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Steve Hackett – On-Stage-Interview [27.03.2009 – Steve Hackett Event 2009]
Am 27. März 2009 stellte sich Steve Hackett im Rahmen des Steve Hackett Events 2009 in Remscheid bei einem öffentlichen Bühneninterview unseren und euren Fragen.
Das Steve Hackett Event 2009 in Remscheid bescherte des Besuchern am Freitag ein exklusives Bühneninterview mit Steve Hackett. Die Event-Besucher hatten Gelegenheit, Steve direkt Fragen zu stellen, die er dann bereitwillig beantwortete.
Frage: Ein herzliches Willkommen für unseren Ehrengast Steve Hackett!
Steve Hackett: Hallo. [auf deutsch:] Guten Abend. Dankeschön!
F: Beginnen wir mit einer Frage über Fans und Fanclubs. Wie du weißt, bist du hier ja beim harten Kern der Fans aus Deutschland und Europa. Im letzten Jahr warst du auf einem Treffen in Italien und wahrscheinlich auch noch anderswo. Was bedeutet es für dich, heute hier zu sein?
Steve: Schon merkwürdig. Ich will mal versuchen, eine andere Antwort zu geben als die, die ich vor dreißig Jahren wohl gegeben hätte, als diese Filme entstanden sind. Mit der Zeit verändert man sich. Damals wurde ich immer sehr nervös, wenn ich auf der Bühne war. Wenn man diese Filme so sieht, könnte man meinen: „Ein junger, selbstbewußter Mann.“ Aber innerlich habe ich immer weiche Knie gehabt, als ich in der Frühzeit von Genesis auf der Bühne war. Wirklich, ich habe dann immer überlegt: Wird dies klappen? Wird das funktionieren? Ich habe inzwischen gelernt: Das Geheimnis, auf der Bühne Spaß zu haben und keine Angst, liegt – ganz wichtig – darin, dass man sich auf der Bühne genauso fühlt wie dahinter, denn innerlich sind wir immer dieselben. Jeder Mensch ist gleichzeitig ganz normal und außergewöhnlich. Jeder Mensch hat seinen besonderen Blick auf das Leben. Es gibt keine Trennung zwischen der Bühne und dem Rest. Und in diesem Saal hier sind wir alle Freunde, darum ist jeder herzlich eingeladen, Fragen zu stellen. Wonach auch immer, das ist mir gleich. Ich bin da ganz offen. Aber es berührt mich schon sehr, hier zu sein und – erstmal habe ich heute hier mehr Bilder von mir gesehen und Alben, von denen ich mich gar nicht erinnere, dass ich an denen mitgearbeitet habe. Wirklich war, ich schaue mir das an und denke: Kommt mir irgendwie bekannt vor. Wer war das noch gleich? Ich habe mit ihm gearbeitet. Im Laufe eines Lebens, das würde euch auch auffallen, wenn ihr plötzlich Rechenschaft ablegen solltet, vergißt man so vieles, so viele ganz besondere Tage mit … anderen, von denen heute einige natürlich hier sind und morgen auch. Mein Bruder John zum Beispiel und Nick Magnus, und viele alte Freunde, von denen ich vielleicht nicht einmal ahne, dass sie noch hinter der Bühne warten. Es ist toll hier zu sein, wirklich wundervoll. Ich laufe Gefahr, zu viel zu reden. Als ich noch jünger war, habe ich die Schule etwa mit 16 Jahren verlassen. Es gab einen Grund, der stärker war als alles andere: Wenn man damals in die Oberstufe kam, mit 17 oder 18, und eben noch zur Schule ging, dann war man verpflichtet, [bei der assembly, dem wöchentlichen Schulgottesdienst] einen Abschnitt aus der Bibel vorzulesen. Das schreckte mich viel mehr als die Aussicht, nicht weiter gebildet zu werden. Darum ist es schon merkwürdig für mich, dass ich so viele Jahre danach heute ganz entspannt hier bin, obwohl ich damals panische Angst hatte, vor einer Gruppe zu sprechen. – Ich bin jetzt mal still und lasse euch mich fragen. Was immer ihr wollt, und ich werde so ehrlich wie möglich antworten.
