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Richard Macphail – Interview am 15.05.2005 – Interview
Es ist das erste Mal, dass Richard sich einem öffentlichen Interview zur Verfügung stellt und jeder Gast hat die Möglichkeit, Richard eine Frage zu stellen…
it: Vor einigen Jahren tauchte im Internet das so genannte Jackson-Tonband auf und verschwand kurz darauf wieder. Es geht das Gerücht, dass die Band selbst oder Tony oder Peter diese Aufnahme erworben haben. Ist etwas daran? Außerdem wüssten wir gerne, was es mit diesem Band auf sich hat und was jetzt damit passieren wird. Wird es im Archiv verstauben oder wie sieht es damit aus?
Richard Macphail: Ich muss gestehen, dass ich heute zum allerersten Mal von dieser Aufnahme erfahren habe. Die Vitrine dort drüben befasst sich damit und ich fragte Helmut und Christian und andere: “Worum geht es denn da?”, denn die Erläuterungen dazu hat jemand geschrieben, den ich nicht kenne. Es ist ganz sicher nicht die Handschrift von irgend jemand in der Band. Deshalb habe ich heute morgen Tony Banks angerufen. Er war zuhause, irgendwo zwischen seiner Briefmarkensammlung und der Gartenarbeit – denn jetzt gibt es im Garten viel zu tun –, und er hat mir das so erzählt: Jackson ist (oder war) ein englischer Maler, es könnte Peter Jackson sein, und die BBC machte eine Dokumentation über ihn. Um die Musik für den Film sollte sich ein Mann namens Paul Samwell-Smith kümmern – ich weiß nicht, ob euch der Name etwas sagt, er war am Anfang Bassist bei den Yardbirds. Kennt ihr die Yardbirds? Jeff Beck, Eric Clapton und Jimmy Page haben alle mal in der Band gespielt, sie waren eine Art Vorläufer von Led Zeppelin, die Wilden von den Yardbirds wurden dann Led Zeppelin.
Paul Samwell-Smith wurde dann Produzent und hat die ersten vier oder fünf Soloalben von Cat Stevens produziert. Peter [Gabriel] wurde hinzugezogen, um für ein Stück namens KathmanduFlöte zu spielen. Das erschien, glaube ich, auf Mona Bone Jakon, Cat Stevens’ erstem Soloalbum. Samwell-Smith kannte Peter also, und eins kam zum anderen und so bat er die Band, einige Stücke für diese Dokumentation zu schreiben und aufzunehmen. Die Titel der vier Stücke sind, glaube ich, Titel von Gemälden von Peter Jackson. Daher haben sie also die Namen. Aus irgendwelchen Gründen wurde die Doku nie ausgestrahlt.
Tony glaubt, dass der Sohn des Produzenten – also, nicht der von Paul Samwell-Smith, sondern der des Produzenten der gesamten Sendung, irgendwie an dieses Band gekommen ist und ziemlich lange nicht wusste [lautes Feedbackgeräusch der Anlage] Wow, das macht den Kopf klar! Wer macht hier den Sound? Das ist wirklich wie früher – als ich noch dabei war, passierte das ständig! Außerdem vergisst man völlig, was man sagen wollte…
Ahja, also der Produzentensohn hatte keine Ahnung, was er da hatte, und dann wurde ihm langsam klar, welchen Wert dieses Band haben könnte. Und das ist alles erst in den letzten beiden Jahren passiert, sehe ich das richtig? Dann wurde es im Internet versteigert, und die Bandmitglieder haben sich abgesprochen und es diesem Typen abgekauft. Ich habe keine Ahnung, was sie dafür bezahlt haben – falls jemand das fragen wollte.
it: Die Band – das waren also Tony, Mike und Phil?
Richard: Nein, Tony, Mike und Peter.
it: Also ohne Phil.
Richard: Ich weiß es nicht genau – sie haben sich das Geld von Phil geliehen [lautes Gelächter im Publikum, breites Grinsen auf Richards Gesicht].
it: Was passiert jetzt mit dem Band?
Richard: Okay, Tony erzählte mir, dass dieser Typ ihnen eine Aufnahme des Bandes auf CD geschickt hat, um zu beweisen, dass das Band authentisch ist. Das war eigentlich alles, was sie wollten. Für sie war es nicht so furchtbar wichtig, das absolut echte Originalband zu bekommen, aber sie entschlossen sich, jeden Handel abzuschließen, den sie machen könnten. Jetzt sind sie also im Besitz dieses Tonbands, und sie beabsichtigen, die Aufnahmen zu veröffentlichen, und zwar sagte er “auf der Website” – Welche Website meint er denn? Gibt es eine Genesis Webseite? [Antwort des Fragesteller: Ja.] Hm, so etwas sollte ich vielleicht wissen, da war ich noch nicht. Muss ich mal hingooglen. Also, es wird wohl in näherer Zukunft erhältlich sein.
Frage aus dem Publikum: … dass Peter Gabriel wieder Teile des Gesangs neu aufnimmt…
Richard: Der war gut! Es kann gut sein, dass sich die Veröffentlichung verzögert, weil die Aufnahme vielleicht noch ein bisschen bereinigt wird. Wir haben ja alle gerade gesehen, wie schief Peter live singen kann [Richard bezieht sich hier auf die Videoaufnahmen aus dem belgischen Fernsehen von 1972, die kurz zuvor gezeigt worden waren]. Jeder singt live ein bisschen schief, weil er die anderen nicht hört. Aber offenbar wurde eine ganze Menge von dieser Musik [dem Jackson-Band] wiederverwertet und bildet Teile von anderen Songs. [zum Fragesteller:] Stücke auf The Lamb? Sagtest du nicht so etwas gestern Abend? Ich hab sie noch nicht gehört. Wenn wir die Musik erstmal hören können, dann wird man wohl ein paar Stückchen wieder erkennen.
