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Steve Hackett – Wild Orchids – Rezension

Auf seiner ewigen Suche nach, wie er sagt, „Orten ohne Grenzen, wo Kulturen aufeinander treffen, um sich gegenseitig zu beeinflussen“, ist Steve Hackett ganz offensichtlich wieder einmal fündig geworden und lässt uns freudigerweise an der Sammlung „wilder Orchideen“, die er auf seiner musikalischen Reise seit seinem letzten Band-Album gepflückt hat, schnuppern…

Auf seiner ewigen Suche nach, wie er sagt, „Orten ohne Grenzen, wo Kulturen aufeinander treffen, um sich gegenseitig zu beeinflussen“, ist Steve Hackett ganz offensichtlich wieder einmal fündig geworden und lässt uns freudigerweise an der Sammlung „wilder Orchideen“, die er auf seiner musikalischen Reise seit seinem letzten Band-Album gepflückt hat, schnuppern. Kaum verwunderlich ist die Tatsache, dass er die wilde Gattung der doch ansonsten kultivierten Pflanze bevorzugt, denn die finden sich nur jenseits ausgetrampelter Pfade, genau dort, wo auch seine musikalischen Werke zu gedeihen scheinen. Hat er schon auf

To Watch the Storms von 2003 Fans und Kritiker gleichermaßen mit seiner eigenwilligen, aber trotzdem zugänglichen Stil-Mixtur überrascht und begeistert, so wird man auch auf seiner aktuellen Scheibe auf spannendste Weise aufgefordert, den „roten Faden“ zu suchen, der zugegebenermaßen beim ersten Hören nicht unbedingt leicht zu finden ist. Nach mehrmaligem Hören ist er aber ganz klar erkennbar: Es ist Steve Hackett selbst, der wie ein Reiseführer dem 72-minütigen Ausflug eine unverkennbar persönliche Note verleiht.

Wegbegleiter sind neben seiner aktuellen Bandbesetzung, die viele auf Storms und seinen letzten Tourneen schon schätzen lernen durften (allerdings ohne Bassist Terry Gregory), nun auch erstmals das „Underworld Orchestra“, mit dem er bereits sein Klassik-Album Metamorpheus von 2005 einspielte. Dazu gesellen sich Hacketts Bruder John (Flöte) und als Gast sein Mitstreiter aus längst vergangenen Tagen, Keyboarder Nick Magnus.

Wie es der Tonträger-Markt in diesen Zeiten verlangt, erscheint Wild Orchids neben der regulären Album-Version auch als Special Edition, mit vier zusätzlichen Tracks, leicht veränderter Spiel-Abfolge und üppigerem Booklet. Die Cover-Zeichnung stammt, wie üblich, von Hacketts Frau Kim Poor, der auch wie gewohnt das Album gewidmet ist. Und die Songs?

no01Transylvanian Express

Ist der Opener der regulären Album-Version A Dark Night in Toytown (siehe weiter unten), so beginnt die “Special Edition” mit diesem Bonus-Track, der allerdings eine instrumentale Variation des genannten ist. Weitaus mehr als lediglich eine Instrumental-Version, wird hier kreativ mit den einzelnen Parts, Instrumenten-Spuren und Sound-Kollagen gespielt und mit neuen Elementen ergänzt, so dass man auch ohne Drum-Beat und Text die beklemmende und tollkühle Fahrt mit dem „Ghost train to hell“ auf erfrischende Art und Weise „durchleiden“ darf. Ein Mix des Tracks mit der Vocal-Version hätte durchaus ein gefeierter „Long Track“ werden können.

