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Mike + The Mechanics – Word Of Mouth – Rezension

1991, bereits im Lichte des angekündigten neuen Genesis-Albums, veröffentlichte Mike Rutherford das dritte Album von Mike + The Mechanics. In vielerlei Hinsicht wurd es ein Übergangsalbum.

1991 war ein schwieriges Jahr für Soloprojekte. Bereits Ende 1990 wurde bekannt, dass Genesis im Frühjahr wieder ins Studio gehen werden. Parallel zu dieser Zeit entstanden aber noch zwei Soloprojekte – Tony Banks brachte sein Album Still heraus (mit einer illustren Runde von Gastmusikern, wie Pino Palladino, Fish, Nik Kershaw oder Andy Taylor) und Mike stellte sein drittes Album mit den Mechanics fertig. Word Of Mouth hatte nach dem großen Erfolg von Living Years drei Jahre zuvor die fast schon undankbare Aufgabe, insbesondere im Lichte der Über-Single The Living Years, die in den USA sogar Platz 1 erreichte, etwas gleichwertiges zu sein, ohne sich dabei aber zu wiederholen. Dazu kam, dass dieses Album im Übergang von analoger zu digitaler Technik entstand, was zu weiteren Problemen führte, die aber eher logistischer Natur waren.

Dale Newman hat es in der Artikel-Reihe im it-Magazin #21 erzählt: „Im Laufe der Zeit verlor ich immer mehr den Anschluss. Als Mike an Word Of Mouth arbeitete, war es so weit gekommen, dass ich zwar seine Gitarren anschloss und auch sonst alles vorbereitete, aber nicht die geringste Ahnung davon hatte, wie diese ganzen Geräte eigentlich funktionierten, die ich da bediente. Nachdem das Album fertig war, brachte ich das ganze Equipment zurück zu Mikes Studio. Er fragte mich dann, wo die Wechselplatte sei. Ich schaute ihn verdutzt an und fragte ihn, wie diese Wechselplatte denn aussehen würde. Er beschrieb sie, und mir fiel dann ein, dass ich sie in irgendeiner Kiste im Studio gelassen hatte. Mike traute seinen Ohren nicht. Das komplett fertiggestellte Album befand sich nämlich auf dieser Wechselplatte!“.

Die Band besteht anno 1991 aus Mike Rutherford (Guitar / Bass), Paul Carrack (Vocals / Keyboards), Paul Young (Vocals), Peter van Hooke (Drums) sowie Adrian Lee (Keyboards). Dazu spielen auf dem Album Tim Renwick (Guitars), Steve Piggot (Keyboards), Phil Todd (Saxophone), Martin Ditcham (Percussions), Pino Palladino (Bass) sowie Ian Wherry (Keyboards). Für die Produktion sind einmal mehr Mike Rutherford und Christopher Neil verantwortlich – bei einigen Songs werden die beiden von Russ Titelman unterstützt.

Das Album enthält zehn Songs:

Get Up*
(Rutherford/Carrack)

Word Of Mouth°
(Rutherford/Neil)

A Time And Place*
(Rutherford/Robertson)

Yesterday, Today, Tomorrow°
(Rutherford/Robertson)

The Way You Look At Me*
(Rutherford/Carrack)

Everybody Gets a Second Chance*
(Rutherford/Robertson)

Stop Baby°
(Rutherford/Neil)

My Crime Of Passion*
(Rutherford/Carrack/Lee)

Let’s Pretend It Didn’t Happen°
(Rutherford/Robertson)

Before (The Next Heartache Falls)*
(Rutherford/Carrack)

