1. Artikel
  2. Lesezeit ca. 9 Minuten

Steve Hackett – Surrender Of Silence – Info und Rezension

Kaum neun Monate nach seinem Akustikalbum Under A Mediterranean Sky präsentiert Steve Hackett mit Surrender Of Silence sein neues Rockalbum.

Steve Hacketts Output der letzten Jahre ist beachtlich – mit Surrender Of Silence legt er in diesem Jahr nach dem akustisch-instrumentalen Under A Mediterranean Sky schon sein zweites Studioalbum vor (das 28. Soloalbum insgesamt) – dieses mal wieder ein „elektrisches“ Album mit Gesang. Und er kündigt an: Er lässt es krachen – raus aus dem Lockdown. Bereits im it-Interview im Mai 2021 erzählte er viel über die Entstehung und den Charakter des Albums, im Juni dann wurde es offiziell angekündigt.

Nun, damit hat Steve die Latte schon recht hoch gelegt. Seine letzten drei Alben Wolflight, The Night Siren und At The Edge Of Light hatten alle das gleiche Flair – wir sehen es als eine Art Trilogie – und nicht wenige Fans haben sich zumindest eine andere Produktion, einen anderen Sound gewünscht. Insofern ließen seine Äußerungen im it-Interview aufhorchen.

Ganz sachlich betrachtet produziert Steve den größten Output im Genesis-Lager. Es gibt alle 1-2 Jahre neue Alben, Live-Alben von jeder Tour und Steve ist auch als Gast auf vielen Alben von Kollegen vertreten. So gibt es auch unter den Fans unterschiedliche Erwartungshaltungen: Einerseits will man einen möglichst vielseitigen und vielschichten Hackett hören. Andere würden sich lieber ein schlankeres Album wünschen – also ohne Orchestrierungen und mit weniger Instrumenten. Die meisten aber sehen vor allem beim Sound Verbesserungspotenzial.

Surrender Of Silence beginnt mit einem Intro und schließt mit einem Outro. Steve will uns also bewusst auf eine Reise nehmen. Und bereits im Intro, The Obliterati, scheint der Kurs gesetzt zu sein – eine prägnante Gitarren dramatische, Science-Fiction anmutende Keyboards, Hackett-typische Drums, verschiedene Gitarrenmuster – dann eine recht opulente Orchestrierung … das erinnert stark an seine letzten Alben. Alleine mit den Ideen für sein Gitarrenspiel hätte man aus diesem Stück zwei oder drei Instrumentals machen können. Dennoch ist The Obliterati ein Statement.

Natalia wiederum lässt es ruhiger angehen. Steves Gesang erinnert zuweilen an Zeiten von To Watch The Storms, gleichzeitig wirkt der Chor etwas zu üppig oder vielleicht auch deplatziert. Dazu gibt es zum Beispiel zwischen dem ersten Refrain und der zweiten Strophe Soundspielereien, die im Kontakt des Gesamtarrangements sehr verloren wirken. Mitten in dem recht unruhigen Stück kommt es dann zu einem Bruch, bevor man dann etwas unvermittelt wieder zum Refrain zurückkehrt.

Die Orchestrierungen und choralen Passagen sind etwas zu wuchtig und lassen dem Stück zu wenig Luft zum Atmen. Man hat stellenweise das Gefühl – das gab’s in einer anderen Variation auf einem der letzten Alben schon mal. Hier war deutlich mehr drin.

Surrender Of SilenceAuch Relaxation Music For Sharks geizt nicht mit Orchestrierung. Aber hier wird auch das laute Element in den Vordergrund gebracht und neben dem Drumming von Nick D’Virgilio hören wir einen bestens aufgelegten Steve spielen. Hier passen die orchestralen Elemente viel besser als bei Natalia. Was genau das Stück aber abseits des Anfangs und des Endes für eine Entspannungsmusik für Haie qualifiziert, muss noch ergründet werden.

