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Genesis – The MAMA Tour 1983-1984 – Tourreport
1983 und 1984 gingen Genesis auf ihre bislang größte Tour und spielten hauptsächlich in Nordamerika. In Europa hatten nur die englischen Fans das Privileg, die Band an fünf Abenden in Birmingham anzusehen.
Im Oktober 1983 veröffentlichten Genesis ihr 13. Album, schlicht Genesisbetitelt. Um es zu promoten, begab sich die Band auf eine ausgedehnte Nordamerika-Tour. Anschließend folgten lediglich fünf Konzerte in England. Gigs im übrigen Europa oder gar in Deutschland waren nicht geplant.
Mike erklärte das damals damit, dass es auf der Insel selbst nur wenige Veranstaltungsorte gab, die die Voraussetzungen für die Installationder gigantischen Lightshow-Anlagen hatten. Den übrigen Europäern nahmen es die Genesis-Musiker ein wenig übel, dass die letzten Alben und die Tour ’81 nicht so begeistert aufgenommen worden war. Genesis waren in der Vergangenheit fast jährlich durch Europa getourt und beinahe zur Institution geworden. Die Band wollte sich bei dieser Tour nun offensichtlich etwas rarer machen, um nicht an einem toten Punkt der Publikumsgunst anzugelangen. Dies ist besonders schade, da die Konzerte schon einige Besonderheiten zu bieten hatten.
Zwar gab es bei der Besetzung mit Phil Collins, Mike Rutherford, Tony Banks sowie Chester Thompson und Daryl Stuermer keine Veränderungen, doch schon die neue Lightshow war vom Allerfeinsten. Allein die Hälfte des Equipments, das auf fünf Sattelschleppern transportiert wurde, entfiel auf die Lichtanlage, die einen Wert von rund 4 Millionen Dollar (nach damaligem Kurs) hatte. Insgesamt wog die Lightshow gigantische 30 Tonnen. Grundlage dieser Lightshow waren wiederum, wie schon bei den vergangenen Tourneen, die Varilites. Diese speziellen Lampen sind in der Lage, 60 verschiedene Farben auszustrahlen, wobei der Wechsel von Farbe zu Farbe in lediglich 0,1 Sekunden vollzogen werden kann. Zusätzlich können zur gleichen Zeit Durchmesser und Intensität des Lichtstrahls beliebig variiert werden. Ferner kann jede Lampe um 360 Grad auf jeder Achse gedreht werden.
Unter Alan Owen, Genesis‘ langjährigem Licht-Ingenieur, entstanden so sechs mit insgesamt 200 Varilites behangene gleichseitige Dreiecke, die über der Bühne zu einem riesigen Sechseck zusammengefügt wurden. Und der riesige Aufwand war es wahrlich wert und zeitigte sagenhafte Effekte, die mit Worten kaum zu beschreiben sind. Aber nicht nur über der Bühne gab es Sehenswertes, sondern auch die Anordnung der Musiker auf der Bühne war bemerkenswert und kann als Novum bezeichnet werden. Denn niemals zuvor und niemals danach kam es wieder vor, dass Tony Banks mit seinen Keyboards in der Mitte der Bühne plaziert wurde. Traditionell war sein Platz immer auf der rechten Seite, vom Publikum aus gesehen. Warum er diesmal in den Blickpunkt rückte, ist leider nicht bekannt, aber ein Blick von oben auf die Bühne könnte das Rätsel lösen. Aus dieser Sicht ist die Anordnung der Musiker als ein Sechseck zu erkennen (links hinten Chester und rechts hinten das Drumkit für Phil, dazwischen Tonys Keyboard, im Vordergrund links Mike, rechts vorne Daryl und in der Mitte Phil), also ebenso wie die Anordnung der Lichter an der Decke.
