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Peter Gabriel – i/o The Tour in Bergen (2. Juni 2023) – Konzertbericht
Im Rahmen seiner i/o Tour spielte Peter Gabriel auch ein Konzert im norwegischen Bergen – größtenteils bei Tageslicht. Sebastian Wilken schildert seine Reise zum und seine Eindrücke vom Konzert.
Sommer 2007. Ich bin junger Student mit wenig Geld und kaum Konzerterfahrung. Genesis touren durch Deutschland, für die habe ich mir eine Karte gegönnt. Aber eben auch Peter Gabriel. Und mit was für einer Setlist! Am Tag des Hamburg-Konzertes sitze ich in meiner Studentenbude und fasse den Entschluss: Ich fahre da jetzt hin! Als ich am Stadtpark ankomme, läuft schon der erste Song. Aber ich habe Glück: Es gibt tatsächlich noch einen letzten Verzweifelten, der eine Karte verkauft. Ich schlage zu und renne – und zwar erstmal in einen Security-Typen. Es folgt eines der großartigsten Konzerte meines Lebens (einen Bericht könnt ihr hier lesen).
Sommer 2023. Nach dem Umzug ins Ausland und einer Pandemie sind Konzerte praktisch aus meinem Leben verschwunden. Genesis habe ich schweren Herzens ziehen lassen (ich hatte sogar Karten, aber wieder verkauft; im Nachhinein bereue ich es nicht). Aber dann ist da wieder Peter Gabriel. Im Spätherbst seiner Karriere will er es noch mal wissen und geht mit neuem Material auf Tour. Das Feedback zu den ersten Konzerten ist vielversprechend, auf YouTube-Videos sehe ich einen Peter Gabriel in bester Verfassung. Es arbeitet in mir. Anfang der Woche vor dem Konzert in Bergen fällt der Entschluss: Ich fahre da jetzt hin!
Mittlerweile bin ich in Turku, Finnland, zuhause. Das einfachste wäre gewesen, mit der Fähre nach Stockholm rüberzufahren und das Konzert in der dortigen Avicii Arena zu sehen. Aber allein schon der Name turnt mich ab. Viel mehr Lust habe ich auf ein Outdoor-Konzert. Außerdem ist eine weitere Leidenschaft von mir das Zugreisen, und die spektakuläre Bahnstrecke nach Bergen steht schon lange auf meiner Liste.
Von einer vorherigen Reise habe ich noch ein Interrail-Ticket mit zwei nicht genutzten Reisetagen. Also habe ich mir schnell eine kleine Mini-Rundtour von Finnland über Schweden nach Norwegen gebastelt. Am Ende geht sich alles aus – und das mit nur wenigen Tagen Vorlauf. Bevor ich aufbreche, kaufe ich am Dienstagabend aus dem Resale von Ticketmaster Norwegen noch eine Karte für den Front Floor für umgerechnet 80 Euro.
Scheinbar gab es in Bergen wie in manchen anderen Orten auch große Probleme, das Konzert auszuverkaufen. Mir tun diejenigen leid, die die teils horrenden Preis im Vorfeld bezahlt haben. Dass die Konzertanbieter auf einigen Tickets sitzen geblieben sind, geschieht ihnen dagegen nur Recht.
Von Turku führt mich meine mäandernde Route über Vaasa, Umeå, Göteborg und Oslo nach Bergen. Die Fahrt über die Bergenbahn ist in der Tat ein Traum. Es geht einmal über das Fjell, der höchste Punkt wird mit 1222 Metern über dem Meer in Finse erreicht. Am 1. Juni liegt hier, weit oberhalb der Baumgrenze, noch Schnee. Jedem, der ein Herz für Züge und spektakuläre Natur hat, sei diese Strecke wärmstens empfohlen!
Aber zurück zu Peter Gabriel. Nachdem ich eine Nacht in Voss, eineinhalb Stunden vor Bergen, verbracht habe, erreiche ich das zentral gelegene Konzertgelände Koengen um 18:30 Uhr. Der Einlass läuft sehr entspannt ab. Es ist angenehm warm an diesem Freitagabend und die Sonne strahlt. Was einigermaßen außergewöhnlich ist für Bergen, wo es eigentlich immer regnet.