no02Waters Of The Wild

Ob wir uns musikalisch hier in Fernost, dem mittleren oder nahen Osten befinden, ist nicht genau zu orten, aber weder Hacketts einstiger Bandkollege Peter Gabriel auf seinen letzten Alben noch beider Vorbilder von den Beatles auf Sgt. Pepper haben sich darum geschert. Man nehme einen einzigen, tiefen Basston, exotische Percussion-Loops und -Grooves, und fängt an zu improvisieren, mit der Stimme, mit Sitar, mit exotischen Blasistrumenten. Sich herauskristallisierende Melodiebögen werden wiederholt oder mit Streichern unterstrichen. Wenn man dann noch einige Instrumente rückwärts laufen lässt, und donnernde Drums hinzufügt, trifft man sich an der Kreuzung von The Silk Roadvon seinem letzen Album und dem Beatles-Klassiker Tomorrow Never Knows, und auch ein bisschen I Know What I Like-Feeling kommt auf. Der Song ist eine Hackett/King-Kollaboration.

no03Set Your Compass

Wär hätte gedacht, dass wir noch einmal auf einem Hackett-Album die „altmodische“ 12-saitige Gitarre zu hören bekommen, wo er sich doch über die Jahre ganz klar für die klassische 6-saitige Nylon-Gitarre entschieden hatte? Man fühlt sich an Zeiten von Genesis’ Entangledvon 1976 oder seinem ersten Album Voyage Of The Acolyte erinnert. Er selbst wohl ebenso, denn witzigerweise zitiert er eine kleine Passage aus dem Opener Ace Of Wands selbiger Scheibe. Den Gesang des sehr getragenen Stückes, übrigens geschrieben von den beiden Hackett-Brüdern, gibt’s gleich mehrstimmig und wird lediglich mit einigen „Piano-Tupfern“ und einer Dudelsack-Melodie ergänzt.

no04Down Street

Getarnt mit tiefer-gepitchter Stimme, wie es von Mr. Hackett mittlerweile schon öfters zu hören war, entführt er uns im längsten Album-Track als psychopatischer Erzähler in die Down Street, die lange stillgelegte Londoner U-Bahn-Station, welche während des zweiten Weltkrieges als geheimer Luftschutzbunker herhalten musste. Zappaesk chaotisch geht’s hier zur Sache, dass einem fast schwindelig wird. Beginnend mit einem trockenen Groove mit Reggae-Einschlag, geht’s anschließend in doppeltem Tempo in Richtung Funk mit einer für Hackett-Scheiben ungewohten „funky Guitar“ (gespielt von Roger King), um nach kurzen Bläsersatz-Breaks in einen Gitarren- und Mundharmonika-Soloteil zu münden. Nach gespenstischen Dub-Groove-Loops schleicht sich ein Gitarren-Riff ein, das von der Horn-Section aufgegriffen wird und in swingenden Big Band-Sound übergeht. Während darüber Hacketts Blues-Gitarre soliert, ahnt man noch nichts vom nun folgenden Jahrmarkt-Getümmel, welches von einem düsteren, auflockerndem Drum-Loop abgelöst wird. Ein majestätsiches Orchester bringt dann den aufgeregten Song, geschrieben von Hackett und King, zum Abschluss. Unglaublich!

steve

mo05

A Girl Called Linda

Im Stile von A Trick Of The Tail, dem Titelsong des Genesis-Albums von 1976, beginnt der unbeschwerte, luftig arrangierte Song, um anders als bei Genesis immer wieder in jazzige Swing-Parts mit Solo-Parts für Querflöte (gespielt von Rob Townsend) und akustische Jazz-Gitarre auszubrechen.

no06Blue Child

Der zweite Bonus-Track der „Special Edition“ gibt Hackett mit entspanntem Groove und interessanten Harmonie-Abfolgen der Keyboard-Streicher und Hammond-Orgel die Möglichkeit, ausgiebig auf seiner E-Gitarre zu improvisieren. Das ganze wirkt melancholisch-bluesig, auch wenn’s kein waschechter Blues ist, und ist durchaus ein Stück Musik, das zeigt, was wohl viele Genesis-Fans seit seinem Ausstieg bei der Band vermisst haben.