Publikumsfrage: Wie ist es, wenn man von 10 britischen Pfund pro Woche leben musste?
Richard: [lacht] Oh ja. Zehn Pfund, das kam einem damals schon wie eine ganz schöne Menge vor. Es hat jedenfalls offenbar dafür gereicht, dass wir alles kaufen konnten, was wir brauchten. Die einzige Geschichte, die mir dazu einfällt, ist diese – allerdings war ich bei dem Termin damals nicht dabei. Zehn Pfund, das war unser erstes Gehalt, und wir haben damals alle dieselbe Summe von Tony Stratton-Smith bekommen. Er sagte also, wir geben euch ein Gehalt, und zwar 15 Pfund, und John Mayhew, so soll es wohl gewesen sein – er war einer von den ersten Drummer, Nummer drei, glaube ich… Na, er sagte jedenfalls, zehn Pfund genügen, mit zehn Pfund kommen wir hin. Und alle anderen traten ihm gegen das Schienbein – aber es waren dann nur zehn Pfund.
Publikumsfrage: In welchem Jahr ist das [Jackson-]Tape entstanden?
Richard: Tony sagte, dass auf der Hülle das Datum „Januar 1970“ angegeben sei. Aber es ist ein bisschen merkwürdig, denn obwohl ich schon schrecklich alt und verfallen bin, kann ich mich trotzdem noch ziemlich genau an diese Zeit erinnern – und ich erinnere mich nicht einmal, dass wir daran gearbeitet haben. Aber wenn es wirklich im Januar 1970 war, dann war es mitten in der Zeit, als wir alle im Cottage meiner Eltern waren. Insofern kann es passiert sein, ohne dass ich davon gewusst oder etwas mitbekommen hätte… Die andere Frage ist: Warum erscheint kein Material von diesen vier Stücken (wenn es denn Stücke waren), auf Trespass – obwohl wir doch gerade an dem Trespass-Material geschrieben haben? Das ist jedenfalls ein bisschen mysteriös, und wir sollten dem Ganzen auf den Grund gehen. Ich kann mich an das meiste von damals erinnern – dachte ich jedenfalls bis heute. Das Datum ist also nicht ganz sicher, aber alles, was wir derzeit wissen, deutet auf Januar 1970 hin.
it: [Anmerkung] Ich glaube, es ist ein bisschen was von Looking For Someone auf dem Tape, aber das dürfte auch alles sein, was es vom Jackson-Tape auf Trespass geschafft hat.
Richard: Vielleicht hatten sie mit Stagnation und The Knife und so weiter genügend Material, so dass sie diese Stücke einfach mal zurückgestellt haben.
Publikumsfrage: Der Karton, der hier in der Vitrine liegt, ist das ein Original oder ein Bootleg?
it: [antwortet selbst] Es ist einfach nur Kunst, das haben wir selbst gemacht, es ist nur ein leerer Karton.
Frage aus dem Publikum: Ich wüsste gerne, wie Peter Gabriel damals vom persönlichen Standpunkt aus war. Wie war es mit ihm zu arbeiten? War seine künstlerische Aussage immer für andere verständlich? Was denkt er heute darüber, dass die damalige Zeit mit The Musical Box heute so erfolgreich wiederaufersteht?
Richard: Wenn ich vor der Antwort das hier noch sagen darf: Es war unglaublich, das zu sehen [TV Auftritt Belgien 72, Anm. der Redaktion]. Es hat mich wieder daran erinnert, was für ein großartiger Song The Musical Box war – oder vielmehr ist.
it: Nur zur Klarstellung – in der Frage geht es um die Coverband The Musical Box!
Richard: Ah, achso, ich dachte, es ginge um den Song. Ich habe keine Ahnung, was er davon hält, weil ich darüber nie mit ihm gesprochen habe. Das ist natürlich eine einigermaßen enttäuschende Antwort. Ich weiß gar nicht – hat er sie schonmal gesehen? [Fragesteller bejaht] Er hat – was war der Rest der Frage? [Fragesteller wiederholt] Also… es muss auf jeden Fall gesagt werden, dass der kreative Prozess sozusagen wie ein Schmelztiegel funktionierte. Ich hab das schon oft gesagt: In den allermeisten Gruppen gibt es einen oder zwei Leute, die die Songs schreiben. Nehmt einfach mal … es ist ja bekannt, dass John und Paul die wichtigsten Mitglieder der Beatles waren. So ist das in den meisten Bands, dass einer die Songs schreibt, der andere den Text und der Rest einfach mitspielt – womit ich sie überhaupt nicht zurücksetzen will. Bei Genesis hat natürlich jeder eine ganze Menge in den kreativen Prozess eingebracht. Es war für jeden etwa derselbe Anteil, und darauf beruhte das Schreiben von Stücken bis, naja, sehr lange: Alle Stücke werden von allen geschrieben. Das lief so ab, dass alle etwas zur Probe mitbrachten, was wir „bits“, Stückchen, nannten.
