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Phil Collins: Freitag beginnt die Not Dead Yet Live-Tour
An diesem Freitag, 2. Juni 2017 startet Phil Collins die nicht nur von Fans mit Spannung erwartete Comeback-Tour. Kurz vor der ersten Show machen wir eine Bestandsaufnahme, wagen eine Vorschau und machen uns zu dem, was erwartet wird und was man vielleicht erwarten darf ein paar Gedanken. Spoiler wie Details zu Setlist, Bühne und Produktion lassen wir hierbei bewusst außen vor. Diesen Artikel kann und darf jeder lesen, ohne dass dadurch Vorfreude und Spannung getrübt werden.
Sein letztes „echtes“ Tourkonzert hat Phil Collins vor nicht ganz zehn Jahren am 13. Oktober 2007 an der Seite seiner Freunde und Weggefährten Mike Rutherford und Tony Banks im Hollywood Bowl in Los Angeles unter dem Titel „Turn It On Again“ gespielt. Das letzte „echte“ Solotourkonzert ist sogar noch zwei Jahre länger her. Eine starke Erkältung zwang Phil Collins bzw. sein Management dazu, die zwei für Ende Oktober 2005 geplanten Konzerte in Prag um einen Monat nach hinten und damit ans Tourende zu verschieben. So sagte er sein vermeintlich letztes „final farewell“ nicht wie ursprünglich geplant in seinem Heimatland Großbritannien – auch wenn dies im schottischen Glasgow fernab seiner eigentlichen Heimatstadt London gewesen wäre – sondern in der damals erst ein Jahr alten tschechischen Sazka Arena (heute O2 Arena). Das war am Donnerstag, 24. November 2005.
Nach diesen beiden Abschiedstourneen wurde es erst einmal ruhig um Phil. Er kümmerte sich zwar um das Tarzan Musical, sammelte und spendete Alamo-Relikte und verwirklichte mit dem Motown-Coveralbum Going Back einen Jugendtraum. Doch bis auf wenige Ausnahmen verschwand er wie in den Jahren 2004 bis 2007 gebetsmühlenartig angekündigt tatsächlich weitgehend aus der breiten Öffentlichkeit. So ganz konnte er der Bühne jedoch nicht abschwören und spielte daher im Sommer 2010 in den USA, London und Montreux etwas mehr als eine Handvoll Shows, um für Going Back Werbung zu machen. Eine Tour im eigentlichen Sinne war das nicht und eigene Kompositionen wurden dort auch nicht gespielt. Nach 2010 war bis auf wenige Benefizkonzerte weitestgehend Funkstille. Dies hatte Gründe, die sich am besten in Phils Autobiografie mit dem vieldeutigen Titel „Not Dead Yet“ nachlesen lassen. Darin berichtet Phil selbst auch über die ominösen Bandproben in Miami im Herbst 2014, bei denen er testen wollte, wie fit er für Tourkonzerte wäre. Details dazu sind bis auf eine durchgesickerte Setlist größtenteils unbekannt, aber das Ergebnis war offenbar zu schlecht oder zumindest nicht gut genug, um eine Tour folgen zu lassen. Spätestens da dachten viele vermutlich: das war’s.
Die Biografie und die Neuauflage seiner Soloalben unter dem Motto „Take A Look At Me Now“ waren in dieser Dichte 2015 fast wie ein Paukenschlag. Als dann alle glaubten, das war schon mehr als wir nach den Rentenjahren erwarten durften, folgte am 17. Oktober 2016 dann die Ankündigung einer Tour, die – ob nun naheliegend oder einfallslos – den Titel der Autobiografie aufgreift, einfach um den Zusatz „Live“ ergänzt. Dieses Tourmotto ist allerdings ähnlich augenzwinkernd zu sehen wie die „First Final Farewell Tour“ 2004 bis 2005. So wirklich wollte man damals nicht daran glauben, dass Phil mit dem Ruhestand wirklich ernst machen könnte.
Interessant war bei der Tourbekanntgabe, dass es bis zu fünf Shows (die es wegen der zu erwartend hohen Nachfrage am Ende auch allerorts wurden) in nur drei Städten geben würde: London, Köln, Paris. Also Haupt- oder Großstädte in Ländern, in denen Genesis und Phil solo immer populär waren und die auch für Fans aus anderen Regionen und Ländern gut zu erreichen sind. Dieses Konzept war bereits bei der letzten Genesis-Tour eine Option, die dann am Ende doch nicht umgesetzt wurde. Verwässert wird das ursprünglich angekündigte Tourschema allerdings dadurch, dass nach dem Ausverkauf der Hallen in London, Paris und Köln plötzlich und unerwartet ein Stadionkonzert in Dublin, ein Festivalauftritt im Londoner Hyde Park und als Tourauftakt ein Hallenkonzert in Liverpool zum Tourkalender ergänzt wurden.
