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Peter Gabriel – Back To Front Tour 2012, Wantaugh NY – Konzertbericht

Nachdem das erste Drittel der Back To Front Tour erfolgreich über die Bühne gegangen ist, spielt Peter Gabriel in Wantaugh, New York. Vom Konzert erreicht uns dieser Bericht.

Unter dem halbvollen Mond sah das Publikum in der nahezu ausverkauften Freiluftbühne von Jones Beach in Wantagh, New York (also wirklich dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen) Peter Gabriel mit seiner Back To Front-Show.

Ich habe Gabriel einige Male live gesehen, aber das hier war mein erstes Gabriel-Konzert mit einer vollen Rockband seit 2003. Die New Blood-Shows haben mir gut gefallen, weil sie eine neue Perspektive bieten und weil man bereit war, mit den traditionellen Arrangements  vertrauter Stücke von Gabriel und von anderen zu experimentieren, aber ich habe mich sehr auf diese Show gefreut, weil die Songs jetzt wieder im Rockformat zu hören sind.

Mein Gesamteindruck von der Show? Ich fand sie sehr gut. Wenn man auch nur ein bisschen Gabriel-Fan ist, könnte man kaum sagen, dass sie einem nicht gefällt. Natürlich kann man über die Setliste meckern (Kein Moribund The Burgermeister? Unglaublich!), aber es war ja klar, dass ein guter Teil der Show aus dem Material von So bestehen würde, und darüber hinaus gab es eine sehr feine Auswahl von anderen Stücken aus Gabriels Solokarriere.

Wie verlief das Konzert? Nach einigen schönen Songs der Vorgruppe (einem Duo, das später auch den Chorgesang im Hauptkonzert bot) kam Gabriel auf die Bühne und erläuterte, wie der Abend ablaufen würde. Der erste Abschnitt besteht aus akustisch dargebotenen Stücken; akustisch, weil die meisten Songs im Studio akustisch entwickelt werden. Dann folgt ein Abschnitt mit der vollen Band, der sehr rockig angelegt ist. Darauf folgt das komplette So-Album, wie es ja im Vorfeld schon angekündigt wurde. Zugaben wurden nicht genannt, aber vom Publikum stillschweigend vorausgesetzt.

Damit griff Gabriel dann einen Brauch von früheren Touren wieder auf und spielte ein noch unvollendetes Stück. Dieses erste Stück, bei dem nur Tony Levin Bass spielte und Peter Klavier (und sang), war ein weiterer Song Without Words, der (zumindest als Arbeitstitel) O But heißt. Als Einblick in den Songwritingprozess war es lustig. Das Stück selbst erinnerte mich an ein Klavierarrangement etwa von Randy Newman mit einigen nebulösen Textfetzen. Was mich faszinierte ist, dass Gabriel und Genesis ihre Texte auf dieselbe Weise schreiben, indem sie Musik über eine Gesangslinie am Beginn entwickeln und dann vielleicht einige der improvisierten Lyrics in das Endprodukt übernehmen. Wo auch immer dieses Stück erscheinen wird, ich bin schon gespannt darauf, die fertige Version mit dieser hier zu vergleichen. Und wer sich alle Encore-CDs kauft, kann vielleicht erleben, dass sich der Song im Laufe der Tour entwickelt…

Come Talk To Me folgt, und es ist bewegend, das Stück in diesem direkteren Arrangement zu hören. Das tolle an diesem Konzertabschnitt, bei dem Gabriel nur Klavier spielt und singt, ist, dass deutlich wird, wie er die Songs mit seiner Spielweise vorantreibt. Als Verfasser der Stücke mag das offensichtlich sein, aber manchmal vergisst man leicht, dass der Typ, der da singt, auch die Musik geschrieben hat.

Eine akustische Fassung von Shock The Monkey, “einem Lied über Eifersucht”, wie Gabriel erklärt, gibt es dann zu hören. Sie klingt deutlich besser als ich von einer akustischen Version dieses Stückes erwartet hätte. Die sprunghafte Nervosität bleibt erhalten, und es ist klasse, die kleinen Details auf der Gitarre und den Keyboards zu hören.

An dieser Stelle des Konzerts äußerten einige Zuschauer ihren Unmut darüber, dass die Saalbeleuchtung noch angeschaltet war. Vor allem aus den hinteren Reihen waren Rufe wie “Licht!”, “Ausschalten!” und anderes zu hören. Man hätte natürlich merken können, dass es entweder zum Konzept der Show gehörte oder, soweit ein technischer Fehler vorlag, nicht zu ändern war. Dies aber nur am Rande.

Dann geht es weiter mit Family Snapshot. Peter steigt wieder mit Klavier und Gesang ein, und das Stück gewinnt an Kraft bis zur Mitte des Songs, als auf einen Schlag die Lichter im ganzen Saal ausgehen und die Leinwände und Bühnenbeleuchtung in Betrieb gehen. Ein wirklich packender Moment, der zeigte, dass die Saalbeleuchtung absichtlich und als Vorbereitung auf diesen dramatischen Effekt angeblieben war.