Bei dem Song The Musical Box – wo wir schon dabei sind – fing alles mit dem an, was heute der Beginn des Stückes ist. Das hatte sich entwickelt aus einem Stückchen, das Ant [Anthony Phillips; Anm.d. Redaktion] und Mike zusammen geschrieben hatten. Das zentrale Element bestand darin, dass Mikes Gitarre sehr merkwürdig gestimmt war. Ant spielte die 12-saitige Gitarre, und hier spielt Banks dieses Instrument. Sie haben die Gitarre auf Fis [englisch: „F sharp“; Anm.d.Übers.] gestimmt, und deshalb hieß das Stück ziemlich lange einfach nur F Sharp. Dann sind sie einfach hingegangen und haben tatsächlich einfach improvisiert. Peter hat dann eine Melodie gefunden – noch ohne Worte – und das wurde dann bis zum logischen Ende ausgearbeitet. Dann schlug jemand ein anderes Stückchen vor, das sich anschließen könnte und genau so hat sich Supper’s Ready entwickelt – es ist einfach eine Reihe von Ideen. Ich persönlich glaube, es ist ziemlich gut gelungen, aber am Ende ist es einfach nur eine Reihe von Ideen.
Heute nachmittag habe ich Maggie schon erzählt: Es ist gar nicht so lange her, dass Mike Rutherford erfrischenderweise sagte… also er meinte, es sei viel einfacher, lange Stücke zu schreiben als kurze. Einen hervorragenden Popsong von drei oder vier Minuten Länge zu schreiben ist ganz schön schwierig. Die Jungs haben ziemlich lange gebraucht, bis sie sich soweit entwickelt hatten, dass sie das konnten. Manche Leute finden, dass die langen Stücke besser waren, aber so hat sich die Band eben entwickelt. Peters Aufgabe war im Allgemeinen die gesungene Melodie. Wenn er die hatte, hatte er die einzelnen Teile, für die er Texte schreiben musste. Die Themen und die Geschichten und die Ideen, die hinter den Stücken stehen, kamen fast ganz allein aus seiner Feder. Bei Trespass und Nursery Cryme war das definitiv so. Mike und Tony haben die Lyrics für Watcher Of The Skies, den ersten Song auf Foxtrot, geschrieben. Es ist interessant, wenn man sich das Video [die Aufzeichnung für das belgische Fernsehen von 1972] anschaut, wie sehr da eine Spaltung zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen auftritt – vor allem wenn man auf Peters androgyne Erscheinung achtet. Außerdem ist es unglaublich, wie jung sie da alle aussehen [lacht].
Was den schöpferischen Prozess angeht, da gab es viele intensive Auseinandersetzungen, produktive und heilsame Auseinandersetzungen bei der Entstehung der Musik. Und die Präsentation der Stücke? Man sollte vielleicht wissen, dass die Jungs am Anfang eigentlich hinter einem schwarzen Vorhang spielen wollten. Sie hielten sich eigentlich für Leute, die Songs schreiben. Das sieht man auch daran, dass Hackett noch nicht aufgestanden ist. Er sitzt immer noch da, als wäre er im Studio. Es ist schon belustigend, dass sie live dann so gut waren – ich habe mir gerade das Programm [Early Years Event Show Souvenir, mehr Infos hier] angeschaut: Wir haben so viele Gigs gespielt, es ist furchterregend, ich fühlte mich allein vom Durchlesen schon erschöpft. Die meisten Konflikte drehten sich allerdings darum, wie die Musik präsentiert wurde. Ich glaube, Peter war der erste, dem klar wurde, dass die Band ihre Liveperformance – auch wörtlich – besser ausstaffieren musste, wenn sie es irgendwie schaffen wollten.
Der Fuchskopf und das rote Kleid waren für wirklich alle eine völlige Überraschung. Banks hätte das nie im Leben zugelassen (lacht). Wenn Peter gesagt hätte: „Ach übrigens, ich glaube, ich verschwinde mitten in The Musical Box mal kurz hinten und komme mit einem Fuchskopf und einem roten Kleid zurück“, hätte er [Tony] das nicht zugelassen und Peter wusste das ganz genau. Alle waren total perplex. Das war in Irland, in Dublin hat er das zum ersten Mal gemacht. Das sagt vielleicht schon was aus zu dem, was du gefragt hast. Der Rest der Band hat einfach weiter Musik gemacht, aber Peter hat sich immer auffälligere Präsentationen ausgedacht. Es hat dann nicht mehr lange gedauert, glaube ich, bis er sich den Kopf rasiert hat. Dabei ging es nur darum, uns in die Presse zu bringen. Sie waren einfach frustriert, weil sich alles nicht so schnell entwickelte wie sie sich das wünschten.
Publikumsfrage: In den 60er Jahren gab es eine amerikanische Band namens Genesis. Sie veröffentlichte ein Album mit dem Titel In The Beginning, auf dem auch ein Lied Mary Mary war. Anfang der 90er tauchte ein Bootleg auf, das unter anderem ein Azetat von 1967 mit dem Titel Mary Mary enthielt. Im Netz sind sich alle ziemlich sicher, dass es sich dabei um Mary Mary von den amerikanischen Genesis handelt. Dummerweise ist das ein ganz anderes Stück namens Mary Mary, das weder mit den amerikanischen noch mit den englischen Genesis zu tun hat. Hast du irgendeine Idee, wie es zu einer solchen Verwechslung gekommen ist? Dieses (Bootleg-)Label ist eigentlich nicht für Scherze oder Fälschungen bekannt.
Richard: Nein. Absolut keine Ahnung. Ich wusste natürlich, dass es eine amerikanische Band namens Genesis gab, aber nicht, dass sie ein Album In The Beginning [„Am Anfang“ – ein Bezug auf den Schöpfungsbericht im 1.Buch Mose, auch „Genesis“ genannt; d.Übers.] gemacht hatten… so ein Titel bietet sich da ja förmlich an. Nein, den Namen Genesis hatte sich Johnathan King überlegt. Er ist ja auch verantwortlich für die Namen von 10CC und den Bay City Rollers. An einen Song Mary Mary erinnere ich mich nicht.