no07To A Close 

Das schwermütige To A Close beglückt uns, ähnlich wie bei Set Your Compassmit luftigem Gitarren-Picking und mehrstimmigem Gesang. Ein paar späriich eingesetzte Violinen und Flöten verfeinern den Song, der eigenlich mit dem Arrangement des „Zwillings-Stücks“ namens She Moves In Memoriesaufgenommen wurde, später dann aber doch aufgesplittet wurde. Der Mittelteil wird von einer traurig-schönen Kirchenorgel begleitet.

no08Ego And ID

Geschrieben von John Hackett und Nick Clabburn, und bereits auf Johns Album Checking Out Of London (2005) mit Steves Beteiligung veröffentlicht, geht diese Version noch etwas deftiger zur Sache. Stilistisch zwischen straightem HardRock und etwas „floydianischen“ Elementen, ist hier nun Steve für den Gesang veantwortlich, den er wieder etwas tiefer „pitchte“, was ihn letzlich nicht mehr nach ihm selbst klingen lässt. Neben reichlich Gitarren-Soli gibt’s ausserdem noch Old School-Hammond-Orgel von dem Mann an Hacketts musikalischer Seite von Ende der 70er bis Mitte der 80er: Nick Magnus.

no09Man In The Long Black Coat

War die Überraschung auf To Watch The Storms die verrückte Thomas Dolby-Cover-Nummer, so gibt’s auf diesem Album wieder die größte Überraschung als Cover-Song. Der Song stammt von Songwriter-Legende Bob Dylan und wurde auf dem vom einstigen Peter Gabriel-Weggefährten Daniel Lanois produzierten Album Oh Mercyvon 1989 veröffentlicht. Im Grunde ziemlich am Original gehalten, verändert Hackett die ursprüngliche „Lost Love“-Ballade im Road Movie-Stil in eine etwas bandlastigere und vielleicht auch poliertere Fassung. Hier bewegt sich Hackett auf ungewohntem Terrain zwischen Country (Slide & Western Guitar) und Irish Folk (Ukulele), und der kantige Gesang Dylans weicht eher schlodrigen Hackett-Vocals, wie man sie bisher noch nicht zu hören bekam. Johnny Cash meets Peter Green meets Nick Cave! Ohne das eigentlich sehr stimmungsvolle Intro gibt’s den Song auch als Download-Single-Edit auf Hackett’s Website.

no10Cedars Of Lebanon

Schwerer verdaulich wirkt der dritte Bonus-Track der „Special Edition“. Fast schon vergleichbar mit schrägen Single-B-Seiten von Peter Gabriel, wird hier mit verfremdeten Percussion-Grooves und schrägen Streichern ein etwas unwirkliche Atmosphäre geschaffen. Wohl aus aktuellem Anlass verzichtet Hackett im Booklet auf einen Kommentar seines Textes, der usprünglich von Richie Havens eingesungen werden sollte.

no11Wolfwork

Beginnend mit flächigem Orchester-Arrangement gibt’s zur Strophe abgehackte Streicher-Akkorde und verzerrten Gesang, ganz wie bei den Beatles. Donnernde Drums und softe Parts mit typischem Hackett-Gitarren-Melodiebögen kommen hinzu. Ein düsterer Mittelteil mit Drumloop und heftigem Gitarren-Solo ergänzen den Song.

no12Why

Dass Steve seinen Humor noch nicht verloren hat, beweist dieses nicht einmal eine Minute lange Stück, das mit dem wiederentdeckten Instrument namens Optigan ganz im Stile von

Sentimental Institution eingespielt wurde und mit witzigem Text daher kommt.

no13She Moves In Memories

Ursprünglich war dieses Instrumental als Backing Track für To A Close gedacht. Die Entscheidung, dieses orchestrale Werk als „eigenständig genug“ einzustufen, war nicht die schlechteste, denn eine musikalische Verbindung zum genannten Song fällt erst beim zweiten Hören auf. Auch wenn die beiden Tracks wohl ohne Probleme übereinander gelegt werden könnten, enfaltet She Moves In Memories ein viel romantischeres Flair als To A Close, bei dem man sich an Frühlingswiesen mit Schmetterlingen erinnert fühlt. Durchaus auch als klassische Filmmusik vorstellbar, werden hier die verschiedenen Melodiethemen von beiden Fötisten, Bass-Klarinette, Trompete und Streichern übernommen.

