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Ray Wilson – Tourbericht 2007 / 2008
Ray Wilson spielt nicht in Fußballarenen oder in den großen Hallen. Eher das genaue Gegenteil ist der Fall: Seine Shows finden vorwiegend in kleineren Clubs statt, die nur wenige hundert Gäste fassen. Rays Konzerte leben von dieser Nähe zum Publikum, einer Intimität, die bei einem großen Konzert fast zwangsläufig verloren geht. Sönke Bohm hat sich Ende 2007 und Anfang 2008 einige Shows angesehen.
Zehn Jahre nach seiner Zeit bei Genesis gibt es jedoch noch viel mehr Gründe, sich mal eine Show von Ray live anzusehen.
Was als erstes auffällt: Ray Wilson spielt nicht in Fußballarenen oder in den großen Hallen. Eher das genaue Gegenteil ist der Fall: Seine Shows finden vorwiegend in kleineren Clubs statt, die nur wenige hundert Gäste fassen. Ob das nun bewusst so gewählt ist oder sein doch eben nicht so hoher Bekanntheitsgrad eine größere Arena wohl nicht füllen würde, sei einmal dahingestellt – fest steht: Rays Konzerte leben von dieser Nähe zum Publikum, einer Intimität, die bei einem großen Konzert fast zwangsläufig verloren geht.
Bei Rays Konzerten kommen alle auf ihre Kosten: diejenigen, die Genesis-Stücke erwarten, diejenigen, die Rays eigene Kompositionen live hören möchten, und auch diejenigen, die einfach nur gute Musik, von guten Musikern gespielt, in netter Atmosphäre erwarten – denn die Setlist ist gewöhnlich eine Mischung aus Stücken aus der Genesis-Familie, aus eigenen Songs und aus Coverversionen. Sie wechselt allerdings ständig, das Repertoire an Songs ist riesig, und die Shows sind von Spontaneität geprägt, so dass auch mal kurzfristig etwas Unerwartetes in die Setlist eingeschoben wird.
Fast, allerdings nicht immer, spielt Ray während eines Konzertes Genesis-Stücke: Dann wird beispielsweise Follow You, Follow Me angestimmt – und zwar in einer Akustikversion, wie sie auch in etwa auf der 1998er Genesis-Tour gespielt wurde –, oder No Son Of Mine oder Carpet Crawlers, bei denen Ray den Refrain auch mal vom Publikum allein singen lässt. Auch Calling All Stations, Shipwreckedund Not About Us – Stücke, die Genesis auf ihrer 2007er Turn-It-On-Again-Tour ja nicht in ihrem Programm hatten – werden ab und zu gespielt.
Darüber hinaus spielt sich Ray gerne quer durch die Genesis-Familie: Phils In The Air Tonight kann ebenso auf der Setlist stehen wie Peters Biko. Und bei Mikes Another Cup Of Coffee fällt auf, dass Ray tatsächlich nach Paul Carrack klingen kann.
Den Großteil einer Show machen aber inzwischen Rays eigene Stücke aus. Und auf keinem Konzert fehlt Inside – der Song, mit dem Stiltskin quasi über Nacht die UK-Charts eroberten und mit dem Ray ins Rampenlicht befördert wurde. Auch Sarah aus seiner Cut_-Zeit wird zumeist in der ersten Hälfte eines Konzertes gespielt. Überhaupt hat der Großteil seiner eigenen Songs schon einmal auf Rays Live-Setlist gestanden, so dass hier noch seitenweise über die einzelnen Stücke geschrieben werden könnte.
Nach seiner Zeit mit Genesis ist Ray inzwischen seit ein paar Jahren mit seiner eigenen Band unterwegs, die sich wieder Stiltskin nennt: Ali Ferguson neben Ray an der Lead-Gitarre, Lawrie MacMillan am Bass und dessen Bruder Ashley MacMillan am Schlagzeug.
Ein Keyboarder ist nicht mehr mit dabei, und daher werden ab und zu Synthesizer-Sounds vom Band ergänzt – kaum auffällig und daher nicht weiter schlimm.
Spielen Ray und Ali ohne den Rest der Band, erfährt man erst richtig, was die beiden an ihren Gitarren draufhaben und was aus so manchem Song herauszuholen ist. So haben die beiden in ihrem Repertoire eine Art – das trifft es wohl ganz gut – Flamenco-Version von Land Of Confusion, das ja im Original eher poppig ist. Auch die Version von In The Air Tonighterhält dann insbesondere durch Alis Gitarrenbegleitung mit langgezogenen heulenden Tönen eine ähnliche Dramatik wie das Original und klingt dabei völlig anders, zumal der legendäre Schlagzeugeinsatz fehlt.
Insbesondere in diesen Akustik-Abschnitten oder -Konzerten ertönt zudem der ein oder andere Cover-Song: Knocking On Heaven’s Door kombiniert mit No Woman, No Cry; Lennons Working Class Hero, Dylans Blowing In The Wind. Ray erzählt gerne, ihn habe David Bowie geprägt – und so spielt er dann Heroes oder Space Oddity. Trägt Ray den Song Desperado von den Eagles vor, dann ganz ohne Instrumentalbegleitung.
Für gute Stimmung sorgt gewöhnlich auch der Airport Song, ein Stück von Rays Band Guaranteed Pure vom Beginn der 90er Jahre, also seiner Zeit vor Stiltskin und Genesis. Gut, Ray gibt selbstironisch zu, dass Komposition und Text sind nicht sehr anspruchsvoll sind, aber gerade das sorgt für den einen oder anderen Lacher.
Aufgelockert werden die Shows durch kleine Anekdoten, die Ray zwischen den Stücken zum Besten gibt: Mal etwas aus seiner Genesis-Zeit, mal Persönliches oder mal etwas im Zusammenhang mit dem anschließenden Song. Im Januar 2008 fragte er zu Beginn seiner Show in Zarpen, einem wunderschönen, aber kleinen und daher nicht so bekannten Ort vor den Toren Lübecks: „It’s great to be here. Where am I?“ und hatte spätestens dann auch den Letzten im Publikum für sich gewonnen.
Ein Blick ins Publikum zeigt: Ray hat eine zwar kleine, aber sehr treue Fangemeinde, die auch bei weniger bekannten Stücken textsicher beim Mitsingen ist. Und einige Gesichter im Publikum sieht man immer mal wieder bei seinen Konzerten; einige tummeln sich auch hier im Forum.
Nach zwei Stunden und mehr ist die Show vorbei, und man kann sich sicher sein, dass jeder einzelne der etwa zwanzig Euro Eintritt gut angelegt gewesen ist.
Wer möchte, kann dann noch mit Ray und den anderen Musikern schnacken oder sich ein Autogramm abholen.
Und spätestens auf dem Nachhauseweg fragt man sich, warum die gerade gehörten Stücke kaum im Radio gespielt werden. Verdient hätte es Ray.
Autor: Sönke Bohm
Fotos: Christian Baltrusch