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Phil Collins – Not Dead Yet live 2017 in Köln – Konzertbericht
Im Juni 2017 spielte Phil Collins gleich fünf Shows in der Lanxess Arena Köln. Ulrich Klemt war vor Ort und ordnet die Show ein.
Oder: Against all odds one more night in Paradise
Es ist 20.15 Uhr am Sonntag, 11. Juni 2017 und in der mit 16.000 Zuschauern seit Monaten ausverkauften Lanxess Arena in Köln ist vor wenigen Augenblicken das Licht ausgegangen. Eben noch hat das seit Jahrzehnten obligatorische Souareba von Salif Keita allen signalisierte, dass es jetzt jeden Moment losgehen wird. Doch nun ist es in der Halle bis auf Applaus und Jubel des Publikums still. Ein kleiner Mann betritt auf einen Gehstock gestützt eine Bühne, die für ihn viel zu groß erscheint. Aber er wird in der komplett bestuhlten Halle frenetisch mit standing ovations begrüßt. So heißt man niemanden willkommen, den man nicht sehnlich erwartet hat und über dessen Erscheinen man sich extrem freut. Kein Hand In Hand, kein Schlagzeugintro. Dieser Augenblick gehört nur dem kleinen Mann, der sich beschwerlich und vorsichtig vorwärts bewegt. Er trägt dunkle Kleidung: legere Hose, T-Shirt und darüber ein
aufgeknöpftes, langärmliges Hemd. Sein Ziel ist ein leicht erhöhter, lederbezogener Drehstuhl mit Rücken- und Armlehne vergleichbar mit einem bequemen Barhocker. Davor steht ein Mikrofonständer und daneben ein Tisch mit Wasser, Handtuch, ein paar Zetteln und einem Döschen, vermutlich mit seinen geliebten Grether’s Pastillen. Leicht versetzt dahinter leuchten zwei Spots auf Stativen genau auf diesen exponierten Sitzplatz. Das wird der Platz des kleinen Mannes sein, die meiste Zeit des Abends über. Hinter dem Stuhl erhebt sich ein weißer, halbtransparenter Vorhang. Nichts soll in dieser Minute von dem kleinen Mann ablenken. Es wirkt so, als sollte diese Kulisse allen in der riesig wirkenden Arena sagen: seht mich an, ich habe nichts zu verstecken. Ein mutiger, ehrlicher und uneitler Auftritt dieses kleinen Mannes, der trotz seiner Erscheinung einer der größten seines Berufsstandes ist. Dieser kleine Mann ist Phil Collins. Der, den man über so viele Jahrzehnte von einem Live Aid-Konzert zum anderen Concorde-fliegend, auf der Dance Into The Light-Tour eine Rundbühne schier endlos umkreisend oder – und das macht ihn wohl am meisten aus – virtuos schlagzeugspielend bei Genesis, Brand X, Clapton und so vielen mehr kannte. In dieser Minute des Hereinhinkens wird vermutlich auch dem letzten in der Halle klar, dass all diese Erinnerungen Geschichte und vermutlich für immer vorbei sind.
Phil Collins hält vor dem Stuhl kurz inne, grüßt in die Menge und hängt dann seinen Gehstock über die Lehne, bevor er auf dem Stuhl Platz nimmt. Er trägt anders als früher auf Tourneen Brille und Armbanduhr. Die Kulisse erinnert ein wenig an eine Dichterlesung. Und tatsächlich könnte Phil Collins nun zu seiner Biografie greifen und anfangen zu lesen. Das würde sogar zum Motto des Abends passen: Not Dead Yet, genau wie der Titel seiner Memoiren. Stattdessen wünscht er „Guten Abend“ und greift zu dem altbekannten Zettel mit seinem „Doitsh“. Von seinem nächtlichen Sturz in einem Londoner Hotel vor wenigen Tagen ist nur noch ein großes Pflaster über dem linken Auge zu sehen, das die genähte Platzwunde darunter verdeckt. Nach einer kurzen Liebeserklärung ans Publikum erklingt dann schließlich das, wofür alle heute Abend hierhergekommen sind: Musik. Im Gegensatz zu früheren Touren beginnt das Konzert nicht mit einem Song, der die Leute von den Stühlen reißt sondern gefühlvoll und ruhig. Es ist eines der ersten Stücke, die er solo schrieb und wenn Not Dead Yet das Motto des Abends ist, so ist Against All Odds so etwas wie der Untertitel dazu. Diese Idee habe ich für die Überschrift zu diesem Konzertbericht zu einem etwas sperrigen und plumpen Wortspiel verwendet. Das möge man mir verzeihen, aber es lag einfach zu sehr auf der Hand.