Steve: Das weiß ich nicht. Immerhin ist hier ein Saal voller Leute … Jeder von ihnen hat seinen eigenen Grund, aus dem er hier ist. Manche interessieren sich sicherlich für Gitarrenmusik. Ich weiß nicht, ob man mich genügend achtet als Gitarrist. Ich habe mit Musik zu tun. Ein Aspekt davon besteht darin, dass ich Gitarre spiele, aber es gibt noch viele andere Aspekte: Musik zu schreiben, zum Beispiel, und mit anderen Leuten zu improvisieren. Das ist ein Dialog zwischen Musikern und Nicht-Musikern. Ich freue mich, wenn es den Leuten gefällt, was ich spiele, aber das ist für mich nicht das Entscheidende. Diese Idee von den „Gitarrenhelden“ – als ich klein war, dachte ich: „Ich möchte ein Gitarrenheld werden. Es muss toll sein, Eric Clapton, Jeff Beck, Jimi Hendrix oder Andre Segovia zu sein“. Heute kommt mir das wie eine Einschränkung vor, denn man denkt dann doch: Das ist es eben, was sie tun, nämlich Gitarrespielen. Und man könnte vergessen, dass diese Leute alle auf ihre Art ganz außergewöhnlich sind – auch als Dichter, Songschreiber, Vorbilder und vieles mehr.
F: Ähm …
Steve: Eine schwierige Frage. Und die Antwort ist so verdammt lang, nicht wahr? Da wäre es schon leichter zu fragen, wer hier kein Englisch spricht. Wenn ihr alle Englisch versteht … mein Deutsch jedenfalls ist furchtbar.
F: Was denkst du über Musikkritiker? Wie gehst du als Musiker damit um, wenn du ein Album herausbringst und manche Kritiker das Album gut finden und andere es verreißen?
Steve: In der großen Zeit des Punk war ja alles, was ich machte, das genaue Gegenteil vom Punk. Es stand im absoluten Gegensatz dazu, und daher gab es eine Zeit, in der es unmöglich war, eine positive Besprechung meiner Sachen zu bekommen. Ich habe akzeptiert, dass das eben so sein würde für Leute, die solche Musik machten wie ich, in meinem Alter waren, einen bestimmten Haarschnitt hatten, Leute, die sich keine Sicherheitsnadel durch die Nase gesteckt hatten oder all diese Sachen, die einen damals zum angesagten neuen Gesicht in der Szene machten. Heute mache ich mir darum keine Sorgen. Ich bin jetzt 59, es ist mir scheißegal, vollkommen wurscht. Aber wenn ich da an Spectral Mornings denke … Wir waren damals sehr stolz auf das Album – Nick und John sind ja heute auch hier – wir waren sehr stolz darauf, und ich schaute mir die Besprechungen an und – oje! [lacht] Eine war dabei, eine ganz kurze in einem englischen Magazin namens New Musical Express, dort hieß es: „Ich bin überrascht, dass sich irgendjemand solchen Müll noch anhört.“ Es ist schon merkwürdig, dass die kritischen Kritiker viel bekannter werden als die anderen, die mit Lob nicht geizen. Das ist auch eine Art Mythenbildung. Wenn du ein Journalist bist und dich über alles aufregen möchtest, hast du dir, glaube ich, eine ziemlich gute Laufbahn ausgesucht.
F: Gehen wir mal zurück in die ’70er Jahre und die Zeit zwischen Genesis und deiner Solokarriere. Beides hat sich ja ein wenig überlappt. Es gibt da einige Unklarheiten in Bezug auf die Spot The Pigeon-EP mit ihren drei Stücken. An einem warst du ja unstrittig beteiligt, nämlich an Inside And Out. Wie steht’s mit Match Of The Day und Pigeons?
Steve: Ja, bei den beiden Stücken bin ich auch zu hören. Bei Match Of The Dayund bei Pigeons. Ich kann da aber nicht viel zu sagen. Inside And Out ist natürlich die herausragende Nummer; der Song hat sich aus einer Improvisation ergeben. Ich meine mich zu erinnern, dass Phil den Text geschrieben hat, was damals außergewöhnlich für ihn war. Kann man sich heute kaum vorstellen. Aber im wesentlichen war das Stück improvisiert. Bei Pigeons war es so, dass die Band das ganze Stück hindurch immer dieselbe Note spielte, ding-ding-ding-ding …. Ohne jede Abwechslung, während Tony versuchte so viele verschiedene Akkorde wie nur irgendwie möglich in dem Stück unterzubringen. Das war natürlich ein musikalischer Witz und klang ein wenig wie George Formby, der britische Musikfilmdarsteller. Die Gitarre klang ein wenig wie ein Banjo oder eine Banjolele. Zwei von diesen drei Stücken waren also Scherze, allerdings mit einer ziemlich obskuren Pointe. Inside And Out gefiel mir gut, und ich freue mich sehr, dass diese Stücke alle wieder aufgetaucht sind, als Wind & Wuthering vor kurzem im neuen 5.1-Mix herausgekommen ist, denn diese Stücke wurden ja bei den Wind & Wuthering-Sessions aufgenommen. Damals hätten wir die Stücke nicht mal auf dem Album unterbringen können, wenn wir es gewollt hätten, denn auf den Schallplatten gab es ja immer nur eine bestimmte Höchstspielzeit. Ich freue mich darum, dass diese Sachen mit allen Stärken und Schwächen restauriert worden sind – als ein Album. Und wenn ihr mich fragt: Die neuen Abmischungen von Wind & Wuthering klingen richtig gut – vor allem der 5.1-Mix, wenn ihr die Anlage dafür habt.
