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Tony Banks – Seven: A Suite For Orchestra – Rezension

Der River Of Constant Change hat eine neue Biegung gemacht: Tony Banks veröffentlichte am 29. März 2004 mit Seven sein erstes orchestrales Album.


Der River Of Constant Change hat eine neue Biegung gemacht: Als konsequente musikalische Fortführung von Werken wie Firth Of Fifth (1973), Mad Man Moon (1976), One For The Vine (1977), The Wicked Lady (1983) oder An Island In The Darkness (1995), um nur einige zu nennen, veröffentlichte Tony Banks am 29. März 2004 mit Seven (Naxos 8.557466) sein erstes orchestrales Album.

Zwar wurde auch die B-Seite von The Wicked Lady ausschließlich von einem Symphonie-Orchester eingespielt, doch bestehen hier wesentliche Unterschiede: Zum einen genoss Tony damals nur eingeschränkte künstlerische Freiheit, da seine Musik dem Film dienlich sein musste; zum andern war er damals durch die parallele Arbeit an The Fugitive (1983) solchermaßen beansprucht, dass er den damaligen Arrangeur, Christopher Palmer, relativ frei mit dem musikalischen Material verfahren ließ, wie ein Vergleich der Orchesterarrangements mit Tonys Keyboard-Einspielungen unschwer erkennen lässt.

Das sollte bei diesem Projekt, das nach Abschluss der Calling All Stations-Tour erste Formen annahm, anders werden. Tony ließ bei allen sieben Teilen dieser Suite für Orchester seinem musikalischen Genius freien Lauf. Die Bezeichnung „Suite für Orchester“, der offizielle Untertitel, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um voneinander völlig unabhängige Stücke handelt; sie besitzen kein gemeinsames thematisches Material und wurden auch nicht alle gezielt für dieses Projekt geschrieben.

Der Arrangeur, Simon Hale, wurde hinzugezogen, weil durch eine solche Kooperation ein besseres Gelingen der Orchesterarrangements zu erwarten war, als wenn der auf diesem Gebiet weder studierte noch erfahrene Tony es allein vorgenommen hätte. Anders als Palmer 1983 durfte Hale an Struktur, Melodieverläufen und Harmoniefortschreitungen, die er Tonys eingespielten (wohl nicht aufgeschriebenen) ausführlichen Demos entnahm, aber nichts ändern. Bei der Vielfalt des Orchesters gab es für ihn jedoch genügend Mitgestaltungs-Spielräume, und er brachte eine Reihe kleinerer und größerer Ideen ein, die sämtlich mit Tony diskutiert und modifiziert und schließlich abgesegnet oder verworfen wurden.

Nach einigen Schwierigkeiten am ersten Aufnahmetag wurde das Werk schließlich Anfang Juli 2002 durch das renommierte London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Mike Dixon (der auch schon im Musical-Bereich tätig war) und im Beisein unter anderem von Tony, Simon und Nick Davis (als Co-Produzent) aufgenommen. Die Klavierparts bei drei Stücken, die das Orchester ergänzen, also keinen solistisch-konzertanten Charakter haben, nahm Tony selbst auf der Farm auf.

Der Titel Seven, also „Sieben“, soll die Individualität der Stücke unterstreichen; deren Bezeichnungen wiederum wurden nachträglich für sie gefunden und sollten nicht mit zuviel Inhalt und Bedeutung beladen sein, was für die ersten sechs auch zutrifft.


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Spring Tide (10:14)

Spring Tide eröffnet die Suite mit einem unbeschwert sprudelnden Thema, vorgetragen unter anderem von Flöte und Klavier (was somit sehr an Mad Man Moon zu erinnern vermag), das bald in einen ruhig fließenden lyrischen Teil übergeht. Bei 3:01 setzt das majestätische Hauptthema ein, das im Wechsel mit Motiven aus dem Einleitungsthema (das bei 5:48 explizit wiederkehrt) und dem lyrischen Teil das Stück dominiert und die „Springflut“ bei 8:02 zu einem Aufbäumen und anschließenden Abklingen führt. Dieser Einleitungssatz der Suite ist einer von dreien mit einem Klavierpart, und hier ist Tonys Instrument auch besonders deutlich wahrzunehmen. Kenner britischer Musik haben diesen Satz insbesondere mit der Musik von Ralph Vaughan Williams (1872-1958) verglichen.