Damit beginnt der zweite Teil des Show, bei dem die Rockband ihr Ding durchzieht. Und zwar so richtig, mit Stücken wie Digging In The Dirt, Secret World, Washing Of The Water, Family And The Fishing Net, No Self Control und Solsbury Hill. Digging In The Dirt war ein besonderer Höhepunkt, weil hier die aggressive Seite von Gabriels Musik durchkommt, die in den Orchestershows nicht so recht zum Tragen kam. Das bedrohliche Element war noch da, aber die blanke tobende Wut von Digging und später von The Tower That Ate People fehlte eben. Dass sie bei dieser Show wieder da waren, fand der Verfasser großartig.

Das So-Set, der dritte Abschnitt des Konzerts, faszinierte mich, weil sich die Abfolge des Songs auf dem Album im Konzert unerwartet gut macht. Dazu kam die Herausforderung dieses einen Stückes (That Voice Again), das sich einfach nicht gut für eine Liveaufführung anbietet. Die Klassiker waren ja schon auf einer ganzen Reihe von Tourneen gespielt worden; Sledgehammer, Red Rain und In Your Eyes waren gut, wobei vor allem Red Rain von der Gestaltung der Bühne und der Beleuchtung profitierte. Mercy Streetund Don’t Give Up, die ruhigeren Nummern, veränderten die Energie im Saal total. Sie waren nicht weniger stark als die “lauten” Songs, aber ihre Kraft ist reflexiver, innerlicher.

Bei Mercy Street lag Gabriel auf dem Bühnenboden, in blaues Licht getaucht, während die fünf Scheinwerferarme sich langsam auf und ab und auf ihn zu bewegten. Sie deuteten Trost an, aber auch Unsicherheit, als könnte die Sicherheit des Trostes jederzeit entschwinden. Da sich das Lied ja mit dem Leben von Anne Sexton befasst, ist das vielleicht auch ganz passend.

Das Stück, das ich nach der Show vor mich hinsummte, war merkwürdigerweise We Do What We’re Told, das hier in einem Arrangement daherkam, das gewissermaßen eine Mischung aus der Version von 1980 und der von So war. Die Aggression in diesem Stück wird von der nahezu geisterhaften Wehmut der Melodie aufgeworfen, die die düstere, fast erbarmungslose Thematik hinter einer Traumwelt stimmungsvoller Klangräume verbirgt.

In Your Eyes bildete das Ende des regulären Konzerts, und als, wie ich behaupten möchte, Gabriels bestbekanntestes Stück riss es das Publikum mit und hoch von den Sitzen.

The Tower That Ate People brachte die Aggression wieder zum Vorschein – und das mit einer Inszenierung, die viele an The Lamia aus The Lamb Lies Down On Broadway erinnern dürfte. Ein ringförmiger Teil der Lichtanlage senkte sich um Gabriel und verbarg ihn im Inneren einer Tuchröhre, in der er einen guten Teil des Stückes sang… Es berührt schon, den Sänger in dieser Röhre gefangen zu sehen – bei einem Stück, in dem es darum geht, dass jemand Mauern baut, um sicher zu sein, und sich am Ende doch nur einmauert.

Das allerletzte Stück war Biko, und – obschon ich es sehr mag – hatte ich einem Freund vor dem Konzert gesagt, dass mir nichts wirklich fehlen würde, wenn es nicht gespielt werden würde. Dennoch war ich bei diesem Stück tief bewegt, vielleicht auch wegen der kurzen Darstellung der Sache mit der Band Pussy Riot (lest es nach) und auch wegen Bikos ungerechtem Ende und anderen Situationen, die in der Geschichte vor und nach der Entstehungszeit des Stückes passiert sind. Es ist wirklich packend, wie die Band während der Darbietung stocksteif dastand und Gabriel diesen Song, wie stets, mit den Worten beendete: “Alles weitere liegt, wie immer, bei euch.” Die Idee kollektiven Handelns – dass man gemeinsam etwas bewegen kann – das war die Botschaft dieses Songs an diesem Abend. Das ist, was ich aus diesem Erlebnis für mich mitnehme.

Was gibt es noch zu sagen? Die Band war in Hochform, und es war toll, sowohl Manu Katché als auch David Sancious wieder im Ensemble zu sehen. Beide gehen so gelassen und fließend mit ihren Instrumenten um, dass es bestens zu Gabriels Musik passt. Auch die altvertrauten Tony Levin und David Rhodes fühlten sich wohl, spielten sehr solide und gaben Gabriels Musik damit genau das, was sie braucht. Im Laufe der Jahre, gebe ich zu, habe ich Rhodes‘ Beitrag zur Band für eher klein gehalten, aber ich muss im Lichte dieses Konzertes meine Einschätzung korrigieren: viel von dem, was die Musik zupackend macht, kommt von ihm. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Gabriels Musik von Gitarren dominiert wird, aber ohne sie ist die Energie eine andere.

Beim vorletzten Konzert dieser Tournee in der Mohegan Sun werde ich die Show noch einmal sehen; dann kann ich mir ein Urteil bilden, inwiefern sie sich zwischen den beiden Konzerten verändert hat.

Autor: Michael Lord

Übersetzung: Martin Klinkhardt

Fotos: Elisa Noetinger


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