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Jack Lancaster & Robin Lumley – Peter And The Wolf (feat. Phil Collins) – Rezension

Lancaster und Lumley haben das sozusagen erste „Kindermusical“ Peter And The Wolf des russischen Komponisten Sergei Prokofiev als reine Audio-Fassung in jazzrockigem Gewand musikalischen Gästen umgesetzt. Die Neuauflage 2021 hat sich Steffen Gerlach näher angesehen.

Anlässlich der erstmals von den Originalbändern remasterten 2021/22er Neuauflagen der beiden Lancaster/Lumley-Alben auf Esoteric Recordings, lohnt es sich vor allem für Fans der Zweitband von Phil Collins in den 70ern – Brand X – einmal genauer in diese Werke von 1975 und 1976 reinzuhören, denn hier spielt der komplette Brand X-Clan die Musik! Es dürfte bekannt sein, dass Tastenmann Robin Lumley einer der Gründungsmitglieder von Brand X war, aber Saxophonist und Bloodwyn Pig-Mitbegründer Jack Lancaster ist wohl nicht jedem ein Begriff. Doch auch er gehörte, neben vielen anderen musikalischen Aktivitäten, von Anfang an mit zum engsten Kreis des Musiker-Kollektivs. Ein diesbezüglich sehr aufschlußreiches Interview mit ihm gibt es auf DME – Let It Rock zu lesen.


Bob Sergeant - First Starring Role
Lancaster und Lumley hatten bereits Ende der 60er gemeinsam an Musik zu Kurzfilmen der Rank Organization gearbeitet, und beide sind erstmals auf dem Titel-Song des 1974er Debüt-Albums First Starring Role von Lancasters damaligen Bandkollegen bei der Mick Abrahams Band, Bob Sargeant, zu hören. Zu dieser Zeit hatte sich mit den beiden eine Live-Jam-Band namens Karass formiert, der neben Drummer Chick Webb auch ihr gemeinsamer Basser-Freund Percy Jones und der Atomic Rooster-Gitarrist John Goodsall angehörten. Der Kreis erweiterte sich durch variierende Musiker-Gäste bei Live-Gigs und irgendwann verlagerte man diese Jams auch in die Island Studios, wo sich schließlich im Laufe des Jahres die sechsköpfige Urbesetzung von dem, was später Brand X werden sollte, herauskristallisierte – allerdings ohne Lancaster. Und nachdem zum Jahreswechsel Phil Collins als neuer Drummer in das Kollektiv eingestiegen war und noch im Winter erste Aufnahmen gemacht wurden, kam es durch Collins‘ Verpflichtungen bei Genesis im Frühjahr 1975 zu einer Zwangspause, welche Lancaster und Lumley nutzten, um ihre Songwriter-Partnerschaft zu vertiefen.

Ursprünglich als Jazz-Adaption für einen Animations-Film geplant, der aber aus finanziellen Gründen nicht zustande kam, versuchten die beiden das sozusagen erste „Kindermusical“ Peter And The Wolf des russischen Komponisten Sergei Prokofiev von 1936 nun als reine Audio-Fassung in jazzrockigem Gewand umzusetzen und hatten die Idee, dafür einen Rekord an musikalischen Gast-Musikern aufzustellen, die verschiedene Rollen des Stücks musikalisch interpretieren sollten. Neben bereits befreundeten Musikern, wie der Brand X-Rhythmusgruppe Goodsall/Jones/Collins, Bob Sargeant oder Bill Bruford, konnte man auch jede Menge neuer Gesichter für das Projekt begeistern, wie z.B. den damaligen Thin Lizzy-Gitarristen
The Soul Searchers - Scaramouche/Head Stand
Gary Moore.