Publikumsfrage: Ich würde gerne etwas über seine [Peters] Persönlichkeit wissen. Ich habe einige Artikel hier in den Vitrinen gelesen. Dort wurde Peter stets als sehr schüchtern und zurückhaltend beschrieben, aber wenn er die Bühne betrat, wurde er nachgerade ein anderer, viel offenerer Mensch. Was sagst du dazu? Du kennst ihn ja als Privatperson, sogar noch aus der Schule, wie war er in der Schule, war er da schon berühmt?
Richard: Es war schon ein ziemlicher Schock zu sehen wie sich Peters Persönlichkeit veränderte. Andererseits ist das bei vielen Menschen so, die irgendwo auftreten. Es ist wichtig für sie, auf der Bühne zu stehen, weil sie dort diese Seite ihrer Persönlichkeit ausleben können. Viele Schauspieler und Sänger sind abseits der Bühne eher scheu und introvertiert. Das war aber schon ein gewaltiger Unterschied [bei Peter]. Und in der Schule… naja, das ist ein bisschen peinlich (lacht), denn eigentlich war ich da der Sänger. Es gab zwei Gruppen, die eine Band war – wir hatten uns eigentlich Anon genannt. Wenn man ein Gedicht veröffentlicht und nicht weiß, wer es geschrieben hat, dann steht dort eben anon., kurz für Anonymus. Das war jedenfalls der Hintergedanke bei dem Namen, aber die anderen kamen nicht damit zurecht, dass das der ganze Name sein sollte, also nannten sie uns immer The Anon. Zu allem Überfluss betonten sie uns auch noch falsch und sagten The Anon [anstelle der von „anonymous“ abgeleiteten richtigen Betonung The Anon; d.Übers.]. Das hat niemand so richtig kapiert.
Als Band waren wir schon sehr gut entwickelt. Am Ende des Sommerhalbjahres 1966 hatten wir ein Konzert organisiert. Drei Bands traten auf, unter anderem Mikes Band und dann auch die von Peter, The Garden Wall. Ant [Phillips] spielte in beiden Bands mit. Tony Banks saß nicht auf, sondern vor der Bühne, weil man das Klavier nicht auf die Bühne schaffen konnte. Aber wir wussten alle, dass er da war und eine bedeutende Rolle spielte. Das war wie eine Ahnung oder ein Blick in die Zukunft. Und damals fing Peter an, sich als Bühnenpersönlichkeit zu entpuppen. Er hatte diesen Hut auf. Er hat wirklich mal einen Hut kreiert. Was er eigentlich machte, war, diese Hüte zu verkaufen. Er hatte einen Riesenhaufen Hüte, die er loswerden musste. Keine Ahnung, ob er überhaupt einen verkauft hat. Am Ende diese Schuljahrs verließen Rivers Job, der Bassist von The Anon, und ich die Schule. Und so fing es mit Genesis an. Ich hielt schon damals eine ganze Menge von ihm. Vor The Garden Wall war er Drummer in einer Band namens Milords. Er war schon immer ein verhinderter Schlagzeuger. Deshalb hatte er auch die Basstrommel auf der Bühne, mit der er Phil wahnsinnig gemacht hat [lacht] – Phil hasste sie, weil Peter sie nicht immer im Takt traf. Stellt euch das mal vor: Du bist ein Drummer mit Phils Begabung und dieser Typ vor dir haut die ganze Zeit neben dem Takt auf die Basstrommel. Aber das gehörte schon dazu, das war ein Teil von Peters Bühnenauftritt. Es war wohl auch etwas, hinter dem er sich verstecken konnte. Ein kleines Stückchen Scheu, das er versteckte, indem er dieses Instrument zwischen sich und das Publikum stellte.
Publikumsfrage: Warum hat Anthony Phillips die Band verlassen? War es der Druck der Öffentlichkeit, weil Genesis Konzerte gaben und Talentsucher im Publikum waren, die nach neuen Bands suchten? Oder eher künstlerischer Druck innerhalb der Band? Welche Rolle haben Mike und Tony dabei gespielt?
Richard: Ant ist aus einem ganz einfachen Grund gegangen: Er hatte Lampenfieber. Und das wurde immer schlimmer. Wir traten in einem Saal auf, der vielleicht ein Viertel so groß war wie dieser hier, mit einem Publikum von vielleicht fünf Leuten. Da waren mehr Leute auf der Bühne als davor! (Gelächter). Er hatte wirklich schreckliche Angst davor, live zu spielen. Bis heute ist er nie wieder live aufgetreten. Und er hat einen anderen Weg gefunden, seinen Lebensunterhalt mit Musik zu verdienen. So hat sich das mit Ant entwickelt. Das Ganze hat sich innerhalb von etwa neun Monaten entwickelt, von dem Moment, in dem wir ins Cottage gegangen sind bis zum Frühsommer 1970, als wir Trespass aufgenommen haben. Darum hat er dann die Band verlassen. Was die anderen angeht – ich will mich selbst jetzt nicht hervorheben – Mike und Tony überlegten sich ernsthaft, ob sie weitermachen sollten, als Ant ausstieg. Er war außerordentlich wichtig für die Musik, die die Band machte. Die Lücke, die er hinterließ, wurde dann von den anderen ausgefüllt. Nach und nach entdeckten sie, dass sie viel mehr zu geben hatten. Aber er war schon eine starke Persönlichkeit. Wir spielten einen Gig im Marquee Club in London und saßen in dem Lieferwagen hinter dem Marquee Club, Peter, Mike, Tony und ich, und wir sprachen darüber, wie es weitergehen würde. Ant hatte uns gesagt, dass er aussteigt. Er hatte einen Anfall von Drüsenfieber gehabt, so eine postvirale Sache, bei der man sich total schlapp fühlt und wirklich fertig ist. Es ging nicht um Erwartungen oder Druck aus der Öffentlichkeit – die gab es damals noch nicht für uns. Wir zeichneten uns vor allem dadurch aus, dass wir in den Spitzenpositionen der Hitparaden nicht auftauchten. Ich wollte unbedingt, dass sie weitermachen, weil ich fand, dass sie wirklich eine Menge auf dem Kasten hatten.