F: Wirst du mal wieder Konzerte in Holland geben? Dort warst du schon eine ganze Weile nicht mehr.
Steve: Ich hoffe schon. Ich weiß, dass ich irgendwas mit dieser ungarischen Band, Djabe, machen soll, und ich mache auch kein Geheimnis daraus, dass ich in diesem Jahr so viele Konzerte an so vielen Orten wie möglich geben möchte. In Holland zu spielen fehlt mir richtig, weil ich dort immer sehr gerne gewesen bin. Das sage ich nicht nur so, das ist wirklich wahr! Ich hoffe, es ergeben sich dort ein paar Termine. Brian Coles stellt die Termine für mich zusammen und Agenten und Konzertveranstalter rufen bei ihm an; ich kann dir gerne seine Kontaktdaten geben. Wenn mir jemand ein Angebot macht, werde ich es gerne annehmen, denn es ist wirklich schon lange her. Eine tolle Gegend.
F: Apropos Tour, wie hast du Nick Beggs in deine Tourneeband bekommen?
Steve: Nick Beggs … das ist eine besondere Geschichte. Nick Beggs habe ich, äh, 1996 bei einer EMI-Convention kennengelernt, in Sheffield oder Birmingham, in einer der beiden Städte. Ich hatte mit EMI [Classics] einen Plattenvertrag für ein Album, nämlich für A Midsummer Night’s Dream. EMI wollte, dass jede Menge Leute kommen, die einen Plattenvertrag mit ihnen hatten, und vor dem Personal auftreten. Die Firma war damals so groß, dass sie ein ganzes Hotel gemietet haben. Es traten verschiedene Leute auf. Nick Beggs trat zusammen mit der Sängerin Belinda Carlisle auf. Er kam vorbei und sagt Hallo, stellte sich vor und war sehr nett, sehr offen. Ich habe seinen Auftritt mit ihr gehört – er klang toll, ganz begeistert. Und dann hat er mich mal zuhause besucht und mir ein paar Sachen vorgespielt. Er hörte sich fantastisch an. Nicht nur als Bassist, sondern auch als Stick-Spieler. Sehr begabt, sehr gut, auch ein sehr guter Solist. Als würde jemand Leadgitarre spielen. Er erzählte, dass er auch mit John Paul Jones arbeitete, der ja selbst ein berühmter Bassist bei Led Zeppelin war. Als er mit John Paul Jones gearbeitet hat, musste er mal Bass und mal Gitarre spielen und sich immer um die Partien kümmern, die John gerade nicht spielte. Ich habe später auch mit John gearbeitet. Letztens erst habe ich ihn angerufen, denn wir suchen … Ich war dabei eine Band zusammenzustellen, um wieder elektrische Shows zu spielen, und er sagte mir sofort, er wäre dabei. Er erzählte auch, dass er ein Fan von mir sei, sogar auf den ersten Konzerten gewesen sei, vielleicht sogar auf denen, die ihr hier gesehen habt. So jung er damals auch noch war, er war tatsächlich damals im Publikum. Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten, er ist sehr enthusiastisch, sehr begabt und hat ja auch mal bei Kajagoogoo gesungen, die damals sehr erfolgreich waren. Abgesehen davon spielt er wirklich virtuos und hat mit vielen Leuten gearbeitet. Es war toll mit ihm auf Tour zu sein. Bis jetzt waren es vier Konzerte, aber ich glaube, wir noch viele mehr machen. Und im Moment ist er mit Kim Wilde auf Tournee. Er ist einer von den Typen, die am Ende mit allen Leuten im Musikgeschäft zusammengearbeitet haben.
F: Die Band The Musical Box haben in den letzten Jahren viele Leute – dich wahrscheinlich auch – überrascht, weil sie so viel Erfolg haben, obwohl sie sich vor allem mit den 70ern beschäftigen. Wie erklärst du dir, dass die Musik der ’70er Jahre und vor allem die Musik von Genesis, diesen unglaublichen Kultstatus erreicht hat und bis heute überlebt?
