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Tony Banks – Interview (Tschechisch) Mai 2017
Die tschechische Musik-Website Casopis / Headliner veröffentlichte im Mai 2017 ein aktuelles Interview mit Tony Banks, das sie anlässlich seines Aufenthaltes in Prag mit ihm führte.
Im Mai 2017 veröffentlichte die tschechische Website Casopis / Headliner ein Interview mit Tony Banks (das Original ist hier zu finden). Mit freundlicher Genehmigung der Websitebetreiber veröffentlichen wir hier das Interview in einer Art Übersetzungszusammenfassung, die Andreas Lauer für uns angefertigt hat. Tony Banks befindet oder befand sich zu Zeiten des Interviews in Prag, um an seinem neuen Klassik-Projekt zu arbeiten.
Auf die Frage, ob er gerade Filmmusik oder ein neues Soloalbum aufnehme, sagt er, es sei keine Filmmusik, sondern ein neues Solo-Orchesterprojekt. In den letzten zehn Jahren habe er schon zwei solche veröffentlicht und wage sich nun an das dritte. Das letzte habe er vor sechs Jahren schon in Prag aufgenommen, aber in einem anderen Studio und mit einem anderen Orchester.
Gefragt nach dem Grund für die Wahl des CNSO (Czech National Symphony Orchestra) sagt er, es gebe keinen. Am wichtigsten sei, dass sie sehr flexibel und offen für jede Zusammenarbeit seien. Im Vergleich mit einem Londoner Orchester arbeite es sich mit ihnen (den tschechischen Musikern) viel besser zusammen. In London sei der Zeitplan sehr strikt und eng und jede Minute sehr teuer. Wenn man mit Musikern Musik aufnehme, die diese noch nie gehört hätten, brauche es Zeit, dass sich sich mit der Musik vertraut machen, sich in sie hineinvertiefen können, um sie präzise spielen zu können. Wenn man hingegen Beethovens 5. Symphonie aufnehme, sei diese jedem Musiker schon bekannt und man müsse nur dem Dirigenten folgen. Bei einem neuen, unbekannten Stück aber müsse man langsam vorgehen.
Wie es denn diesmal sei, so die Frage. Er sagt, bei dieser Gelegenheit, diese Woche arbeite man anders als vor ein paar Jahren. Früher habe man das Orchester als ganzes aufgenommen. Diesmal habe er, Tony, entschieden, einzelne Abschnitte separat aufzunehmen, um bessere Kontrolle über das ganze zu haben. Dass letzteres notwendig sei, habe er in der Rockmusik gelernt. Er habe versuchen wollen, wie das in der klassischen Musik funktioniere.
Wo der unterschied sei? So habe es einen großen Vorteil: Wenn ihm im Nachhinein ein Part nicht gefalle, könne er ihn löschen und neu aufnehmen lassen. Wenn man mit dem ganzen Orchester gleichzeitig aufnehme, sei das sehr schwierig. Aufnahmen mit Symphonieorchester seien immer eine finanziell anspruchsvolle Angelegenheit, die sich nie auszahle. Mit dem Verkauf von CDs hole man das nie wieder herein. Dennoch nehme er Klassik auf, weil er es liebe. Und er sei ein glücklicher Mensch, weil er sich das leisten könne. Er denke, es sei es wert, Musik zu machen und etwas Neues zu schaffen. Komponieren und Aufnehmen sei der Sinn seines Lebens. Er versuche, präzise zu arbeiten, aber nicht um jeden Preis. Wenn es einen Weg gebe, etwas zu sparen, so ziehe er den vor.