Während des gesamten Eröffnungsliedes bleibt der Vorhang unten. Darauf bilden nur die durch Scheinwerfer erzeugten Silhouetten seiner Band einen minimalistischen Hintergrund. Am Ende einer jeden Show auf der First Final Farewell Tour 2004 und 2005 ging auf der Videoleinwand am Ende von Take Me Home ein Vorhang zu. Nun zu Beginn des zweiten Stücks geht dieser Vorhang wieder auf und gibt den Blick auf die eigentliche Bühne frei. Sie ist schlichter gehalten als noch vor 12 Jahren. Ein Podest für Sänger, Bläser, Keyboards, Schlagzeug und Percussion. Davor stehen die Saitenspieler und ganz links ein Konzertflügel – früher gab es an dieser Stelle maximal ein E-Piano. Im Hintergrund erhebt sich eine knapp vier Meter hohe LED-Screen, auf der einzelne Varilights stehen. Darüber hängt eine klassische Videoleinwand. Das gesamte Bühnenbild wirkt ein bisschen wie eine Reminiszenz an die No Jacket Required Tour. Weniger ist mehr. Aber im weiteren Verlauf der Show wird diese Bühnenproduktion unter Beweis stellen, dass sie deutlich mehr kann als es zunächst den Anschein hat.
Die Lichtshow zu Beginn des zweiten Songs lässt den einen oder anderen Zuschauer schon den Anfang von In The Air Tonight vermuten. Aber Phil Collins hat dieses Pulver (fast) nie so früh auf einem Konzert verschossen. Der folgende Titel hat unabhängig von seiner übertragenen Bedeutung auch wortwörtlich eine passende Aussage: Another Day In Paradise, so etwas wie „carpe diem“. Phil Collins weiß nach den unzähligen Rückschlägen der vergangenen zehn Jahre sehr gut, was das bedeutet. Und um dieses mehrdeutige Eröffnungstrio zu komplettieren, spielt er seinen nächsten Superhit One More Night mit Zeilen wie „if I stumble, if I fall, just help me back“. Phil Collins ist durchaus zuzutrauen, dass er das augenzwinkernd und selbstironisch bewusst so gewählt hat. Seinen englischen Humor hat er nie verlernt.
Nachdem nun die Gelegenheitshörer auf ihre Kosten gekommen sind, hat Phil auch für seine eingefleischten Fans eine erste Rarität im Angebot. Wake Up Call, das vor dieser Tour überhaupt erst einmal live gespielt wurde wächst in der Liveversion über sein Albumoriginal hinaus und wirkt ausgereifter. Man kann darüber streiten, ob Phil Collins bei dem enormen Umfang seines Solomaterials auf Genesis-Songs zurückgreifen muss. Er hat es 2004 erstmals mit Misunderstanding getan und 2005 mit Invisible Touch wiederholt. Aber auch diese Songs sind Teil seines Lebenswerks und so fügt sich Follow You Follow Me gut in den Ablauf ein. Can’t Turn Back The Years musste zwanzig Jahre auf seine Wiederentdeckung warten und wird im Wesentlichen in der Version von 1997 dargeboten. Die Zuschauer sitzen und hören gebannt zu. Dieser ruhige und für viele wohl eher unbekannte Song führt nicht zu erhöhtem Gerenne zu den Nassräumen sondern zeigt eindrucksvoll, dass Phil Collins mit Liedern, die er selbst gerne singt und die ihm persönlich viel bedeuten, die Massen in seinen Bann ziehen kann – auch wenn es keine Hits sind. Und die Kernaussage des Stückes passt einmal mehr in die Liste der Songs, die an diesem Abend eine tiefere Bedeutung haben: man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Oder anders formuliert: nehmt mich, wie ich bin.
