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Genesis – Interview mit Tony Banks und Mike Rutherford, 25. August 1997 in Berlin
Am 25. August stellten Genesis der europäischen Öffentlichkeit im Alex im Berlins das neue Album Calling All Stations vor. Der Deutsche Genesis Fanclub war vor Ort und konnte auch mit den beiden Genesis-Gründungsmitglieder sprechen.
it: Hallo, Tony! Hallo, Mike! Schön, euch mal wieder zu treffen.
Tony + Mike: Hallo!
it: Leider sollen wir uns diesmal kurz fassen,und darum fangen wir auch gleich an. Wir haben auf diesem Zettel hier alleuns bekannten Album- und Non-AlbumTracks von Calling All Stations aufgelistet. Könntet ihr diese Liste um die Arbeitstitel ergänzen und dazuschreiben, wer jeweils die Texte geschrieben hat?
Mike: (gibt den Zettel an Tony weiter) Kannst du das machen, Tony?
Tony: O.k., du kannst jaschon mal Fragen beantworten.
it: Wer, außer Ray, sang noch bei euch vor, als es um den Posten des neuen Sängers ging?
Mike: Dave Longdon. Er war neben Ray lange im Rennen und klang ziemlich gut. Er hörte sich irgendwie ein wenig wie Phil an. Dann war da noch der Typ von Cutting Crew. Ich weiß nicht mehr, wie der heißt. Das wären auch schon so ziemlich alle, die ihr wissen solltet.
it: Es haben euch doch sicher viele Leute Tapes geschickt?
Mike: Ja sicher, aber niemand, der sehr bekannt ist.
it: Seht ihr Ray als gleichwertiges Bandmitglied von Genesis an?
Mike: Ja, er gehört zu Genesis. Er ist am Schreiben und allen möglichen anderen Dingen beteiligt.
it: Habt ihr Chester Thompson gefragt, ob er auf dem neuen Album spielen möchte?
Mike: Nein, weil … zunächst einmal hat Chester noch nie auf einem Album mitgespielt,oder? Ich denke, irgendwie war alles im Umbruch, und es war an der Zeit weiterzukommen. Wir fanden zwei sehr gute Schlagzeuger, wobei Nir Z der Haupt-Drummer ist. Er klingt sehr „heavy“, aber nicht amerikanisch, obwohl er in Amerika lebt.
lt: Warum sind die beiden Schlagzeuger keine festen Bandmitglieder?
Mike: Wir sagten: „Lass es uns mit zwei Drummern probieren.“ Es hätten aber auch drei oder vier auf dem Album spielen können. Wir wollten die Gelegenheit dieses neuen Albums dazu nutzen, herauszufinden, wer der passende Genesis-Drummer ist. Hätten wir gemerkt, dass die beiden nicht alles spielen können, wäre eben noch ein weiterer hinzugezogen worden.
it: Also hattet ihr bereits zu Beginn der Arbeiten am neuen Album ins Auge gefasst, mehr als einen Schlagzeuger zu verpflichten?
Tony:Wir hatten uns zumindest diese Option offengehalten. Eine Entscheidung war damals darüber noch nicht gefallen. Ich denke, wir wären auch recht zufrieden gewesen, wenn Nir auf dem kompletten Album gespielt hätte. Aber wir hatten Nick zuvor schon vorspielen lassen, und er klang bei einigen Stücken sehr gut, insbesondere bei Uncertain Weather. Deshalb kam es zu seinem Mitwirken.
it: Warum wurden einige der Stücke auf Calling All Stations am Ende so unsanft ausgeblendet?
