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Gereon Schoplick – Horizons – Album Rezension

Gereon Schoplick, Teil der Ant Band, hat 2023 ein Akustik-Album veröffentlicht, auf dem auch einige Tracks aus dem Genesis-Umfeld enthalten sind. Thomas Jesse hat das Werk rezensiert.

Vorwort

Fans sind doch eine merkwürdige Art der Spezies Mensch. Sie gründen Vereine, tragen T-Shirts, oder Trikots, oder Uniformen ihrer Faves, halten Events ab, verkleiden sich, bauen ganze Settings nach, erstellen Videos, arbeiten Tippspieltage aus, oder machen Musik mit anderen Fans.

Im vorliegenden Fall sind wir beim Thema Musik angekommen. Klar, befinden wir uns doch in einem Fanclub, der sich zu Ehren einer Rock-Band und deren (Ex-) Mitglieder gegründet hat. Ja, dieser Fall wiegt schwer, denn er ist Mitglied der sensationellen Ant Band und zeichnet sich für wundervolle Gitarrenarbeit verantwortlich. Diese „Ameise“ hat nun den Hügel verlassen und ein Soloalbum vorgelegt.

Hintergrund

Bei dem Musiker handelt es sich um Gereon Schoplick, Mitglied der Ant Band und Musiker des legendären Anthony Phillips Events in Welkers 2014. Obwohl er in einem von klassischer Musik geprägten Umfeld (sein Vater war Kirchenmusiker) aufwuchs, begann er erst im zarten Alter von 21 Jahren, selbst als Autodidakt Musik zu machen. Beeinflusst haben ihn Baden Powell, Ralph Towner, Robert Fripp (King Crimson), Jerry Garcia (Grateful Dead) und die Genesis-Gitarristen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Gereon sich in die Gitarre verliebte. Sein musikalisches Spektrum reicht von Jazz über Rock, Klassik, Folk bis hin zu südamerikanischer Musik. Er spielte in zahlreichen Bands, mit vielen Musikerinnen und Musikern zusammen und hat es schon zu einigen Veröffentlichungen gebracht.

Eine dieser Musikerinnen ist die amerikanische Sängerin Nicol Brüninghaus, mit der er ein gemeinsames Album Colors of Peace aufnahm. Gleichzeitig, im selben Studio, entstand das vorliegende Gitarrenalbum, eine Sammlung eigener Kompositionen, sowie Interpretationen von Stücken seiner musikalischen Vorbilder.

Artwork

HorizonsDie CD kommt in einer Papphülle im Klappcover. Sie wird vom Foto einer im Licht der untergehenden Sonne befindlichen Landschaft, die in Wolken übergeht, geziert. Im Innenteil ist die Sonne untergegangen, die Landschaft liegt in grauer Düsternis. Die Fotos stammen von Gereon, Artwork und Layout von Tom Morgenstern (Ant Band). Wir finden in den Linernotes u. a. eine Liste der Saiteninstrumente, die Gereon genutzt hat. Auf der linken Seite des Innencovers springen uns folgende Verse entgegen:

Guitarra de mi cariño

No hay nada que no comprendas

Eres el alma sonora

Que nos afirma en la tierra

Todo cabe en tu madero.

Gitarre meiner Liebe

Es gibt nichts, was du nicht verstehst

Du bist die klangvolle Seele

Die uns auf Erden bejaht

Alles passt in Dein Holz.

(Atahualpa Yupanquí)

Somit haben wir die Intention des Albums gefunden. Finden wir mit Liebe gemachte Musik?


Die Stücke:

Ever Tried (Gereon Schoplick):

Der Titel des Stücks leitet sich aus dem Gedicht von Samuel Beckett [i] ab. Diese kleine Improvisation erfüllt den Raum/das Ohr mit dunkel, drohenden Klängen, die an ein herannahendes Gewitter an einem Sommerabend erinnern. Durch den Äther schwebende Töne erfreuen mit warmer Harmonie. Spielt Gereon da einen Bass? Wenn nicht, wie macht er das? Er zupft eine Gitarre mit sieben Einheiten, fünf doppelchörigen Saiten, sowie zwei einfach bespannten Basssaiten (eine davon ist tiefer als die normalerweise tiefste Saite). Mitgezählt? Aha, wir kommen auf eine 12-String, eine Sonderanfertigung. Schon zum Auftakt des Albums wird klar, dass der Künstler ein Faible für außergewöhnlich Instrumente und Klänge hat.