Wingbeats funktioniert leider überhaupt nicht und ist das wohlmöglich schwächste Stück des Albums (und kurioserweise die erste Single). Die afrikanischen Klänge und der afrikanische Chorgesang wirken viel zu aufgesetzt, die Strophen arg konstruiert und der Gesang überproduziert. Das klingt sehr nach Baukastenprinzip. Und das ist schade, denn das Gitarrenthema ließe sehr viel Platz für bessere Ideen.

The Devil’s Cathedral sticht schon deshalb heraus, weil Nad Sylvan das Stück singt – abseits des Genesis Revisited II Albums ist das eine Premiere auf einem Soloalbum von Steve Hackett. Der Songtitel rechtfertigt den Einsatz eines opulenten Kirchenorgelsounds im Intro. Dem Opener folgt ein straightes Rockthema, dazu eine gelungene Strophenmelodie und ein gediegenes Drumming von Craig Blundell. Dann folgt ein fast schon übertriebener orchestraler Ausflug, bevor das Tempo angezogen wird. Das ursprüngliche Thema hat man ganz verlassen und so ist Nads wiedereinsetzender Gesang eine ganz andere Melodie.

Im Prinzip ist dieses Stück eine lupenreine Prognummer, kompakt dargeboten in sechseinhalb Minuten. Als solche funktioniert das Stück sehr gut. Aber: Sehr gern hätte man mal eine reine Songversion davon gehört. Die Melodie ist jedenfalls bis zum Mittelteil Klasse! Allerdings hat sich Steve bei diesem Stück erneut bei sich selnbst bedient. Die Stelle ab ca 2:55 ist ziemlich identisch mit der Passage ab 3:18 auf dem GTR-Stück Imagining.

Die straighte Rocknummer gibt es dann mit Held In The Shadows. Eher ruhige, durch eine akustische Gitarre getragene Strophen und ein knallender Refrain, angetrieben durch Craigs Drumming.

Auf dem wohl proggigsten Stück des Albums hören wir am Schlagzeug einen alten Bekannten: Phil Ehart, bekannt von Kansas, aber auch von Steves Album Please Don’t Touch, gibt sich auf Shanghai To Samarkand die Ehre. Hinzu kommen einige exotische Instrumente, deren Einsatz Steve in den letzten Jahren mehr und mehr Raum gewährte. Steve hält sich bei dem Stück nicht lange mit klassischen Songstrukturen auf – quasi nach der ersten Strophe (oder präziser: dem einleitenden Gesangspart) entführt er uns in eine Art Ambient/Hackett-Sphäre, bevor eine eher rockige Bridge einen Art Zwischenhighlight bildet. Plötzlich bilden danach orientalische Klänge das Hauptthema und Steve spielt einen unfassbaren akustischen Gitarrenpart. Das dürfte er im Interview gemeint haben, als er feststellte, dass er heute Dinge spielen kann, die er vor 20 Jahren noch nicht spielen konnte. Das Finale ist erneut orchestral … zu orchestral.

Neben Held In The Shadows ist Fox’s Tango eine weitere Straighte Rocknummer (und es war die zweite Single). Auffallend hier – neben einen tollen Gesang von Steve – ist auch der prägnante Bass.

Ebenfalls ein Stück mit anfangs eher klassischer Songstruktur ist Day Of The Dead. Es bleibt insgesamt – auch im Vergleich zu Held In The Shadows, Fox’s Tango oder dem folgenden Stück, aber eher unauffällig. Der Mittelteil ist aber recht gefällig, der Tempowechsel aber irgendwie vorhersehbar. Die dudeligen Geräusche am Ende mussten aber wirklich nicht sein – hatten wir das nicht hinter uns gelassen?

