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Genesis – When In Rome 2007 – 3DVD Rezension

Informationen rund um den When In Rome Konzertfilm von Genesis, der 2008 erschien.

Und plötzlich ist es vorbei. Ein Hype, der viele kaltließ, aber eben noch viel mehr aufwühlte, mitriss, begeisterte. Genesis waren wieder da – es kam irgendwie plötzlich, auch wenn irgendwie jeder damit gerechnet hat. Jeder wusste es, vor allem besser.

Was auch immer durchsickert, was im Set landen könnte, oder was wieder gestrichen wurde: Es war immer Mist, erhitzte die Gemüter, war nie gut, selten befriedigend. Genesis spalten ihre Fans wie keine zweite Band. Der Mann, dessen musikalische Fähigkeiten vermutlich Genesis erst dahin brachten, wo sie heute sind, ja genau der, ohne den Prog-Perlen wie Selling England und The Lamb vermutlich belanglos geblieben wären – ja dieser Mann, der Genesis und sich selbst auf ein unfassbares Stadion-Publikum-Niveau hiefte (oder war er es am Ende gar nicht?) – dieser Mann heißt Phil Collins und ist unter Genesis-Fans die meist gefürchtete Figur.

Er trägt die Schuld an allem und wäre er nicht gewesen, würden Genesis noch heute Alben wie Foxtrot (in der Version 34.0) einspielen und alles wär gut… Was für ein grandioser Quatsch.

Zurück in der Realität – ausgerechnet dieser Mann sorgte dafür, dass den Fans ein Wunsch erfüllt wurde. Einmal noch Genesis live, einmal bitte noch. Und sie kamen, weil Peter keinen Bock hatte, eben in der Populärversion – ohne neues Album, ohne Zwang einer Promotion, ohne Druck … nun ja, nicht ganz.

Zehn Jahre waren sie weg vom Fenster, vielleicht sogar 15 – auf jeden Fall waren Genesis in dieser Pause „the unhippest band on earth“. Keiner nahm sie ernst, keiner sprach über sie, keiner erkannte ihr Lebenswerk an, fast keiner. Plötzlich war alles anders. Peter Gabriel nahm das Wort Genesis wieder in den Mund, Steve Hackett sprach mit leuchtenden Augen von seiner Zeit bei Genesis und der Kern wurde nicht müde zu betonen, dass alles möglich sei.

Dass am Ende Stadien möglich waren, kam selbst einem Tony Banks suspekt vor. Man hatte Angst, buchte die Hälfte der Shows in Deutschland, weil die deutschen sowieso hingehen. Die kamen auch in Scharen, als der Sänger Ray Wilson hieß. Doch plötzlich wollten auch die Briten Genesis wieder sehen. Das wollten die Spanier und Potugiesen auch, aber die duften nicht. 22 Mal Turn It On Again, 22 Mal der gleiche Set, 22 Mal Retro, 22 Mal ein selten dagewesener Querschnitt aus allen Bandphase…aber die Nummer 22 wurde etwas besonderes.

Kein Mensch kann sich über die Setlist auf der DVD beschweren. Das sind 100% des gespielten Konzerts und andere Songs gab es auf der Tour einfach nicht. So konsequent Genesis ihren Set nicht änderten, genauso konsequent ist diese DVD.

500.000 Menschen kamen nach Rom zum Abschlusskonzert. Das ist Halb-Köln oder ganz Dresden. Nie waren mehr Menschen bei einem Genesis-Konzert. Der gewohnte Set:

Duke’s Intro
Turn It On Again
No Son Of Mine
Land Of Confusion
In The Cage –
– The Cinema Show
– Duke’s Travels
Afterglow
Hold On My Heart
Home By The Sea
Follow You, Follow Me
Firth Of Fifth (instr.)
I Know What I Like
Mama
Ripples
Throwing It All Away
Domino
Conversation With Two Stools
Los Endos
Tonight Tonight Tonight
Invisible Touch
I Can’t Dance
Carpet Crawlers

Highlights und Schwachpunkte aufzuzählen ist nach einer derart vernetzten Tour fast schon müßig. Das Internet schweißte die Fans zusammen, ermöglichte einen nie dagewesenen Informationsaustausch.

