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Richard Macphail – My Book Of Genesis – Rezension
Richard Macphail spielte besonders in der Frühphase der Band eine große Rolle. Auch nach seinem Abschied blieb er mit der Band in Kontakt und tauchte hier und dort auch wieder in offiziellen Funktionen auf. Jetzt hat er seine Sicht der Zeit mit Genesis in Buchform vorgelegt. Helmut Janisch hat das Werk gelesen und bewertet.
Bücher über Genesis wurden bereits vor vierzig Jahren geschrieben und Biografien über die meisten Bandmitglieder gibt es auch schon seit vielen Jahren. Aber Autobiografien aus dem Genesis-Umfeld sind doch relativ neu. Mike Rutherford machte 2014 mit The Living Years den Anfang und 2016 zog Phil Collins mit Not Dead Yet nach. Nun erscheint mit My Book Of Genesis ein Werk über die Frühphase der Band, geschrieben von (und natürlich auch über) eine der wichtigsten Personen der Genesis-„Familie“ dieser Zeit: Richard Macphail. Obwohl nie selbst als Musiker oder Autor an der Musik von Genesis beteiligt, war er in der für Genesis wichtigen Anfangs- und Umbruchzeit ein entscheidender Faktor, der die Band zusammen und auf Kurs hielt. Vieles aus dieser Zeit ist den Genesis-Fans bereits bekannt, nicht zuletzt auch durch Interviews, die u. a. der Deutsche Genesis Fanclub itmit Richard führte (1994) oder durch seine Teilnahme an Fanclub-Events in Deutschland (2005) und Italien (2007). Nun erzählt Richard also selbst noch einmal ausführlich aus seiner Zeit mit Genesis und wir sind gespannt, ob es etwas gibt, das wir bisher noch nicht von ihm gehört haben.
Das Buchcover ist schon die erste Überraschung. Wir kennen Richard von Fotos her ja meist entweder als jungen Mann mit langer Mähne oder so wie er heute aussieht. Das Buch ziert ein Foto, das von Richard auf Tour mit Peter Gabriel 1977-78 zeigt – modisch adrett mit Kurzhaarschnitt. So kann es gerne weitergehen.
Zunächst hat jedoch Peter Gabriel das (Vor-)Wort. In wenigen Sätzen umreißt dieser die Genesis-Frühphase und Richards Rolle im Bandgefüge. Er schließt mit den Worten „I am happy that his story is now being told.“ Das sind wir auch und freuen uns auf Richards Erzählungen.
Vor dem ersten Kapitel erzählt Richard, wie es zu dem Buch kam und dankt allen, die ihm bei der Umsetzung halfen. Co-Autor des Buches ist Chris Charlesworth, ein Autor und Musikjournalist (u.a. für den Melody Maker). Aber wie Richard schreibt, haben auch einige andere Personen Einfluss auf den Inhalt gehabt, nicht zuletzt seine Frau, Maggie Cole. Zuletzt weist er noch darauf hin, dass er bemüht war, alles so niederzuschreiben, wie er sich daran erinnert, aber am Ende sei vielleicht doch nicht alles hundertprozentig so passiert … es ist ja alles schon so lange her, entschuldigt er sich.
1. In the beginning
Wir erfahren einiges über Richards familiären Hintergrund, vor allem über seinen Vater, und über seine Kindheit und Schulzeit vor Charterhouse School. Das Ganze ist sehr interessant und geht inhaltlich weit über das hinaus, was wir bisher von Richard wussten.
2. Mick Jagger – the devil incarnate
In diesem Kapitel geht es um Richards Wechsel zur Charterhouse School, seine ersten Kontakte mit Popmusik im Allgemeinen und mit anderen musikbegeisterten Schülern dieses Internats, wie Rivers Job und Anthony Phillips. Wir erfahren erneut einige unbekannte Details aus dieser spannenden Zeit.
