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Mike + The Mechanics – Out Of The Blue (2019) – Rezension

Im April 2019 erscheint ein neues Album der Mechanics. Neben acht Neueinspielungen älterer Hits gibt es auch drei neue Tracks. Christian Gerhardts bewertet das Konzept und die Songs

Seit Jahren verfolge ich die Entwicklung der Mechanics sehr wohlwollend. Die Band ist live eine Wucht und nach dem Übergangsalbum The Road im Jahr 2011 erschien dann 2017 mit Let Me Fly ein sehr ordentlicher Nachfolger. Acht Jahre nach der Reformierung der Mechanics erscheint nun aber ein Album, das man eher zu Beginn dieser Entwicklung erwartet hätte. Die Idee: Drei neue Songs wurden aufgenommen und einige Klassiker wurden mit neuen Line-Up neu eingespielt. Macht es Sinn, das nach bereits zwei vollwertigen Studioalben zu tun? Auch diese Frage wollen wir versuchen, im Rahmen der Rezension zu klären.

Das Album heißt Out Of The Blue und kommt in mehreren Varianten. Die Standard-CD kommt in einem Digipak mit Booklet. Dort erfährt man, dass die Produzenten Mike Rutherford und Paul Meehan sind und Mikes Sohn Harry einmal mehr für die Aufnahmen verantwortlich ist. Außerdem gibt es eine Doppel-CD, die in einem hochformatigen Mediabook daher kommt. Die zweite CD enthält sechs weitere, akustische Neuaufnahmen. Dazu gibt es noch eine Vinyl-Variante und natürlich die Option eines reinen digitalen Albums.

Rein optisch orientiert sich alles am bereits bekannten Design der Looking Back (Over My Shoulder) Tour. Die Ballons mit Motiven älterer Mechanics-Alben zieren auch das Cover von Out Of The Blue. Für die jeweiligen Singles wurden die Ballons einfach weggelassen. Ingesamt eine griffige Idee, langfristig sollte die Band aber natürlich auch optisch neue Wege gehen.

Die Tracks auf der Standard-CD sind:

AlbumOne Way
Out Of The Blue
What Would You Do

The Living Years
A Beggar On A Beach Of Gold

Get Up
Another Cup Of Coffee

All I Need Is A Miracle
Silent Running

Over My Shoulder
Word Of Mouth

Die Bonus-Disk der Special Edition enthält sechs weitere, akustische Versionen folgender Tracks:

Don’t Know What Came Over Me
The Best Is Yet To Come
The Living Years

Beggar On A Beach Of Gold
Another Cup Of Coffee

Over My Shoulder

Mike Rutherford sagt über die Neueinspielungen: „Nachdem ich in den letzten 10 Jahren mit den Mechanics auf Tournee gegangen bin, habe ich gehört, wie sich die alten Songs jedes Jahr ein wenig geändert haben, wobei Andrew und Tim gesungen haben und die gleiche Band gespielt hat. In einigen Fällen wurden sie erweitert und entwickelt – so schien es eine gute Idee, diese Versionen endlich im Studio aufzunehmen: Jeder, der uns live gesehen hat, wird sicherlich gerne die alten Songs in dieser Form hören, weil sie zeigen, wie gut die beiden Sänger harmonieren. Besonders bei einem Song wie „Get Up“, der sich zu einer doppelten Lead-Stimme entwickelt hat.“

Außerdem sagte er zu den akustischen Versionen auf der Bonus-CD: „Die Aufnahme der unplugged-Version war wie in alten Zeiten – die Treppe hinunter in ein Kellerstudio, nicht fünfzig Meter von den Trident Studios entfernt, wo wir Genesis‘ zweites und drittes Album aufgenommen haben: Wir haben diese Songs live aufgenommen und Tim und Andrew haben die Titel mit großartigen Gesangseinlagen geführt. Wir haben sie gemischt, wie wir sie aufgenommen haben – wie früher eben.“

Die Fertigstellung des Albums dauerte nur drei Wochen. „Wir haben auch drei neue Songs geschrieben und aufgenommen, die die nächste Etappe der Mechanics zeigen – hoffe ich!“

Die Songs:

One Way

Wir bei allen drei neuen Songs singt Andrew Roachford. Das Stück beginnt eher ruhig mit einem Beat / Sound, der etwas an Rewired erinnert. Diese „Rewired“-Elemente kommen auch ein wenig nach dem ersten Refrain wieder zum Vorschein. Das Stück ist durchaus gefällig mit einer schönen Melodie. Es folgt einem eher traditionellen Muster Strophe / Refrain / Strophe / Refrain / Bridge / Refrain. Zwischendurch blitzen mal überraschende Elemente auf, wie etwa die Gitarre nach der Bridge. Insgesamt fehlt hier aber vielleicht eine Art größerer Aha-Effekt.