Was das Ergebnis seiner Arbeit hier im Studio sei und wann es veröffentlicht werde? Das wisse er noch nicht genau. Über den Titel z. B. habe er sich noch keine Gedanken gemacht, wahrscheinlich aber werde er sich für etwas im Stil der beiden letzten Aufnahmen entscheiden (Seven, Six). Es könnte also die Fünf folgen, also Five Pieces … also irgendetwas mit der Fünf. Im Betiteln sei er nicht allzu gut. Entweder ein Name falle einem sofort ein, oder es brauche sehr lange. In der Pop-/Rockmusik sei es einfacher, da könne man die CD nach einem bestimmten Stück darauf benennen. So habe man es bei Genesis oft gemacht. Er hoffe, dass das Album noch dieses Jahr erscheine. Der genaue Termin hänge von der Plattenfirma ab, er könne nichts versprechen.
Ob er sich ausschließlich auf Klassik konzentriere und die Rockmusik bei ihm keine Chance mehr habe – z. B. Genesis … Er sagt, er konzentriere sich hauptsächlich auf Klassik. Zwischen den ersten beiden derartigen Projekten habe er sich der Genesis-Reunion zugewandt. Aber das sei seine Entscheidung, niemand zwinge ihn zu etwas. Schritt für Schritt sammle er Material zusammen, das er möge, und wenn er fühle, dass es bereit zur Aufnahme sei, gehe er ins Studio. Er verspüre dabei eine große Freiheit. Er möge Pop und Rock, aber dort herrschten ganz andere Strukturen vor. Man müsse nicht so präzise sein, brauche aber Hits. In der Klassik könne er machen, was er denke.
Ob er nicht irgendwann zur Rockmusik zurückkehre? Das sei möglich, aber er wisse es nicht. Es sei offensichtlich, dass er nicht mehr jung sei. Er denke, dass ein Comeback von Genesis unwahrscheinlich sei. Auf der anderen Seite aber sei es eine Band, bei deren Mitgliedern man ja nie wisse.
Man würde Sie gern vereint sehen, so der Interviewer. Ja, sicherlich, sagt Tony. Phil werde im Sommer auf Tournee sein. Man werde sehen, wie er damit zurechtkomme. Es sei klar, dass er (Phil) physisch nicht mehr so auf dem Damm sei wie in der Vergangenheit, daher sei seine Leistungsfähigkeit begrenzt. Wenn man als Genesis zusammenkäme, könnte das zum Problem werden. Aber man werde sehen. Er selbst (Tony) für seinen Teil sage zu Aktivitäten auf dem Gebiet des Rock nicht strikt Nein, aber er habe nichts Konkretes im Sinn, worauf er sich einlassen wolle.
Ob er die Rockmusik nicht vermisse? Er habe sie verlassen und in einen anderen musikalischen Modus umgeschaltet. Er habe aufgehört, Rockalben zu machen, weil es offensichtlich gewesen sei, dass es eigentlich niemanden interessiere. Als er sich auf das erste Orchesterprojekt eingelassen habe, habe ihn das absolut innerlich erfüllt und ihm überdies daraufhin Anerkennung in einem eingegrenzten Genre gebracht. In England seien beide Alben sehr erfolgreich gewesen. Damit sei auch eine Form der Zufriedenheit eingetreten. Und auch an diesem entstehenden Projekt bestehe Interesse. Er sei sehr glücklich, nicht nur für die Schublade zu komponieren. Er sei offen für alles. Er sei am Songschreiben interessiert, ob nun Rock oder Klassik.
Ob er also das Komponieren dem Auftreten im Konzert vorziehe? Antwort: Zu hundert Prozent. Er habe sich immer als Komponisten begriffen, sei nie ein Performer gewesen.
Ob er gedenke, eines der sommerlichen Konzerte von Phil Collins zu besuchen? Er antwortet, er werde zu einem Konzert in der Royal Albert Hall gehen. Wenn einer der Kollegen aus der Band auf Tour sei, versuche er immer, ein Konzert zu besuchen. Letztes Jahr sei es Mike Rutherford mit Mike + The Mechanics gewesen. Es sei gut zu erkennen gewesen, wie sie sich entwickelten, unabhängig davon, ob einem das Konzert selbst gefalle oder nicht.