Dafür versöhnt Scorched Earth. Interessanterweise bedeutet der Titel auf Deutsch so etwas wie „verbrannte Erde“, wie auch Sierra Quemada vom Album Guitar Noir. Die beiden Tracks haben aber nichts miteinander zu tun. Scorched Earth ist eine echte Ballade und funktioniert bestens. Gitarren und Orchestrierung lassen der Melodie und schönen Atmosphäre des Songs genug Raum.

Ein Outro schließt das Album ab und Esperanza ist für manchen deutschen Fan eine Kuriosität. Eine gewisse ?hnlichkeit zu „Auferstanden aus Ruinen“ (DDR-Nationalhymne) ist sicher unbeabsichtigt, aber doch irgendwie erkennbar.

Die Stille hat zwar auch auf diesem Album keine Kapitulation erklärt, aber in der Tat hat Steve es wieder mehr krachen lassen. Teilweise bleiben da ganze Songs auf der Strecke, an vielen Stellen ist es einfach zu viel und man hat durchaus das Gefühl, dass aus dem ein oder anderen Stück besser etwas anderes hätte entstehen können. Nun hat uns Steve aber die Tracks in dieser Form präsentiert. Und das hinterlässt zwiespältig Gefühle.

Eine richtige Weiterentwicklung seit Wolflight ist auch Surrender Of Silence nicht. Dazu kommt, dass die Vorliebe für üppige, orchestrale Sounds viele interessante Stellen auf dem Album mehr oder weniger erdrückt. Viele Tracks enthalten sehr schöne Ideen, werden aber durch etwas abrupte Richtungswechsel ohne Not verkompliziert. Das funktioniert durchaus einmal, wie auf dem schönen Shanghai to Samarkand, aber andere Stücke, wie etwa Natalia oder Wingbeats, leiden darunter. The Devil’s Cathedral ist in dem Zusammenhang ein Grenzgänger. Das kann man so machen, aber es ist etwas schade um die Melodie und Struktur im Anfangsteil.

Steve spielt auf Surrender Of Silence teilweise atemberaubende Gitarrenparts, auch die Basslinien von Jonas Reingold und die Parts der Drummer machen viel Freude. Der Sound ist leider einmal mehr zu wenig. Man hat oft das Gefühl, dass die Tracks viel besser klingen könnten. Auch der Griff in den Baukasten (ein afrikanischer Chor hier, ein orchestraler Teppich da) ist auf Dauer und bei zu häufigem Gebrauch nicht hilfreich und ist ein sich wiederholendes Element seit einigen Alben geworden. So ist es kein Zufall, dass die besten Momente des Albums die Tracks mit einer recht klaren Struktur sind: Das Intro The Obliterati, Held In The Shadows, der erste Teil von The Devil’s Catheral, Fox’s Tango und das wunderschöne Scorched Earth. Dazu kommt mit Shanghai To Samarkand eine lupenreine World Music / Prog-Nummer, die wirklich gut gelungen ist.

Freunde seiner letzten Alben werden auch an Surrender Of Silence ihre Freude haben. Langzeit-Fans wünschen sich wohl eher etwas weniger Orchester, einen reduzierten Einsatz exotischer Instrumente, gradlinigere Songs und vor allem einen frischeren Sound.

So hinterlässt das Album ein ambivalentes Gefühl. Gleichwohl sind wir natürlich auch dankbar, dass Steve nach wie vor regelmäßig neues Material veröffentlicht.

Autor: Christian Gerhardts


Diskussion

Im it-Forum gibt es einen Thread zum neuen Album (hier klicken). Dort könnt ihr eure Erwartungen und Eindrücke zum Album austauschen.

Formate

Erhältlich sind die Formate CD/Blu-ray, 2LP/CD, Standard-CD sowie ein digitales Album. Es wird auch wieder besondere Auflagen auf Vinyl geben, über die wir euch weiter unten informieren.

Die Blu-ray enthält das Album in 5.1 Surround sowie Bonus-Videos (des letzten Albums). Das CD/Blu-ray set kommt zudem in einem hochformatigen Media-Book, das auch hochwertiger produziert ist und ein 52-seitiges Booklet enthält.