Und noch bevor Peter And the Wolf konkretere Formen annahm, starteten Lancaster und Lumley mit Moore ein Ableger-Projekt namens The Soul Searchers. Mit dem späteren Brand X-Produzenten Dennis Mackay nahm man für eine Single-Veröffentlichung bei EMI die beiden Lumley/Lancaster-Kompositionen Scaramouche und Head Start auf – mit Goodsall an der zweiten Gitarre, Jones am Bass und Bill Bruford am Schlagzeug.

Nach einer stilistischen Neuausrichtung mit
Eddie Howell - The Eddie Howell Gramohone Record
personellen Konsequenzen bei Brand X, arbeiteten die übrig gebliebenen Mitglieder Goodsall, Jones, Lumley und Collins zunächst gemeinsam mit Lancaster im Juni und Juli als Backing Band für eine Produktion des Singer/Songwriters Eddie Howell, dessen Album The Eddie Howell Gramophon Record von Lumley und Mackay produziert wurde.


Produzent Dennis Mackay und Jack Lancaster in den Trident Studios 1975

Es folgte für das Kollektiv die ausstehende Aufnahme in den Londoner Trident Studios für Jack Lancaster & Robin Lumleys Peter And The Wolf-Mammut-Projekt, für welches der Chef von RSO Records, Chris Youle, zu begeistern war. Produziert wurde von den beiden selbst und Dennis Mackay. Die Musik stammt komplett von Lancaster und Lumley, wobei man einige der prominenten Leitmotive von Prokofievs Original verarbeitete. Und als „roten Faden“ hatte man den umtriebigen Viv Stanshall als Erzähler verpflichten können.


01 Introduction (1:05)

Mit sanftem, akustischem Guitar Picking von Gary Moore und einer von Julie Tippett (Frau des ex-King Crimson Keyboarders Keith Tippett) gesungenen Melodie-Linie – unterstützt von Lancasters Lyricon, Lumleys Rhodes Piano-Tupfern und verträumten Chimes-Klängen von Erika Michaelenko, entführt uns dieses kurze Intro auf die anstehende Phantasiereise, bis Erzähler Viv Stanshall auf die Geschichte einstimmt.

02 Peter’s Theme (2:10)

„…this is Peter!“ Der Hauptprotagonist der Story wird hier musikalisch mit Prokovievs populärem Motiv vorgestellt, allerdings intoniert von Pete Haywoods lässiger Steel Guitar und eingebettet in einen treibenden, funkigen Band-Track mit Percy Jones und Cozy Powell als Rhythmus-Gruppe und Gary Moore an der Gitarre. Dazu gesellen sich Clavinet und Synth-Strings von Lumley, über die Legende Manfred Mann ein herrliches Moog-Solo zaubern darf, und Lancasters Sax-Tupfer.

03/04 Bird And Peter(0:38 + 0:59)

Stanshall stellt Peters Freund, den Vogel, vor, der virtuos auf Procul Harum-Tastenmann Gary Brookers Synthesizer daher zwitschert. Die beiden gehen spazieren – auch musikalisch, denn die Band setzt wieder ein – jetzt noch grooviger mit den Brand X’lern Lumley, Jones, John Goodsall und Phil Collins, während sich Brooker und Heywood die musikalischen Bälle zu werfen.

[Hinweis: Leider stimmen von Track-Indexe 04 bis 06 nicht mit den Track-Titeln überein, da das Intro zuBird And Peter als eigener Track undPond undDuck And Bird als einen Track markiert wurde.]

05 Duck Theme (0:49)

Nachdem Stanshall in die Szenerie einführt, bekommt man die im Teich schwimmende Ente von Gary Moore als Wah-Wah-Gitarren-Thema vorgestellt, begleitet ebenfalls von Moore sanft gespielter akustischer Gitarre, Lumleys Rhodes Piano und dem soften Bass von Lancasters ex-Bloodwyn Pig-Kollege Andy Pyle.

