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eMolecule (Simon Collins & Kelly Nordstrom) – The Architect – Rezension
Im Februar 2023 erscheint das erste Album des neuen Bandprojects von Simon Collins und Kelly Nordstrom. eMolecule heißt die Band und The Architect das Album.
eMolecule, das neue Bandprojekt von Simon Collins und Kelly Nordstrom, legt mit seinem Debut The Architect ein Prog-Rock-Konzeptalbum vor. Alben dieses Genres haben es heutzutage oftmals an sich, dass man bei jedem Song an mögliche Einflüsse und Inspirationen denken muss, bei einigen Künstlern verkommen Songs dann gerne zur Imitation, oder wenn man so will, zur Ehrerbietung durch Zitation. Was jedoch nicht so oft vorkommt, ist dass innerhalb eines Albums, teilweise innerhalb eines Songs, Erinnerungen an Pink Floyd, Led Zeppelin, Nine Inch Nails, Gary Numan, Coldplay, Alice in Chains und Porcupine Tree wach werden, ohne zum Abklatsch des einen noch des anderen zu werden und auch die Übergänge und das Zusammenspiel dieser Einflüsse nicht erzwungen oder gekünstelt wirken, sondern organisch erscheinen, selbst wenn zwischendurch auch noch ein Technorave vorbeizuziehen scheint. Simon Collins und Kelly Nordstrom gelingt dieses Kunststück auf The Architect über weite Strecken. Die beiden arbeiten seit 2005 zusammen, Kelly lieferte Beiträge zu allen seither erschienen Soloalben von Simon und war Gitarrist von Sound of Contact auf dem Album Dimensionaut. In eMolecule bringen sich beide als gleichberechtigte Songschreiber und Produzenten ein – sie teilen sich die Credits für sämtliche Tracks des Albums. Simon übernimmt wie gewohnt Gesang und Drums, sowie Keyboards, Programming und Sounddesign, Kelly die Gitarren, Bass und ebenfalls Gesang, Keyboards, Sound Design und Programming. Nachdem Simon im Zuge von Sessions für ein neues Soloalbum die Chemie mit Kelly so inspirierend und befreiend fand, dass er ein Bandprojekt einem weiteren Soloalbum vorzog, entwickelte das Duo zunächst ein Konzept für das Album und produzierte danach 16 bis 18 Songs, wovon sich letztlich elf auf The Architect wiederfinden. Dabei wurden nicht nur neue Songideen verwendet, vor allem Kelly grub in seinem Fundus. Der Track eMolecule ging etwa auf die Becoming Human Session zurück, Teile des Titelsongs The Architect schrieb Kelly in seiner Teenagerzeit.
Das Konzept
The Architecthandelt, grob gesprochen, von der Selbstfindung eines bösartigen Ausbeuters und Strippenziehers, nachdem er von seiner tödlichen Krankheit erfährt. Nachdem mit dem Track eMolecule quasi das Setting der Handlung gelegt wird, charakterisieren die folgenden Tracks den Protagonisten, den Architekt und Mastermind, der in Dosederkennen muss, dass er todgeweiht ist. Das großteils instrumentale The Turn markiert die Wandlung und leitet über in den zweiten Teil, in dem der Protagonist quasi umkehrt (Awaken) und Erfüllung in Spiritualität (Beyond Belief, The Universal), Liebe (My You) und Erkenntnis (Moment Of Truth) findet. Die beiden Hälften sind auch musikalisch unterschiedlich geprägt, die erste dunkel, hart, metallisch und elektronisch, die zweite positiv, hymnisch, organischer und akustischer. Simon verzichtet sogar teilweise auf die ansonsten stets eingesetzten Verzerrungsfilter auf seiner Stimme zeigt insbesondere auf My You, einer singletauglichen Ballade, sein vokales Können. Über Musik und Texte allein lässt sich die Handlung des Konzepts nur schwer erschließen, dazu bedurfte es der Erläuterungen von Simon und Kelly im it–Interview. Die Lyrics zu den Songs sind so gehalten, dass sie für sich stehen können und auch universeller und persönlich anschlussfähig. Wenig überraschend verraten die Komponisten, dass letztlich eigene Erfahrungen in den Texten verarbeitet wurden. So kann man in Dosed unschwer auch die Erfahrungen eines Simon Collins mit diversen Substanzen herauslesen (Simon bestätigt das im Interview mit Ray Shasho), ein Thema, das er auch in This Is The Time auf Becoming Human verarbeitet hatte. Prison Planetist gewissermaßen eine Abrechnung mit der Pandemiepolitik und in der Überwachungsstaat-Dystopie Mastermind wird mit Verschwörungstheorien gespielt, handelt es doch schlicht von dem großen Strippenzieher und Weltenlenker, der über unser aller Schicksal bestimmt. Mit beiden Tracks begeben sich eMolecule durchaus auf dünnes Eis, wenn man sie als Auseinandersetzung mit aktueller Politik lesen wollte. Doch im Albumzusammenhang sind sie Teil der Handlung in einem Sci-Fi-Setting.
