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Genesis – Interview mit John Mayhew (2006)
Im Rahmen unseren Evolution Of… Events 2006 hatten wir Gelegenheit, den früheren Genesis Drummer und Vorgänger von Phil Collins zu interviewen. Das Interview fand als On-Stage-Fragestunde statt, die meisten Fragen wurden direkt von den Event Besuchern gestellt.
Eher zufällig und vor allem kurzfristig konnte wir noch ein weiteres Highlight präsentieren. Neben Armando Gallo und John Morrell erschien auch Ur-Drummer John Mayhew (Trespass) in Welkrs und stellte sich den Fragen der Fans..
Frage:John, wir freuen uns, dich heute hier zu haben. Du bist das zweite Mitglied, oder frühere Mitglied von Genesis, das tatsächlich auf dieser Bühne erscheint. Der erste war übrigens vor zwei Jahren Ray Wilson. Er war das letzte Mitglied von Genesis. Du dagegen warst eines der ersten Mitglieder von Genesis, noch bevor sie bekannt und berühmt wurden. Bevor wir aber dazu kommen, eine andere Frage. Einige von uns haben sicher das Interview gelesen, das du worldofgenesis.com gegeben hast. Es trug den Titel ‚The Long Lost Drummer’ (Der Verlorene Schlagzeuger). Wo bist du seit 1970 gewesen?
John Mayhew: Der verlorene Schlagzeuger, oh ja. Ich war ja gar nicht verloren gegangen. Eigentlich spielte sich alles in England, Neuseeland und Australien ab. Ich bin inzwischen australischer Staatsbürger. Ich verließ damals Genesis und spielte wieder mit anderen Bands wie vorher. Einmal habe ich eine Anzeige in den Melody Maker gesetzt. Meine zweite Frau war in dem Ort, wo ich spielen sollte, in Norwegen. Ich war so etwa 36 Stunden dort; ich sprach mit ihr und sie sagte (sie sprach Englisch): „Können Sie mir helfen bei der Verständigung?“ Sie nahm mich mit nach Neuseeland, wo es einfach nichts gab. Von da aus bin ich dann nach Australien gegangen, und als ich dort war, habe ich aufgehört, Schlagzeug zu spielen. Es war alles viel zu… Na, es war nicht mehr so spannend, Zeit aufzuhören. Ich habe ein wenig das Gefühl, als wollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich mich in Australien und Neuseeland versteckt habe; aber so war das eben.
Frage: Als ihr 1970 das zweite Album aufgenommen habt, welchen Einfluß hatte da die Plattenfirma auf eure Musik? Beim ersten Album hatte es ja viel Druck vom Produzenten gegeben? Wie war das bei der zweiten Platte?
John: Wir konnten eigentlich tun und lassen, was wir wollten. Die Plattenfirma hatte wohl inzwischen eingesehen, dass Künstler das Bedürfnis haben, alles unter Kontrolle zu haben. Ich erinnere mich nicht, dass es dabei jemals Probleme gab.
Frage: In der Zeit um und vor Nursery Cryme gibt es sehr große Unsicherheiten zu der Frage, wie die Setlists der frühen Konzerte aussahen. Erinnerst du dich an andere Stücke außer dem Material von Trespass, die du gespielt hast? Habt ihr ältere Stücke gespielt?
John: Das müssen wir wohl gemacht haben, damit eine normale Konzertlänge dabei herauskam. Welche anderen Stücke das waren, weiß ich nicht mehr. Am deutlichsten erinnere ich mich, dass die Zahl der Stücke auf dem Album natürlich – oh, ein Stück fällt mir noch ein, The Fountain of Salmacis. Wir haben noch mehr gespielt, aber die anderen Stücke fallen mir nicht mehr ein.
Frage: Erinnerst du dich noch an die Aufnahmen bei der BBC?
John: Ohja, die BBC Sessions. Ja. Sie sind veröffentlicht worden, nicht wahr, die Aufnahmen. Auf der ersten Archive-Box. Ich weiß noch, dass die BBC damals sagte… sie wollten die Musik nicht ins Programm aufnehmen. Als Grund haben sie angegeben, dass die Songs aus Teilen anderer Stücke aus fremden Quellen zusammengesetzt seien. Ich würde das gerne mal hören, denn ich weiß gar nicht mehr, wie es klang. Aber es dürfte gut produziert worden sein. Das steht mir nicht mehr so klar vor Augen; darüber habe ich bis vor zwei, drei Monaten mit niemandem gesprochen…
Frage:Wart ihr allein im Studio oder hattet ihr Zuschauer?