Foxtrotwar das erste Mal, dass ihre Musik angemessen gut aufgezeichnet wurde, finde ich. Ich werde es nie vergessen – sie hatten Aufnahmen in Belgien. Sie hörten es sich an und die Aussteuerung – wir fanden sie schauderhaft – wo ist hier das Mellotron und der ganze Rest? Es wurde ihnen überhaupt nicht gerecht und auch deshalb wollte ich, dass sie weitermachten. Mike und Tony haben jedenfalls mal gesagt, dass es bei ihrer Entscheidung auch eine Rolle spielte, dass ich so sehr fürs Weitermachen war. Sie selbst hatten damals weniger Selbstvertrauen.
Dann sagte Tony: „Wenn wir weitermachen, brauchen wir einen neuen Schlagzeuger.“ Und dadurch wurde alles eigentlich erst wirklich möglich, denn dieser Schlagzeuger war Phil. Ich hatte keine Ahnung, was für einen Unterschied ein anderer Drummer macht. Bis dahin dachte ich einfach, das ist der Typ im Hintergrund der Bühne, der den Takt angibt. Als Mike Phil die Songs beigebracht hat, war es einfach unglaublich, wie sich die Musik veränderte, einfach weil jemand mit seinem Talent sie spielte. Dann haben wir erstmal zu viert weitergemacht. Er brachte seinen Freund Ronnie Caryl mit, der vorher mit Phil in Flaming Youth war. Aber als Gitarrist passte er nicht zu uns. Also stellten wir ein E-Piano auf die Orgel – kein Mellotron. Tony spielte dann den Gitarrenteil auf dem E-Piano und so ging es eine ganze Weile. Aber möglich wurde das alles ganz allein dadurch, dass Phil für so einen guten Unterbau sorgte. Dann kam Steve.
it: Das führt mich zu meiner nächsten Frage: Wie lief es ab, als Phil damals vorspielte? Warst du dabei? Wenn nicht, würde ich gerne wissen: Hat die Band eigentlich jemals überlegt, ob man zu viert weitermacht?
Richard: Nein, das war nie längerfristige Perspektive. Wir mussten einfach wieder auftreten, damit wir unsere 10 Pfund pro Woche bekamen (lacht), also hätte es definitiv bald einen neuen Gitarristen gegeben. Die Geschichte von Phils Vorspiel ist wahrscheinlich schon ziemlich bekannt. Phil kannte Tony Stratton-Smith, und Strat hatte ihm erzählt, dass diese Band da einen neuen Schlagzeuger suchte. So kam Phil dazu, bei Genesis vorzuspielen. Das Vorspielen fand auf dem Hof von Peters Eltern statt, ein bisschen südwestlich von London. Das war im Sommer 1970 und Phil war – typisch für ihn – gut zwei Stunden zu früh da. Vor ihm spielen noch zwei oder drei andere Drummer vor. Phil saß einfach im Garten und hörte der Musik zu. Als er dann hereinkam und sich das Drumkit einstellte – er hat ja eine blitzschnelle Auffassungsgabe und wusste auch, was er nun spielen musste. Und es war dann so… da gab es kein Zögern, alle wussten sofort: Der ist es! So ist er eben. Man sagt ja immer, dass Genie zu 10 % Begabung und zu 90 % harte Arbeit ist. Und Phil arbeitet unglaublich hart. Man mag zu der Richtung, in die sich seine Musik entwickelt hat, stehen, wie man will, aber es ist ein Treppenwitz der Musikgeschichte, dass die wenigsten Menschen wissen, dass er der beste Schlagzeuger aller Zeiten ist – sie kennen ihn möglicherweise nur als jemanden, der diese eingängigen Popsongs schreibt. Aber er hat seinen Erfolg wirklich verdient, weil er unvorstellbar hart dafür arbeitet. – Das musste jetzt mal gesagt werden.
Publikumsfrage: Ich wüsste gerne etwas über die Zeit, in der Genesis oft im Friar’s Club auftraten. Wir wissen ja alle, dass Peter das Stagediven erfunden hat und nach einem Unfall im Rollstuhl auftreten musste. Irgendwo las ich nun, dass er ein paar politisch unkorrekte Witze über Rollstuhlfahrer gemacht hat. Erinnerst du dich …
Richard: [unterbricht und sagt laut] Nein! (Gelächter). Den Ausdruck „politisch korrekt“ gab es damals natürlich noch nicht, denn er hat schon Witze darüber gerissen [fängt an zu lachen]… Nicht wirklich, aber man kann sich das ja vorstellen … man kennt ja Witze über Rollstuhlfahrer. Aber in dem Moment ging der Witz ja auf seine Kosten. Das Ganze ist so passiert: Er hatte diese ganzen begeisterten Leute wahrgenommen und er wollte ein Teil von ihnen werden und sprang, die Füße voran, ins Publikum. Er sprang, wie man in ein Schwimmbecken springt. Und wenn du in einer Menschenmenge stehst und jemand kommt dir mit den Füßen voran entgegen – selbst wenn der dann so mager ist wie Peter damals – dann machst du Platz. Und genau das ist passiert, die Wasser teilten sich und er [klatscht] schlug auf dem Boden auf. Später hat er dann kapiert, dass man sich besser in die Waagerechte fallen lässt. Das hat dann ja auch gut funktioniert. Und ich muss sagen, ich bewundere ihn außerordentlich dafür, dass er sich rückwärts fallen ließ – habt ihr das mal probiert? Das geht einfach nicht. Und dann einfach darauf zu vertrauen, dass das Publikum ihn auffangen würde. Wenn man sich dann noch vor Augen hält, dass der erste Anlauf so spektakulär danebenging, ist es erstaunlich, dass er es trotzdem nochmal probiert hat!