Bei I Missed Again tritt nun auch erstmals geschlossen das Bläserquartett Vine Street Horns auf. Der Name ist noch gleich, auch wenn die Hälfte der Besetzung neu ist. Es ist gleichzeitig der erste schnellere Song des Konzerts und bringt die Leute dazu, sich nach einer Verschnaufpause wieder von den Plätzen zu erheben. Für Hang In Long Enough können sie gleich stehen bleiben. Dies ist vielleicht der Song, bei dem erstmals auffällt, das Phil Collins heute Abend nicht über die Bühne läuft und vor seinen Backgroundsängern kniet. Danach wird ungewohnt früh die Band vorgestellt. Hier zeigt Collins wieder einen seiner gewohnten Späße als er Luis Bonilla als Luis Caballo begrüßt. Kubanische Namen seien für ihn zu schwierig. Weil es so schön war, wiederholt er den falschen Namen dann gleich nochmal. Der Posaunist nimmt es mit Humor und Collins konstatiert, dass der Kubaner mit ihm wohl nie wieder reden werde. Fast vergisst Phil wie früher seinen Drummer vorzustellen. Aber anders als bisher thront dort kein Chester Thompson, der doch irgendwie schon zum Inventar gehörte. Hinter dem Schlagzeug, das aussieht wie Phils eigenes früher (nur spiegelverkehrt), sitzt ein zurückhaltend bis schüchtern wirkender, gutaussehender Junge mit einem lausbübischen Schmunzeln. Dieser gerade einmal Sechzehnjährige hat für diese Tour die größtmöglichen Schuhe angezogen, die man ihm hätte anbieten können: die seines Vaters. Nicholas Collins spricht und singt an diesem Abend nicht. Er hält sich sehr angenehm zurück, außer bei einer Sache: dem Schlagzeugspielen. Dieser Teenager lässt alle vergessen, dass in der Band von einem der früher weltbesten Schlagzeuger kein alter Hase mit Erfahrung an den Drums sitzt. Sein Sohn hat bislang nur in der Schülerband What You Know hauptsächlich auf Schulkonzerten oder in kleinen Clubs in Miami getrommelt. Doch vielleicht gerade wegen seiner Unbekümmertheit und weil ihm der liebe Gott offenbar ganz viel vom Talent seines Vaters mitgegeben hat, schafft er es diese Schuhe auszufüllen. Den Rest hat ihm sein Vater als Lehrer und Mentor beigebracht. Was dieser junge Bursche an diesem Abend in der größten Konzerthallen Europas darbietet, ist einfach atemberaubend.
Am Ende der Bandvorstellung bittet Phil seine Sängerin Bridgette Bryant, die nach siebenundzwanzig Jahren Pause wieder mit ihm tourt, nach vorne um das zu tun, wofür sie bezahlt wird (so seine Worte). Phil ist sichtlich gealtert und hat mehrere Schüsse vor den Bug bekommen, sich selbst mit dem Alkohol fast umgebracht. Das übersieht niemand, der ihn an einem dieser Konzertabende live erlebt. Für sein Alter sieht er sehr gebrechlich aus. Aber seinen einzigartigen Humor und eines seiner begnadeten Talente, das Singen, hat er nicht verloren. Seine Stimme hat sich durch verschiedenste Einflüsse über die Jahre natürlich verändert. Aber sie ist gefühlvoll wie früher und deutlich stärker als noch bei den wenigen Auftritten im vergangenen Jahr. Das beweist er beim nun folgenden Separate Lives. Das Duett mit Bridgette Bryant ist eine kleine Hommage an vergangene Zeiten. Für viele ist der Song wegen Serious Hits Live eng mit ihr verbunden. Erstmals stellt Phil bei der Ansage dieses Liedes deutlich heraus, dass es nicht von ihm stammt sondern von seinem Freund Steven Bishop geschrieben wurde. Den Abschluss des ersten Konzertteils bildet eine weitere Wiederentdeckung. Only You Know And I Know war seit der Far Side Of The World Tour 1995 in der Versenkung verschwunden. Mit Schwung geht es also in die Pause. Auch das ist etwas, was es bei Phil Collins seit 1995 nicht mehr gegeben hat. Mit dem Vorschlag Pipi zu machen, entlässt Phil seine Fans für 20-25 Minuten. Wer dieser Einladung nicht folgt, dem wird die Wartezeit mit einer lustigen Diashow mit Werbeanzeigen, die sich an Songtiteln von Phil Collins orientieren, verkürzt.