John: Wir waren allein. Richard Macphail und so könnten dagewesen sein, aber es war, glaube ich, keine öffentliche, sondern eher eine nichtöffentliche Aufnahme.
Frage: Da wir gerade von Studio-Aufnahmen sprechen: Im letzten Jahr hatten wir Richard Macphail hier. Er hat sich wie du für eine Fragestunde zur Verfügung gestellt. Wir haben ihn damals nach dem berüchtigten Jackson-Tape gefragt. Ihm war das völlig fremd, also hat er Tony Banks angerufen und vom Unkrautjäten aus dem Garten geholt. Tony hat ihm gesagt, dass sie das Jackson-Tape gekauft haben. Vorher hatte es lange als verloren gegolten. Richard Macphail erinnerte sich nicht an die Studioaufnahmen dafür; wie ist es bei dir?
John: Nein. [allgemeines Gelächter] Offengestanden weiß ich davon nichts, weil es schon so lange her ist. Ich weiß noch nicht einmal genau, was das Jackson-Tape ist. Wird es möglicherweise mal veröffentlicht?
Frage: Es handelt sich um eine kleine Schachtel mit der Aufschrift „Genesis play Jackson“, eine [in Fankreisen] berühmte Aufnahme.
John: Seid ihr sicher, dass ich dabei war?
Frage: Zeitlich kommt es hin, ja.
John: Wo wurde das denn aufgenommen?
Frage: Richard Macphail sagte, es sei in irgendwo in London gewesen… Das Jackson-Tape war Begleitmusik für einen Film über einen Künstler; ein Soundtrack gewissermaßen. Aufgenommen wurde es in einem Studio, wahrscheinlich bei der BBC; es dürfte also eine Art Aufnahme für die BBC gewesen sein.
John: Es ist möglich, dass das aufgenommen wurde, nachdem ich nach Australien gegangen war, und dann als Hintergrundmusik für die Sendung benutzt wurd7e.
Frage: Wie lief der Übergang von John Silver ab? In einem Interview war kürzlich zu lesen, dass er [John Silver] kurzfristig verschwunden beziehungsweise anderweitig engagiert war und du dann über eine Anzeige im Melody Maker engagiert wurdest. Hat es Kontakt gegeben, hast du das Programm mit ihm noch mal einstudieren können oder musstest du alles von Neuem lernen?
John: John Silver habe ich nie getroffen. Daran erinnere ich mich deutlich, dass ich ihm nie begegnet bin. Er war auf anderen Bandtreffen, hat sie getroffen und hält wohl auch Kontakt mit den Jungs, aber John Silver und ich sind einander nie begegnet.
Frage: Wie bist du zu Genesis gekommen?
John: Ich bin ziemlich gut darin, allen möglichen Leuten meine Telefonnummer zu geben. Offenbar kann ich gut Werbung für mich selbst machen. Ich habe mal in einem Buch gelesen, dass ich eine Anzeige im Melody Maker geschaltet hätte, aber das stimmt nicht. Ich hab einfach allen Leuten in London, mit denen ich irgendwie zu tun hatte, meine Telefonnummer gegeben und diese kleinen Boote – so nenne ich sie – einfach treiben lassen. Eines Abends kam ich von der Arbeit – ich arbeitete als Schreiner im Londoner West End, wir richteten da eine Boutique ein; ganz angenehme Arbeit – ich kam also von der Arbeit und meine Freundin sagte: „Ein Mike Rutherford hat für dich angerufen. Er ruft um sechs noch mal an. Er ist in einer Band namens Genesis.“ Und als sie Genesis sagt, da wusste ich… es ist wohl ein besonderer Name. Er rief also um sechs Uhr wieder an, ich stürmte die Treppe herunter and Telefon und er bat mich, bei Genesis mitzumachen. Wißt ihr, heute klingt das ja großartig, aber damals waren sie so gut wie unbekannt. Ich sagte: „Ich hab ihn vielen Bands gespielt, und ich kann Schlagzeug spielen.“ Er erzählte, dass sie dieses und jenes täten und dass die und die Leute Interesse an ihnen hätten. Es klang sehr gut. Ich fuhr dann zum Vorspielen nach … wo war das noch, Godalming? Sie hatten dieses kleine Cottage in einem Dorf namens Whatton. Scheinbar weiß niemand mehr, wo genau dieses Cottage war. Es hieß Christmas Cottage und lag in Whatton bei Godalming in Surrey. Wir spielten und probten dort elf Monate lang, und dort habe ich sie kennengelernt.