* vocals: Paul Carrack
° vocals: Paul Young

Mike + The Mechanics 1991Rein soundtechnisch wurde Word Of Mouth eine gesunde Weiterentwicklung. Zwar klingt vieles noch etwas konstruiert, jedoch hat die Band mit dem Album den etwas kühlen, flachen Sound der 80er abgelegt und kommt stellenweise auch mit deutlich mehr Wumms um die Ecke. Weiterhin unverzichtbar sind aber die Keyboardteppiche. Der Opener Get Up ist eine flotte Nummer, wirkt als Einstieg aber eher suboptimal. Der Song wird von Paul Carrack gesungen und fand sich in der Folge in fast allen Live-Sets bis heute wieder. Auch als Single war das Stück vorgesehen, jedoch wurde es nie „richtig“ veröffentlicht. Bereits produzierte Digipaks erzielten unter Fans schon fast Mondpreise. Es waren eben die 90er und entsprechend schwierig war es noch, an solche Raritäten heranzukommen. Der Titelsong überrascht etwas, da man das Gefühl hat, einen Live-Song zu hören. Tatsächlich ist das Publikum und das rhythmische Geklatsche aber nur reingemischt. Interessanterweise ist Paul Youngs Stimme auch relativ hallig, was den Live-Ansatz unterstreicht. Der Titelsong gilt bis heute als großer Mechanics-Hit, auch wenn er kommerziell bei weitem nicht das Level von All I Need Is A Miracleoder The Living Yearserreichte. Live allerdings bleibt der Song eine Bank. Entweder als letzter Song vor den Zugaben, oder aber als endgültiger Rausschmeißer – und sowohl Paul Young als auch später Tim Howar verstanden es gut, den Song als absoluten Gassenhauer zu inszenieren. Auf dem Album schwingt sich Mike sogar zu einem seltenen, wenn auch unspektakulären Solo auf, nachdem Paul Young ihn mit einem „come on, Mike“ anfeuert. Gute Laune, einfacher Poprock-Song, warum auch nicht?

Mit A Time & Place (und später auch mit Stop Baby) enthält das Album zwei echte Schmachtballaden, bei denen soundtechnisch etwas zu viel des guten „gezaubert“ wird. Für diese Art von Singles war die Zeit einfach abgelaufen und so verwundert es nicht, dass vor allem erstgenannter Song kommerziell als Single weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Das gilt explizit nicht für Everybody Gets A Second Chance, mit dem den Mechanics wieder ein astreiner Radiohit gelang. Hier zeigt die Band wieder, was sie auszeichnet – einen relativ einfachen Song kongenial in Szene setzen zu können.

Mike + The Mechanics Word Of MouthEtwas lauter, krachender und zuweilen rockiger wird es mit Yesterday, Today, Tomorrow. Ein wenig könnte der Song die Nachfolgenummer von Hanging By A Thread sein. Der Sound ist aber um Welten besser. Und wie es sich für eine eher kräftigere Nummer gehört, wird sie von Paul Young gesungen.

Die letzten drei Songs können das Niveau nicht ganz halten. My Crime Of Passion klingt wie eine Prototypversion von Everybody Gets A Second Chance. Der Song plätschert vor sich hin, ohne wirklich zu zünden oder im Gedächtnis zu bleiben. Let’s Pretend It Didn’t Happen wirkt da schon besser, jedoch wird man das Gefühl nicht los, dass der Song hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Schließlich bildet das Finale Before (The Next Heartache Falls) eine etwas merkwürdige Schlussdramaturgie. Zwar baut sich das Stück Richtung Ende immer mehr auf und wird intensiver, jedoch fehlt ein richtiger Hook, um wirklich Spannung und Atmosphäre zu erzeugen. Am Ende wird auch relativ planlos ausgeblendet, statt dem Album ein echtes Ende zu verpassen.

Word Of Mouth ist aus heutiger Sicht ein Zwischenalbum. Bemerkenswert ist, dass Paul Carrack erstmals an einigen Songs mitkomponiert hat. Soundtechnisch gibt es eine kleine Weiterentwicklung, jedoch sollte erst das Beggar-Album sämtlichen 80er-Jahre Soundmuff abstreifen können. Dazu leidet Word Of Mouth definitiv unter dem langen Schatten, den das neue Genesis Album 1991 voraus warf. Dennoch sind einige Songs des Albums auch heute noch fester Teil des Live-Sets und andere gern gehörte Stücke.

Autor: Christian Gerhardts | Oktober 2014