Die DVD selbst kommt im Pappschuber als Digipak, die Bonus DVD Come Rain Or Shine (siehe separate Kritik) in einem Extra-Cardsleeve eingelegt. Die beiden Konzert-DVDs mit dem Basis-Bonusmaterial liegen in neuartig konzipierten Trays, die einigen vermutlich graue Haare beschert haben. Wer schnell an seine DVDs kommen wollte, riskierte quasi nen Totalschaden.

A propos Schaden – das matte Papier mag seine Vorteile haben, die Gesamtverarbeitung der Box ist grenzwertig. Wer sein Set in den (engen) Schuber zurückstellen will, nimmt in Kauf, dass das Cover des Digipaks leidet. Hier wurde nicht zu Ende gedacht.

Mehr Sorgfalt dagegen legte das Team bei Bild und Ton an den Tag. Einer der häufigsten Kritikpunkte bei Live-DVDs ist die Kameraführung. Bei When In Rome 2007 gibt es diesbzüglich nichts zu meckern. Aber: Die Multi-Angle Option fehlt – so hätte man das Konzert z.B. mal ausschließlich in der Totalen genießen können. Der Sound im dts-Format ist optimal, druckvoll und klar. Im normalen 5.1 hat man manchmal den Eindruck, Tonschwankungen zu hören (was die Lautstärke angeht).

Die meisten Songs sind optimal in Szene gesetzt mit einer guten Mischung aus Totalen und Nahaufnahmen, dazu ein gediegener Live-Sound. Etwas suboptimal ist manchmal das Publikum, welches etwas diffus „gemischt“ wurde. Dazu kommt, dass bei dieser Masse Menschen die Zahl der tatsächlichen Genesis-Fans nicht der Gesamtzahl der Konzertbesucher entsprechen kann. Phils italienische Ansagen sind teilweise im Nichts verlaufen, auch weil – wie er später mal scherzhaft sagte – die ganzen Leute ja aus Deutschland waren. Etwas wahres ist dran. Schau man sich das Innencover der DVD mal an, erspäht man gleich in der ersten Reihe ein it-Shirt zur Tour. Und während des Konzertfilms kommt der ein oder andere User des it-Forums ins Bild.

Genesis hypten sich am Ende selbst, inszenierten ein Live-Comeback, das viele nicht für möglich hielten. In Deutschland schafften sie ein Novum: Erstmals gelang es ihnen, die Album Charts mit einer DVD anzuführen – vor ihnen gelang das nur Pink Floyd mit P.U.L.S.E.

Die größte Leistung dieser Band besteht vermutlich darin, dass Genesis vor 50.000 Leuten (oder gar 500.000 wie in Rom) ein 20-minütiges In The Cage-Medley kredenzen dürfen, sich in endlose instrumentals verlieren, dass Songs generell die 10-Minuten-Marke reißen, auf Barhockern Schlagzeugduelle abgehalten werden, dann mit brachial-Gewalt, aber ohne Gesang das „Los Endos“ des Konzerts ankündigen und am Ende mit einer Ballade servus sagen, die alles andere als ein Hit war.

Am Ende gaben sie ihren Fans auch noch die Chance, dass die ihren Kindern zeigen konnten, was für eine große Band das ist, was das für große Songs waren und dass es anno 2007 keine vergleichbare Band am Horizont mehr gibt.

Danke!


Hast du deine Bonusmaterial-Hausaufgaben gemacht?