Der zweite Teil beginnt mit dem charakteristischen Trommelintro zu I Don’t Care Anymore. Bevor dieser Song aber richtig losgeht, schieben Nic und Luis Conte ein Schlagzeug-Percussion-Duett hin, das zumindest teilweise dafür entschädigt, dass Phil selbst kein Schlagzeug mehr spielt. Schlagzeug-Soli, -Duette und -Battles waren und sind eben einfach ein fester Bestandteil von Phil Collins-Konzerten. Bei I Don’t Care Anymore ist es wie beim letzten Song vor der Pause. Es ist erstmals seit 1995 wieder Bestandteil der Setlist und auf der aktuellen Tour zum ersten Mal überhaupt nicht Konzert-Opener, auch wenn es nach der Pause den zweiten Teil eröffnet. Mit Something Happened On The Way To Heaven geht nun wieder die Post ab. Nach dem Ende des Songs überlässt die Band der Familie Collins die Bühne. Phil verlässt (abgesehen von der Pause) erstmals seinen Hocker, was er später nur bei einem einzigen weiteren Song tun wird, und nimmt neben Nic am Flügel Platz. Dort kündigt er lachend den einzigen seiner Songs an, den Nic mag. You Know What I Mean, seit 1997 nicht mehr und damals auch nur selten live gespielt, in einer klassischen, minimalistischen Darbietung. Einfach wunderschön und vielleicht der Höhepunkt der Show. Nur Phil und Nic, father to son quasi. Und ich ertappe mich bei der Feststellung, dass dieser junge Bengel auch noch richtig gut Klavier spielen kann.
Selbst das neue Intro, etwas zeitgemäß aufpoliert, aber immer noch mit Vocoder- und Synthesizer-Effekten, kann nicht verhehlen, dass nun vermutlich für die meisten der teilweise aus aller Welt angereisten Zuschauer das absolute Highlight des Abends folgt. In The Air Tonight. Es geht einfach nicht ohne. Phil wird ähnlich wie mit Genesis bei Mama von unten von einem Spot angeleuchtet. Er lässt sich nicht anmerken, ob es ihm in den Fingern juckt oder wie schwer es ihm fällt, den Song nicht an den Drums zu beenden. Der Gesang ist wieder stark, wenn auch nicht mehr ganz so kraftvoll wie früher. Bei solchen Stücken zeigt sich, dass das Singen im Sitzen nicht optimal ist, um alles aus der Stimme herauszuholen. Aber es geht bei Phil nicht anders und dieses Zugeständnis muss man akzeptieren. Nic ist beim Höhepunkt der Show an den Drums genauso brilliant wie zuvor, auch wenn er seinen Vater nicht erreicht, was allerdings auch niemand von ihm erwartet. Phil hat eben das gewisse Etwas.