Der erste Auftritt mit Peter im Rollstuhl – der erste, nachdem er sich den Knöchel gebrochen hatte – fand in der Lincoln Arts School statt. Auf einer Theaterbühne. Theaterbühne fallen oftmals leicht nach vorne hin ab, so dass man einen perspektivischen Eindruck aus dem Publikum bekommt. Das war natürlich ein ziemlicher Alptraum. Peter außer Kontrolle im Rollstuhl – und die geneigte Bühne. Ich dachte nur, als nächstes bricht er sich das Genick. So muss er dann die Idee gehabt haben: Er setzte dem Publikum einfach einen Floh ins Ohr nach dem Motto „eine Band, deren Sänger im Rollstuhl sitzt“. Das war etwas Neues. Naja, in diese Richtung gingen seine Scherze, er tat ein wenig so, als wäre das ein Dauerzustand. Gut, dass dem nicht so war.
Publikumsfrage: Wir haben eine Menge Fragen über die anderen Bandmitglieder gehört, aber keine über dich. Was hat dich so an Genesis fasziniert und warum bist du damals bei ihnen geblieben?
Richard: Erstmal möchte ich sagen, dass ich mich sehr darüber freue, danach gefragt zu werden, weil… Ich hab sowas noch nie gemacht, aber ich hätte sagen können: „Fragt mich, was ihr wollt, nur nicht, warum ich Genesis verlassen habe!“ Das fragen sie nämlich alle. Und du hast ja gefragt „Warum bist du bei Genesis geblieben“. Das freut mich wirklich sehr. Vielen Dank für diese Frage! Also. Gestern abend hatten wir das besondere Vergnügen, mit einigen von euch zu Abend zu essen, und meine Frau Maggie fragte, welche Erinnerungen alle am Tisch von dem Moment haben, als sie einen Song von Genesis oder dem Genesis-Umkreis oder „der Fabrik“ (so nenne ich das) hörten. Bei mir war es ein Moment im Elternhaus von Anthony Phillips im Sommer 1969. Die Jungs spielten gerade Gott weiß was, und ich dachte „Mensch, das sind vielleicht nur Freunde von mir, aber sie klingen richtig gut!“ Und seit damals – also bei jedem Beruf, den ich ausübe, muss auch ein Stück Berufung dabei sein – ich bin seit 25 Jahren Umweltberater, weil ich das sehr wichtig finde. Der Teil der Berufung ist mir sehr wichtig. Und damals war es einfach meine Berufung, dafür zu sorgen, dass sie es schaffen. Es war faszinierend, den kreativen Vorgang zu sehen und wie das alles aufblühte, alle dabei zu sehen, ich meine, denkt einfach an Phil! Wenn er hinter seinem Schlagzeug geblieben wäre – ich will nicht sagen, dass er all das andere nicht hätte tun sollen, aber er ist so ein außergewöhnlicher Drummer, und das genügte mir schon. Und plötzlich lässt sich Andy [Andrea, Phils erste Frau] von ihm scheiden, er fängt an, Songs zu schreiben und hat dieses wahnsinnig erfolgreiche Album in der Hand und man sieht, dass hier ein Talent zur Entfaltung kommt. Deshalb bin ich in der Nähe geblieben. Als
Foxtroterschien und ein Erfolg wurde, wusste ich, dass sie ihren Weg gehen werden.
Publikumsfrage: Wir sprachen gerade über Phils Vorspiel, aber wir wissen kaum etwas darüber, wie es war, als Steve vorspielte? Kannst du uns dazu etwas erzählen?
Richard: Das war kein richtiges Vorspielen. Steve kam zu einem Konzert, er hatte eine Anzeige im Melody Maker gelesen. Tony und Peter gingen irgendwohin und er spielte ihnen etwas vor. Es war klar, dass er die nötigen Techniken beherrschte, aber es ging um mehr – was ihn in die Band gebracht hat, war seine Einstellung, wie er an Musik heranging und welche Bands ihn beeinflussten. King Crimson spielte bei allen eine große Rolle und er vergötterte sie. Sie spielten jeden Sonntagabend im Marquee, und er war jedesmal dort. Das war die Qualitäten, die er mitbrachte. Sein ganzes Wesen deutete schon an, dass er gut in die Band passen würde. Für eine Weile gab es da noch einen Typen namens Mick Barnard, aber er passte einfach nicht dazu. Als Steve in die Band kam, war sofort klar, dass alles passte.
Publikumsfrage: Entschuldigt, weil diese Frage nicht die Anfangsjahre betrifft. Warum haben Genesis nicht mit Ray Wilson weitergemacht? Lag es am mangelnden Erfolg des Albums in den USA oder sogar an künstlerischen Fragen? Weißt du eventuell mehr, als in den einschlägigen Magazinen steht? Gibt es Hoffnung für irgendwelche künftigen Projekte?