Out Of The Blue

Das Titelstück war schon einige Wochen vor dem Album-Release bekannt, da es als Single ausgekoppelt wurde (YouTube). Es ist – ebenfalls mit schöner Melodie ausgestattet – eine schöne Nummer für’s Radio, die irgendwo zwischen Up-Tempo und Easy-Listening anzusiedeln ist. Das Stück klingt soundtechnisch leider etwas flach, was auch daran liegt, dass die Instrumentierung und Intensität im Refrain kaum anzieht und hier einzig Andrew etwas zupackender singt. Der Songaufbau ist übrigens der gleiche wie bei One Way.

What Would You Do

Das dritte neue Stück, das wie die beiden anderen von Mike Rutherford, Andrew Roachford und Clark Datchler (der bereits auf Let Me Fly mitwirkte) geschrieben wurde, erinnert zu Beginn wieder etwas an den Sound von Rewired. Es ist von den drei neuen wohl das stärkste Stück und hat auch eine etwas andere Struktur. Auch What Woud You Do wurde im Vorfeld bereits bereitgestellt (YouTube). Interessanterweie sind alle drei neuen Stücke ohne echtes Ende, haben also ein Fadeout.

The Living Years

Es gab ja 2014 schon mal eine neue Version von The Living Years, nun gibt es erneut eine Neuaufnahme. Diese beginnt wie bei den Live-Konzerten mit einer Art improvisiertem Intro, in dem sich Andrew auf einem Keyboardteppich Richtung Songtitel hinsingt, bevor dann der gewohnte Gitarrensound (Mikes traditionelles „Tickeding“) einsetzt. Die Neuaufnahme birgt keine Überraschungen und hält sich bis auf das Intro sehr an das Original. Anders als die drei neuen Stücke hört man dem Song aber an, dass es eine Bandeinspielung ist – inklusive echtem Schlagzeug. Am Ende gibt es allerdings wieder ein Fadeout …

Beggar On A Beach Of Gold

Zunächst wird dem Titel hier ein „A“ geraubt und der Keyboardsound gleich zu Beginn scheint doch etwas over the top zu sein. Tim Howars erster Einsatz als Sänger auf dem Album ist einer DER Live-Klassiker seit Jahren. Er singt allerdings etwas verhalten und wagt sich grad in den Refrains nicht an die höheren Töne ran. Insgesamt scheint die Gesangsleistung von Tim doch sehr ausbaufähig auf diesem Stück zu sein – und wir wissen ja von den Konzerten, dass er dort ganz anders auftritt. Der Song wird wie in der Live-Version ausgespielt, hat also kein Fade-Out.

Out Of The Blue DeluxeGet Up

Einer der Songs, die sich über die Jahre als eine Art Duett zwischen Roachford und Howar entwickelt haben, wobei Roachford nach wie vor alle Strophen singt. Get Up ist einer der wenigen Songs, die tatsächlich das Live-Feeling der letzten Tourneen ganz gut einfangen und Mike präsentiert auch ein kleines Solo. Wieder gibt es kein Fade-Out, was sehr angenehm ist.

Another Cup Of Coffee

Mit dem gleichen Rhythmus-Sound, aber mit einem prägnanterem Bass kommt der nächste Klassiker daher. Einmal mehr ist Roachford der Sänger und Howar ist diverse Male im Hintergrund zu hören. Die neue Version klingt ein wenig frischer, ist aber auch seltsam verhalten und orientiert sich einmal mehr zu stark am Original. Etwas unerwartet kommt am Ende dann doch ein Fadeout …

All I Need Is A Miracle

Dies ist die dritte neue Studioversion und die erste mit Tim Howar als Sänger. Bereits die 96er Neuauflage war sehr stark und es war klar, dass es hier keine größeren Veränderungen geben würde. Der Song liegt Howar sehr und er ist einer der nicht wegzudenkenden Live-Klassiker. Diese Version klingt wie schon die 96er Version etwas rauer im Vergleich zum Original und hat auch das Gitarren-Zwischenspiel. Zusätzlich gibt es auch die „All I Want … All I Need“ Spielerei die Howar auch live immer gerne abzieht. Entsprechend endet der Song ohne Fadeout.