Ob er in letzter Zeit Peter Gabriel gesehen habe? Mit Peter stehe er in Kontakt. In den letzten Jahren habe er ihn zwei- oder dreimal getroffen. Beim letzten Mal sei es ein etwas trauriger Anlass gewesen, nämlich die Beerdigung von Peters Mutter. In der Vergangenheit habe es eine große Nähe zu Peters Familie gegeben. Mit Peter selbst habe er sich nicht so oft getroffen, wie es vielleicht möglich gewesen wäre. Hätte eine gemeinsame Aktivität angestanden, wäre es sicher öfter gewesen. Er (Peter) sei ein ständig vielbeschäftigter Mann.
Ob sich wieder mal ein neues Filmprojekt abzeichne? Tony antwortet, er habe Musik für drei Filme gemacht, aber es seien keine Blockbuster gewesen. Es sei sehr schwer, an einen Topregisseur zu kommen und seinen Geschmack zu treffen. Einmal habe er auch in Erwägung gezogen, die Musik ganz an den Nagel zu hängen. Natürlich habe er auch gespürt, dass es da noch Ausbildung braucht. Er habe nichts in der Art wie Genesis machen wollen, und so habe er begonnen, mit Orchesterstücken zu arbeiten. So habe er ein neues Leben begonnen. Die Arbeit an einem Filmprojekt würde er begrüßen, weil dies eben nichts Ähnliches (wie Genesis) wäre. Aber es komme auf die Leute an, die ihm die Möglichkeit dazu gäben. Regisseure seien konservativ und hätten keine Zeit, sie gingen auf Nummer Sicher und verpflichteten lieber Leute, die sie schon kennten, mit denen sie schon früher zusammengearbeitet hätten.
Zurück zum aktuellen Projekt – ob es rein instrumental sei? Tony sagt, er glaube, es werde das Beste, was er in diesem Genre je geschaffen habe. Er habe auch einen Chor dabei gehabt, der bei einem der Stücke singe. Die übrigen Stücke seien instrumental. Bei den meisten Stücken habe er auch Klavier gespielt, aber er sei nicht sicher, ob er alles, was er eingespielt habe, letztendlich verwende. In einigen Passagen sei es wahrscheinlich überflüssig.
Er sei ja Keyboarder und Pianist – ob er täglich übe? Dazu sei er zu faul. Wenn er zu Hause sei, spiele er jeden Tag. Man könne dabei aber nicht von Üben sprechen. Es sei ein Herumspielen mit Melodien und ein Ausprobieren von Dingen, die ihm in den Kopf kämen. Er habe nie zu den Musikern gehört, für die Spieltechnik wichtig sei. Er wisse, dass Millionen Spieler eine bessere Technik hätten als er selbst. Er könne Keyboard spielen, aber, und das sei großartig, auf dem Computer könne man jeden Ton/Klang spielen, den man brauche. Und das sei genau das, was er mache. Er bezeichne sich nicht als Keyboarder oder Pianisten.
Aber bei Genesis habe er das gemacht (Keyboard spielen), wirft der Interviewer ein. Es habe keine andere Wahl gegeben, so Tony. Niemals habe er beabsichtigt, Keyboarder zu werden. Er habe Musik schreiben wollen. Weil sie einen Keyboarder gebraucht hätten und niemand es habe machen wollen, habe er es eben machen müssen. Im Laufe der Jahre habe er sich entwickelt, könne so einiges spielen und habe auch ein paar Auszeichnungen erhalten, aber das sei niemals sein Ziel gewesen. Wichtig sei weniger, wie er spiele, sondern was er spiele. Er habe seinen eigenen Stil, der entweder gefalle oder nicht. Mit einem Orchester würde er nicht spielen.
