag von Stings Saxophonisten Branford Marsalis einbringt. Überhaupt hat die Darbietung sehr viel Power und in der Mitte eine schmissige Tanzeinlage aller Musiker. Nur die Frisur von PG ist scheiße: nah dran am Vokuhila…

Neben dem Mitwirken von Marsalis gibt es noch weiteren Austausch zwischen den Bands von PG und Sting: Daryl Jones von Stings erster Soloband spielt bei Gabriel den Bass (bei Stings aktuellen Band ist er jedoch nicht dabei). Sting wiederum hat hier wohl David Sancious kennengelernt, der dann die nächsten Jahre sein Stammkeyboarder werden sollte.

Stings Set ist mit Don’t Stand So Close To Me vertreten. Damit ist er nur mit Police-Songs auf dieser DVD zu hören. Sting, auf dem Höhepunkt seiner Eitelkeit, entledigt sich hier an dramaturgisch festgelegter Stelle seines Mantels und präsentiert der kreischenden Weiblichkeit seinen zugegebenermaßen makellosen Oberkörper. Nicht nachzuahmen.

Diesmal sind es Bruce Springsteen & The E Street Band, die mit zwei Songs vertreten sind. Wohl, weil es der einzige gemeinsame Auftritt von ihnen ist. Bruce steht hier auf dem Höhepunkt seines Erfolgs als erdiger Streetworker, die beiden Songs sind souverän dargebracht.

An Embrace Of Hope (1990)

Zur Feier der Befreiung Chiles von der siebzehnjährigen Diktatur Pinochets fand 1990 der zweitägige Event Un Abrazo a la Esperanza statt. Es gab auf dieser eher unbekannten Veranstaltung auch Auftritte von Peter Gabriel und Sting, die jedoch beide hier nicht zu sehen sind.

Die vier vertretenen Acts sind überhaupt keine von den ganz großen. Inti-Illimani haben lokale Bedeutung in Chile, das Ensemble von Wynton Marsalis in der Jazz-Szene. Letztere sind jedoch mit einer genialen Nummer im guten, alten New-Orleans-Style zu sehen und sorgen für enorme Stimmung in der Arena. Die größte Bekanntheit dürfte wohl die gewohnt zwischen Elfe und Punk oszillierende Sinnéad O’Connor haben, die eine wirklich emotionsgeladene Darbietung ihres großen Hits Nothing Compares 2 U bietet.

The Struggle Continues (1998)

Nachdem es längere Zeit keine größeren Konzertereignisse zugunsten von Amnesty gegeben hatte, fand 1998 auf Initiative von unter anderem Peter Gabriel in Paris erneut ein solcher Event statt: The Struggle Continues. Im Gegensatz zu den anderen war er zeitweise sogar käuflich erhältlich – die bisherigen hatten nur Fernsehübertragungen erlebt.

Nach dem Conspiracy-Konzert ist dieses hier mit den meisten Tracks und Künstlern vertreten. Zunächst noch einmal mit Bruce Springsteen, diesmal solo an der Gitarre. Anschließend ebenfalls ein zweites Mal, aber diesmal mit Band, Tracy Chapmann mit einem sehr einfühlsamen Fast Car.

Peter Gabriel und Youssou N’Dour geben gemeinsam mit Youssous Band quasi eine Unpluggedversion von Shaking The Tree. Auch wenn sich beide durch den offenbar nur wenig geübten Song etwas mühen müssen, kann er sich zum Schluss hin noch einmal gut steigern. Die Tanzeinlagen der beiden sind jedenfalls herrlich. Gabriel selbst wirkt jedoch reichlich verbraucht. Seit dem Auftritt von 1988 hat er deutlich Gewicht zugelegt und Haare verloren, was ihm beides ein etwas madiges Aussehen verleiht. Vor allem aber wirkt seine Stimme schwach. Öfters ist sie zu leise, bricht ihm weg, er kommt nicht an die Höhen ran. Macht einen eher beunruhigenden Eindruck. Kein Wunder, dass sich viele Fans vier Jahre später fragten, ob er in der Lage sein würde, eine ganze Growing Up Tour durchzustehen.