Was für eine Veröffentlichung! Die schiere Menge an Material ist beeindruckend: Über zweieinhalb Stunden Konzertfilm – dazu die Tourdokumentation Come Rain Or Shine mit noch einmal knapp zwei höchst unterhaltsamen Stunden… und dann gehen die Jungs hin und packen noch einmal Bonusmaterial oben drauf; ein kleines Häppchen zu jedem Stück, das sie spielen, dazu noch eine Bildergalerie mit dem Tourprogramm und noch etliches mehr.

Im großen und Ganzen besteht das Bonusmaterial aus Filmschnipseln verschiedener Länge. Material, das sich nicht in Come Rain Or Shine einfügte, aber zu erhellend oder zu lustig war, um einfach wegzufallen. Aufgezeichnet wurde das Ganze in New York, Lausanne und Brüssel während der Proben und der Ausarbeitung der Bühnenshow. Infolgedessen werden wir oft Zeuge, wie Mike, Phil und Tony musikalische Fragen erörtern, bei denen es meistens um die Übergänge und Akkordwechsel zwischen zwei Stücken geht. Das ist natürlich besonders spannend für Musiker und bietet überraschende Erkenntnisse, wenn Tony erklärt: „Wir wechseln die Tonart von G … nach G. Das ist natürlich immer ganz besonders schwierig.“

Genauso oft wie bei solchen musikalischen Feinheiten sehen wir die Band dabei, wie sie locker herumflachsen und einander auf die Schippe nehmen. Auch ihre rege Anteilnahme an der visuellen Seite der Show wird hervorgehoben, als es etwa darum geht, ob man Phil bei Dominowieder auf einer Hebebühne vor die Bildschirme heben soll (Er sieht da so klein aus. Tony: „Wir haben ja versucht, einen größeren Sänger zu finden…“) oder ob bei MamaFeuerwerk verwendet werden soll (aber die Feuerwerker sind schon im Wochenende. Mike: „Dann holen wir sie eben zurück, schauen’s uns an… und sagen danach, dass wir es doch nicht wollen.“). Besonders heiter ist der Moment, als Patrick Woodroffe erläutert, was genau er zu No Son Of Mine auf den Bildschirmen zeigen will.

Ganz nebenbei belegen diese kleinen Vignetten, dass das, was nachher als perfekte Bühnenshow dasteht, vorher harte Arbeit ist, die auch nicht immer auf Anhieb klappt – an dieser Stelle seien die Hochgeschwindigkeitsfassung von Turn It On Again oder das konzentrierte Mitzählen von „Hold on“s in der Coda von Hold On My Heart erwähnt.

Schlussendlich werden auch noch einige kleinere Fragen beantwortet – z.B. dass die Rufe beim Schlagzeugduett zur Ankündigung eines Rhythmuswechsels dienten – und auch gestellt, und zwar von Tony: „Phil, wie bringst du es nur fertig, das Tamburin jedes Mal haargenau beim letzten Schlag von I Know What I Like wieder zu fangen?“

Außerdem gibt es die Probenausschnitte zur Cinema Show, eine sehr schöne akustische Version von Ripples, Fragen zum Feuerwerk und … und … und … aber das sollt ihr selbst entdecken. Es wird auf jeden Fall informativ und lustig und gibt einem das Gefühl, wirklich direkt dabei zu sein, fast mehr noch als auf Come Rain Or Shine. Wenn dann der gewaltige Herr Lehrer Tony Smith die zerknirschten Schulbuben Tony, Mike und Phil nach den Hausarbeiten fragt, fühlt man sich selbst beinahe ein wenig ertappt.

Je nachdem in welcher Reihenfolge man sich die drei DVDs von When In Rome anschaut, wird man das Bonusmaterial auf den Konzertfilm-DVDs als Appetithappen für Come Rain Or Shine oder als süße Reprise erleben. Auf jeden Fall lohnt es sich immer, im Konzertfilm mal den Albert zu drücken…

Autoren: Christian Gerhardts (Konzert), Martin Klinkhardt (Bonusmaterial)
Grafiken und Screenshotleiste: Helmut Janisch

Links:
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