You Can’t Hurry Love ist der einzige Motown-Song auf dieser Tour. Phils letztes Solowerk Going Back wird nicht berücksichtigt, auch wenn der Titelsong nachweislich in Miami als Zugabe geprobt wurde. Zwei weitere Songs, die auf den letzten Touren gesetzt waren, sind ebenso durchs Sieb gefallen: das bislang obligatorische Two Hearts und Wear My Hat, das seit seinem Erscheinen noch kein Tourkonzert verpasst hat. Ob sie überhaupt geprobt wurden, ist nicht bekannt. Fehlen mir diese Songs? Two Hearts vielleicht ein bisschen, aber Wear My Hat war trotz lustigem Hütchenspiel etwas verbraucht. Um genau diese Stücke ist der Uptempo-Teil gegenüber der letzten Tour gekürzt. Vielleicht ein Tribut an das Alter. Den Platz in der Setlist haben dafür die oben genannten seltener gespielten und/oder wiederentdeckten Songs eingenommen. Das wertet die gesamte Show auf. Genau wie Wake Up Call das einzige Lied von Testify auf dieser Tour ist, so ist von Dance Into The Light nur noch der Titelsong übrig geblieben. Die Leinwandprojektionen erinnern hierbei entfernt an den Videoclip zu diesem Stück.
Zwischen Invisible Touch und Easy Lover wird leider nicht mehr der tolle harmonische Übergang gespielt wie noch 2005. Das war damals richtig klasse und wirkte, als würden die Songs zusammengehören. Diesmal wird Invisible Touch ähnlich wie bei Genesis fulminant beendet und es gibt eine kurze Atempause bevor Easy Lover anfängt. Schade eigentlich. Aber auch ansonsten gibt es fast keine fließenden Übergänge zwischen Songs. Alles wird in sich abgeschlossen dargeboten. Easy Lover läutet bereits das Finale der Show ein. Bislang ist es nur in wenigen Momenten aufgefallen, dass Phil sitzt. Ich habe mich sehr schnell daran gewöhnt. Bei den ruhigeren Liedern stört das ohnehin nicht. Es wirkt höchstens bei schnelleren Stücken eigenartig, wenn um ihn herum Backgroundsänger und Vine Street Horns tanzen und wirbeln und er selbst sich in seinem Stuhl nur leicht zur Seite drehen, nach hinten lehnen und mit dem Bein wippen kann. So auch bei Easy Lover. Es gibt den schon gewohnten Dreiecksgesang mit Arnold McCuller und Amy Keys. Phil sitzt zwischen ihnen und wirkt dabei wie ein Sitzriese. Das ganze entbehrt nicht einer gewissen und möglicherweise sogar gewollten Komik. Gerade weil es lustig aussieht, stört es gar nicht. Etwas anders sieht es da schon bei Sussudioaus. Ich kann es nicht konkret begründen aber hier wirkt der sitzende Phil irgendwie deplatziert. Sein linkes Bein wippt zwar schneller als bei allen anderen Songs zuvor und Sussudio beginnt gewohnt bunt mit Konfetti und Luftschlangen, aber irgendwie passt das alles nicht so 100 %-ig in die bisherige Show. Dazu kommt, dass Phils Gesang hier erstmals an diesem Abend nicht auf der Höhe ist und es macht den Anschein, als habe er Probleme mit dem Timing. Es wirkt alles etwas gequält, eben ein Song, den die Leute unbedingt erwarten. Und Phil möchte – wie so oft – niemanden enttäuschen. Der Stimmung des Publikums tut das keinen Abbruch. Wie immer verneigt sich die Band danach und verlässt die Bühne.