Mike: Nun, ich weiß nicht, ob das unsanft ist. Sie sind an der Stelle ausgeblendet, wo wir dachten, es ist die richtige. Aber es stimmt, dass die meisten ausgeblendet sind. Manchmal geschieht das einfach …
Tony:… ich denke, auszublenden hat in gewisser Weise auch etwas mit Faulheit zu tun. Einige Songs müssen einfach ausgeblendet werden, aber bei einigen hätten wir einen Schluss machen sollen. Aber so hat es sich nun einmal ergeben. Wenn wir Songs schreiben und aufnehmen, wollen wir so flexibel sein wie möglich. Das bedeutete oft, dass wir Teile umarrangierten, damit sie zu Rays Stimme passten. Den Schluss musste man dann ziemlich offen lassen.
it: Wer ist eigentlich Anthony Drennan, und warum habt ihr ihn als Ersatz für Daryl Stuermer während der Tour gewählt?
Tony: Wahrscheinlich hätten wir Daryl wieder genommen, aber er ist ja bekanntlich mit Phil auf Tour. Insgesamt haben vier Gitarristen bei uns vorgespielt. Anthony wurde uns von John Giddings, der unser Promoter in Europa ist, empfohlen. Er hatte ihn, glaube ich, mit Paul Brady live spielen sehen. Er meinte, er sei großartig und so kam es dazu, dass er vorspielte und er klang phantastisch. Wir ließen ihn Sachen wie das Firth Of Fifth-Solo spielen – weniger der melodische Teil als der, in dem improvisiert wird -, und er tat dies wunderbar. Außerdem spielt er auch Bass. Invisible Touch z.B. ist zwar ein sehr einfacher Song, aber der Bass-Part ist absolut entscheidend. Er klang da sehr überzeugend. Er ist einfach ein großartiger Musiker.
it:Hat Daryl die Chance, noch einmal zu Genesis zurückzukehren?
Tony: Ich sehe keinen Grund dafür. Aber wenn es mit Anthony aus irgendeinem Grund nicht klappen würde und Daryl es wirklich gerne machen würde, schon. Wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt über Anthony sprechen, obwohl wir schon einiges mit ihm gemacht haben, muss man sagen, dass er für diese Tour gedacht ist. Ich habe keine Ahnung, ob daraus einmal mehr wird. Da kann sich wieder etwas ändern. Ich denke, Nir ist da wahrscheinlich etwas fester verankert. Wir sind sehr zufrieden damit, wie er auf dem Album spielte, und vorausgesetzt, es klappt mit ihm auch bei den Konzerten, wird er wohl wieder dabei sein.
it: Nun, Genesis-Fans sind aber eben etwas nostalgisch veranlagt …
Tony: … sie wollen immer ein wenig die Zeit zurückdrehen, ich weiß …
it: … und da neben Phil nun auch Chester und Daryl fehlen …
Tony:… ich kann das Gefühl nachvollziehen. Man muss aber erkennen, dass es nur Nostalgie ist. Ich verstehe, dass man die Sänger wieder zurück haben will. Aber wenn es um die anderen Musiker geht, kann man wohl trotzdem recht erfolgreich weitermachen.
Mike: Es handelt sich hier ja nur um die Tour und nicht um das Album. Ich denke, das Wichtigste ist wirklich das Album.
it:Wann und wo werdet ihr für die Tour proben?
Mike: Wir fangen Mitte September auf der Farm an. Das dauert einen Monat. Danach werden Tony und ich eine Woche lang die neue Produktion proben, mit allen neuen Elementen, Screens, Filmen etc. Im Anschluss folgen dann nochmals zwei Wochen Proben in der Nähe von London.
it: Welche alten Stücke werdet ihr live spielen?
Tony: Wir haben eine vorläufige Liste von viereinhalb Stunden Material. Daraus werden dann letztendlich wohl wieder etwa zweieinhalb Stunden Show werden. Wir versuchen so ziemlich alles, was wir bei der letzten Tour hatten, mit Ausnahme von Sachen wie Jesus He Knows Me. Dann wollen wir ein paar ältere Sachen probieren, insbesondere solche, die Peter gesungen hat, denn Rays Stimme ähnelt ihm etwas mehr. Wir haben noch keine endgültige Auswahl getroffen, aber es wird die übliche Mischung aus Altem und Neuem sein. Wir wollen auch soviel wie möglich vom neuen Album spielen, denn das ist für Ray am einfachsten zu singen.
it: Wird es wieder ein Medley geben?