Cancion de Cuna(Leo Brouwer)

Die Grundstimmung dieses oft eingespielten Stücks ist warm, entspannt, ganz so als wäre das Gewitter abgezogen und eine lauwarme Sommernacht hält Einzug. Das Gitarrenspiel erinnert an südamerikanische Folklore mit ihren Gefühlswechseln von träumend säuselnd zu albtraumhaft erregend, oder von Tanz und Freude zu Klage und Trauer. Kein Wunder, denn der Komponist stammt aus Kuba [ii]. Höre ich da Gereons Verwandtschaft mit dem akustischen Steve Hackett heraus?

Manha de Carnaval (Luiz Bonfa)

Ein Bossa Nova! Die Melodie kennt fast jeder. Kein Wunder, denn das Lied aus dem Film Orfeo [iii] Negro wurde schon oft interpretiert, z. B. mit Jazz-Touch oder sogar als Schlager. Hier spielt sie Gereon wunderschön auf einer 12-String. Der Klang dieser einzigartigen Gitarre versetzt den Hörer bzw die Hörerin in eine melancholische Stimmung, die von Erinnerung und Erwartung spricht. Sehen wir da ein Paar, das sich bei einem Glas Wein gegenübersitzt? Und jeder für sich einsam, in sich verschlossen, in der Hoffnung, der andere möge die Distanz überwinden? Gut, dabei denken wir nicht an die Geschichte von Orpheus und Eurydike, oder doch? Der Film erzählt schließlich die klassisch griechische Geschichte und verlegt sie in den Karneval von Rio.

Vidala Dolorosa (Atahualpa Yupanqui):

Unsere Süd/Mittelamerikareise führt nun nach Argentinien. Aufmerksame werden erkannt haben, dass das o.g. Zitat von diesem einzigartigen Gitarristen und Sänger stammt [iv]. Er schrieb das Stück im Pariser Exil, in das er vor der Militärdiktatur geflüchtet war. Gereon spielt es auf einer klassischen Gitarre herzzerreißend. Wie einfühlsam er Verlorenheit, Sehnsucht, Einsamkeit herausarbeitet. Wir können uns den Musiker vorstellen, wie er durch das Fenster seiner kleinen Pariser Wohnung voller Heimweh gen Süden starrt und dazu gedankenverloren die wunderschöne Melodie auf seiner Gitarre spielt.

Euridice (Vinicius de Moraes, Baden Powell):

Brasilien, ein sanfter, nicht so heißer Sommermorgen, der Regenwald erwacht, sämtliches Getier beginnt mit dem ewig wiederkehrenden Ständchen zu Ehren des Sonnenaufgangs, ein einziger Vogel drängelt sich mit zauberhafter Stimme vor. Baden Powell [v] arrangierte das Stück auf seinem Album Poema on Guitar. Auch Gereon stimmt auf seiner klassischen Gitarre das Gedicht an. In den Ohren des Rezensenten ist er hier ganz nah bei Steve Hackett und seinen akustischen Stücken auf Momentum und Tribute. Vielleicht lässt es Gereon etwas ruhiger, sanfter angehen. Der Bezug zum griechischen Mythos ist mit dem Titel zum zweiten Mal gegeben. Der Rezensent denkt dabei an Kim Poors Buch Amazonia Imagined. [vi]

For Absent Friends (Phil Lee):

Der Ausflug in den Süden endet. Obwohl es nicht der gleichnamige Klassiker von Nursery Cryme ist, bewegen wir uns nach England in die schöne Stadt Canterbury. Nach ihr wurde eine Musikszene und ihr Musikstil benannt. Eine der dortigen Bands trägt den Namen Gilgamesch [vii]. Für sie und deren Albumerstling schrieb Phil Lee das jazzige Stück. Nun sind wir nach Folk, Bossa Nova usw. beim Jazz angekommen. Auch dieses Fach meistert Gereon, besticht mit dem Weben von farbenreichen Harmonien und fröhlichen jazzigen Ausflügen.

Celio (Gereon Schoplick):

Es wird wieder etwas ruhiger, sanfter. Zärtlich wird die Konzertgitarre gestreichelt. Das an Anthony Phillips erinnernde Stück (eine Liebeserklärung?) leitet einen Teil mit insgesamt drei Eigenkompositionen und einem traditionellen Stück ein. Für den Rezensenten ein wunderschönes Kleinod.

Mondrago Sunrise (Gereon Schoplick):

Der Titel lässt an den Naturpark im Osten von Mallorca denken. Richtig, dort ist das Stück entstanden. Der Hörer/Die Hörerin wird ein wenig in die Irre geführt. Ist das nicht ein Duett? Hat der Gereon zwei klassische Gitarren „übereinandergelegt“? Es hört sich so an, als ob eine die schöne Melodie solierende Gitarre von einer die Harmonien spielende begleitet wird. Nein, es ist eine ungewöhnlich gestimmte 12-String, die sich für ein Orchester hält und Gereon zu akrobatischen Fingerübungen verführt. Äh? Auch der Hörer bzw die Hörerin wird verführt, besser entführt in musikalische Weiten hinter dem Horizont.