Frage: Wann hast du denn Schlagzeug gelernt?
John: Mit sechzehn hatte ich in der Schule einen guten Freund namens Barry. Sein Vater spielte mehrere Instrumente und Barry war Rhythmusgitarrist in einer Band, so in den letzten paar Monaten seiner Schulzeit. Sie kamen nicht so gut mit ihrem Schlagzeuger aus und baten ihn auszusteigen. Barry fragt mich, ob ich Lust hätte, einzusteigen und Schlagzeug zu spielen. Ich hab zugesagt. Ich hatte nur noch nie zuvor Schlagzeug gespielt. Als ich also zum ersten Mal die Stöcke in der Hand hielt, spielte ich alles auf dem Onbeat, und irgendjemand erklärte mir, dass man alles auf dem Offbeat spielen muß. Das war das einzige, was mir jemals irgendwer erklärt hat. Von da aus habe ich mich dann vorgearbeitet. Es ging dann immer Schritt für Schritt vorwärts.
Frage: Was für ein Schlagzeug hattest du?
John: Als ich anfing, hatte ich eins von Premier, aber die Aufnahmen für Trespass habe ich auf einem normalen Ludwig gemacht. Ich war in einen Musikalienladen in London gegangen und hatte eine wundervolle Snaredrum gekauft – Superphonic 400 hieß das Ding. Man konnte die Drähte einzeln einstellen, und es hatte einen schönen glatten Klang. Wenn man da draufgeschlagen hat, machte es nicht BÄNG!, sondern bääääng; als ob es singen würde. Für diese Snaredrum hat man mir eine Menge Geld geboten… Es war eine Klasse besser als die normale Superphonic 400, die man mit dem gesamten Schlagzeug bekommt, und ich hatte sie ziemlich lange.
Frage: Erinnerst du dich, ob die Band damals bei einem Auftritt gefilmt wurde?
John:Ja, auf dem +Alpine-Album+ gibt es eine verlorene … die Aufnahme ist nicht wirklich verloren, sondern in den Händen von Leuten, mit denen Hit’n’Run, das Management von Genesis, nicht verhandeln will. Das habe ich jedenfalls vom Fanclub in Italien erfahren. Nino Profumo glaubt, dass diese Filmrolle… David Bowie ist an dem Abend auch aufgetreten und ein paar andere bekannte Bands. Die Aufnahme liegt bei Leuten … sagen wir mal bei Hehlern. Darum will das Management von Genesis mit ihnen nicht verhandeln. Sie wollen den Film haben, aber der Typ verlangt 10000 US$ . Man sollte den Film so bald wie möglich erwerben, bevor er im Mülleimer landet. Es ist immerhin ein Stück Bandgeschichte.
Frage: Was ist dein Lieblingsstück auf Trespass?
John:Abgesehen von The Knife natürlich? Looking For Someone. Ein schöner sanfter Song. Manchmal werde ich gefragt, ob ich zur Musik von Genesis irgendetwas beigetragen habe außer zu trommeln und zu singen. Auf diesem Stück sind ein, zwei Zeilen von mir. Ich weiß noch, dass wir uns bei Looking For Someone festgefahren hatten. Wir waren uns nicht sicher, welche Richtung das Stück nehmen sollte, und eines Abends haben wir dann gesagt: Genug, das war’s. Wir gehen hoch, hören Musik und ruhen uns ein bisschen aus. Ein paar Stunden später kamen wir wieder runter, die Blockade war weg und wir konnten den Song fertig stellen.
Frage [Armando]: Endlich! Diese Frage will ich dir schon 30 Jahre stellen! Als ich für mein Buch recherchiert habe, konnte dich niemand finden. Jetzt wissen wir ja, dass du in Neuseeland warst. Kannst du uns einen Tag im Christmas Cottage schildern? Wann seid ihr aufgestanden, wann habt ihr gearbeitet, was habt ihr abends gemacht? Du warst ja ein paar Monate dort. Die anderen wollten mir nicht viel über diese Zeit erzählen. Das einzige, was ich aus ihnen herausbekommen habe, war, dass sie viel King Crimson gehört haben. Aber schildere uns doch einen Tag im Winter 1969/70.
John:Es lief eigentlich darauf hinaus, dass wir aufstanden, frühstückten, arbeiteten und zu Abend gegessen haben. Abends haben wir wohl auch gearbeitet.
