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Steve Hackett – Live mit Band und Orchester (UK-Tour 2018) – Tourbericht
Im Herbst 2018 spielte Steve Hackett mit Band und Orchester einige besondere Shows in Großbritannien. In Deutschland wird diese Show wohl nicht aufgeführt werden. Volker Warncke hat sich mehrere Shows angesehen und teilt seine Eindrücke mit euch.
Der Begriff “Apokalypse” bedeutet wörtlich übersetzt “Entschleierung” oder “Enthüllung” und im christlichen Kontext ist es natürlich die Offenbarung. Eine musikalische Offenbarung der Genialität der beteiligten Musiker und natürlich der Musik selber wurde mir zuteil, als ich im Oktober 2018 von den acht Konzerten mit Steve Hackett und Orchester immerhin vier sehen konnte. Angefangen mit dem dritten Konzert dieser Tour, in London in der Royal Festival Hall, das hierschon in aller Ausführlichkeit besprochen wurde, reiste ich mit dem Zug (und ohne Verspätungen!) weiter nach Norden, über Birmingham und Newcastle bis nach Glasgow.
Die Royal Festival Hall in London ist von innen definitiv beeindruckender als von außen, aber es kommt ja bekanntlich auf die inneren Werte an – ich hatte einen Platz in der ersten Reihe auf dem Balkon und somit eine sehr gute Sicht. Da es bereits die dritte Show mit dem Orchester war, hoffte ich darauf, ein vollständig aufeinander eingespieltes Ensemble zu hören zu bekommen. Bei den ersten Noten von Dance On A Volcano war ich mir allerdings noch nicht ganz so sicher, da es irgendwie etwas unkoordiniert klang. Aber nach den ersten Sekunden passte dann alles, aber es ist und bleibt bei so vielen Instrumenten immer auch ein bisschen ein Kampf um die Selbstbehauptung jedes Instruments im Mix. Meine Befürchtung bei solch einer Konstellation ist immer, dass das Orchester tendenziell zu wenig zu hören ist, weil die reguläre Rockband alles übertönt. Und Gary O’Toole, der Schlagzeuger, hatte bei einem seiner zahlreichen Live-Feeds auf Facebook während der Tour bestätigt, dass zumindest er genau das Gleiche spielt, das er bisher auch ohne Orchester gespielt hat. Die Konzeption war ja auch nicht wie z.B. bei Peter Gabriels New Blood-Tour, mit „no drums, no guitar“ etc., sondern quasi von allem alles. Nur leider ohne Chor – ich hatte Steve vorher noch gefragt, ob es einen Chor geben würde, und er meinte, das wäre finanziell leider nicht machbar. Und man muss natürlich anerkennen, dass die Ticketpreise keine Spur höher waren als bei ‚regulären‘ Hackett-Shows in UK (40 – 50 Pfund). Die meisten Shows waren mehr oder weniger ausverkauft – schwer zu sagen, in wieweit das Publikum etwas höhere Preise in Kauf genommen hätte, wenn noch ein Chor dabei gewesen wäre, wobei der Zusammenhang den Leuten dann ja im Vorfeld nicht unbedingt bekannt gewesen wäre. Wie z.B. Supper’s Ready mit Orchester und Chor klingt, kann man hier sehen. Ich war dort auch selber zugegen und war restlos beeindruckt, als der Chor die Mellotron-Choir-Parts übernahm. Das war dann wirklich nochmal ein Schritt weiter in Richtung Musik-Himmel. Die Band Todmobile, mit der Steve dort spielte, hat auch einen Teil der Orchesternoten geschrieben, die jetzt benutzt wurden.
Aber auch ohne Chor war nun wahrhaftig nicht nur die Rockband zu hören. Es ist zwar schon so, dass man, wenn alle in voller Lautstärke spielen, meist die Geigen nicht wirklich heraushören kann, zumindest nicht als separate Instrumente, aber man kann davon ausgehen, dass sie auch in solchen Passagen zum Gesamtklang beitrugen. Deutlich heraushören konnte man auf jeden Fall die Bläser, die sich viele Male mühelos über alle anderen emporheben konnten. An anderen Stellen, wenn das Stück etwas Luft ließ, haben die Geigen allerdings durchaus einige zusätzliche Parts beigetragen, mit Melodien, die so an dieser Stelle nicht im Original vorkommen, aber Variationen von Melodien sind, die das Stück jeweils ausmachen.
Das Besondere an der London-Show waren die Gäste aus der Familie, Amanda Lehmann für Vocals und Gitarre beim ersten Teil von Shadow of the Hierophant und Brother John mit seiner speziellen Querflöte bei Serpentine Song. Er war schon zu hören, aber es war nicht einfach, bei der Konkurrenz durch Rob Townsend und die Querflöten des Orchesters. Aber das Spektakulärste an dieser Show ist zweifellos der Hierophant, wo gegen Ende dann einfach alle mit maximaler Lautstärke spielen und es ist auch rein von den Dezibel her die lauteste Passage des ganzen Abends, obwohl es ja schon am Ende des ersten Sets stattfindet. Nach der Zugabe, The Musical Box, waren die Zuschauer auch entsprechend begeistert. Das Ganze wurde für die offizielle DVD/BluRay gefilmt, mit 6 Kameras von hinten und mindestens 6 weiteren Kameras im Bühnenbereich. Hinterher konnte ich noch zur After-Show-Party gehen, die in einer dafür vorgesehenen Backstage-Bar stattfand, und das erste Getränk ging sogar aufs Haus. Es war am Anfang ziemlich voll, weil neben der Band auch jeweils Freunde und Verwandte kamen – und Steves Mutter durfte auch nicht fehlen. Nicht nur war diese London-Show in der Halle mit einer Kapazität von 2900 so gut wie ausverkauft, sondern sie haben dann ja auch noch im etwas kleineren Palladium in der Woche darauf gespielt, und da hat es auch nicht an Publikum gemangelt; diese Show war deutlich später als die ersten sechs verkündet worden.