Richard: Ihr wisst ja, dass ich seit sehr sehr langer Zeit nicht mehr besonders involviert bin. Darum kann ich jetzt auch keine Insidergeschichten erzählen, warum sie nicht weitergemacht haben nach …. wie hieß das Album noch gleich?
„Calling All Stations“?…
Zwischenruf aus dem Publikum: Das beantwortet die Frage [Gelächter].
Richard: Ich vermute, die beiden fanden, dass es einfach genug war. Die Geschichte war an einen Endpunkt gekommen, Sie hätten nur immer wieder die alten Pfade und kein Neuland mehr betreten. Das ist aber wirklich nur meine Vermutung, ich habe da keinerlei Insiderwissen. Na gut, es ist ein Eindruck, den ich aus Unterhaltungen mit Tony habe, aber mit Mike habe ich darüber nicht gesprochen.
Zu der anderen Frage kann ich nur sagen, ich wäre überrascht, wenn es keine [sic!] Reunion in irgendeiner Form gäbe. Am schwierigsten wäre wohl Peter dafür zu gewinnen. Phil hat ja in den letzten Jahren immer mal wieder im Radio gesagt, dass er dafür zu haben wäre, also [lacht] vermute ich mal, die Tatsache, dass Peter letztes Jahr seine Anteile an so einem Internetdownloadanbieter für Musik verkauft [gemeint ist OD2] und dafür 13 Millionen Pfund bekommen hat, macht eine Reunion unwahrscheinlicher. Wenn er in größeren Geldsorgen stecken würde, ließe er sich vielleicht breitschlagen…. Können wir die letzten paar Sätze streichen? [Gelächter]. Na, im Ernst, Peter dürfte das größte Hindernis sein. Aber möglich ist alles. Ich möchte aber nochmal betonen, dass ich da nicht im mindesten als Insider spreche. Über dieses Thema habe ich mit keinem von der Band gesprochen, aber… mal sehen. Darauf wetten würde ich aber nicht.
Publikumsfrage: Von welchen anderen Bands und klassische Komponisten außer King Crimson war die Band am Anfang beeinflusst?
Richard: Procul Harum …Das ist spannend, weil jeder seine eigenen Favoriten mitbrachte. Phil mochte Jazz, Chick Chorea, Buddy Rich und so – Sein Big Band Experiment oder wie immer das hieß, zeugt ja davon. So etwas wollte er immer schon machen. Ähm… Fairport Convention, was vielleicht ein bisschen seltsam ist. Wenn man weit genug zurückgeht, findet sich da viel akustisches Material, Ant und Mike haben viel für akustische Instrumente geschrieben. Musikkritiker versuchen einen ja immer mit den skurrilsten Methoden in eine Schublade zu bringen… äh, wie hieß das denn noch… „Folk Blues Mystical“! Genau. Mit dem Ausdruck hat mal jemand versucht, die Musik zu beschreiben. Peter kam definitiv von der Rhythm & Blues Seite. Ganz offensichtlich auch, dass Ant und Mike die Stones mochten, während Peter und Tony mehr von den Beatles hielten. Tony mochte auch Kirchenlieder. Steve hat Tony vor gar nicht so langer Zeit als den König der Akkorde bezeichnet. Seine Wissen darum, wie Harmonien aufgebaut sind, ist in einem großen und wichtigen Teil der Musik greifbar. Und wird oft auch nicht anerkannt oder wenigstens verstanden. Tony mag die späte klassische Musik und Wagner, Bach und andere in dieser Richtung.
Publikumsfrage: Wenn du dir heute die Musik aus der frühen Zeit von Genesis anhörst, gibt es da einen Song oder einen Liedfetzen, bei dem du dich plötzlich erinnerst: Das war damals so und so?
Richard: Ich erinnere mich an das erste Mal, dass ich
The Musical Box gehört habe. Wir haben damals in einem Londoner Stadtteil namens West Hampstead geprobt. Wir haben uns vorhin dieses Bild angeschaut, wo sie auf so einem Hügel sind und rennen – das war eine ganz schöne Leistung, Steve zum Laufen zu bewegen! [Gelächter] … Naja, das ist vielleicht nicht ganz fair, weil er jetzt ein ziemlich guter Läufer ist…. Dieses Foto entstand bei diesem Studio. Übrigens gehörte das Studio dem Bruder von John Mayall. Manche von euch kennen es vielleicht. John Mayall war der Vater des britischen Bluesbooms; sein Bruder Rick hatte das Studio und sie haben dort die Songs geschrieben und geprobt. An diesem Tag also räumten wir gerade das Equipment herein und bauten es auf. Und dann zog ich mit dem anderen Roadie los und kaufte Drumsticks und Tambourins. Wir hatten einen ganz schönen Verschleiß an Tambourins. Und dann kamen wir zurück und ich setzte mich hin und sie spielten
The Musical Box. Das ist eine besonders schöne Erinnerung, es war gewissermaßen das erste Mal, dass alles zusammenkam.
Publikumsfrage: Was ist deiner Meinung nach der beste Song, den Genesis je geschrieben haben?