Tony: Wir werden sicher ein Medley machen, denn das hat den Vorteil, dass man sehr viel mehr Songs unterbringen kann. Manchmal muss man sie nicht komplett spielen, und nicht alles von einem Titel ist aus unserer Sicht heute noch o.k. Oftmals, wenn man ein Stück in einem Medley hört, denkt man sich: „Das ist großartig.“ Dann hat man aber schon genug davon gehört, und es kommt etwas anderes. Man kann außerdem auch Instrumentalteile herausnehmen, wie das aus Firth Of Fifth oder Cinema Show.
Mike: Es ist ein Zeitproblem. Man kann manche Stücke anspielen, aber nicht komplett spielen.
it: Wir haben gehört, dass am Ende der Proben für die Tour ein Warm-up-Gig vor nur wenigen hundert Leuten stattfinden soll.
Mike: Das ist uns neu.
Tony: Ja, das ist uns neu, aber verschiedene Gewinner von Preisausschreiben werden wohl ab und an bei den Proben dabei sein.
it: Was könnt ihr uns über euren Auftritt morgen abend bei der Pressekonferenz sagen?
Mike: Wir haben ja noch nie unplugged live gespielt. Wir wurden gefragt, ob wir nicht einfach ein wenig spielen könnten, um den Leuten Rays Stimme näherzubringen. Also werden wir Not About Us, eine Kurzversion von Turn It On Again und eine Strophe und einen Refrain von No Son Of Mine spielen.
Tony:Es ist kein eigentlicher Auftritt und insofern etwas merkwürdig. Aber wir werden sehen, wie das alles funktioniert.
it: Wie sieht die weitere Zukunft für Genesis aus? Wird es wieder sechs Jahre dauern, bis ein neues Band-Album erscheint?
Tony: Ich denke, es wird keine sechs Jahre dauern, aber darüber haben wir noch keine Entscheidung gefällt. Wir haben alle Möglichkeiten. Wir könnten sofort wieder ein neues Album machen oder nach der üblichen Pause oder nie wieder.
it:Damit wären wir am Ende der Zeit angelangt. Wir würden gerne noch einen Blick auf die Liste werfen, die Tony zu Beginn des Interviews ergänzt hat. Gibt es neben den hier gelisteten zwei Non-Album-Tracks noch weitere Songs?
Tony: Nun, es gibt ein paar andere. Ihr wollt die Titel wissen …
Mike: Moment, behalt’s für Dich. Das hat noch Zeit. .. ..
Tony: Mike meint, wir sollten es besser nicht verraten.
Mike:Wir werden es euch später sagen. Wir können doch nicht alles ausplaudern (lacht). Wir sollten euch aber sagen, dass diese zwei Stücke (zeigt auf Papa He Saidund Banjo Man) nicht schwach, aber eindeutig B-Seiten sind. Sie sind nicht schlecht. Ich mag Papa He Said irgendwie. Wir haben vier weitere Tracks, die zwar nicht auf dem Album sind, aber ziemlich dessen Standard entsprechen. Sie hätten auch darauf enthalten sein können, zumindest einer davon.
it: Werden diese irgendwann als B-Seiten veröffentlicht?
Mike: Das wissen wir nicht.
Tony: Sie werden in irgendeiner Form erscheinen. Das hängt davon ab, wie die Dinge laufen. Wenn alles gut läuft, könnten wir sie vielleicht als EP oder dergleichen herausbringen. Ansonsten werden sie als B-Seiten erscheinen. Vielleicht behalten wir sie auch zurück.
Mike: Es ist nicht einfach, so etwas jetzt zu planen. Das Album ist ja noch nicht erschienen.Wenn es am Markt ist, werden wir merken, ob es die Fans mögen.
it: Na gut, wir müssen nun schon Schluss machen. Danke, dass ihr ein paar Minuten Zeit für uns hattet.
Mike: Kein Problem, war uns eine Freude.
zuerst veröffentlicht in it Nr.23 (September 1997)