3. Anonymous at Charterhouse
Richard beschreibt den Alltag in der Charterhouse School und wie sich aus ihm und einigen Schülern seines Jahrgangs mit Anon und The Garden Wall die Bands formierten, aus denen später Genesis entstand. Einige Anekdoten z. B. über die legendären Schuljahrsabschlusskonzerte oder über den jungen Peter Gabriel hat man zwar schon früher gehört. Aber Richards Detailbeschreibungen ergänzen auch hier wunderbar das bekannte Bild.
4. The wilderness years
Es folgt ein Kapitel über das man bisher nur sehr wenig wusste – Richards Zeit nachdem er auf Druck seiner Eltern Charterhouse verließ und an anderen Schulen, getrennt von seinen bisherigen Musikerkollegen, bessere Leistungen erbringen sollte. Das funktioniert wohl auch ganz passabel, wobei irgendwann auch den Eltern klar wird, dass Richard nicht wie erhofft zum Arzt oder Anwalt geboren ist. Und so fragt man sich, was aus dem Jungen mal werden soll.
5. Eyeless in Gaza
Nach Beendigung seiner Schulzeit und einem kurzen Job als Kurier verbringt Richard 1968 ein halbes Jahr in Israel in einem Kibbuz. Es sind wiederum seine Eltern, die sich davon etwas für ihren etwas orientierungslosen Sohn versprechen. Derweil veröffentlichen Richards Freunde im fernen England die ersten zwei Genesis-Singles und arbeiten am Debutalbum.
6. The cottage
Nach einigen Drogenerfahrungen in Israel kehrt Richard nach England zurück und verdient etwas Geld mit dem Schneidern von Ledertaschen und -jacken. Richards Kontakt zu Genesis ist über Schriftverkehr mit Ant nie abgebrochen und sein Interesse an Rock ’n‘ Roll ungebrochen. So stößt er wieder zur Band und begleitet sie durch die schwierige Zeit nach dem Debutalbum. Das Kapitel erzählt hauptsächlich von den gemeinsamen Monaten im Cottage der Macphail-Familie, einer sehr wichtigen Erfahrung für Genesis auf dem Weg von der Post-Charterhouse-Band hin zu Profimusikern.
7. A little bit of Charisma
Hier berichtet Richard ausführlich von der Zeit nach den Cottage-Monaten. Der Vertrag mit Charisma Records gibt der Band Sicherheit und bereitet den Weg zum nächsten Album, Trespass, vor. Alles läuft nach Plan, bis Anthony die Band verlassen muss. Die Suche nach einem neuen Gitarristen und einem neuen (besseren) Schlagzeuger bringt Phil und Steve in die Band. Über diese Phase hat man schon viel gehört, aber Richard offenbart uns wahnsinnig viele Details. Es ist, als ob man bisher durch „eine beschlagene Autoscheibe“ auf die Genesis-Vergangenheit gesehen hat, und Richard „schaltet“ nun „Lüftung und Klimaanlage ein“.
8. Mellotronics
Genesis sind nun in der „klassischen“ Fünferbesetzung der 70er Jahre. Unzählige Livegigs in England, meist in oder nahe London, bestimmen das Leben der Band und somit auch das von Richard. Langsam entwickelt sich Genesis zu dem, was man sich heute unter der Band in der Gabriel-Ära vorstellt. Ein Mellotron wird angeschafft, bei Konzerten überbrückt Peter die Übergänge zwischen den Songs mit oft skurrilen Ansagen, Nursery Cryme wird aufgenommen und die Fangemeinde wächst langsam aber stetig, sogar im europäischen Ausland.
9. The grand tour
Wir sind nun im Jahr 1972 angekommen. Genesis nehmen Foxtrot auf und touren in Italien – einmal vor und einmal nach den Albumsessions. Erstmals spielen sie vor mehreren Tausend begeisterten Fans. Es ist der Beginn einer Erfolgsstory. Alles wird größer und professioneller. Richards Rolle wandelt sich letztendlich vom Allround-Roadie zum Tourmanager.