Steve: Das ist eine sehr angenehme Überraschung für mich. Viele der frühen Alben waren zu der Zeit, als wir sie gemacht haben, nicht besonders erfolgreich. Das klingt heute unglaubwürdig, weil ihr zurückdenkt in die Bandgeschichte und glaubt, dass sich der Erfolg sofort eingestellt hat. Hat er aber nicht. Als wir in den frühen ’70ern auf Tournee waren – 1971 kam Nursery Cryme, 1972 Foxtrot, Selling England By The Pound 1973, 1974 dann (oder vielleicht auch ’75, mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut) The Lamb Lies Down On Broadway – da waren wir dann neun Monate ununterbrochen unterwegs, neun Monate non-stop auf Tour, und ich war so was von erledigt, und am Ende hatte die Band einen gewaltigen Verlust eingespielt. Wir hatten Schulden von einer Viertelmillion Pfund. Ich will hier nicht über Geld reden, das ist langweilig, aber was ich sagen möchte: Ihr müßt das auch immer im richtigen Verhältnis sehen. Ihr [die Fans; d.Übs.] nehmt es so war, als hätte die Band immer schon Erfolg gehabt. Viele andere Bands können dieselbe Geschichte erzählen. Anscheinend ist man entweder pleite oder es geht einem blendend. Ich bewege mich zurzeit langsam in Richtung „pleite“, aber ich habe eine Menge Spaß dabei. Sehr interessante Zeiten. Aber ich freue mich, dass dir Selling England By The Pound gefällt – ich glaube, du hattest das angesprochen. Alles bei Genesis schien auf dieses Album hinauszulaufen, und ich halte es für das definitive Gitarrenalbum von Genesis. Ich habe zu diesem Album nur wenige Stücke beigesteuert, nur Gitarrenriffs, und das war damals optimal für die Arbeit in Genesis. Bin ich zu schnell zum Übersetzen? –
Aber es ist toll, dass diese Sachen Erfolg haben. Warum das so ist, weiß ich nicht. Den Trick dafür kenne ich nicht. Ich glaube, dass das, was jemanden an jeder Art von Musik, wer immer sie macht, anspricht, sind die Details. Wenn du also in deinem Zimmer sitzt und an einem Stück bastelst und denkst dir „Niemand wird dieses Stück hören wollen, aber mir gefällt’s“, dann ist das das wichtigste, denn dann kümmerst du dich darum, dass auch die Kleinigkeiten gut klingen. Vor Jahren sagte mal jemand über einen Musiker, den ich sehr bewundere:; „Er verschwendet keine einzige Note.“ Und ich überlegte: Wie kann man keine einzige Note verschwenden? Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es bedeutet: Er hat so viel Spaß an dem, was er macht, dass an der Musik etwas dran ist, etwas besonderes. Liebe ist natürlich das wichtigste, in allen Lebenslagen und besonders in der Musik. Die Genesis-Alben, die du ansprichst, habe ich geliebt und wollte ihnen alles geben. Manchmal hat das geklappt und manchmal hat es mich frustriert, dass ich dem Song nicht mehr geben konnte. Aber jeder von uns hat dem Stück damals alles gegeben, was wir zu bieten hatten.
F: Es sieht ja nun so aus, dass sich die klassische Genesis-Besetzung mit dir und Peter nicht wieder zusammenfinden wird, da Peter ja erklärt hat, er habe daran kein Interesse, denn er habe eine junge Familie. Eine Doppelfrage: Warum wird das nicht zustandekommen? Und hängt dir diese Frage zum Hals heraus? [großes Gelächter]
Steve: Wie du schon sagst, ist das Peters neueste Äußerung. Die Band hatte mich mal angesprochen und gefragt, ob ich dabei wäre, wenn sie nochmal The Lamb Lies Down On Broadway spielen würden. Ich sagte ja, und wartete auf Rückmeldung von Peter und habe da lange nichts gehört. Ein ominöses Schweigen. Ich weiß nicht, ob das jemals passieren wird. Ich habe immer den Eindruck, dass ich mich für andere Leute entschuldige. Jedenfalls: Wenn Peter es will und Tony es will und Mike es will und Phil es will, von Chester und den anderen ganz zu schweigen, dann werde ich es sehr gerne machen. In der Zwischenzeit kümmere ich mich aber nicht um einen Rückblick, sondern denke lieber an etwas Neues, das hoffentlich mindestens genauso gut ist wie The Lamb Lies Down On Broadway, und an die Band, mit der ich arbeite. Wenn der Anruf kommt, werde ich gerne wieder mit Peter arbeiten. Ob The Lamb Lies Down On Broadway dafür die beste Wahl ist, weiß ich nicht. Ich habe mit den Jungs darüber gesprochen, und ich glaube, dass es einen großen Druck für Peter bedeuten würde, wieder Lamb Lies Down On Broadway zu machen. Vielleicht sollte man also die ganze Geschichte von Genesis in Betracht ziehen und auswählen, was immer es braucht, um die Jungs wieder auf die Bühne zu bringen. Ich bin da wohl der flexibelste von der Genesis-Besetzung, wenn es losgeht. Aber man kann niemanden zu etwas zwingen. Das muß von sich aus kommen. Wenn es passiert, toll, aber im Leben ist nun einmal nichts sicher. Man kann immer nur sein Bestes geben.