Was schon zu einem frühen Zeitpunkt die Vorfreude vieler Fans eintrübte und nicht wenige sogar verärgerte, waren die verglichen mit der letzten Tour horrenden Ticketpreise. Dazu kam zumindest bei den fünf Konzerten in der Royal Albert Hall, dass im Vorverkauf unzählige Fans leer ausgingen, fast zeitgleich aber reihenweise Tickets in Grau- und Schwarzmarktportalen zu noch horrenderen Preisen angeboten wurden. Und dann waren Tickets (wenn auch nicht die vordersten Kategorien) für Dublin, Hyde Park und sogar Liverpool teilweise deutlich günstiger zu haben als Eintrittskarten für die ursprünglich angekündigten fünfzehn Auftritte. Auch wenn fast alle Konzerte ausverkauft sind, werden sicher auch treue Fans diesmal nicht zum Konzert gehen, weil ihnen entweder allein die Tickets schon zu teuer sind oder zusätzliche Reisekosten bei dem Tourkonzept mit mehreren Shows in wenigen Städten das Budget sprengen würden.
Und was hat Phil seit der Tourbekanntgabe im Oktober gemacht? Erstmal tingelte er wegen Biografie, Album-Neuauflagen und Tour-Promotion durch diverse internationale TV-Formate. Bei Markus Lanz trat er mit einem überschminkten blauen Auge auf und für viele war dies mehr Anlass zu Beunruhigung als zur Vorfreude. Bei der Pressekonferenz, auf der die Tour angekündigt wurde, betrat er mit Krücke die Bühne. Dieser stetige Begleiter war seitdem (und schon lange davor) auf fast jedem Foto bzw. bei allen Auftritt zu sehen und deutet nicht darauf hin, dass man in den kommenden Wochen mit einem über die Bühne rennenden oder vor seinen Sängern knienden Phil rechnen darf. Er beteuerte stets, dass er viel trainieren wird, um für die Tour fit zu sein. Gesehen hat man von ihm aber seit Wochen nur extrem wenig. Es wirkt fast so, als ob er sich mehr denn je während der Tourvorbereitungen von der Öffentlichkeit abschirmt. Unklar bleibt, ob das auf eine unverändert angeschlagene Gesundheit hindeutet, die er verstecken möchte, um die Fans nicht zu beunruhigen. Oder ob er inzwischen so fit ist, dass er alle mit seiner Gesundheit und Kondition auf der Bühne überraschen möchte. Letztere Option wäre die wünschenswerte, sie ist aber nach alldem, was Phil über Jahre gesundheitlich und körperlich durchgemacht hat leider die unwahrscheinlichere von beiden. Im vergangenen Jahr trat Phil bei etwa einer Handvoll Events für seine Little Dreams Foundation und bei der Eröffnung der US Open auf. Seine Auftritte dauerten aber alle maximal eine Dreiviertelstunde. Nicht zu vergleichen mit einem Tourkonzert von ca. zweieinhalb Stunden. Außerdem wurde seine Stimme von nicht wenigen als schwach bezeichnet. Dies könnte an mangelnder Übung oder dem Alter liegen. Was das Schlagzeugspielen angeht, das früher einen besonderen Reiz bei den Konzerten ausmachte und fester Bestandteil einer jeden Solotour war, gab es von Phil wiederholt die Beteuerung, dass er üben, üben, üben würde, um trotz seiner gesundheitlichen Probleme wenigstens bei In The Air Tonight sein obligatorisches Drumfill spielen zu können. Wie steht es um seine Gesundheit wirklich? Wird er körperlich und stimmlich rechtzeitig fit für die Konzerte? Wird er trommeln können? Dies waren sicher nicht alle, aber dennoch die wichtigsten Fragen, die in der Fanwelt – und auf teilweise leider gewohnt geschmacklose Weise auch in der Presse – gestellt wurden. Antworten darauf bzw. Nachweise über Phils tatsächliche Tourtauglichkeit wird es vermutlich frühestens nach der Eröffnungsshow am Freitag geben.
Was seine Bandbesetzung angeht, hatten wir bereits im Februar detailliert berichtet. Der Kern der Band hatte sich bereits im Dezember erstmalig getroffen, damit sich vor allem Nic Collins an die Band und umgekehrt auch die Band an Nic gewöhnen konnte. Es ist natürlich mit einem gewissen Risiko verbunden, einen Sechzehnjährigen bei der Tour eines der weltbesten Schlagzeuger ans Schlagzeug zu setzen – auch wenn er der Sohn desselben ist. Nun hat sich die komplette Band Anfang Mai in Miami für die eigentlichen Tourproben getroffen. Vor etwa einer Woche zog man dann um nach London und seit Beginn dieser Woche wird – nun vermutlich endlich mit kompletter Bühne – in Liverpool geprobt. Somit macht auch die später hinzugefügte Einzelshow in der Beatles-Stadt Sinn. Vielleicht wurde einfach das Praktische mit dem Nützlichen verbunden. Von den Proben sickerte insgesamt trotz sozialer Netzwerke nicht viel durch. Ein Video gab es auf Phils offiziellem Facebook-Account von Nic an den Drums. Ansonsten lieferten einzelne Band- und Crewmitglieder hier und da Infos. So schwenkte Leland Sklar bei einem Video kurz über die Setlist. Ob das, was man da erkennen konnte, am Freitag so eins zu eins umgesetzt wird, werden wir sehen. Genauso wird sich zeigen, ob Nicholas dem Druck und den Anforderungen gewachsen ist. Er wirkt trotz oder gerade wegen seiner Jugend unbekümmert und selbstbewusst. Ob das verbunden mit seinem zweifelsfrei vorhandenen Talent ausreicht, wird sich zeigen. Ihm ist zu wünschen, dass er auf dieser Tour einen ersten großen Schritt zu einer hoffnungsvollen Karriere macht und dabei nicht bereits als Teenager verheizt wird. Aber auch hier darf man auf die Besonnenheit aller Beteiligten vertrauen. Phil selbst dürfte am besten wissen, was auf Nicholas alles zukommen wird.