Doch diese Neuerung bei der Bühnenaufstellung war erst der Anfang der hochinteressanten Änderungen bei dieser Tour. Schon seit jeher waren die Ansagen in den Shows von Genesis etwas Besonderes und wurden speziell von Peter Gabriel perfektioniert. Phil Collins führte diese Tradition dann eher spartanisch und auf anderem Niveau fort. So dienten auch diesmal die Ansagen der Kommunikation mit dem Publikum und weniger als abgehobene phantastische Geschichten. Bei der Begrüßung des Publikums plauderte Phil, dass die Stadt, in der sie gerade waren, den Mittelpunkt des Universums darstelle. Nach dem frenetischen Applaus sagte er dann lachend, dass er morgen den Fans in der nächsten Stadt den gleichen Quatsch erzählen würde. Auch seine Ankündigung: „Heute spielen wir neue Stücke“ (Applaus) „sowie alte Stücke“ (mehr Applaus) „und vielleicht ein paar ganz alte Stücke“ (Begeisterungssturm) brachte die Massen so richtig in Schwung. Der absolute Höhepunkt dieser Kommunikation fand vor Home By The Sea statt. Mit dem Ausruf „It’s audience participation time“ begann das Spektakel. Und dann wurde das gesamte Publikum mit in das sogenannte „Ghosthunting“ einbezogen. Zweck dieser Übung war es, mit „der anderen Welt“ Kontakt aufzunehmen. Das Publikum musste hierfür die Hände in den Himmel strecken. Damit sollten die Lichter an der Hallendecke dazu gebracht werden herunterzusinken. Am Ende dieser „Kontakt-Sektion“ bat er die Leute, die Hände hinter die Ohren zu legen und zu rufen: „Masturbation doesn’t make me deaf!“. Dieser letzte Teil fiel dann im Laufe der Zeit der Zensur zum Opfer und wurde in England ganz aus dem Programm genommen. Ein weiterer Höhepunkt des Zusammenspiels mit dem Publikum leitete Illegal Alien ein. Die Requisiten waren Sonnenbrillen für die Band, ein kariertes etwas zu knappes Sakko für Phil und ein großes Radio mit Cassettenteil . Nach den verbalen Klagen von Phil, wie hart es doch auf solch einer Tour sei: „Jeden Tag ein anderes Publikum, jeden Tag eine andere Stadt, jeden Tag ein anderes Hotelzimmer, jeden Tag andere Mädchen, jeden Tag eine andere Position und jeden Tag andere Musiker“, hielt dieser sich das Radio an das rechte Ohr und lauschte bereits vorab aufgenommenen Musikstücken, z.B. Van Halens Jump, Genesis‘ Mama oder auch einigen Solo-Stücken von Phil, wobei die Zusammenstellung von Zeit zu Zeit variierte. Witzigerweise kamen während der fünf Konzerte im NEC in Birmingham einige Roadies auf die Bühne und sangen als Chor den Refrain mit, für Amerika oder Kanada ist dies leider nicht überliefert.
Doch das war erst der Auftakt zu den zahlreichen Änderungen, den der Set im Laufe der Tournee noch erfahren sollte. Das Medley (1 ) bestand unter anderem aus:
Eleventh Earl Of Mar / Squonk / Firth Of Fifth (in lowa und Milwaukee);
Eleventh Earl Of Mar / Behind the Lines / Firth Of Fifth / Musical Box (in Los Angeles);
Eleventh Earl Of Mar / The Lamb Lies Down On Broadway / Firth Of Fifth / Musical Box (in Kansas).
Carpet Crawlers wurde mal gespielt, dann wieder weggelassen, und auch mit Misunderstanding wurde ähnlich verfahren. Turn It On Again wurde im Schlussteil von Phil „verlängert“, um die Band vorzustellen und sich beim Publikum zu bedanken. Kurz angespielte Coverversionen von Songs wie Everybody Needs Somebody, Satisfaction, In The Midnight Hour etc. wurden in diesen Part des Songs eingebaut, der auch ständige Änderungen durchlebte. Das Police-Stück Every Breath You Take wurde gelegentlich angespielt, und die UK-Shows enthielten Karma Chamaleon von Culture Club, was das Publikum zu einigen unschönen Äußerungen veranlasste. Wahrhaftig recht verwirrend, das Ganze.
Doch die Tour war wiederum ein voller Erfolg, da für jeden Fan etwas dabei war. Zum Schluss sollten zwei bemerkenswerte Fakten unbedingt noch erwähnt werden. Während der Mama-Tour erlebten die Genesis-Fans Mike Rutherford zum vorläufig letzten Mal live an der doppelhalsigen Gitarre, die, noch ein Überbleibsel aus der 70er-Jahre-Ära von Genesis, von da an ausgedient hatte. Einige der Januar/ Februar-Konzertdaten mussten offensichtlich geändert werden, weil Phil anscheinend schon damals stimmliche Probleme hatte. Zur Erinnerung erschien wenig später das offizielle Konzertvideo, Genesis live – The Mama Tour, das in England während der Auftritte im NEC aufgenommen wurde. Leider hat man aber die Möglichkeit verschenkt, den Fans ein komplettes Konzert zu offerieren und auch im Hinblick auf die Vielfalt der Songvariationen ist der enthaltene Zusammenschnitt nur ein müder Abklatsch der tatsächlichen Show.
Autoren: Peter Schütz / Mike Jackson