Silent Running

Eigentlich beginnt der Song wie das Original ohne das Intro – also nach kurzem Keyboardatmosphärensound direkt mit der Strophe. Zur Mitte des Songs gibt es dann das Solo von Mike, das wir auch von den Konzerten kennen. Die letzte Strophe weicht dann doch von der alten Version ab und wird zunächst sehr reduziert instrumentiert, schließlich kommen Bass und Schlagzeug wieder hinzu. Es folgt ein weiteres Solo von Mike und erneut wird der Song ausgespielt.


Over My Shoulder 2019Over My Shoulder

Der Song war bereits im Vorfeld zu hören (wer mag, kann ihn sich hier bei YouTube anhören). Warum man hier quasi 1:1 beim Sound des Originals geblieben ist, bleibt ein Rätsel. Man hätte ja durchaus die Chance gehabt, den Song etwas anders zu arrangieren – statt dessen klingt es nun wie die 95er Version mit einem anderen Sänger. Hinten raus kommen wieder die Elemente der Live-Version zum Tragen und auch diese Version hat kein Fade-Out. Dennoch hinterlässt diese Version, gerade auch nach dem ähnlichen Another Cup Of Coffee, doch ein sehr zwiespältiges Gefühl. Braucht man das? Nein.

Word Of Mouth

Gleicher Eindruck: Das Stück beginnt fast wie das Original mit seiner konstruierten Live-Atmosphäre. Es klingt durchaus gut, aber auch hier muss man sich fragen, warum man da nicht mehr draus macht. Zudem hat das Stück ein Fade-Out, das hätte man auch ausspielen sollen.

Die Bonustracks (akustische Versionen)

Bonus DiscDie Special Edition kommt in dem erwähnten hochformatigen Mediabook mit einem leicht erweiterten Booklet. Es sind einige Fotos mehr enthalten, als im Booklet des Digipaks.
Don’t Know What Came Over Me ist in der akustischen Version eine Art Piano-Ballade, unterstützt von einem Bass. Der Song gewinnt in dieser Version im Vergleich zum Original auf Let Me Fly deutlich. Interessanterweise ist keine akustische Gitarre im Einsatz.
Das ist bei The Best Is Yet To Come anders. Auch dieser Song ist in der akustischen Version geprägt vom Klavier-Sound, aber hier hört man Mikes Akustikgitarre deutlich, auch wenn diese nie im Vordergrund steht. Tim kann hier übrigens seine Stimme sehr gut in Szene setzen! Da fragt man sich spontan, warum man auf Let Me Fly nicht eine akustischere Version gewählt hatte. Eine wirklich schöne neue Version.
Mit The Living Years begibt sich die Band hier auf deutlich schwierigeres Terrain. Der Song ist bei den Fans sehr tief im Ohr verwurzelt und lebt von den choralen Klängen, dem Soundteppich und nicht zuletzt dem grandiosen Gesang – egal, ob der von Paul Carrack oder Andrew Roachford gesungen wird. Tatsächlich scheint man hier aber auf Nummer sicher zu gehen. Man hört Klavier, dazu etwas Bass und der bekannte Rhythmus wird von Mikes Akustikgitarre gespielt. Roachford singt diese Version etwas eigenwillig (starker Kontrast zwischen hohem und tiefem Gesang), aber man merkt der Version auch an, dass sie eher spontan aufgenommen wurde. Am Ende hört man allerdings einen Keyboardsoundteppich doch recht deutlich – so ganz akustisch ist es dann wohl doch nicht.
Ganz interessant ist die Version von Beggar On A Beach Of Gold. Wieder ist es das Zusammenspiel von Klavier, Bass und eher begleitender Gitarre. In dieser stripped-down Version entwickelt der Song ein ganz anderes Flair, wird etwas flippiger, direkter, aber auch angenehmer. Und es ist Lichtjahre besser als die neue Studioversion. Tim singt hier auch deutlich befreiter als auf der Band-Version. Es geht deutlich mehr und vor allem deutlich sicherer aus sich heraus. Another Cup Of Coffee hat auch leichte elektrische Keyboard-Klänge. Ray Wilson hat diesen Song ja auch bereits oft in einer unplugged-Version gespielt. Er eignet sich dafür auch sehr gut. Eher zurückhaltend ist hier die Gitarre eingesetzt, diese könnte sicher dominanter sein. Dafür sind die eher dominanten und weniger akustischen Keyboardsounds etwas zu prägnant und flippig.
Mit Over My Shoulder kann man unplugged nicht viel falsch machen. Eigentlich muss man nur den programmierten Rhythmus weglassen – und das tun sie auch. Es ist auch der einzige Songs, der durch die Akustik-Gitarre getragen wird. Diese ist aber auch nicht allzusehr in den Vordergrund gemischt. Roachfords Stimme ist das Kernelement.