Seit kurzem steht fest, dass die Shows wie gewohnt etwa zwei bis zweieinhalb Stunden dauern werden und wie bereits auf der Both Sides Tour 1994 und 1995 durch eine etwa dreißigminütige Pause unterbrochen werden. Ob dies wie damals der Dramaturgie des Konzertablaufs oder aktuell Phils Fitness geschuldet ist, dürfte neuerlichen Anlass zu Spekulationen geben. Ob die berechtigt sind, werden die nächsten Wochen zeigen.
Gewissheit über alle genannten Unwägbarkeiten werden wir frühestens nach der Auftaktshow am Freitag haben. Hinsichtlich der Frage, ob er die Shows grundsätzlich gesundheitlich schafft, dürfte klar sein, dass Phil Collins eher einen Ruf als Geld zu verlieren hat und nicht mit zweifelhafter Kondition einen Monat lang an fünf Tagen pro Woche jeweils zweieinhalb Stunden auf der Bühne stehen wird. Apropos Geld: es ist leider auch klar, dass die Shows – egal wie gut sie werden – keinen Eintrittspreis von deutlich über einhundert geschweige denn mehreren hundert Euro rechtfertigen. Phil wird mit ziemlicher Sicherheit etwas abliefern. Dennoch ist die berechtigte Frage nach vielen Jahren der Tourabstinenz aber, wie? Das führt zwangsläufig abseits von den Sorgen und Fragen um Stimme, Gesundheit und Fitness wieder zu gewohnten Diskussionen um Bühne, Songs und Showablauf. Wenn man sich als Fan wie früher auf solche Themen konzentriert, dürften sich auch Vorfreude und vielleicht sogar etwas Aufregung einstellen. Eine physische Performance wie noch 2004 und 2005 sollte sowieso niemand erwarten. Phil wird uns hoffentlich auf andere Art und Weise (positiv) überraschen. Ob das mit der Songauswahl passieren wird? Man darf gespannt sein. Experimente sind ebenso wenig zu erwarten wie eine komplette Runderneuerung der Songliste, die er auf der First Final Farewell Tour gespielt hat. Es wäre zu wünschen, dass Phil hier und da etwas weniger auf sichere Hits baut und stattdessen mal Songs spielt, die ihm persönlich gefallen und die das breite Publikum vielleicht nicht so gut kennt. Es ist jedoch (bis auf Going Back) seit 2005 kaum neues Material erschienen. Von daher wird er sich bei der Setlist auf bekanntes verlassen. Interessant wird auch bei den fünffachen Konzerten in London, Paris und Köln, ob die Setlists von Abend zu Abend zumindest an ein paar wenigen Stellen geringfügig variiert werden. Es sollte aber niemand, der fünf Mal in die Lanxess Arena pilgert erwarten, dass er fünf unterschiedliche Setlists zu hören bekommt. Was das Thema Genesis-Songs angeht, so ist nicht unwahrscheinlich, dass er auch dort wieder die eine oder andere Anleihe nehmen wird. Bereits 2004 und 2005 wurden einzelne Genesis-Songs (Misunderstandingund Invisible Touch) von ihm gesungen. In Interviews hatte er vor Monaten nicht ausgeschlossen, dass er auch in die Genesis-Songkiste greifen könnte. Ob das grundsätzlich bei einem so umfangreichen Repertoire wie es Collins solo vorweisen kann nötig ist, darf man gerne anzweifeln. Außerdem dürfte in diesem Fall auch die immer währende Reunion-Diskussion neu befeuert werden.
Spannung ist diesmal also mehr denn je im Vorfeld garantiert. Phil selbst sowie seiner Band und Crew wünschen wir alles Gute für diesen Tourmonat. Ob danach noch mehr kommen wird, ist aktuell völlig unklar und wird nicht unwesentlich vom Verlauf des kommenden Juni abhängen. Das betrifft viele Faktoren, von denen wir einige angesprochen haben. Vielleicht ist diese Tour am Ende aber mehr als nur ein Lebenszeichen. Zumindest sollte Phil es schaffen, mit seiner Performance das Motto der Tour unter Beweis zu stellen. Es wäre ihm und seinen Fans zu wünschen – auch wenn er wohl nie wieder monatelang auf der ganzen Welt unterwegs sein wird. Umso mehr sollten wir die kommenden Konzerte genießen.
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"Not Dead Yet Live"-Forumdiskussionen
Tourdatenseite zu "Not Dead Yet Live"
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