Kommet ihr Hirten (trad., arr. Gereon Schoplick)

Ein Weihnachtslied! Aber auf welchem Instrument gespielt? Eine klassische Gitarre, oder doch eine 12-String. Nein, es ist eine Waldzither [viii], in Irland bekannt als Bouzouki, der Familie der Cister zugehörig. Mit ihrem runden Bauch und dem schmalen Hals erinnert das neunsaitige Instrument an eine dicke Gitarre. Der bekannten Weihnachtsweise werden neue, minimalistische Stimmungen entlockt. Ein Muss für die musikalische Auswahl an Heiligabend. Gereon spielt, um ein Gefühl für ein neues Instrument zu bekommen, auf ihm zunächst  Weihnachtslieder. So lag es nahe, eine derartige Fingerübung mit auf das Album zu nehmen.

Lullabye (Gereon Schoplick):

Ein Wiegenlied, so sanft, zart und schwebend auf einer klassischen Gitarre gespielt, dass man hören kann wie sehr hier ein Mensch geliebt wird. Herzerwärmend, wie aus der Zeit gefallen. Auch Anthony Phillips wird von dem kurzen Stück berührt sein.

Uncle John’s Band (Jerry Garcia)

Hey, wir sind wieder in Amerika, diesmal bei den Grateful Dead! Der Song beschreibt die Aufbruchstimmung der Deadheads vor Live-Auftritten ihrer Lieblingsband. Diese freudige Erwartung, die Neugier, die fröhliche Ausgelassenheit interpretiert Gereon in schönen Bildern mit seiner klassischen Gitarre und kann sich mit dem viel zu früh verstorbenen Gitarrengott messen [ix].

Great Dreams From Heaven (Joseph Spence, arr. Ry Cooder)

Uns erwartet nun eine swingende Gospel-Hymne, die zum Tanz auffordert. Der amerikanische Gitarrist Ry Cooder hat das vorliegende Stück arrangiert. Gereon setzt es kongenial auf seiner klassischen Gitarre um.

Cinema Paradiso (Ennio Morricone)

Wer kennt nicht das herrlich dahinschmelzende Love Theme aus dem Film von Giuseppe Tornatore [x]? Das Original wurde für ein großes Streichorchester komponiert und kommt dementsprechend bombastisch, fast kitschig rüber. Gereons Version für die klassische Gitarre bringt uns die Schönheit der Melodie gefühlvoll nahe. Die Intimität des Stücks führt uns die Bewunderung für das Kino, für den Film leise vor Augen. So muss in den Ohren des Rezensenten Gitarrenmusik sein: Dem Zauber des Zuhörens huldigen, die Zeitlosigkeit in dem innigen Augenblick des Zuhörens erzeugen. Das ist hier gelungen. Ein Highlight des Albums.

Peace – A Theme (Robert Fripp)

Oh, Gereon interpretiert den Opener des zweiten King Crimson Albums. Damit beginnt der Genesis – Block. King Crimson hat die Musiker von Genesis stark beeinflusst. So ist diese Wahl nachvollziehbar. Eines der Lieblingsstücke des Rezensenten stellt kein Problem für Gereon dar. Ein Traum! Die Akkorde fließen dahin. Die von Greg Lake wunderschön gesungene Melodie wird so gespielt, dass man den Gesang nicht vermisst. Das muss der Robert Fripp hören?

Study No. 1 in E Major (Excerpt) (Anthony Phillips):

Es ist eine Neueinspielung, die sich etwas von der Version auf A Light On The Hill unterscheidet. Was schrieb der Rezensent damals?:

Das ist die zweite Sensation. Das Stück ist bisher von Ant nicht auf Tonträger veröffentlicht worden. Es liegen lediglich die Noten, die in der Sammlung Six Pieces for Guitar erschienen sind, vor. Gereon Schoplick versucht sich mit Bravour an der kurzen Studie für klassische Gitarre.

Ist dem noch etwas hinzuzufügen? Vielleicht nur, dass dieses Stück und die Arbeit von Gereon nun keine Sensation mehr darstellen, sondern fast Normalität erreicht haben. Gibt es ein größeres Lob?