F: Ist das eine von den Fragen, die du nicht mehr hören kannst?
Steve: Nein, ich habe Verständnis dafür, denn in jedem Interview, das ich geben, kommt irgendwann dieselbe Frage: Findet ihr euch wieder zusammen? Und ich sage immer dasselbe, was ja nun … Mir hat immer George Harrison leidgetan, wenn er gefragt wurde, ob sich die Beatles jemals wieder zusammenfinden würden. Er sagte, er wäre dabei, und ich habe ihn das dreißig Jahre lang sagen hören und dachte: „Du armer Kerl.“ – und jetzt bekomme ich dieselben Fragen. Jeder Versuch, die Vergangenheit wiederzubeleben, ist sehr schwierig, denn Musiker haben natürlich immer den Drang vorwärts zu gehen, während das Publikum verständlicherweise stets das Bedürfnis hat, die Uhr zurückzudrehen. Es ist beinahe unmöglich. Bei der Show, die wir gerade spielen, haben wir uns mit Roger King, Nick Beggs, Rob Townsend und Gary O’Toole für eine komplette Version von Firth Of Fifth entschieden, also nicht nur das Gitarrensolo. Es ist wohl das bekannteste Gitarrenstück von Genesis, und ein verdammt gutes Stück, das man heute nicht mehr hört. Ich glaube, nicht einmal Genesis spielen es noch ganz, und werden es wohl auch nie mehr. Ich habe viel Freude an diesen Stücken in ihrer Gesamtheit, und habe sie immer noch sehr gern. Stücke wie Firth Of Fifth und Watcher Of The Skies haben diesen gewaltigen, breiten Zugriff, und ich bin mir sicher, das ist der Grund, aus dem viele von euch dieses sinfonische Flair mögen, das manche Bands erreichen. Wir haben das damals für uns entdeckt, und es war eben etwas, das die Band in einer bestimmten Phase gemacht hat – die Verbindung zur klassischen Musik, die ich für meinen Teil natürlich kräftig ausgebaut habe. Ich fürchte, meine Antworten werden zu lang zum Übersetzen, aber ich möchte gerne informativ antworten. Ich halte jetzt mal kurz die Klappe.
F: Interessant, dass du Chester zusammen mit den anderen erwähnst. Denn das bedeutet ja auch Daryl – und das bringt uns zu einer weiteren Frage …
Steve:Ich würde gerne mit Chester und Daryl auf der Bühne stehen. Wenn das der Preis dafür ist, alle auf dieselbe Bühne zu bringen, dann ist es wichtig, nicht als der Bremsklotz dazustehen. „Er ist der Bremsklotz, er ist schuld daran, dass es nicht passiert ist, weil er nicht auf der Bühne stehen und nur Rhythmusgitarre spielen wollten. Ein schwieriger Charakter.“ Stimmt nicht. Ich bin ganz umgänglich. Ich möchte bloß, dass es gut klingt.
F:Daryl …
Steve: Daryl? Ein toller Gitarrist.
F: … und Firth Of Fifth. Ich würde sehr gerne wissen, was du der Version hältst, die Daryl von deinem Solo spielt. Er spielt es ja, im Gegensatz zu, dir, erstaunlich schnell, während du …
Steve: … langsam spielst. Ich spiele es tödlich langsam [Gelächter]. Wie bei einer Beerdigung. Für Daryl als Gitarrist ‚aus den Kolonien‘ [scherzhafter britischer Ausdruck für die USA; Anm. d.Übers.] ist es etwas anderes. Im Ernst, es ist beinahe unmöglich, die Rolle von jemand anderem zu übernehmen. Ich verstehe sein Bedürfnis, das Solo anders zu spielen. Es ist sehr schwierig, genau dieselben Noten zu spielen wie jemand anders. Als ich in die Band gekommen bin, spielte ich ja The Knife – auf dem Stück hatte ja vorher Anthony Phillips gespielt. Ich kenne Anthony, er ist ein Freund und ein sehr netter Mensch, und ich fand, dass er einen richtig guten Gitarrenteil für das Stück gefunden hatte. Ich konnte das nicht so spielen wie er, also habe ich es verändert. Glücklicherweise wirft mir niemand vor, dass ich seinen Gitarrenteil verändert hätte. Für Musiker sind solche Sachen nichts heiliges. Jeder, der sie spielt, muß dem Stück etwas von sich geben.
F: Vielleicht könntest du ja Guitar Wars, eine Gitarrenschlacht, mit Daryl veranstalten?