Frage [Armando]: Hey, du machst es dir aber zu einfach! Vom Frühstück gleich zum Abendbrot, na weißt du! [allgemeines Gelächter] Wer ist denn als letzter aufgestanden? Wer hat dann mit dem Musizieren angefangen? Versetz dich zurück, das war doch eine großartige Zeit, Mann! Eines der besten Jahre deines Lebens!
John: Es war sehr harte Arbeit, aber ja, es war eins der besten Jahre meines Lebens, das ausgefallenste überhaupt. Ich erinnere mich, dass wir nur probten und Stücke schrieben und Spaziergänge machen – kleine Pausen, einfach mal ein Stück durch den Schnee. Wir haben nur gearbeitet. Elf Stunden am Tag, elf Monate lang. Immer wieder und wieder und wieder haben wir die Stücke überarbeitet. Im Bücherregal stand eine Sammlung von George Orwells Büchern. Ich habe sie alle gelesen, also muß es auch wohl ein wenig Freizeit gegeben haben, wahrscheinlich abends. Irgendwer hat dann ein paar köstliche Mahlzeiten mit Kohl und Käse gekocht. Wir haben immer ein richtiges Abendessen gehabt, zu dem wir uns alle an einem Tisch versammelt haben; manchmal hat auch Richard Macphail etwas gekocht. Aber ihr wollt sicher eher etwas über die Musik hören…
Frage[Armando]: Wer kam denn nun damals zuletzt aus dem Bett gekrochen?
John: Wahrscheinlich ich. Ich habe mein Bett damals sehr geliebt.
Frage: Wie war die Stimmung in der Band damals? Waren alle sehr gelöst oder gab es Spannungen, Aggressionen?
John: Das war das Bemerkenswerte an jener Zeit. Es gab keinen Streit, keine kollidierenden Egos, wie man sich das so vorstellt. In der Richtung ist nichts passiert. Ich habe das damals auf ihre Erziehung, ihren Hintergrund und so geschoben. Sie neigten dazu, Probleme durch Nachdenken und Darüber-Reden zu lösen. Armando wird sicher bestätigen können, dass sie sehr höflich zueinander waren, sehr zivilisiert, sehr britisch, könnte man sagen. Es gab einfach keine Themen, die zu Spannungen geführt hätten. Es war eine gemeinsame Anstrengung. Alle wussten, dass ihrem Verhältnis zueinander verflixt viel abhing.
Frage: Steve Hackett und Phil Collins haben erzählt, dass bei den Aufnahmen für die späteren Alben eine sehr hitzige Atmosphäre herrschte, dass der eine oder andere einfach wegging und stundenlang verschwunden blieb. Es ist daher eine Überraschung zu hören, dass es davor ganz anders war…
John: Ich erinnere mich nicht, dass irgendjemand mal herumgeschrien hat oder wütend war. Auch nicht, dass jemand einfach abgehauen ist. Wirklich nicht. Vielleicht ist das später vorgekommen, aber nicht im Cottage.
Frage: Sie haben also dich verloren und wurden aggressiv. [Gelächter]
John: Ich würde es zugeben, wenn es solche Momente gegeben hätte… aber das wurde vielleicht alles zurückgehalten. Vielleicht waren sie noch nicht so selbstbewusst, es hing noch nicht so viel davon ab oder so…
Frage: Wie war das Gemeinschaftsleben damals? Seid ihr abends ausgegangen, habt ihr viele Freunde gehabt, oder habt ihr wie Mönche gelebt?
John: Wir haben wie Mönche gelebt [lacht]. Ich habe kürzlich mit Anthony Phillips in London gesprochen und auch ein paar Briefe von ihm bekommen. Er meinte, dass wir damals sehr ungesund gelebt hätten. Ich meinte, das sei eine eigenartige Beschreibung, ungesund. Naja, meinte er, wir hätten öfter mal in den Pub gehen sollen [lacht]. Ich war damals nicht so fürs Trinken, Alkohol war überhaupt kein Thema für mich… So war das eben, ich habe da nie drüber nachgedacht, aber wir haben im Cottage wirklich wie im Kloster gelebt. Ich erinnere mich nicht einmal, dass ich einkaufen gegangen wäre. Einmal sind unser Roadie Richard Macphail und ein anderer Typ, David Sowieso, mit dem Transporter ins Dorf gefahren, um einzukaufen. Ein anderer Wagen fuhr ihnen vorne hinein, die ganze Front war verbeult. Da kamen sie zu mir wegen eines Hammers. Ich war ja Schreiner und half ihnen mit dem Werkzeug und habe die Karosserie so gut es ging wieder zurechtgeflickt. Sah trotzdem noch schlimm aus. Dann habe ich noch einen hohen Hocker für Michael Rutherford gebaut und hinten ein paar Sitze in den Transporter eingebaut, damit alle irgendwo sitzen konnten.