Im Weiteren bieten das Duo Page/Plant alte Rock-Haudegenschaft und Radiohead, die mal wieder mit zwei Songs vertreten sind, erstaunlich unprägnante Präzision.

Zum Abschluss singt dann noch eine kleine All-Stars-Band bestehend aus Springsteen, Gabriel, Chapmann und N’Dour den Song, der quasi zur Hymne für Amnesty International geworden ist: Marley/Toshs Get Up, Stand Up. Wenn auch keine weltverändernde Performance, so strahlt sie doch vor allem eine gewissen Ernsthaftigkeit im Anliegen aus.

Den Song hören wir im Abspann dann auch gleich nochmal in einer anderen Aufnahme u.a. mit Sting.

Technisches

Das Bild ist durchgehend im 4:3 Format. ‚Glücklicherweise‘ muss man sagen: Auf vermeintlich aufpeppenden, in Wahrheit kastrierenden Beschnitt auf 16:9 wurde verzichtet. Die Qualität ist solide, aber nicht überwältigend – das Ausgangsmaterial waren vermutlich alte Fernsehbänder.

Eine Veröffentlichung auf Blu-ray scheint nicht vorgesehen zu sein.

Der Ton ist durchgehend gelungen gemischt und liegt in Dolby Digital Stero, Dolby Surround 5.1 und DTS vor.

Fazit

Diese Compilation soll ein großes Publikum erreichen. Deshalb ist die Auswahl der Songs und auch die der einzelnen Künstler einem gewissen Breitengeschmack geschuldet. Das ist nicht immer gerecht oder künstlerisch hochwertig, erfüllt aber einen Zweck. Und es ist gut, dass trotzdem auch unbekanntere Acts enthalten sind. Schön zudem, dass es die Zusammenstellung überhaupt gibt und man in ihr etlichen alten Erinnerungen nachschwelgen kann. Darum, und auch um Amnesty International zu unterstützen, ist ein Kauf empfehlenswert.

Autor: Thomas Schrage


Hinweis: Neben der DVD ist auch eine 2CD bzw. ein MP3-Album der Konzerte mit identischem Inhalt erschienen.

Die komplette Tracklist:

From A Conspiracy Of Hope (1986)
01 Bob Geldof & Steven Van Zandt – Redemption Song 2:00
02 Third World – Now That We’ve Found Love 5:08
03 Joan Armatrading – Love And Affection 4:24
04 Ruben Blades (with Carlos Santana & Fela Kuti) – Muevete 7:17
05 Miles Davis – Speak / That’s What Happened 8:32
06 Lou Reed – Walk On The Wild Side 4:21
07 Peter Gabriel – Shock The Monkey 5:38
08 Bryan Adams – Run To You 4:06
09 Bryan Adams – Summer Of ’69 4:08
10 U2 – MLK / Pride (In The Name Of Love) 5:26
11 U2 – Sunday Bloody Sunday 4:53
12 The Police – Message In A Bottle 4:58
13 The Police – Every Breath You Take 5:01
From Human Rights Now! (1988)
14 Tracy Chapman – Talkin‘ ‚bout A Revolution 3:13
15 Peter Gabriel – Sledgehammer 5:05
16 Sting – Don’t Stand So Close To Me 8:10
17 Bruce Springsteen & The E Street Band – Born In The USA 5:57
18 Bruce Springsteen & The E Street Band – I’m On Fire 4:11
From An Embrace Of Hope (1990)
19 Inti-Illimani – Bailando, Bailando 3:14
20 Wynton Marsalis – Jungle Blues 7:37
21 Jackson Browne – Lives In The Balance 3:58
22 Sinead O’Connor – Nothing Compares 2 U 5:21
From The Struggle Continues (1998)
23 Bruce Springsteen – No Surrender 3:48
24 Tracy Chapman – Fast Car 5:30
25 Alanis Morissette – Hand In My Pocket 4:23
26 Peter Gabriel & Youssou N’Dour – Shaking The Tree 5:48
27 Jimmy Page & Robert Plant – Rock And Roll 4:26
28 Radiohead – Karma Police 4:09
29 Radiohead – Bones 3:18
30 Bruce Springsteen, Peter Gabriel, Tracy Chapman & Youssou N’Dour – Get Up, Stand Up 3:48