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Black Down (9:46)

Black Down (ein Hügel in England) war das erste der fünf nach Calling All Stations entstandenen Stücke. Tony nahm es mit synthetischen Streichern in seinem Studio zu Hause auf und wurde neugierig, wie es wohl mit echten Streichern klingen würde, und damit nahm das Seven-Projekt seinen Lauf …

Manche Rezensenten haben das Black Down als Elegie, andere als Tongedicht bezeichnet, vor allem aber ist es sicherlich das Stück mit dem meisten Tiefgang, und das obwohl oder gerade weil es wenig dynamische oder rhythmische Veränderungen gibt. Beeindruckend sind die solistischen Stellen für das Kontrabass-Register (ab 1:23) oder die Violine (ab 6:13 und ab 8:19). In dem Abschnitt ab 4:05 erkennt man recht deutlich, dass der Komponist Keyboardspieler oder Organist ist.

Das Hauptthema und seine Reprise rahmen diese Komposition ein.

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The Gateway (7:30)

The Gateway (Das Tor) wurde bereits 1982 kurz nach der Musik für The Wicked Lady komponiert – gedacht als Musik für ein mögliches weiteres Filmprojekt. Ab 0:52 klingt tatsächlich ein Motiv aus der „verruchten Lady“ an. Bei 2:15 wird ein geniales, gewissermaßen aristokratisch anmutendes Thema vorgestellt, das bei 4:02 wiederkehrt und einen gelungenen Kontrast zu dem etwas pompösen Hauptthema darstellt, das The Gateway von Anbeginn beherrscht. Der Schluss (ab 6:51) überrascht mit einem netten Holzbläsermotiv

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The Ram (8:53)

Dieses Stück wurde als letztes der sieben Stücke geschrieben und sollte den überwiegend ruhigen, langsamen Charakter der anderen Stücke etwas ausgleichen. Dementsprechend dürfte „ram“ in seiner Bedeutungsvielfalt wohl nicht als „Widder“, sondern als „Sturmbock“ (historisches Kriegsgerät zur Erstürmung von Festungen) oder als Ramme (technisches Gerät) zu übersetzen sein; der Höreindruck des Anfangs suggeriert ersteres.

Unter Einsatz von viel Perkussion und Blech ist The Ram tatsächlich lauter als der Rest des Albums. Rhythmisch gibt es den einen oder anderen Taktwechsel, und großen Teilen des Stücks liegt ein „hopsender“ Rhythmus zugrunde. Über ein Allegretto hinaus schafft es Tony allerdings nicht, filigrane, leichtfüßige Musik liegt ihm bekanntermaßen nicht unbedingt, was bei seinen Solo-Projekten schon immer auffiel.

Ein ruhiger Mittelteil ab 3:16 bildet einen erholsamen Kontrast, und das bei 3:44 einsetzende Flötenthema (das bei 6:09 später wiederkehrt) verwendet eine interessante Tonleiter. Was nach dem Mittelteil folgt, ist ein inszenierter Höhepunkt nach dem andern, insbesondere bei 5:43, 7:13 und 8:38.

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Earthlight (4:43)

Earthlight ist der kürzeste, in seiner Formvollendung und Prägnanz aber sicherlich einer der gelungensten Parts von Seven. Tony beschreibt Earthlight als „Thema mit Variationen“, was die Form aber nicht ganz treffend beschreibt.

Das eingangs von den Streichern vorgestellte viertaktige Thema wird direkt im Anschluss vom Fagott übernommen und anders harmonisiert. Diese Fagott-Variation (ursprünglich von Tony für Englisch Horn gedacht, für dieses aber etwas zu tief) war im Kompositionsprozess vor dem Streicherthema entstanden.

Dem Fagott-Solo folgt bei 0:59 ein herrliches kurzes Flötenintermezzo, bevor das Hauptthema wieder in der Lage, Instrumentierung und Harmonisierung variiert wird.