Wenige Minuten Pause und es gibt die natürlich geplanten Zugaben. Hier gibt es für mich viel deutlicher als bisher in diesem Konzert Licht und Schatten. Ich beginne mal mit dem Licht, auch weil es dem chronologischen Ablauf entspricht. Für die erste Zugabe kommen nur Phil und Brad Cole zurück auf die Bühne. Es ist die englische Version von Edith Piafs Hyme à L’Amour mit dem englischen Titel If You Love Me (Really Love Me). Dies ist das zweite Stück des Abends, das Phil nicht auf seinem Stuhl singt und das einzige überhaupt, das er stehend darbietet. Nun ja, er lehnt mehr auf dem Konzertflügel als dass er steht. Aber der Songtext und der Vortrag passen in dieser Weise einfach fantastisch zusammen. Eine echte Perle. Der Liedtext könnte als Abgesang gedeutet werden, was jedoch auch etwas überinterpretiert sein mag. Die Berücksichtigung dieses mir bislang unbekannten Liedes erinnert an Always, das Lieblingslied seiner Mutter, das Phil 1990 auch eher überraschend als Zugabe aus dem Hut zauberte. Take Me Home gefällt mir dagegen in der aktuellen Version irgendwie überhaupt nicht. Sie ist mir mit einem hektisch wirkenden Drumming zu schlagzeug- und percussionlastig. Außerdem sind die Backgroundsänger zu dominant. Möglicherweise liegt das an der Abmischung. Weniger wäre hier definitiv mehr gewesen. Der Song braucht diese Sonderlocken nicht. Den eigenartigsten Moment hat Phil sich dann aber für den Schluss aufgehoben. Die letzten Klänge von Take Me Home sind noch nicht vorbei, da steht er auf, nimmt seinen Stock, grüßt noch einmal in die Menge und verlässt die Bühne auf dem gleichen Weg, auf dem er gekommen ist. Verwunderlich wirkt dabei, dass seine Band auf der Bühne stehen bleibt und die letzten Akkorde des Schlusssongs zu Ende spielt. Alle winken und dann geht der Vorhang herunter. Phil ist in diesem Moment bereits verschwunden. Er blickt nicht zurück, winkt beim Rausgehen nicht mehr. Ein bizarrer Abgang, der so gar nicht zum Beginn der Show passen will. Heißt es außerdem nicht, dass der Kapitän zuletzt das sinkende Schiff verlässt? Nun muss ich allerdings auch einräumen, dass das Schiff an diesem Abend alles ist, nur nicht gesunken.
Was bleibt, ist die Frage, ob es das nun gewesen ist mit Phil Collins-Konzerten. Seine Tour wird noch weitergehen. Nicht nur bis Ende Juni sondern wegen der Nachholkonzerte in London auch im kommenden November. Nordamerika ist auch im Gespräch und der „Rest der Welt“ hängt ohnehin wie ein Damoklesschwert über Phil. Aber es ist eines, das er selbst heraufbeschworen hat. Ich werde mir Phil auf seinem fünften und letzten Köln-Konzert noch einmal ansehen. Vielleicht muss ich dann gewisse Eindrücke widerrufen. Wichtig ist aber, dass ich es nicht bereue, auch diese Tour noch einmal besucht zu haben. Nicht wenige hatten als Argument für ihr Fernbleiben nicht nur die unverschämten Ticketpreise genannt sondern auch, dass sie Phil so in Erinnerung behalten möchten, wie er noch vor 10 Jahren und davor war. Das geht mir nicht anders. Phil Collins‘ Musik hat mich den größten Teil meines Lebens begleitet und ich habe ihn auf fast 50 Konzerten mit Genesis und solo begleitet. Davor diesmal enttäuscht zu werden, hatte ich keine Angst. Phil hat eine Show geboten, die in weiten Teilen seinem Gesundheitszustand und den daraus resultierenden Möglichkeiten entspricht. Diesen Zustand hatte ich nach seinen Auftritten im vergangenen Jahr besser erwartet. Verglichen mit den Little Dreams Foundation Galas und der Eröffnung der US Open in 2016 scheint es ihm schlechter zu gehen. Aber eines ist spätestens nach diesem Abend klar: Phil Collins ist noch nicht tot. Auch wenn die vergangenen Jahre härter waren als geahnt und Spuren hinterlassen haben, die vermutlich irreparabel sind. Ob „da noch was kommt“, wird die Zukunft zeigen. Ich werde ihn so gut es möglich ist weiter begleiten und seine Musik mich. Danke dafür, Phil!
Autor: Ulrich Klemt
Fotos: Ulrich Klemt (aufgenommen am 16.06.2017)