Auffallend ist, dass alle sechs Versionen kein Schlagzeug haben und man auch auf weitere Instrumente verzichtet hat.

Gesamtbetrachtung

Das Konzept dieses Albums wirkt doch recht hastig und unüberlegt. Das letzte Album Let Me Fly erschien ja erst vor zwei Jahren und bekam durchaus positives Echo. In den letzten Monaten gab es doch viele Hinweise, dass die Band an einem neuen Album arbeitet und es dürften auch alle gedacht haben, dass dies ein komplettes Album mit neuen Songs werden wird. Es hätte sicher keinen gestört, ein weiteres Jahr auf den Nachfolger zu warten. Insofern war die Überraschung groß, dass Out Of The Blue nur drei neue Songs enthalten würde und zusätzlich acht Neuaufnahmen bekannter Hits.

Formate

Mike Rutherfords Ansatz ist dabei aber auch nicht unbedingt falsch – natürlich hat die Band durch ihr immenses Tourpensum einen eigenen Charakter für die alten Songs erschaffen und es macht durchaus Sinn, dem auch Rechnung zu tragen. Dafür bieten die drei neuen Songs (vielleicht mit Ausnahme von What Would You Do) leider nur wenig Abwechslung (und wurden alle von Andrew Roachford eingesungen) und die Neuaufnahmen klingen eher verhalten und lassen oft den Drive und die Kraft der Live-Versionen vermissen. Was uns unweigerlich zu der Frage führt, warum man nicht einfach ein Live-Album mit drei neuen Songs als Bonus veröffentlich hat? Das wäre in der Tat eine runde Sache gewesen und es wäre sicher viel besser gelungen, die herausragende Live-Performance der Band einzufangen.

So klingen die Songs leider etwas nach angezogener Handbremse und das wird dieser exzellenten Live-Band leider überhaupt nicht gerecht. An manchen Stellen wirkt der an sich sehr gute Gesang der beiden Sänger auch merkwürdig verloren. Und viele Möglichkeiten bleiben unangetastet, da man auch soundtechnisch sehr nah an den Originalen blieb.

Die drei neuen Songs sind zwar nicht überragend, aber gefällig und durchaus in Ordnung. Die neuen akustischen Versionen stellen die Band-Versionen dann am Ende doch überwiegend in den Schatten. Die Idee, eine Bonus-CD mit weiteren, aber akustisch neu eingespielten Songs anzubieten, ist in jedem Fall eine gute Idee. Dazu kommt das ansprechende Mediabook, so dass die Fans auch etwas für’s Regal haben.

Dennoch: Ein ausgewachsenes Live-Album hätte hier wahrscheinlich eine ganz andere Wirkung erzielt. So muss man leider resümieren, dass dieses Album keinen echten Mehrwert bietet – weder für Fans, noch für Interessierte, die einige Highlights der Band hören wollen. Also freuen wir uns auf ein komplettes, neues Studioalbum – oder endlich einmal ein echtes Live-Album bzw. einen Konzertfilm.

Autor: Christian Gerhardts

Das Album kann hier bestellt werden:
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Die Band ist im April auf Deutschlandtour! Alle Termine und Ticketinfos gibt es hier.

Mike + The Mechanics 2019
Foto: BMG