06 Pond / Duck And Bird (2:08)

Improvisierte Piano-Läufe von ex-King Crimson-Tastenmann Keith Tippett, sanfte Vibraphon-Klänge von Collins und verträumte Chimes von Michaelenko unterlegen den von Stanshall erzählten Dialog von Ente und Vogel, und leiten über zum bereits intonierten Duck Theme, ergänzt mit Solo-Einlagen von „Vogel“ Gary Brooker – bis eine neue Figur die Szenerie betritt…

07 Cat Dance (2:37)

Die um den Teich schleichende Katze wird hier von der Violin-Legende Stéphane Grappelli in Prokovievs Katzen-Motiv im bluesigem Gewand verwandelt, begleitet von bluesig-rhythmischer Gitarre von ex-Ten Years After-Frontmann Alvin Lee und pumpendem Kontrabass von Dave Marquee.

08 Cat And Duck (1:32)

Flott wird’s bei dem „Katz-und-Ente“-Spiel mit schnellem Funk der X-Boys Lumley, Jones, Goodsall und Collins und musikalischem Duell zwischen Moores Wah-Wah-Gitarre und der Violine, gespielt von dem eigentlich als Jazz-Trompeter bekannt gewordenem Henry Lowther.

09 Grandfather (3:04)

Der von dem Schauspiel aufgescheuchte Großvater betritt die Bühne in Form eines von Lumley, Jones, Goodsall und Collins schwerfällig gespieltem 6/8-Blues mit Sax-Thema von Lancaster und Slide Guitar-Einwürfen von Moore. Stanshall als Großvater warnt Peter vor dem zweiten Hauptprotagonisten der Geschichte…vergeblich. Eine Variation von Peter’s Theme verheißt Leichtsinn, und wieder mit dem 6/8-Blues – hier mit Lyricon-Solo – gibt der Großvater entnervt auf.

10 Cat (0:34)

Die Katze lässt sich von alldem nicht beeindrucken und sucht sich mit dem von Grappelli interpretiertem Katzen-Motiv von Prokoviev und dem Bass von Marquee einen ruhigeren Platz.

11 Wolf (0:46)

Es wird bedrohlich, als nun endlich auch der Wolf in Erscheinung tritt, und zwar mit einer schaurigen Interpretation des Wolf-Motivs von Prokoviev. Mit allerhand Synthie-Sounds von ex-Roxy Music-Mann Brian Eno und Lumley, gepaart mit gruseligen Percussions von Collins, wird das Stück dem bösen Wolf gerecht.

12 Wolf And Duck (3:42)

Die Ente ergreift die Flucht! Dementsprechend hektisch geht es auch musikalisch mit Lumley, Jones und Collins zur Sache, die die von dem gefragten Session-Gitarristen Chris Spedding solistisch intonierte Flucht einbetten, unterbrochen durch „Wolf“ Enos fiese Synthie-Eskapaden. Für einen der beiden nimmt es kein gutes Ende…

13 Threnody For A Duck (1:51)

Einen Nachruf auf die Ente bringt uns der English Chorale, arrangiert von Geoff Leech.

14 Wolf Stalks (0:57)

Die Trauerphase für Peter und seine Freunde hält nur kurz, denn schon wieder liegt der Wolf auf der Lauer und fletscht seine Zähne. Siehe Wolf.

15 Cat In A Tree (2:13)

Für die Katze heißt es zunächst husch husch auf den Baum, begleitet von passender Violine von Grappelli. Und der Wolf schleicht anschließend witternd um den Baum, wenn Lumley, Jones, Goodsall und Collins mit schwerem Groove den aufgeregten Vogelgesang des Moog-Synthies untermalen.

16 Peter’s Chase (1:46)

„…we need a Rope!“ zitiert Stanshall den angstfreien Peter, wenn im Hintergrund schon eine typische Brand X-Jazzrock-Nummer im 6/8-Takt mit den Vieren anrollt und Peters Rettungsaktion in Töne übersetzt.