Es wird nach einer möglichen Liveaufführung des neuen Projektes gefragt. Tony bekennt, dass er sich darüber sehr freuen würde. Er würde aber nicht selbst Klavier spielen. Vielleicht würde er so tun als ob, aber jemand anderes würde tatsächlich spielen.
Interviewer: „Hinter dem Vorhang …“ Tony: Klar, und der Applaus würde mir gelten. Aber nein, das sei selbstverständlich ein Witz. Er glaube nicht, dass es gut wäre, wenn er mit einem Orchester aufträte.
Ob er das Spielen also gar nicht möge? Das könne er auch nicht gerade sagen, aber es reize ihn nicht sonderlich. Er fühle sich dabei nicht wohl. Er gehöre nicht zu den Leuten, die viel brauchten. Es (das Spielen) sei zwar aufregend, aber er verspüre niemals den Wunsch. Auf der Bühne habe er sich immer im Hintergrund am wohlsten gefühlt. In der Band habe es ihm gefallen. Niemals sei er ein Showman gewesen, Peter Gabriel und Phil Collins hätten das in sich.
Wenn jemand eine Genesis-Tour vorschlagen würde … dann, so Tony, würde er wahrscheinlich mitmachen. Wenn alle mitmachten, sollte es an ihm nicht scheitern. Er wisse, dass Mike sich sehr darüber freuen würde. Phil wahrscheinlich auch, aber da seien die physischen Einschränkungen. Er sei nicht mehr der Schlagzeuger, der er mal gewesen sei, und so müsste man wohl eine alternative Lösung suchen. Wahrscheinlich brauchten sie dann einen neuen Schlagzeuger.
Ob er sich zeitgenössische Pop-/Rockstars anhöre? Er höre kaum Musik. Und wenn, dann seien es ältere Acts, die ihm gefallen. Sie hätten sich im Laufe der Jahre bewährt und gefielen ihm immer noch. Er könne keinen einzigen Song beispielsweise von Beyoncé nennen. Er möge bekanntermaßen Coldplay, ihre Lieder seien erstaunlich. Coldplay höre er sehr gern. Früher habe er reinen Pop gemocht. Er höre keine Musik und halte sich von fremder Musik fern, um einen klaren Kopf für die Schaffung eigener Musik zu haben. Er habe sich ganz und gar aufs Schreiben fokussiert, und für das Hören anderer Musik habe es stets weder Zeit noch Ort gegeben. Im Radio bevorzuge er das gesprochene Wort. Im Auto höre er manchmal Mainstream-Sender, deren Musik ihm gefalle, aber er wisse absolut nicht, wer die Interpreten seien, und interessiere sich auch nicht dafür. Natürlich gebe es ein paar Sängerinnen und Sänger, die er unzweifelhaft erkenne, wie z. B. Adele. Die Intensität, mit der er Beatles, Kinks oder Beach Boys verehrt habe, sei lange vergangen, jene Gefühle und Emotionen. Bei neuen Interpreten erlebe er solches nicht.
Ob er Konzerte besuche? Auch Konzerte besuche er kaum. Zu einer sehr aktiven und erfolgreichen Band zu gehören / gehört zu haben, verwehre ihm die Musikwelt der Fans, Zuhörer und Konzertbesucher. Das heiße aber nicht, dass er keine Musik möge. Im Gegenteil, er liebe Musik in ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Außer Rap, Rap-Musik möge er überhaupt nicht.
Und wie sei das mit der Klassik? Was halte er von Filmmusikern wie Hans Zimmer oder Ennio Morricone? Maestro Morricone, so Tony, sei erstaunlich. Klassische Musik höre er, aber nicht allzu oft. „Oder … sagen wir es so, dass ich sie nicht so oft höre, wie die Leute vielleicht denken mögen.“
Interview: Casopis / Mai 2017
Übersetzung / Zusammenfassung: Andreas Lauer
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung – vielen Dank!
Published with kind permission – many thanks!