Die Musik
Lösen wir uns von der Handlung und betrachten die Musik auf dem vorliegenden Album, so liegen Vergleiche sowohl zu Dimensionaut, als auf zu Becoming Human nahe. Der Unterschied zum letzten Soloalbum von Simon Collins liegt naturgemäß in der größeren Beteiligung von Kelly Nordstrom, die sich in einer wichtigeren Rolle für Gitarre und Bass niederschlägt. Auf beiden Instrumenten zeigt sich Kelly als Könner sowohl subtiler soundscapeartiger Arbeit, songdienlicher, gleichsam malerischer Gitarrenlinien, sowie als Solist floydscher Prägung und als Riffmeister in Tradition eines Tony Iommi. Auch mit seinen vokalen Beiträgen, mit überzeugend im Stile eines Bühnendarstellers vorgetragenen spoken word Einlagen ebenso wie als Sänger mit rauer, rockiger Stimme, gibt er dem Album einen menschlichen Touch, der auf dem all zu elektronischen Becoming Human zuweilen fehlte. Er bildet damit einen Kontrapunkt bzw. eine Ergänzung zu Simons of sehr steril, verfremdet und roboterhaft wirkenden Gesang, der vor allem in der ersten Hälfte des Albums jedoch auch der Story geschuldet ist. Im Abschlusstrack Moment Of Truth, in dem sich die eMolecule-Mitglieder die Leadvocals teilen, treiben sie sich gegenseitig zur Höchstleistung an. Die Aufteilung zwischen dem rauen Kelly in den Strophen und dem höher singenden und mit mehr Effekten arbeiteten Simon im Refrain gibt diesem Track eine Dynamik, die die musikalische dieses aus organisch spärlich instrumentierten Pianoklängen und härteren, rockigeren Abschnitten bestehenden Track spiegeln. Überhaupt ist es die Dynamik der einzelnen Stücke, die sich wie schon auf Becoming Human als große Stärke zeigt. Laut-leise, dicht-minimalistisch, mechanisch-organisch, all dies wechselt sich auf diesem Album ab, fast jeder der Tracks lebt auch von dieser Dynamik. Bestes Beispiel dafür ist bereits das einleitende eMolecule, der über zehn Minuten lange Track, der auch als erster Vorbote des Albums diente und gleichsam als „mission-statement“ des Bandprojektes gesehen werden kann.
Die Tracks im Schnelldurchlauf
eMolecule changiert kompromisslos zwischen elektronica, düsteren Sounds, organisch-spährischen, ja floydigen Klängen und metallischen Gitarrenriffs, eine Mischung, die man zuweilen bei Porcupine Tree hörte, allerdings selten in nur einem Track. Gleichzeitig mit „wumms“ produziert und doch minimalistisch instrumentiert gibt es die Richtung vor. The Architectbeginnt metallisch und „heavy“, zur Songmitte folgt ein spaciger Teil mit Akustikgitarren und Hintergrundflächensynths, die eine erste, wie eine Traumsequenz wirkende, mit Hall belegte spoken word Passage von Kelly begleiten, ehe wieder eine metallische Gangart eingelegt wird. In Prison Planet eröffnen ruhige soundscapes den Raum, ehe programmierte Drums einsetzen. Stilistisch dem so genannten „New Artrock“ klar zuzuordnen, bildet der fulminante Einsatz „echter“ Drums von Simon einen Höhepunkt. Das epische, mehrere Abschnitte durchlaufende Mastermindbietet soundtrackfeeling, industrialartige Reminiszenzen an Nine Inch Nails und aggressive Vocals, ehe ein Dynamikwechsel hin zu einem luftigeren Arrangement mit Streichern folgt. Daran schließen sich zwei weitere Passagen an, wobei die Wechsel weniger organisch vollzogen werden, zunächst zu einem akustischen Zwischenspiel und abschließend zurück zum bedrohlichen Hauptthema, wobei Kelly erneut mit einem Sprechtext zu glänzen vermag.