17 Capture Of Wolf (1:26)

Eine verträumte Variation von Peter’s Theme mit Lumley an Piano und Synthie und Lancasters Lyricon erklingt und wechselt sich mit dramatischen Teilen mit Enos Synthies und Collins Percussions ab, um Peters Wolfsfang-Unterfangen musikalisch abzubilden.

18 Hunters (0:59)

Mit Pauken (Powell, Collins, Bill Bruford und Jon Hisemen) und Trompeten (Lancaster und Lowther) laufen die alarmierten Jäger ein und wundern sich, wie ein Junge wie Peter einen Wolf fangen konnte.

19 Rock And Roll Celebration (2:38)

Das muss gefeiert werden! Am Besten mit einer waschechten Rock’nRoll-Nummer mit Lancasters Songwriter-Kollege Bernie Frost am Mikro, Moore an der Gitarre, Lumley am Piano, Collins an den Drums, Pyle am Bass und Lancaster am Lyricon und Saxophon!

20 Duck Escape (1:11)

Und zur Überraschung aller – lässt uns Erzähler Stanshall wissen – entkommt die schon totgesagte Ente dem Verdauungstrakt des Wolfes und flutscht aus dem Schlund ihres Peinigers direkt zurück in den Teich. Somit bekommt auch das Duck Theme seine wohlverdiente Reprise.

21 Final Theme (5:07)

Das große Finale bahnt sich mit einem mächtigen Groove und erhebenden Piano-Akkorden – gespielt von Lumley, Jones, Collins und Moore – mit einigen Motiv-Reprises von Lancaster seinen Weg in die Ohren, bevor uns Stanshall mit einem unmissverständlichen „..and that is the end of THIS story…“ wissen lässt, dass diese musikalische Reise zu einem Ende kommt, um dann noch einmal mit allerlei hymnischen „Peter is a hero!“-Gesangseinlagen von Julie Tippett, Bernie Frost, Bob Seargant und Erika Michaelenko richtig an Bombast zulegt.

Fazit:

Das knapp 40-minütige Werk ist eine ambitionierte und kurzweilige Umsetzung des Klassikers Peter & der Wolf. Wer sich als Freund des Brand X’schen Outputs nicht an dem erweiterten Instrumentarium wie etwa Saxophon, Violine, Kontrabass oder Gesang stört und auch musikalische Ausflüge in poppigere oder auch mal experimentellere Bereiche zulassen kann, wird sicher seine Freude an dem Konzept-Album haben. Die Frage, ob das Album nur für Kinder gedacht gewesen sei, kann mit einem entschiedenen „Jein“ beantwortet werden. Auch wenn die Erzählstimme eindeutig den jungen Hörer bedient, taugt der musikalische Gehalt durchaus dem erwachsenen Ohr. Und es ist auf alle Fälle spannend mit anzuhören, wie sich Lumley, Jones, Goodsall und Collins für Unorthodox Behaviour warm spielen. Schön ist auch, dass man sich Mühe mit der Neuauflage im Digipak gegeben hat, die durch das Remastern von den Originalbändern, der detaillierten Restaurierung des Artworks und ausführlichen Liner Notes mit Lancaster-Interview ganz klar an Wertigkeit gewinnt.


Brand X (1975/76): Jones, Lumley, Collins, Goodsall

Brand X - Orthodox BehaviourFür Lumley ging es nach Peter And The Wolf mit Brand X in die heiße Phase. Man feilte an sieben Tracks, die schließlich im September/Oktober 1975 gemeinsam mit Produzent Dennis Mackay aufgenommen wurden und auch Jack Lancaster auf dem Track Touch Woodfeaturen.

Autor: Steffen Gerlach


Peter And The Wolf
ist als Neuauflage im Digipak bei JPC und Amazon in Deutschland erhältlich.

Detailierte Infos über die komplette Band-Gechichte von Brand X gibt es hier!