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Mike + The Mechanics – Let Me Fly (2017) – Album Info und Rezension
Sechs Jahre nach dem letzten Soloalbum The Road erscheint im April 2017 das neue Studioalbum, Let Me Fly. Wir haben alle Infos zusammengetragen und setzen uns mit dem neuen Wek der Mechaniker intensiv auseinander.
Ungefähr 50 Jahre ist Mike Rutherford nun im Geschäft. Er hat in unsäglichen Clubs gespielt, Stadien gefüllt, Bassläufe für die Ewigkeit gespielt, der Musikgeschichte längst seinen Stempel aufgedrückt, er hat als Sänger auf seinem zweiten Album für unfreiwillige Situationskomik gesorgt. Aber Mike zog irgendwie immer seinen Stiefel durch. Das große Glück, anno 1985 mit Mike + The Mechanics ein zweites Standbein neben Genesis etabliert zu haben, wird nicht vielen Musikern zuteil. Nie waren die Mechanics ein Abbild von Genesis, nie hat er damit Fans des Progressive Rock ansprechen wollen. Die Mechanics waren immer eine Pop-Band, die mit ihren Alben innerhalb der populärmusikalischen Bandbreite durchaus etliches ausprobierten, bei denen aber immer die Melodie und der Zugang zur Musik im Vorgergrund standen. Mike geht nun auf die 70 zu und viele Fans seiner alten Band Genesis sind bis heute irritiert, dass er dieses Pop-Projekt noch immer pflegt. Tatsächlich sah es lange so aus, als wären die Mechanics Geschichte. Paul Youngs Tod zur Jahrtausendwende war eine Zäsur, die seine Mechanics nicht würden überleben können – das glaubte man damals. Tatsächlich gab es mit Rewired ein paar Jahre später ein Lebenszeichen, interessanterweise als Mike + The Mechanics feat. Paul Carrack betitelt. Was bei Genesis das Album Abacab war, das gelang Mike mit Rewired. Es gefiel bei weitem nicht jedem, aber man wollte hörbar etwas anderes machen und heraus kam ein überaus interessantes Werk. Ironischerweise war Mike selbst damit rückblickend weniger zufrieden und die Mechanics schliefen danach erst einmal ein – bis ihm nach der Genesis-Tour 2007 offenbar langweilig wurde. Er traf auf die Sänger Andrew Roachford, Arno Carstens und Tim Howar, die letztlich auch die Sänger des letzten Albums wurden: The Road. Der ein oder andere Song des Albums hatte durchaus Potenzial, in der Summe aber krankte das Werk daran, dass es merkwürdig erzwungen klang. Der wohlmöglich beste Song des Album heißt Background Noise – und den sang Arno Carstens, der aber bald schon keine Rolle mehr spielte. Die Mechanics begannen 2011 wieder, Konzerte zu spielen. Neben Mike, Tim Howar und Andrew Roachford waren zumeist Gary Wallis, Luke Juby und Anthony Drennan mit auf der Bühne. Dieses Team spielte sich in den folgenden Jahren immer mehr zu einer festen Band zusammen. Tatsächlich spielten die Mechanics seither jedes Jahr etliche Konzerte und wer die Show gesehen hat, attestierte der Truppe grandiose Live-Qualitäten.
Natürlich konnte keiner ahnen, dass die Band sechs Jahre brauchen würde, um ein neues Studioalbum einzuspielen (zwischendurch gab es im Rahmen der Best-of-Compilation The Singles zumindest einen neuen Song: When My Feet Don’t Touch The Ground). Ermutigt, ein neues Studioalbum zu machen, wurden sie immer wieder. Gleichzeitig wuchsen aber auch die Erwartungen ins Absurde. Der Fan an sich erwartet immer das Maximum und das auch immer aus seiner eigenen Perspektive. Soziale Netzwerke, Foren usw. haben eine völlig neue Art etabliert, wie über Musik diskutiert wird. YouTube-Schnipsel sind plötzlich relevant, es wird alles schneller konsumiert und schneller beurteilt, man nimmt sich weniger Zeit. Und diese Zeit muss man sich nehmen für Let Me Fly, auch wenn das Album schon auf Grund seines Genres eher leicht zugänglich ist.
Die Vorabsingle Don’t Know What Came Over Me habe ich zunächst nicht angehört, sondern gewartet, bis mir das Album als Gesamteinheit vorlag. Schon rein visuell ist Let Me Fly ein anderes Erlebnis als The Road. Es kommt mit einem schriftzugbefreiten Cover in einem schönen Digipak, dazu ein Booklet mit weiteren Infos, Begleittexten und Lyrics. Wir erfahren, dass Mike selbst das visuelle Konzept verantwortet, wie die beteiligten Songwriter den Prozess beeinflussten und dass die Band eben aus sechs Musikern besteht – vor Jahren waren die Mechanics noch als Trio vermarktet worden.