10. The guy in the top hat
Richard berichtet von der ersten kurzen Konzertreise der Band in die USA im Dezember 1972, von diversen großen und kleinen Komplikationen dabei und letztlich einem glücklichen Ende und positiver Resonanz in der Presse. Eine weitere Tour in den USA folgt im darauf folgenden Frühjahr und Genesis sind auf Kurs zu dem, was wenig später als Selling England By The Pound erscheinen wird. Zuvor aber erscheint ihr erstes Livealbum und ein Foto auf der Rückseite des Covers trägt den Untertitel „Dedicated to Richard Macphail who left in April 1973“.
11. Why I left Genesis
Genesis müssen von nun an ohne Richard auskommen, aber er wusste, das die Band das schaffen würde. Sie waren auf dem richtigen Weg und bei Tony Smith als neuem Manager sind Genesis gut aufgehoben. Richard hat nun erstmals Gelegenheit, ein Leben nach seinen Vorstellungen zu leben und auch davon erzählt er in diesem Kapitel. Ein knappes Jahr nach seinem Weggang springt Richard dann doch noch einmal bei Genesis‘ Nordamerika-Tour als Crewmitglied ein und macht bei den ersten paar Konzerten die Lightshow. Er bleibt danach noch eine Monate in den USA und Kanada und führt dort ein wechselhaftes, interessantes Leben.
12. Why did Peter leave Genesis?
Wieder zurück in England sind Genesis bereits in den Sessions zum nächsten Studioalbum, The Lamb Lies Down On Broadway. Richard spannt in seiner Erzählung einen weiten Bogen: von seinen ersten Eindrücken, als er die Band in Wales beim Aufnehmen besucht über die schwierige Konstellation zwischen Peter und dem Rest der Band, dann Peters Entscheidung, Genesis nach der Lamb-Tour zu verlassen und schließlich dem Neuanfang von Genesis mit Phil als Sänger … und noch einmal mit Richard im Boot, als Tourmanager der A Trick Of The Tail-Tour in Europa.
13. The kraken wakes
Richard hat in der Folge nur wenig Zeit, sein eigentliches Leben abseits des Musikgeschäfts weiter zu leben. Peter Gabriel hat nach einer fast einjährigen Ruhepause sein erstes Soloalbum gemacht und möchte Richard als Tourmanager bei der anstehenden Tour haben. Nach all den Jahren ist das für Richard kein Problem, zumal auch viele Gesichter und Kontakte noch dieselben sind, wie bei Genesis. Auch nach der Tour betreut Richard Peter weiter – nun als Personal Manager ? und Gabriels zweites Soloalbum entsteht.
14. Busted in St. Gallen
Hier geht es um das Leben auf Tour mit Peter Gabriel 1977 und dabei insbesondere um die schlimmsten Pannen aus Richards Sicht. Von der vorübergehenden Festnahme von Peter und Teilen der Band durch die Schweizer Polizei in St. Gallen wusste man ja schon, aber Richard fügt auch hier wieder einige neue Details hinzu. Und von anderen Missgeschicken während dieser Tour hat man noch nie vorher etwas gehört.
15. I didn’t choose Brand X
Weithin unbekannt dürfte auch sein, dass Richard Mitte/Ende der 70er Jahre nicht nur Genesis und Peter Gabriel als Tourmanager begleitete, sondern auch Brand X (bei deren erster US-Tour 1977 – jedoch ohne Phil Collins), Peter Hammill (USA 1979 und Italien 1980) und Bill Bruford (Frankreich und Deutschland, das Jahr wird nicht erwähnt).
16. Birds on the wire
Richard berichtet hier von zwei weiteren Manager-Engagements: ein sehr kurzes Zwischenspiel für Van Morrison und als Tourmanager bei Leonard Cohens Europatour 1979.