Vinyl-Varianten

NebularWie bereits bei den Vorgängern wird es auch Surrender Of Silence in verschiedenen Vinyl-Farben geben. Neben der schwarzen Variante haben einige Händler exklusive Farbvarianten im Angebot. Meist sind diese Versionen auf ca 200-300 Stück limitiert. Alle Editionen enthalten traditionell auch die Bonus-CD mit dem Album. Wir versuchen mal, euch einen Überblick über die Versionen und Preise zu verschaffen – alle Angaben sind ohne Gewähr:

Steve Hackett bietet in seinem Webstore eine Nebular-Variante an (siehe Bild rechts). Kostenpunkt rund 35 Pfund.
Bei JPC gibt es eine exklusive transparent sun yellow Vinyl-Variante (hier klicken). Diese Version kostet rund 40 EUR.
InsideOut selbst bietet in Europa die Varianten „white“ und „sky blue“ an (hier klicken). Preis: etwa 32 EUR.
In England bietet HMV eine exklusive Version in orangenem Vinyl an (hier klicken). Preis: 45 Pfund.

Bestellungen:

Das Album ist am 10. September erschienen und ist bei JPC und Amazon bestellbar.

Credits

01. The Obliterati (02:17)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitar
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Jonas Reingold: Bass
Christine Townsend: Violin, viola

02. Natalia (06:17)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Amanda Lehman: Vocals
Jonas Reingold: Bass
Christine Townsend: Violin, viola

03. Relaxation Music For Sharks (Featuring Feeding Frenzy) (04:36)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Jonas Reingold: Bass
Christine Townsend: Violin, viola
Nick D’Virgilio: Drums

04. Wingbeats (05:20)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Amanda Lehman: Vocals
Durga McBroom: Vocals
Lorelei McBroom: Vocals

05. The Devil’s Cathedral (06:31)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Craig Blundell: Drums
Nad Sylvan: Vocals
Jonas Reingold: Bass
Christine Townsend: Violin, viola
Rob Townsend: Soprano sax, tenor sax, bass clarinet, dizi

06. Held In The Shadows (06:20)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Craig Blundell: Drums
Amanda Lehman: Vocals
Jonas Reingold: Bass

07. Shanghai To Samarkand (08:27)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Phil Ehart: Drums
Malik Mansurov: Tar
Ubaidulloev Sodirkhon Saydulloevich: Dutar
Christine Townsend: Violin, viola
Rob Townsend: Soprano sax, tenor sax, bass clarinet, dizi

08. Fox’s Tango (04:21)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Jonas Reingold: Bass
Nick D’Virgilio: Drums

09. Day Of The Dead (06:25)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Amanda Lehman: Vocals
Christine Townsend: Violin, viola
Rob Townsend: Soprano sax, tenor sax, bass clarinet, dizi

10. Scorched Earth (06:03)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars, vocals
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements
Craig Blundell: Drums
Amanda Lehman: Vocals
Jonas Reingold: Bass
Christine Townsend: Violin, viola

11. Esperanza (01:04)
Steve Hackett: Electric & acoustic guitars
Roger King: Keyboards, programming & orchestral arrangements

Produced by Steve Hackett and Roger King
All tracks recorded and mixed by Roger King at Siren, UK
Track 7 additional engineering by Tamas Barabas at Grammy Studio, Budapest, Hungary for Malik Mansurov, with thanks to Attila Égerhazi
Tracks 3 & 8 additional engineering by Shawn Dealey, assisted by Rachel Leonard for Nick D?Virgilio at Sweetwater Studios, Fort Wayne, USA
Track 7 additional engineering by Will McPhaul and Steve Rawles for Phil Ehart at Reel 2 Reel Studios, Jonesboro, USA
Mastered by Roger King at Siren