no14The Fundamentals Of Brainwashing

Die Schlussrunde der „Standard CD Edition“ läutet der folgende Track ein, der eigentlich mit dem folgenden Howleine Einheit bildet. Hypnotische Piano-Akkorde und ein langsamer Schlagzeug-Groove begleiten Hacketts Stimme. Schwebender Chorgesang löst die etwas beklemmend wirkenden Strophen auf, und so manch einer mag sich dabei an Pink Floyds The Division Bell oder Hacketts In Memoriam erinnert fühlen. Der Gitarren-Solo-Teil klingt unüberhörbar nach einer Hommage an den verstorbenen Beatles-Gitarristen George Harrison. Der auf Steve Hacketts Internet-Seite angebotene Download-Single-Edit beinhaltet als Schlusssequenz einen Teil des folgenden Stückes.

no15Howl

Zwar ist Howl als eigener Track gekennzeichnet, allerdings ist es mehr als „Extended Version“ zum vorangegangen The Fundamentals Of Brainwashing zu verstehen. Über dessen hypnotischen Strophenteil, und mit kräftigeren Drums unterlegt, gibt es ausgedehnte, sphärische Soli von E-Gitarre und Piano. Erstaunlich, wie man mit lediglich zwei Akkorden vier sehr kurzweilige Minuten gestalten kann.

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A Dark Night In Toytown

Wer Steve Hackett auf seiner letzten Band-Tour 2004 gesehen hat, oder im Besitzt von

Once Above A Time, der DVD zur Tour, ist wird die Hackett/King/Glück-Komposition schon unter dem Namen

If You Can’t Find Heaven kennen. Beginnt der Song noch gemächlich wie beinahe ein Schlaflied, so entpuppt sich das Machwerk nach wenigen Takten in eine ungewöhnlich rasante Fahrt mit dem Ghost Train to Hell. Penetrant hämmerndes Schlagzeug wird hier von hektischen, klassischen Streicher-Themen begleitet. Neben allerlei Effekten, Geräuschen und Glöckchen, lässt Hackett seine E-Gitarre wieder mächtig singen.

no17Until The Last Butterfly

Hacketts geliebte Nylon-Gitarre hat das letzte Wort, zumindest auf der „Special Edition“. Mit schnellen, typischen Hackett-Gitarren-Arpeggios hätte die Nummer durchaus auch auf einem seiner Akustik-Album Platz finden können.

Fazit

Steve Hackett tritt einmal wieder den Beweis an, dass es durchaus möglich ist, mit neuen musikalischen Einflüssen zu flirten und experimentieren, ohne das eigene Profil einbüßen zu müssen. Einige werden sich möglicherweise durch die gebotene Vielfalt an Stilen und Sounds erschlagen fühlen, aber andere werden genau diese Grenzenlosigkeit zu schätzen wissen. Zwischen Band-Sound, Orchester-Klängen und elektronischen und produktionstechnischen Experimenten kommt

Wild Orchids Hacketts musikalischer Vision bisher wohl am nächsten, und man kann dem Album richtig anhören, dass es nicht einfach nur ein weiteres Album ist, sondern vielleicht sogar das ambitionierteste seiner langen Karriere. Dass der Hörer durchaus zum bewussten Zuhören aufgefordert wird, ist für Hackett-Kenner nichts Neues, aber sollte all denjenigen klar sein, die mit seinem musikalischen Output nicht vertraut sind. Nicht enttäuschte Käufer der letzten Alben dürfen hier bedenkenlos zugreifen und sich auf spannende 72 Minuten (bei der Standard Edition 67 Minuten) freuen. Steves Experimentierfreunde in Sachen Gesangs-Effekte wird nach wie vor Geschmackssache bleiben.

Autor: Steffen Gerlach

Fotos: InsideOut