17. A marriage of convenience
Zum Abschluss seiner aktiven Zeit im Musikgeschäft versucht Richard sich noch einmal – wie einige Jahre zuvor bei Anon – als Sänger. MC² heißt die Band und neben einigen Konzerten kommt es auch zu privaten Studioaufnahmen, aber offensichtlich keiner Plattenveröffentlichung. Es folgt eine Phase als Taxifahrer und Motorrad-Bote in London, bei der er seiner spätere Ehefrau Maggie kennenlernt. Wie im gesamten Buch, ergänzt Richard auch hier die reine Erzählung mit humorvollen Details.
18. The reunion
Zum Ende des Buches spannt Richard einen weiten Bogen über die letzten +/- 35 Jahre seines Lebens. Im ersten Abschnitt geht es um seinen beruflichen Werdegang ab Anfang der 1980er Jahre bis zu seinem Ruhestand. Hier war er zunächst Pionier, später renommierter Fachmann/Berater für Energieeinsparungsmaßnahmen an Gebäuden. Er kommt noch einmal auf das Thema Genesis zurück und berichtet vom Genesis-Reunion-Konzert 1982 und von Peter Gabriels Affären (beides hat teilweise etwas miteinander zu tun, wie man erfährt). Und schließlich teilt Richard uns auch noch mit, was aus seinen Eltern und Geschwistern wurde, wie sein Leben an der Seite einer erfolgreichen Künstlerin aussieht und was er als Rentner so treibt. Vermutlich wird jeder Leser an diesem Punkt denken, dass es schade ist, dass wir nun schon am Ende angekommen sind. Aber einen kleinen Nachschlag hat Richard ja noch für uns im letzten Kapitel.
An interview with Steve Hackett
Hier unterhalten sich Steve und Richard über Genesis. Hauptsächlich ist es Steve, der etwas zu den Frühjahren von Genesis sagt, zur Situation innerhalb der Band damals und zu seinem Ausstieg von Genesis. Und man bekommt auch hier – wie im gesamten Buch – einige neue Aspekte bereits bekannter Fakten aufgezeigt.
Ein Index, der die Suche nach bestimmten Namen und Begriffen erleichtert, ergänzt das Buch. Zusätzlich sind auf 14 der 234 Seiten Fotos abgedruckt. Darunter sind ein paar, die man als Fan schon kennt, der Großteil ist jedoch unveröffentlicht und zeigt Schnappschüsse zu praktisch allen Kapiteln des Buches.
Das Buch ist in einem auch für Nicht-Englischmuttersprachler gut lesbaren Stil geschrieben und erzählt flüssig, spannend und sehr oft auch humorvoll die Frühgeschichte von Genesis und das Leben von Richard Macphail. Immer wieder eingestreut sind Zitate der Bandmitglieder. Man bekommt interessante Einblicke in Richards Gedanken damals und heute im Rückblick, aber auch zum Beispiel etwas pikante Informationen über sein frühes Sexualleben und seine damalige Einstellung zu Drogen. Das Bild, das wir von Genesis und Richard hatten wird damit nicht über den Haufen geworfen. Es wird klarer und verständlicher. Da spielt es auch keine Rolle, dass Richard teilweise leicht durcheinander gekommen ist, was die zeitlichen Abläufe in den Jahren 1977 bis 1980 angeht. Bei all den Touren kann das schon mal passieren.
Wer denkt, er wisse eh schon alles über Genesis oder es sei uninteressant, was ein früherer „Roadie“ zu berichten hat, wird eines besseren belehrt. Ich habe das Buch verschlungen und bei Richards Schlussworten musste ich eine Träne verkneifen. Von mir aus hätte das Buch gerne doppelt so umfangreich sein können. Es hat viel Spaß gemacht, in dieser Form durch das Leben von Richard – mit und ohne Genesis – geführt zu werden. Danke!
Autor: Helmut Janisch
Zur Zeit kann das Buch nur online bestellt werden: mybookofgenesis.com
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