Mit Dosed folgt ein Hard-Rock-Song mit Anklängen an die Grungeära, erinnern doch das tragende Bassriff und die verzerrten Gitarren an Alice in Chains. Nach dem großteils instrumentalen, sich bedächtig aus Piano und Synthklängen sowie Gitarrenlinien aufbauenden, dann harten und schließlich spacigen Zwischenspiel The Turn steht in Awaken endlich (!) Simon Collins Gesang in purer Form im Mittelpunkt. Begleitet von sphärischen Gitarrenlinien zeigt sich das typische Collins-Timbre in voller Pracht. Erst im letzten Drittel des Songs setzt die volle Instrumentierung ein. Das effektbeladene, eingängig-melodische Beyond Belief ist der Track des Albums, der dem Material von Becoming Human am meisten ähnelt. The Universal mausert sich von einem Technointro hin zu einer poppigen Rockhymne, ehe sich, wiederum im letzten Drittel, die Atmosphäre orientalisch-Led-Zeppelinesk verdichtet und mit treibenden Percussionelementen auftrumpft. Abschließend kehren das programmierte Technoriff und der hymnische Refrain zurück. Mit My You folgt eine klassische Pop-Rock-Ballade, Simons Stimme zeigt sich ohne Effekte im vollen Glanz, zunächst nur von Keyboards, Elektronikeffekten und Becken begleitet, endet der Song mit einem wohlklingenden Gitarrensolo von Kelly. Der Track würde sich auch sehr gut auf einem Album von Papa Collins machen. Den Abschluss bildet Moment Of Truth mit dem bereits angesprochenen herausragenden Duett der beiden eMolecules. Der von Coldplay-artigen Pianospiel begleitete und von Simon gesungene Refrain erreicht dabei hymnische Qualitäten, die Richtung Arena-Rock deuten. Nach spärlich instrumentiertem Beginn, verdichtet sich der Track in bewährter Manier musikalisch und steuert auf eine climax zu, die leider nicht ganz hält, was der Aufbau verspricht.
Fazit
In den Presseaussendungen und auf ihrer Website lassen sich Simon und Kelly damit zitieren, mit The Architect die beste Musik ihrer Karriere geschaffen zu haben. Nun ist das quasi ein Standardsatz bei jeder Neuveröffentlichung und doch scheint er hier zu Recht getroffen worden zu sein. Hatte Simon bereits mit Becoming Human seine dramaturgischen Qualitäten hinsichtlich Songaufbau unter Beweis gestellt, so fehlte ihm doch ein weiteres Element, oder auch nur ein eMolecule, das von Kelly als Mitkomponist eingebrachte organischere, rauere und erdigere. Während Dimensionaut des Sound of Contact-Viergespanns vielleicht zu sehr als Progalbum hinproduziert wirkte (was auch die seither erschienen Soloalben von Dave Kerzner kennzeichnet), scheint die nun vorliegende definitiv hörenswerte Mischung des Duos Collins/Nordstrom persönlicher und kompromissloser. Die geneigte Hörerschaft wird sich sicherlich eine Weiterführung der offenkundig fruchtbaren Zusammenarbeit wünschen.
Autor: Siegfried Göllner
The Architect gibt es als Vinyl und im Digipak auf CD und ist bei JPC oder Amazon bestellbar.
Ein ausführliches Interview mit Simon Collins und Kelly Nordstrom findet ihr hier.
Tracklisting
01. eMolecule 10:43
02. The Architect 6:05
03. Prison Planet 4:58
04. Mastermind 8:39
05. Dosed 5:07
06. The Turn 5:56
07. Awaken 5:09
08. Beyond Belief 4:47
09. The Universal 6:03
10. My You 5:27
11. Moment of Truth 6:56