Bei 1:50 leiten die Celli einen Zwischenteil ein, unterlegt von Sechzehntelläufen der Violen; letztere sind eine Erfindung des Arrangeurs, die Tony auf dem Papier mit einiger Skepsis beäugte, im klanglichen Ergebnis aber sehr begrüßte – er gab zu, er wäre in 100 Jahren nicht auf diese Idee gekommen. Der Zwischenteil wird unter anderem mit einem Trompetensolo fortgesetzt, bevor ab 3:09 wieder die Variationen des Hauptthemas einsetzen und in choralartiger Reinheit abschließen.

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Neap Tide (4:57)

Neap Tide wurde von Tony bereits in der Strictly Inc.-Periode aufgenommen, aber nicht veröffentlicht. Als vielleicht unspektakulärstes Stück dieser Sammlung hat es doch eingängige Themen und nette, aber doch etwas unmotivierte Modulationen. Auch eine Harfe bekommt man zu hören und ein gefälliges Cello-Solo (ab 2:04), worauf ein Crescendo zur Reprise des Anfangsthemas hinführt. Bei 4:06 kehrt das Solo-Cello wieder und leitet den Schluss ein.

Neap Tide und Earthlight haben bei den Aufnahmen am wenigsten Probleme bereitet.

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The Spirit Of Gravity (11:34)

Der Titel ist eine Kapitelüberschrift aus Friedrich Nietzsches – Also sprach Zarathustra. Musikalisch handelt es sich um das reichhaltigste Stück dieser Suite, was die Vielfalt der (durchweg interessanten) Themen, Tempowechsel und Instrumentierungen angeht; leider werden die vielen Themen nicht ausgiebig verarbeitet, weshalb die Komposition farbenreich, aber nicht tiefschürfend ist.

Harfenzupfen und ein simples Thema eröffnen das Stück – das Thema wird zunächst von Bläsern vorgetragen, dann von Streichern allmählich übernommen und weiterentwickelt, kehrt zu den Bläsern zurück und wieder zu den Violinen (bei 1:59), wo es dann mit Achtelläufen der Violen und Celli unterlegt wird.

Bei 2:18 setzt ein schneller, spritziger Teil ein – vom Tonmaterial und der Dynamik her sehr gelungen und im Orchesterklang sehr ausgewogen. Attacca schließt sich bei 3:28 wieder Material des Einleitungsthemas an. Ab 4:55 wird man die orientalischen Klänge aus Laideronnette, jenem Satz aus dem musikalischen Märchenbuch Ma Mère l’Oye von Maurice Ravel (1875-1937), erinnert.

Nicht ganz so capriccioso wie vielleicht gewollt geht es mit einem neuen Thema ab 5:10 weiter. Hier kommt auch Glockenspiel zum Einsatz. Den Geist der Schwere verspürt man wohl am ehesten in dem tiefen Bläsersatz, der ab 6:30 das zentrale Thema einführt, bevor „Laideronnette“ und das Capriccioso wieder auftreten.

Wieder machen sie Platz für den Geist der Schwere (9:23), der sehr mächtig wirkt und das Tutti des Orchesters beansprucht (hier hätte Tony sich eine noch größere Besetzung gewünscht), bevor das Einleitungsthema wiederum den Abschluss bildet. Das Ende bildet kein langer Schlussakkord, sondern – wie bei einige anderen Stücken von Seven auch – ein unspektakuläres, fast unbemerktes kurzes, leises Verklingen des letzten Motivs.

Während der Aufnahmen waren viele eilige Überarbeitungen der Partitur dieses Stücks notwendig, und vor allem das Finale (ab 9:23) war schwierig zu produzieren.


Worin bestehen die Hauptunterschiede für Tony zwischen der Produktion von Rockmusik und Orchestermusik?

Bei Seven genoss Tony die Freiheit, nicht an die „Gesetze“ der Rock- und Popmusik gebunden zu sein, sondern beispielsweise die Harmoniefortschreitungen frei gestalten und Wiederholungen vermeiden zu können. Andererseits ist die Arbeit mit einem großen Orchester sehr teuer: Zeit ist Geld, und das insbesondere, wenn es schwierig wird, dem Dirigenten und dem Klangkörper zu vermitteln, was man sich musikalisch vorstellt. Tony vergleicht die Schwierigkeit mit dem Wenden eines Öltankers. Solche einschneidende Erlebnisse am ersten Aufnahmetag brachten Tony fast an den Rand der Verzweiflung. Er nahm einige Demos neu auf und Simon passte die Arrangements an, so dass sie verständlicher und klarer wurden.