Frage: Erinnerst du dich noch an die Auftritte? Waren viele Leute dort, und hattet ihr schon Fans, die euch durch die Pubs gefolgt sind?
John: Das entwickelte sich damals gerade. Allmählich folgten uns immer mehr Leute zu den Konzerten. Wir haben auch immer ein paar Freunde dabeigehabt. Richard und David waren jedes Mal dabei. Die Fangemeinde wuchs, das habe ich damals schon gemerkt.
Frage: Wieviele Leute kamen denn so zum Konzert?
John: Ah, das bin ich schon mal gefragt worden und erinnere mich leider immer noch nicht an Zahlen. Die Konzerte waren gut besucht. Ich kann mich jedenfalls nicht an Auftritte erinnern, bei denen mehr Leute auf der Bühne als vor der Bühne gewesen wären. Ganz und gar nicht. Das war eine Wachstumsperiode, und es kamen jedes Mal viele Leute.
Frage: In Fankreisen zirkuliert Filmmaterial von italienischen Shows. Dort sieht man die Fans sehr diszipliniert und konzentriert dasitzen. Sind die Fans nie ausgerastet?
John: Ja, sie saßen wirklich einfach da und hörten zu. Das war schon sehr schön. Wir hatten so lange geprobt und fanden, dass das Ergebnis es wert war, aufmerksam gehört zu werden. Damals hatten wir nicht so viele laute schnelle Rocksongs. Eher viele Stücke wie zum Beispiel Pacidy. Aber sie haben schnell gelernt, dass sie mehr laute und schnelle Stücke brauchten – mehr Musik für Freitagabend.
Frage: Weißt du von Aufnahmen von diesen frühen Konzerten?
John: Es gab eine Aufnahme, die auf einer Themseinsel namens Eelpie Island gemacht wurde. Ich weiß, dass wir damals gefilmt wurden, aber erst in Italien habe ich erfahren, was aus dem Film geworden ist. Mino Profumo vom italienischen Fanclub Dusk sagte mir, es gäbe jemanden in London, der 10000 US$ für den Film haben möchte.
Frage: Erinnerst du dich, ob ihr die Shows für euch selbst aufgenommen habt auf Audiokassetten?
John: Ich selbst sicher nicht. Ich habe immer herumgeschaut, wenn ich spielte, um herauszufinden, wie ich klang. Keiner hatte eine Kamera. Auch keinen Kassettenrecorder. Wir haben nicht die Show vom einen Tag aufgenommen und am nächsten Tag angehört oder so.
Frage: Wenn du dir heute die Entwicklung der Band anschaust, hat es da jemals einen Augenblick gegeben – heute oder früher –, an dem du dir gedacht hast: Verdammt!
John: Bedauern? Nein. Ich war technisch einfach nicht so gut wie Phil Collins, und sie brauchten diesen Energiegewinn auf der Bühne. Aber ich bedauere das nicht sehr. Ich hätte sicherlich einen höheren Lebensstandard erreicht als jetzt und mehr Geld und manches wäre heute anders, aber ich trage keinen [mimt Groll] mit mir herum.
Frage: Wieviel Geld habt ihr pro Auftritt bekommen? Was bekam die Band?
John: Darum habe ich mich damals nicht so sehr gekümmert. Es war niemals genug und wir hatten immer viele Ausgaben. Als Tony Stratton-Smith dann kam, änderte sich das.
Frage: Wenn du in der Band geblieben wärst, glaubst du, es wäre einmal soweit gekommen, dass du gesagt hättest: „Okay, das ist nichts mehr für mich, ich steige aus“?
John:Das kann ich mir schon vorstellen. Ich mag gerne etwas aufbauen und dann liegen lassen. Es ist natürlich eine akademische Frage… Dreißig oder vierzig Jahre in einer Band sind schon sehr lange; schon daher hätte ich irgendwann mal gesagt: Jetzt reicht’s. Man hat das irgendwann satt. Es wird immer gesagt: „Ich würde es nie satt bekommen, bei Genesis zu spielen“, aber man hat auch nicht die Nase voll davon, bei Genesis zu spielen, sondern von den Hotelzimmer, dem Reisen …
Kommentar: … und davon, wie ein Mönch zu leben. [allgemeines Gelächter]
Frage: Hast du noch Musik gemacht, nachdem du Genesis verlassen hast? Wenn ja, was für Musik war das?