Steve: Guitar Wars … das war sehr interessant. Wir sprechen ja gerade von der Geschwindigkeit auf der Gitarre. Und Guitar Wars, das waren Olympische Spiele für die Gitarre. Ich glaube, man kann sich entscheiden, ob man mit schnellem Gitarrenspiel sein Brot verdienen will, und wenn man das tut, ist man wie ein Vollblutrennpferd. Das ist dann Musik als Sport. Du stehst da mit der Stoppuhr und hast eine festgelegte Zahl von Sekunden und bist hier, um den Weltrekord zu brechen und der Mann mit der schnellsten Kanone im Wilden Westen zu sein. Das ist höchst unterhaltsam, aber erfordert ein anderes Musikverständnis. Ich glaube nicht, dass ich mich den Rest meines Lebens darum bemühen möchte, der schnellste Gitarrist der Welt zu sein. Dennoch hat schnelles Spielen seine Berechtigung. Ich fand immer, ein schneller Lauf in der Mitte eines Stücks sei ein wirklicher Gipfelpunkt, das Crescendo, der Inbegriff des gesamten Solos. Jazzfreunde werden das nachvollziehen können, aber Rockgitarristen … Man hat dieses Gefühl, ein Maschinengewehr in der Hand zu haben, mit dem man alle anderen massakriert. Ich gehe etwas lyrischer an die Sache heran, manchmal mit weniger Tempo, aber oft mit vielen anderen Dingen, die eine Gitarre kann. Wenn eine Gitarre eine Geige sein könnte, wäre ich sehr froh, aber darum geht es nicht. Die Gitarre ist etwas anderes, sie hat beinahe eine Stimme. Als ich noch jünger war, 14 oder 15 vielleicht, und zum ersten Mal einen E-Gitarristen beim Spielen erlebte, da hörte ich all diese unglaublichen Geräusche, die diese Leute machten, die vielleicht fünf Jahre älter waren als ich. Das war so etwa das Altersverhältnis. Musiker, die nur fünf Jahre älter waren als ich, vollbrachten Wunder auf der Gitarre, während ich noch damit kämpfte, meine Finger zu ein einfachsten Dingen zu bringen. Ähm … fragt mich noch was.
F: Schreiben oder Spielen, was ist für dich wichtiger, was von beidem bevorzugst du?
Steve: Ist das Schreiben wichtiger als das Spielen? Beides ist wichtig, nicht wahr? Denkt doch nur mal an die Beatles. Die meisten Musiker, jedenfalls in meiner Generation, verehren die Beatles mehr für ihr Songwriting als für ihre Spielkunst – da steht einer außergewöhnlichen Kreativität auf der einen Seite ein sehr rudimentärer Ansatz auf der anderen Seite gegenüber, aber es klappt richtig gut, also scheinen Ideen wichtiger zu sein als Technik, scheint mir. Wenn es darum geht, wenn die Gitarre ganz vorne steht oder es ums Spielen im Ensemble geht … Als ich in Genesis war, gab es dort eine sehr starke Persönlichkeit in Gestalt von Tony und dem, was er spielte, darum konnte man in der Band nicht immer dieses heroische Gitarrenspiel pflegen. Vor allem in der Zeit, bevor wir den Synthesizer hatten, habe ich dann immer versucht, möglichst viele verschiedene Klänge aus der Gitarre herauszuholen und auf subtile Art zu spielen, wie in The Musical Box. Das war das erste Stück, an dem ich mit der Band gearbeitet habe, und mir fiel auf, dass keiner von uns etwas machte, das nach Spieluhr [engl.: musical box] klang, also habe ich zugesehen, dass meine Gitarre so klang in einer kurzen schnellen Phrase. Sehr oft habe ich auch probiert – mit allen Keyboardern, mit denen ich gearbeitet habe, ob es möglich ist, aus den Klängen der beiden Instrumente einen dritten zu gewinnen, eine Art Hochzeit, bei der die beiden Instrumente anfangen, einander ähnlich zu klingen. Bevor ich zu Genesis gestoßen bin, spielten sie einige Konzerte, bei denen das Keyboard die Rolle der Gitarre übernahm; da bemühte sich Tony darum, dass sein Keyboard wie eine Gitarre klang, und das ist der Klang des Solos in The Musical Box: Ein Keyboarder, der wie ein Gitarrist klingen will, ein Gitarrist, der wie ein Keyboarder klingen will, jeder versucht das Instrument des anderen nachzuahmen, dazu noch besonders der Klang der 12-saitigen Gitarren, die gleichzeitig spielten, von denen eine dann noch durch einen Leslie-Cabinet-Lautsprecher kam, der normalerweise für die Keyboards war – da konnte man sich gar nicht sicher sein, ob man ein Cembalo hört oder 12-saitige Gitarren oder Harfen. Das war eine reizvolle musikalische Textur; Musiker interessieren sich auch heute noch dafür. Vielleicht spricht mich deshalb harmonisches Zusammenspiel so an und finde ich Maurice Ravel so spannend: Weil ein Orchester unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten hat. Das soll jetzt nicht heißen, dass die Band nur aus musikalischen Genies wie Ravel bestand. Wenn ihr mich fragt, war Ravel ein Genie. Diese Detailversessenheit – ich komme immer wieder darauf zurück – die Details in der Musik treiben mich an. Mich interessiert immer auch, was die anderen Instrumente machen – harmonischer Gesang zum Beispiel: Nicht viele Bands machen das heute. Die Beatles hat der Harmoniegesang aus der Menge herausgehoben – eine Mischung daraus und einem George Martin, der die Musik immer ein wenig aus der Perspektive des Arrangeurs gesehen hat. Ich glaube, Bands sind immer besser, wenn alle gemeinsam an einem Ergebnis arbeiten und hoffentlich nicht miteinander konkurrieren. Das klingt allerdings sehr nach einer Utopie, denn genau das ist der Grund, warum sich ständig neue Gruppen bilden und alte auflösen.