Am nächsten Tag ging es dann nach Birmingham in die Symphony Hall. Sie liegt in einem Komplex mit Kongresszentrum und Luxushotel in einem Stadtteil mit vielen Bars und Restaurants und ist mit einer Kapazität von über 2200 etwas kleiner. Hier saß ich auf einem seitlichen Balkon, zumindest etwas näher als in London. Die Setlist war die gleiche, wie bei allen 8 Shows, nur dass es bei Hierophant nur den Instrumentalteil gab. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass jetzt alle noch ein bisschen besser zusammenspielten. Bei der ‚Band Intro‘ vor der Zugabe holte Steve hier auch Helen Fitzgerald zu sich nach vorne; sie spielt Geige und hat das Orchester für diese Auftritte koordiniert.
Vor dem Konzert in Birmingham fiel mir auf, dass dort auch Flyer von The Musical Box herumlagen. Und sie würden genau dort am nächsten Tag spielen, und ich hatte für den nächsten Tag noch nichts vor und die Fahrt nach Newcastle war auch erst für den übernächsten Tag geplant. Und es gab auch noch Tickets, also habe ich zugeschlagen, obwohl ich diese Show in Essen im November sehen würde. Ich ergatterte einen Platz in der 3. Reihe, wenn auch ganz außen. Das neue, dreiteilige Konzept dieser Show war mir bekannt, aber von der Ausführung im Einzelnen war ich dann doch teilweise überrascht, vor allem, dass sie die meisten Trick und W&W-Songs nur in Ausschnitten spielen. Mal was anderes von unseren Lieblingskanadiern!
Aber dann war wieder unser Lieblingsgitarrist dran, als nächstes in Gateshead bei Newcastle. Die Halle dort, The Sage, ist besonders von außen beeindruckend, sehr modern und rund, aber auch innen sehr schick (und rundlich) – und noch wieder etwas kleiner mit ca. 1600 Zuschauern. Dort hatte ich einen Platz, etwas erhöht, direkt hinter dem Mischpult in der ersten Reihe des Blocks, genau in der Mitte. Der perfekte Logenplatz und auch der Sound hätte nicht besser sein können, einfach komplett direkt von vorne und ohne, dass man irgendeinen Hall des umgebenden Raumes wahrnehmen konnte – für mich das Optimum! Soweit ich weiß, war es dort auch ausverkauft und die Leute waren begeistert. Beim Firth of Fifth-Intro meinte ich allerdings ein paar Unsauberkeiten bei Roger King wahrnehmen zu müssen.
Meine letzte Show war dann in Glasgow in der Royal Concert Hall, auch dies wieder eine Halle mit Klassik-Schwerpunkt und einer Kapazität von knapp 2500 Zuschauern. Eine Besonderheit gab es hier – sie haben das Intro von Firth of Fifth nicht gespielt! Stattdessen wurde mit ein paar Takten angezählt und es ging gleich los mit dem Hauptteil. Da hatte Roger King wohl einfach nicht die Nerven, nachdem er am Vortag solche Probleme damit gehabt hatte. Na gut, das kennen wir ja von damals von Tony Banks, da befindet sich Roger wahrlich in bester Gesellschaft!
Insgesamt waren diese 4 Orchester-Konzerte auf jeden Fall eine fantastische Erfahrung, bei der man direkt miterleben konnte, wie die Songs, die man schon so lange so gut kennt und liebt, mit ‚klassischen‘ Mitteln noch dichter und intensiver präsentiert wurden. Das Potenzial zum Orchestralen, das viele Genesis-Songs ja sowieso schon haben, wird mit diesen Konzerten voll und ganz ausgenutzt (abgesehen vom Chor).
Es ist zurzeit nicht sehr wahrscheinlich, dass Steve Hackett in Kürze in anderen Ländern eine vergleichbare Orchester-Tournee auf die Beine stellen kann, aber Einzelaktionen würde ich schon im nächsten Jahr nicht gänzlich ausschließen. Wir haben z.B. in Wuppertal das Wuppertaler Symphonieorchester und die Kantorei Barmen Gemarke, die in den letzten Jahren z.B. mit Jethro Tulls Ian Anderson und Procol Harum Rock und Klassik an jeweils 2 oder 3 Abenden in der Historischen Stadthalle Wuppertal verbunden haben – und zwar mit Chor. Und Steve weiß das – hoffentlich klappt es!
Autor & Fotos: Volker Warncke