John: Das war die Zeit, als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam. Ich spielte in drei Bands, die rund um die amerikanischen Luftwaffenstützpunkte in Deutschland spielte. Ich war auch in einer Band aus Gdansk in Polen namens Jumpship [phonetische Annäherung; d.Übers.] und Bands aus meiner Heimatstadt. Ich habe einfach weiter Musik gemacht wie vor meiner Zeit mit Genesis. Hatte auch gar keine große Wahl, das war eben das, was ich konnte.
Frage: Hast du Genesis jemals live gesehen, nachdem du dort ausgestiegen warst?
John: Nein. Phil Collins habe ich einmal live gesehen, in Perth in Westaustralien. Das war das einzige Mal, so 1984 oder ’85.
Frage: Als Mike Rutherford dich damals anrief [um zu fragen, ob du bei Genesis einsteigen wolltest; d.Übers.] kanntest du die Band schon oder hattest nur eine Vorahnung, dass es was Gutes sein könnte?
John: Es war der Eindruck, dass es was Gutes sein könnte. Von Genesis hatte ich noch nie vorher gehört. Mir war aber sofort klar, dass es ein toller Name für eine Band war, und wir wissen ja, was draus geworden ist.
[Die nächste Frage und ein Großteil von Johns Antwort sind wegen eines Datenträgerwechsels verlorengegangen. Daher habe ich für den ersten Teil der Antwort auf Christians deutsche Zusammenfassung von Johns Antwort zurückgegriffen; d.Übers.]
John:[Christians Zusammenfassung] Zu den Stücken habe alle etwas beigetragen. Peter hatte schon damals gewisse Probleme mit den Vorschlägen und Ideen der anderen. [John:]… aber Ant hat damals sehr viel beigesteuert, das steht fest. Sein Gitarrenspiel war großartig und ich finde, er ist immer noch ein außergewöhnlicher Gitarrist.
Frage:Habe ich richtig verstanden, dass du das Schlagzeug extra für die Trespass-Aufnahmen gekauft hast?
John:Stimmt. Ich hatte ein Premier Schlagzeug. Aus irgendwelchen Gründen hatte es eine Basstrommel mit ungewöhnlichen Maßen. Ich konnte nirgends Ersatzfelle dafür bekommen. Dadurch wurde es schwierig zu spielen oder auch mal etwas umzubauen. Also dachte ich, es muß etwas Neues her. Dann kaufte ich ein gebrauchtes Ludwig, das in einem hervorragenden Zustand war. Damals hab ich dann auch die Snaredrum gekauft. Ich stand da in dem Laden in London und sagte: „Ich möchte gerne diese spezielle Snaredrum haben.“ Der Verkäufer fragte mich, ob ich nicht diese andere haben wollte. Ich sagte, dass ich nicht genug Geld dabei hätte, und er meinte, ich solle sie doch trotzdem mal ausprobieren. Also hab ich da mal ein wenig drauf herumgeklopft und er meinte, dass er sie mir für den Preis der normalen Snare geben würde.
Frage: War das eine Investition der Band oder hast du es dir selbst gekauft?
John: Das Schlagzeug habe ich mir selbst gekauft.
Frage: Bist du aus eigenem Antrieb ausgestiegen oder wurdest du gebeten zu gehen? Hast du mit den Jungs danach noch Kontakt gehalten?
John:Ich wurde gebeten. Ich war technisch einfach nicht gut genug, das ist der Kern der Sache. Und um den Rest zu beantworten, nein, ich bin nicht in Kontakt mit ihnen geblieben. Der erste, den ich wiedergesehen habe, war Anthony Phillips bei einem Fantreffen in London – nach sechsunddreißig Jahren.
Frage:Die Frage ist vielleicht etwas indiskret, aber bekommst du noch Tantiemen von deinem Jahr bei Genesis? Immerhin bist du ja auf Trespass als Mitverfasser genannt, und die BBC Sessions, auf denen auch du zu hören bist, wurden teilweise in der ersten Archivbox veröffentlicht. Die Sachen verkaufen sich ja noch, und vielleicht demnächst noch das Jackson-Band…
John:Also, die Zahlung für Trespasshabe ich schon bekommen, und ich glaube, eine weitere ist noch unterwegs. Hit’n’Run haben mir einen Brief geschickt, ob die Adresse und so weiter noch stimmen würden, wenn sie mir weitere Tantiemen auszahlen. Darum nehme ich an, dass da noch was kommt, vielleicht sogar von den sagenumwobenen Jackson-Bändern.