F: Was inspiriert dich? Wie kommst du zu der Musik, zu diesen Stücken?
Steve: Wenn ich das wüßte, würde ich euch das Geheimnis verraten und könnte jeden Tag ein neues Stück schreiben. Aber ich muß auf die Inspiration warten. Das Spielen selbst bringt einen nur ein Stück des Weges, weil man ständig das spielt, was einem schon vertraut ist. Es muß etwas passieren, damit du abschaltest und sich trotz deines Verlangens, immer dasselbe zu spielen, etwas Neues einschleicht. Manchmal kommt eine tolle Idee, während ich gerade etwas völlig anderes mache und gerade aus der Tür gehe. Ich schreibe gerne unterwegs mit dem Füller, das ist sehr gut. Manchmal ergibt sich eine Idee aus dem Buch oder der Zeitschrift, die ich gerade lese, oder aus etwas, das jemand sagt. Die Leute sind oft sehr poetisch, wenn sie nicht versuchen, poetisch zu sein, und jeder Mensch sagt etwas Außergewöhnliches, wenn er entspannt und unter Freunden ist. Es ist also wie eine Collage. Ich nehme ständig von allen Leuten etwas auf und mache mir keine Gedanken mehr darum, ob es originell ist. Mir ist nur wichtig, dass es authentisch ist, dass es mich anrührt. Nicht alle gehen so vor. Man kann auch viel wissenschaftlicher, logischer, mathematischer vorgehen und darauf Wert legen, dass Musik neue Informationen enthält. Für mich muß es immer einen Art Traum beinhalten, von Liebe, von etwas anderem. Es muß mich bewegen, selbst wenn es wütend ist, muß es doch aufrichtig sein. Die Melodien, die scheinbar ich geschrieben habe, habe ich nicht wirklich komponiert, ich höre sie nur von irgendwoher. Kurz bevor ich mit Ian McDonald und John Wetton nach Japan gereist bin, ging ich gerade mit einer Tüte Gemüse über die Straße, als mir ein Gitarrenriff in den Sinn kam, das dann zu einem Song wurde, nämlich Darktown, eine sehr düstere, schwerfällige Melodie. Unterschwellig überlegte ich wohl: Ich reise nach Japan. Was werde ich dort wohl für Melodien hören? Und diese Melodie tauchte auf. Wir haben sie in einer fremdartigen Weise behandelt, aber es ist die Sorte Melodie, die man auf einer Koto oder einer Schamisan oder einem ähnlichen fernöstlichen Instrument hören könnte. Kommt nur darauf an, wie sie präsentiert wird.
F: Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Gandalf ergeben?
Steve: Ich glaube, er rief mich an. Das war vielleicht noch vor den Zeiten von E-Mails. Für mich war es die Chance, mal nach Österreich zu fahren, wo ich noch nie gewesen war. Ich fand es toll, eine ganz andere Kultur, viel lockerer … Sind heute Österreicher hier? Vielleicht sind es dieser ganze Kuchen und Tee, die Teehäuser … Apfelstrudel, so heißt das! [auf deutsch:] Noch einen Apfelstrudel, bitte! – Das hat Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten. Und ich habe auch ein-, zweimal mit ihm live gespielt. Wir haben Konzerte in Österreich gespielt; das war mein Vorwand, dorthin zu fahren, und ich hoffe mal wieder dahinzukommen. Vielleicht ergibt sich etwas zusammen mit Djabe. Djabe, sollte ich sagen, sind eine ungarische Welt-Fusions-Musik-Band die noch keinen einzigen Song auch nur ein einziges Mal gespielt haben, geschweige denn zweimal. Mit ihnen Musik zu machen ist toll, völlig frei. – So habe ich also Gandalf und seine Familie kennengelernt; seine Kinder auch, die sind jetzt schon erwachsen, wahrscheinlich schon Großeltern.