Bekanntlich haben ja auch andere Genesis-Kollegen schon größere Orchesterwerke durchaus erfolgreich produziert und veröffentlicht. Mit Steve Hackett (A Midsummer Night’s Dream, 1997) hat Tony gemeinsam, dass sie beide einen Arrangeur hinzuzogen, Hacketts Werk ist aber eher ein Gitarren-Konzert, und die Orchesterarbeit ist nicht so vielfältig und ausgereift. Anthony Phillips und Harry Williamson arrangierten Tarka (1988) selbst (Ant unter anderem den besonders gelungenen 3. Satz), die Musik ist teilweise fesselnder als das eher filmmusikartige Seven.

Hauptunterschiede zu „herkömmlicher“ Orchestermusik ist z. B., dass Tony durch seine Herkunft bedingt zuerst an Aufnahme, dann an Live-Darbietung denkt – für gewöhnlich ist es umgekehrt. Für ihn war die Arbeit mit Orchesterprofis auch gewissermaßen ehrfurchteinflößend, auch vor dem Hintergrund, dass Rockmusik meist als minderwertig gegenüber Orchestermusik gilt; es gelang ihm jedoch, dies mit der Zeit zu überwinden.

Das Beschäftigen eines Arrangeurs ist hingegen nichts Ungewöhnliches. Dies tat z. B. auch George Gershwin, der beispielsweise von Rhapsody In Blue und An American In Paris Klavierversionen komponierte und sie von Ferde Grofé für Orchester arrangieren ließ. Banks meint, dass seine Demos allerdings näher am Endergebnis waren als ein zu arrangierendes Klavierstück.

Seven wurde und wird mit der Orchestermusik verschiedener vor allem englischer, spätromantischer und impressionistischer Musiker verglichen. Tony selbst nennt als Einflüsse Ralph Vaughan Williams (5. Symphonie), Jean Sibelius (1865-1957, 4. und 7. Symphonie, Tongedichte), Edward Elgar (1857-1934) und „etwas“ Gustav Mahler (1860-1911), unter den klavierbetonten Impressionisten Maurice Ravel und vor allem (auch wegen seiner rhythmischen Elemente) Sergej Rachmaninow (1873-1943).

Die Naxos-typische Verpackung (im Booklet Tonys Begleittext in Englisch und Deutsch, Texte über Tony und das London Philharmonic Orchestra in Englisch) steckt – und das ist ungewöhnlich – in einem schicken Pappschuber, den das Covergemälde des bereits verstorbenen Stefan Knapp ziert: „Le pays avec arbres“ (Das Land mit Bäumen). Außerdem wurde die Seven-CD in die Reihe „21st Century Classics“ eingegliedert – ob es wirklich ein Klassiker wird, darf allerdings sehr bezweifelt werden.

Einer Live-Darbietung steht Tony positiv gegenüber. Er favorisiert allerdings die Aufnahme einzelner Stücke von Seven in ein Konzertprogramm eines Orchesters, um so auch ein „fremdes“ Publikum zu erreichen, statt eines eigenständigen Seven-Konzertprogramms, das allenfalls Fans anzieht.

Was folgt nach Seven?

Wenn dieses Werk gut rezipiert wird, gibt es möglicherweise irgendwann ein weiteres Orchesterwerk. Tony träumt davon, die „Power“ der Rockmusik mit dem Orchesterklang zu verbinden; dazu würde er beispielsweise Orchestermusik mit synthetischen Tieffrequenz-Klängen kreuzen. Ein solches Werk sollte dann auch mehr aus einem Guss sein als Seven.

Möglicherweise wird Tony auch Musik seiner früheren Solo-Alben in Orchestermusik umsetzen, allerdings keine Genesis-Musik, da diese zu bekannt sei. Und schließlich hat Tony mit Seven endlich eine gute Visitenkarte für Filmproduzenten abgegeben.Man darf also gespannt sein, welchen Lauf der River Of Constant Change weiterhin nimmt …

Autor: Andreas Lauer, Juni 2004