Frage:Wie war es, Anthony Phillips nach sechsunddreißig Jahren wiederzusehen?
John:Ich dachte … Ich trug immer diesen Gedanken mit mir rum, dass ich die Entwicklung der Band gehemmt hätte, weil ich technisch nicht gut genug war. Als ich Anthony Phillips das auf dem Fantreffen in London erzählte, fragte er mich: „Wo hast du denn das her?“ und ich fragte: „Ja, stimmt das etwa nicht?“ und er sagte: „Aber ganz und gar nicht!“ 36 Jahre lang habe ich das mit mir herumgetragen, es ist Teil meiner Persönlichkeit geworden und ich bin immer noch nicht ganz fertig damit. Das ist eine ganz schön lange Zeit, um die Vorstellung mit sich herumzutragen, dass man irgendwie versagt hat – aber sie haben das gar nicht so gesehen.
Frage:Möchtest du die anderen Jungs von der Band kennenlernen?
John:Gerne. Vor ein paar Jahren hatten sie ja schon ein Klassentreffen, auf dem ich bekanntlich gefehlt habe. Wenn sie noch eins veranstalten würde, wäre ich gerne dabei.
Frage:Hast du auf den Aufnahmen für Pacidy und Shepherd Schlagzeug gespielt?
John:Ich glaube schon, aber ich erinnere mich nicht. Ich habe Pacidy mit, ich glaube: Phil Collins als Schlagzeuger gehört; vielleicht war ich es aber auch selbst. Wir arbeiteten an den Stücken für das Album, alles andere wurde sehr schnell gemacht. Jeden Tag probten wir für das Album, dann trat die BBC an uns heran und ihr kennt den Rest der Geschichte: Das Band wurde aufgenommen und ist jetzt irgendwo.
Frage:Wieviel von dem Material, das ihr für Trespass aufgenommen habt, ist tatsächlich auf dem Album gelandet?
John:Es gab ziemlich viel Material, das nicht auf Trespass gelandet ist. Deshalb haben wir uns mehr und mehr auf diese sechs Stücke eingeschossen. Das waren die Stücke, die wir elf Monate lang geprobt haben. Aber ich erinnere mich nicht an Titel abgesehen von Pacidy und so… es wurde auch nicht immer ein Schlagzeug benötigt. Ich habe wahrscheinlich Pacidy mit eingespielt und die Stücke für das Album.
Frage: Ich glaube, du warst der einzige, der nicht bei der Reunion am Flughafen Heathrow war. Hatten sie deine Adresse nicht oder woran lag’s?
John: Sie wussten nicht, wo sie mich finden sollten. Niemand wusste, wo ich war! Ich war am anderen Ende der Welt. Sie waren einfach nicht zur gleichen Zeit im gleichen Teil der Welt und weil ich sie nicht kontaktierte … Ich meine, warum hätten sie mich denn auch finden wollen? Die Meldung, dass eine Reunion stattfinden würde, stand ja in allen Zeitungen oder wenigstens den Musikzeitschriften; ich hätte es also erfahren sollen. Persönlichen Kontakt gabe es aber nicht, darum war ich auch nicht bei der Reunion; tatsächlich habe ich erst später davon erfahren.
Frage: Wer hat dich denn dann gefunden?