Horizons (Steve Hackett)

Das dem Album titelgebende Stück ist ein Klassiker unter den Genesis-Fans, bekannter als das Werk von Anthony Phillips. Es gehört wahrlich Selbstvertrauen dazu, es zu spielen und aufzunehmen. Gereon hat es berechtigterweise! Hört zu, vergleicht es mit der Version auf Foxtrotoder Bay of Kings! Findet ihr Unterschiede? An Steve erinnernd, spielt Gereon seine Gitarre, streichelt sie, zupft sie fließend. Eine wundervolle Version, die natürlich ein weiteres Highlight des Albums ist.

Lute’s Chorus (Anthony Phillips, Mike Rutherford)

Oh, ist das schön! Die Suite Henry – Portraits From Tudor Times von Anthony Phillips Album The Geese & The Ghost, dessen Teil das kleine Thema ist, ist Musik für die einsame Insel. Gereon zaubert nicht auf einer Laute, sondern auf der klassischen Gitarre unbeschreibliche Musik. Ja, der Rezensent liebt die Musik von Anthony Phillips und ist daher vielleicht voreingenommen, aber die Töne lassen schweben?

Field Of Eternity (Anthony Phillips)

Gereon findet folgende Worte zu einem seiner Lieblingsstücke:

Die herrlichen Harmonien und Melodien bringen in meinem Innersten etwas zum Schwingen, das ich nicht in Worte fassen kann! Ja, dem kann der Rezensent nur zustimmen. Was muss es für ein Traum sein, diese Musik, die Tore hinter dem Horizont öffnet, spielen zu können! Leider kann es der Rezensent nur hören, aber das allein genügt, eine Träne zu verdrücken – eine! Allein Field Of Eternity von Anthony Phillips Private, Parts & Pieces Album ist den Kauf der CD wert.

End Of The Season (Anthony Phillips)

Das kleine Augenzwinkern von Anthony Phillips Private Parts & Pieces II interpretiert Gereon auf einer 12-String. Spukt es auf dem Dachboden, sind es die Mäuse, die da trippeln und klappern, zirpen und knabbern? Nein, es ist Gereon, der da oben auf seiner 12-String musiziert. Ein schelmischer Abschluss des Genesis-Blocks.

Secret Room (Gereon Schoplick)

Warme, tiefe Töne lassen das Album ausklingen. Es flüstert aber nicht die merkwürdig gestimmte 12-String des Auftakts, sondern ein Mandocello. Es stammt aus der Familie der Mandolinen, ist etwas größer als diese und tiefer gestimmt [xi]. Gereon entlockt ihm Klänge, die ans Mittelalter denken lassen. Gespielt von einem Troubadour in einer Waldeslichtung (siehe Cover des The Geese & The Ghost Albums), um eine Fee, oder eine Nymphe zu becircen. Die schöne Melodie beschließt ein herrliches Album.

Fazit:

Der Rezent braucht nur auf die oben zitierten Verse von Atahualpa Yupanqui zu verweisen und seinen Mund zu halten, oder? Die Gitarre ist die klangvolle Seele, ja, aber nur wenn die Seele des Musikers mit ihr harmoniert. Das geschieht hier. Gereon beweist nicht nur eine unglaubliche Spielfertigkeit, sondern auch eine tiefe Sensibilität bei der Interpretation der Kompositionen und dem Verständnis für fremde Kulturen. So lädt das Album nicht nur zum intensiven Zuhören, sondern auch dem Entdecken der interpretierten Künstler ein.

Für den Rezensenten als HiFi-Freak bleibt noch den außerordentlichen Klang der Aufnahmen zu loben. Eine unglaubliche Räumlichkeit trägt dazu bei, dass der Hörer/die Hörerin das Gefühl hat, Gereon spielt live bei ihm/ihr im Wohnzimmer.

Well done!

Nachwort:

Der Rezensent bittet die geneigte Leserin bzw. den geneigten Leser ob seiner „blumenreichen“ Sprache um Nachsicht. Er kann weder ein Instrument spielen, noch beherrscht er die Musiktheorie.

So muss er seine Worte so wählen, dass sie der musikalischen Darbietung möglichst gerecht werden.

Er hofft, nicht zuletzt durch den Kauf des Albums auf Zustimmung!

Autor: Thomas Jesse

Horizons ist bei Bandcamp und Amazon digital und als CD bestellbar.

Quellen:
[i] Siehe hier

[ii] Siehe hier

[iii] Siehe hier | höre hier | zum Film

[iv] Siehe hier | höre hier

[v] Siehe hier

[vi] Siehe hier

[vii] Höre hier

[viii] Siehe hier

[ix] Höre hier

[x] Höre hier

[xi] Siehe hier