F: Ich möchte dich gerne etwas über Coverversionen fragen. Was hältst du davon, dass viele Leute nicht nur Songs von Genesis covern, an denen du beteiligt warst, sondern auch deine Soloarbeiten. Kürzlich habe ich eine Trance-Version von [dem GTR-Song] When The Heart Rules The Mind von einem kanadischen DJ entdeckt.
Steve: Die habe ich noch nicht gehört; würde ich aber gerne mal. Ich habe aber schonmal eine – könnte eine Trance-Version gewesen sein, von Fountain Of Salmacis, die sehr merkwürdig war mit all den … wie bitte? – Der Mann kennt sich aus, die Version heißt Sacred Cycles. Soweit ich weiß, könntest du sie gemacht haben [lacht]. Ah, von Pete Lazonby. Ihr seht also, Musik hat Beine und manchmal passieren eine Menge Sachen, die man gar nicht erwartet. Ich freue mich auf jeden Fall, dass die Musik auf die eine oder andere Art weiterlebt.
F: Ich hatte vor einiger Zeit ein Erlebnis auf einem Konzert von The Musical Box, das illustriert, wie wirklich schwierig dein Solo in Firth Of Fifth ohne die Hilfe eines E-Bows zu spielen ist. Wie hast du das vor dreißig Jahren schon ohne Netz und doppelten Boden so hinbekommen?
Steve: Das ist nur menschlich. Ich frage mich dasselbe, wenn ich Eric Clapton ein Solo spielen sehe. Er hatte eine Reihe von Marshall-Lautsprechertürmen und lehnte sich praktisch an, damit das Feedback zustandekam. Was ich gemacht habe, war das hier: Beim Proben habe ich entdeckt, dass es eine Note auf der Gitarre gab, nämlich ein hohes Fis, die zuverlässig ein Feedback lieferte, und ich glaube nicht, dass das in einer anderen musikalischen Umgebung geklappt hätte. Ich saß ja damals sehr nahe an den Verstärkern. Und es stellte sich heraus, dass es bei neun von zehn Shows funktionierte. Aber es gab eben immer noch diese zehnte Show, bei der es nicht immer klappte; alles, was man tun mußte, war diese Note anzuschlagen und sich nicht zu bewegen, fast so ruhig zu sein wie eine Statue. Weil ich ja auf einem Hocker saß, klappte das auch. Als der E-Bow dann auf den Markt kam, 1976 oder 1977 habe ich ihn freilich verwendet. Heute nehme ich einen Sustainer von Fernandez, und solange man die Saiten nicht berührt – und die Gefahr besteht immer – dann funktioniert mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Wenn man sich die frühen Solos der Gitarrenhelden anschaut, die ich in den frühen 60ern gehört habe… mir hat mal jemand gesagt, es wäre immer eine 50:50-Chance gewesen, dass es klappt oder schiefgeht. Es gibt da eine Version von The Steppes, als ich das Stück in Montreux gespielt habe. Offensichtlich ist meine Gitarre ein bißchen zu laut und erzeugt Feedback, und zwar die falsche Note. Ich bin dann immer zu den Verstärkern gegangen und habe versucht sie so einzustellen, dass sie das machen, was ich will. Später in dem Stück ist es etwas laut und produziert einen Klang, den ich nicht brauche. Feedback kann toll klingen, wenn man es unter Kontrolle hat – wenn aber der falsche Klang herauskommt, ist es eine Katastrophe …
F: Erzähl uns bitte auch noch ein bißchen was über den Steve hinter der Musik. Was machst du in deiner Freizeit?
Steve: Nun, ich bin immer sehr gerne laufen gegangen. Aber beim letzten Mal war ich gut 30 Sekunden unterwegs, als meine 59 Jahre alten Knie nur noch „AUA!“ machten. Sport ist toll – für andere. Ich habe Sport getrieben, solange es ging, aber … naja. Ein angenehmer langsamer Spaziergang ist schön. Das mache ich also. Dass ich Bücher mag, wißt ihr, glaube ich, schon. Ein Buch lesen ist wie eine Reise zu unternehmen, nur dass man keinen Pass braucht. Und außerdem … mag ich all die anderen Sachen, die ihr auch mögt.
F: Steve Hackett, vielen Dank, dass du uns all diese Fragen beantwortet hast!
Steve: Ich danke euch. [auf deutsch:] Dankeschön!
Die Fragen wurden vom Publikum des Steve Hackett-Events 2009 gestellt.
Bühnenmoderation, Interviewleitung und Live-Übersetzung: Christian Gerhardts
Übersetzung von Martin Klinkhardt.
Fotos: Peter Schütz