John: Das ist eine spannende Geschichte. Ich bin ein Innenausstatter, und hatte mich eingeschrieben für einen Kurs über Charles Rennie Mackintosh – ich glaube nicht, dass ihr von ihm gehört habt; er war ein berühmter Möbelbauer am Anfang des letzten Jahrhunderts. Ich wollte also etwas über seine Möbel lernen und ging zu diesem Kursus, mit etwa zehn anderen. Eines Tages stand ich mit einem von ihnen beim Büro des Kursleiters, und er erzählte mir, dass sein Neffe jetzt angefangen hat, Gitarre zu lernen. Ich sagte ihm, „Ich habe mal Schlagzeug gespielt“ und dachte, ich erzähl ihm jetzt mal nichts von Genesis, sondern nur, dass ich damals eben Schlagzeug gespielt habe. Der Kursleiter ist, wie ihr, ein großer Genesis-Fan. Sein Vater hatte ihn auf den Geschmack gebracht. Und er kommt aus dem Büro, gerade als ich sage, dass ich mal Schlagzeug gespielt habe. Er hatte meinen Namen schon auf der Kursliste gesehen und gedacht: „Hm… nee, das kann nicht sein“ und dann komme ich an und sage: „Ich habe mal Schlagzeug gespielt“ und er sagte ganz ungläubig: „Nein….!“ Doch, sagte ich. Und er sagt wieder: „Nein….!“ Und die nächsten drei Tage lang hat er immer wieder „Nein…!“ gesagt. Er war auch derjenige, der Genesis übers Internet kontaktiert hat. Ein paar Wochen später ruft mich Carol Willis vom Hit’n’Run Management an und bittet mich, einem Typen namens Phillip Doyle ein Interview zu geben. Ich habe zugestimmt. Und dann erzählte mir David – Dave Burgess – von der Convention in London und ich bin hingefahren. Dann haben mich andere angerufen, ihr zum Beispiel, und Dave Negrin aus den USA wollte auch ein Interview und es wurde richtig spannend.
Frage:Waren Anthony Phillips und du die einzigen Genesis-Mitglieder bei der Convention oder waren auch noch andere da?
John:Steve Hackett war der einzige außer Anthony Phillips und meiner Wenigkeit. Aber ich habe nicht mit ihm gesprochen. Er war eben da, wir gaben uns die Hand, sagten ein paar Worte, aber es gab keine Absichten, Kontakt zu halten.
Frage:Das war dein erstes Treffen mit Steve Hackett, nicht wahr?
John:Das ist richtig.
Frage:Was waren deine besten und schlimmsten Erfahrungen mit Genesis?
John:Die beste Erfahrung war… die ganze Erfahrung überhaupt gemacht zu haben. In der Band herrschte eine gewaltige musikalische Disziplin, die mir später helfen sollte. Dazu kam diese Erweiterung meines musikalischen Horizonts – ich dachte immer „hey, das möchte ich mal probieren.“ Schlimme Erfahrungen, nun, das waren wenige. Keine schlimmen. Eines Abends kam ich auf die Bühne, setzte mich ans Schlagzeug und alles war anders – alle Trommeln standen anders als sonst und die Bühne war ohnehin schon vollgestopft. Alle bewegten sich ganz vorsichtig umeinander herum mit den Gitarren und so, weil sie ja relativ oft die Instrumente wechselten. Es war peinlich, das Schlagzeug praktisch wieder ganz neu aufstellen zu müssen. Da habe ich mich sehr unwohl gefühlt. Es war zwar nicht wirklich schlimm, aber an etwas wirklich Schlimmes kann ich mich nicht erinnern, und das hätte ich gewiß. Es gab natürlich immer die Momente, in denen ich mir gewünscht hätte, technisch besser zu sein…
Frage: Hat dir die Musik gefallen, die du mit Genesis gemacht hast?
John: Kurz gesagt: Ja. Und je öfter ich sie höre, desto besser gefällt sie mir. Dave Burgess, der Kursleiter, hat mir einen Stapel Genesis-Alben geschenkt – jetzt habe ich alle Genesis-Alben, genau wie ihr. Ich höre sie mir an und entdecke immer wieder neue Sachen darin. Damals aber war ich nicht wirklich … ich interessierte mich vor allem für …. es war alles so fremdartig und neu. Keine Band, in der ich mal gespielt habe, war wie Genesis. Also versuchte ich ständig, mich da hineinzudenken und herauszufinden, wie sie tickten. Ich hatte, wie gesagt, vorher in einfachen Rock’n’Roll-Bands gespielt und Songs von den Rolling Stones gecovert und so. Und plötzlich stecke ich in so einer Situation und muß verstehen, worum es bei der Musik geht, nicht, wo sie herkommt – es war ziemlich neu und vor dem Hintergrund einer britischen Privatschule. Ich habe damals eine stilistische Metamorphose durchgemacht. Infolgedessen war auch vieles von dem, was ich in einfachen Rock’n’Roll-Bands gelernt hatte, nutzlos für mich, weil in der Musik kein Platz dafür war. Es war technisch anspruchsvoll für mich, mit sehr komplexen Arrangements, die man sich nur schwer merken konnte.
Abschlusskommentar: John, herzlichen Dank dafür, dass du hier warst und unsere Fragen beantwortet hast.
Moderation der Fragestunde und Bühnendolmetscher: Christian Gerhardts
Transkription und Übersetzung: Martin Klinkhardt
Fotos: Peter Schütz