Zu dieser Zeit kann ich noch ohne Probleme in die zweite Reihe spazieren. Es gibt ohnehin nur Stehplätze bei diesem Konzert. Ich wähle einen Platz etwas links von der Bühnenmitte, wo ich anhand des kleinen roten Synthesizers mein Bassidol Tony Levin erwarte. Ach ja, und Peter Gabriel wird hier, an seinen Keyboards, natürlich auch seinen Haupteinsatzort haben.
Auf der Bühne laufen die letzten Vorbereitungen, eine witzige Videoschleife auf der kreisrunden Leinwand verkündet die aktuelle Uhrzeit. Dann wird das kleine Lagerfeuer auf der Bühne entfacht und schon geht es pünktlich um 20 Uhr los. Erst kommt Peter auf die Bühne, dann Tony, und sie starten eine reduzierte Version von Washing Of The Water. Später gesellt sich die gesamte Band dazu und es folgt ein tolles, halbakustisches Growing Up.
Wow, dieser Peter Gabriel, den ich hier gerade sehe, ist sehr gut in Form. Äußerlich wie stimmlich. Ich würde sagen, dass ich bei keinem meiner Peter-Gabriel-Konzerte (neben 2007 besuchte ich 2013 die Back To Front Tour) den Meister so gut bei Stimme erlebt habe. Die doch nicht ganz unerheblichen Strapazen der Planung und Reise (Notiz an mich: ich bin keine 20 mehr) fallen von mir ab, ich bin einfach nur glücklich.
Ich werde nicht auf jeden einzelnen Titel eingehen, kann aber sagen, dass mir die i/o–Songs, mit denen ich mich zuvor kaum beschäftigt habe, richtig gut gefallen. Sie funktionieren live wunderbar und kamen auch beim Rest des Publikums gut an. Und doch sind es natürlich die Klassiker, die für die größten Emotionen sorgen, auch bei mir. Digging In The Dirt wird in einer brachialen Version vorgetragen, Sledgehammer macht richtig Spaß und bei Don’t Give Up darf die Cellistin und Background-Sängerin Ayanna Witter-Johnson ihr ganzes Können zeigen. Großartig! Einzig Big Time hätte ich nicht gebraucht. Gefreut hätte ich mich stattdessen zum Beispiel über ein On The Air, wie ein Mann neben wir lautstark fordert – was Peter mit einem „well, the next song is younger, but only a little bit“ quittiert (es folgt ein ebenfalls tolles Red Rain).
Einziger Haken der ganzen Operation: Da ich direkt vom Konzert zum Nachtzug muss (Abfahrt: 23 Uhr), ist der Abend für mich nach Solsbury Hill und damit vor den Zugaben vorbei. Schade, In Your Eyes und Biko sind Songs, die ich beide sehr mag und gerne gesehen hätte. Aber manchmal muss man eben Kompromisse machen. Eine Übernachtung in Bergen war angesichts des örtlichen Preisniveaus jedenfalls völlig außer Frage.
Nach einer kurzen, aber angenehmen Nacht im Schlafwagen sitze ich nun im Zug nach Stockholm, von wo mich die Fähre am Abend zurück nach Turku bringen wird.
Was für eine Reise, was für ein Konzert! Ich habe tiefsten Respekt vor Peter Gabriel. In seinem Alter noch mal so eine Tour durchzuziehen und dem Publikum so viele neue Songs – einige noch nicht mal veröffentlicht – an den Kopf zu werfen, ist schon stark. Mir fallen wenige Künstler ein, die das noch machen. Und auch die Band begeisterte mich mit ihrer Spielfreude. Besonders hervorheben muss ich Tony Levin. Wie der mit seinen nunmehr 77 Jahren die Bühne rockt, ist einfach unfassbar. Bitte lieber Gott, lass mich in dem Alter auch nur ansatzweise so cool sein!
Bis auf die verpassten Zugaben war es rundum gelungenes Konzert und ich bin dankbar und froh, Peter noch einmal gesehen zu haben. Wobei: Bei der Freude und Energie, die ich auf der Bühne erlebte, bin ich mir nicht sicher, dass es wirklich schon mein letztes Peter-Gabriel-Konzert war.
Autor & Fotos: Sebastian Wilken