Richard: Oh …
Supper’s Ready [Applaus]. Das ist meine Meinung, aber wie ich vorhin schon angedeutet habe: Als sie das Stück geschrieben und aufgenommen hatten, dachte ich „Okay, das ist ein Meisterstück“. John Burns, der Produzent von
Foxtrot, hat den Sound von Genesis viel besser als irgendwer vor ihm eingefangen. Darüber sprach ich vorhin noch mit Maggie, als wir die Fernsehshow [Pop Shop, Belgien 1972] sahen, da zeigte sich nur ein Bruchteil ihrer Livewirkung. Das kann man nicht einfangen. Man kann es im Fernsehen zeigen. Habt ihr mal ein Fußballmatch im Stadion erlebt? Vergleicht das mit der Fernsehübertragung des Spiels – da habt ihr nur einen kleinen Rest von der Energie und der Stimmung. So ist das auch mit den Liveaufzeichnungen. Ich sagte ja schon, wir hatten viele Konzerte und viele Proben. Darum wurden sie auch so gut. Wie gesagt, für mich ist es
Supper’s Ready. Bei uns gibt es eine Radiosendung namens Desert Island. Dort wird ein Gast interviewt und darf acht Platten auswählen, die er auf eine einsame Insel [englisch: „desert island“; d.Übers.] mitnehmen darf, weil es dort nur Platz für einen Plattenspieler und acht LPs gibt [lacht]; die Sendung gibt es schon lange, seit dem [2.Welt-]Krieg.
Supper’s Ready wäre definitiv eine meiner Desert Island-Platten. Der Rest wäre übrigens von J.S.Bach. Das nur der Vollständigkeit halber.
Publikumsfrage: Hörst du dir heute noch manchmal alte Genesis-Platten an?
Richard: Nein. Nicht oft. Ich höre gerne Musik, aber nicht unbedingt das alte Genesismaterial. Die Musiksendung, die wir hier heute nachmittag gesehen haben [Belgien 1972], hat mich aber sehr berührt. Ich war selbst überrascht, wie sehr es mich emotional bewegt hat und noch bewegt. Heutzutage höre ich sehr verschiedene Musikrichtungen. Maggie kann euch erzählen, dass meine neueste Macke ein Album von Frank Sinatra ist, nämlich Only The Lonely. Das hat er in den 50ern aufgenommen, und ich glaube, dass es eines der großartigsten Alben ist, die – irgendwann mal irgendwer aufgenommen hat. Es ist einfach unglaubliche Musik und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich Sinatra gehasst habe, als ich noch so alt war. Er stand einfach für alles Schreckliche, was vor den Beatles und Bob Dylan kam und all dem, wovon ich ein klitzekleiner Teil wurde. So schließt sich der Kreis. Ich lebe mit einer Musikerin zusammen, darum lerne ich viele Dinge kennen, die mich überraschen. Wenn man mich ernsthaft auf einer verlassenen Insel aussetzen würde und sagte, du darfst nur noch einen einzigen Komponisten hören, dann würde ich Bach auswählen, weil seine Musik einfach grandios und großartig ist. Und ich kratze erst an der Oberfläche seines Werkes.
it: Du wechselst gerade deine Desert Island-Platten. [Gelächter]
Richard: Stimmt.
Publikumsfrage: Ich habe eine Frage über den Entstehungsprozess der Lieder. Wie ist zum Beispiel
The Musical Box entstanden? War das eine Frage von Versuch und Irrtum? Welche musikalische Ausbildung hatten die Jungs eigentlich?
Richard:Was musikalische Ausbildung angeht, hatte Tony Banks als Klavierspieler das meiste Training. Er hatte die Bandbreite von Klaviermusik kennengelernt, mit der man es zu tun bekommt, wenn man als Teenager Klavier lernt. Ich glaube, er legte sogar ein paar Prüfungen darüber ab – ich weiß nicht, gibt es ein ähnliches System hier? Der Rest hatte keine Musikausbildung. Gar keine. Vielleicht hatte Peter Flötenstunden. Es ist merkwürdig, die Flöte [auf dem Video] tatsächlich mal zu hören. Live konnte man das nie, weil eigentlich zuviel anderes passierte und ich nie wirklich hörte, was er spielte. Ant, Mike, Phil ganz sicher und Steve hatten sich das Spiel selbst beigebracht.
Publikumsfrage
:Zunächst möchte ich dir danken für deine tollen Berichte. Ich würde gerne wissen: Hast du, bei deinem fantastischen Gedächtnis, je überlegt, ein Buch über diese Zeit zu schreiben?
Richard: Bis heute nachmittag noch nicht [Gelächter]. Nein, eigentlich nicht. Vielleicht mache ich das mal. Vielleicht. Aber Pläne dafür habe ich nicht.
Zwischenruf aus dem Publikum: Wenn du das mal machst, kaufen wir es bestimmt!
Richard: Echt? Das ist lieb von euch. Könnt ihr eine Liste herumgeben, dann kann sich jeder eintragen [Gelächter].
Maggie: Du hast die Einleitung für das Boxset geschrieben!
Richard: Achja, das braune Ding. Stimmt. Danke.
it: Das braune Ding ist das erste Archive Boxset. In alten Ausgaben des
it-Magazins gibt es noch mehr Anekdoten. Ihr könnt sie hier erwerben und Peter Schütz sagt euch gerne, um welche Ausgaben es geht. [Gelächter].
Richard: Na also. Vielleicht tue ich mich mit Chris Stewart zusammen. Dann hätte ich einen Vorwand, eine Zeitlang nach Südspanien zu fahren. Ich hätte schon Lust, ihn mal zu besuchen.
it: Wir müssen nun leider zu einem Ende kommen. Ihr könnt Richard gerne noch weiter befragen und Autogramme bekommen. Er bleibt noch eine Weile hier. Richard, herzlichen Dank dafür, dass du heute hier warst und all diese merkwürdigen Fragen beantwortet hast [großer und langer Applaus] – das war mehr als The Musical Box in der Royal Albert Hall… [Gelächter].
Richard: Vielen Dank! Ich werde nicht gleich verschwinden….
Moderation des Interviews: Christian Gerhardts
Transkription des englischen Textes: Volker Warncke
Übersetzung: Martin Klinkhardt
Photos: Karin Woywod, Helmut Janisch + Peter Schütz