Blick zurück nach vorn – die Musik
Es ist gar nicht leicht, das Flair des Albums zu beschreiben. Man hat durchaus den Eindruck, hier und da Soundelemente alter Tage zu hören. Manches erinnert an Living Years, anderes an eine Mischung aus Beggar und dem ersten Album, wieder andere Songs haben einen Word-Of-Mouth-ähnlichen Sound. Vergleiche dieser Art lassen sich leicht machen, wenn eine Band eine entsprechende Historie hat. Tatsächlich hat das Album auch ein modernes Flair, quasi eine Art „The Best of Both Worlds“, sowas wie Wurzel- und Blütenpflege.
Schon der Opener nimmt den Zuhörer mächtig mit. Die eher getragene, aber opulent arrangierte Nummer setzt Andrew Roachfords Stimme exzellent in Szene und die choralen Elemente lassen unweigerlich an The Living Years erinnern, erst recht durch die Steigerung bis zum Schluss. Dazu kommen Drumcomputer-Sounds, die wiederum aus den 80ern bestens bekannt sind. Kaum geht es mit Are You Ready etwas ruppiger zu – singt Tim Howar. Are You Ready ist aktuell der Opener der Shows und das verwundert nicht, das Stück zündet von Anfang an und ist ein veritabler Poprocker. Etwas irritierend ist der Rhythmus-Sound zu Beginn, denn hier könnte man auch Rewired-Elemente identifizieren. Wer nun aber glaubt, dass Roachford die Balladen singt und Howar die schnelleren Songs, der wird über das gesamte Album eines besseren belehrt. Mit Wonder zeigen die Mechanics aber zunächst, welche Stärken sie im Mid-Tempo-Segment haben und dass ein Song auch gut klingt, wenn es zwischen Strophen und Refrains quasi keine Brüche gibt und: kein Fade-Out. Und wenn wir schon bei Vergleichen sind – Beggar lässt grüßen …
Spätestens mit Don’t Know What Came Over Me wird einem klar, dass die Songs alle ein ähnliches, gehobenes Niveau haben. Die Melodien sind griffig, die Arrangements abwechlungsreich. Interessant: Den Refrain in besagtem Song singt Roachford tiefer als die Strophen. Und bisher wechselten eher getragene Stücke mit up-Tempo-Nummern an. Mit High Life folgt dann eine Art Abstecher oder Detour. Das sparsam instrumentierte Stück ist eine willkommene Abwechslung zwischen teil üppigen Soundteppichen.
Das beste Stück des Albums könnte The Letter sein. Dieses Stück vereint viel Geschichte der Mechanics – zwischendurch ist man geneigt „can you hear me?“ zu singen, dann wieder ordnet man es soundtechnisch bei Living Years ein – oder doch M6? The Letterist wie eine muskalische Autobiografie der Band – inklusive eines kleinen Solos von Mike! Ein weiteres Stück dieser Kategorie kann durchaus I’ll Be There For You sein – hier hört man auch ein wenig den Produktionsstil von Now That You’ve Gone – dazu später mehr. Das Stück hat Ecken und Kanten, ist sehr griffig und macht richtig Laune.
Vielleicht lohnt sich mal ein Überblick über die Verteilung der Lead-Vocals:
Roachford: Let Me Fly, Wonder, Save The World, Don’t Know What Came Over Me, The Letter, Not Out Of Love, I’ll Be There For You, Save My Soul
Howar: Are You Ready, The Best Is Yet To Come, High Life, Not Out Of Love, Love Left Over
Bei Not Out Of Love singt Howar allerdings nur die Backing Vocals. Damit haben wir einen deutlichen „Vorteil“ bei Roachford.
Songwriter und Produzenten
Die Mechanics waren auch immer eine interessante Mischung aus Songwritern und Produzenten. Das ist auf Let Me Fly nicht anders. Der bekannteste Name ist Clark Datchler, der vermutlich den meisten als Kopf von Johnny Hates Jazz bekannt ist. Brain Rawling und Mark Taylor mögen den meisten kein Begriff sein, aber deren Arbeit an Chers Album und Song Believe ist nicht nur sehr populär, sondern führte auch zum Sound der Mechanics-Single Now That You’ve Gone. Interessanterweise ist Mark Taylor auch an zwei der besten Stücke des Albums als Co-Autor beteiligt (The Letter und I’ll Be There For You). Weitere Co-Autoren sind Patrick Mascall, der schon mit Tim Howar in dessen Band van Tramp aktiv war, Ed Drewitt und Fraser T. Smith. Informationen dazu gibt es weiter unten. Natürlich sind neben Mike Rutherford selbst auch Andrew Roachford und Tim Howar an vielen Stücken beteiligt.
Die Produktion wirkt wie eine Mischung aus retro und modern. Dass dieses Album aber produktionstchnisch eine runde Sache ist, belegt auch diese Tatsache: Bis auf den Titelsong wird kein einziger Song ausgeblendet, sondern haben vernünftige Enden.
Fazit
Mike Rutherford hat seine Mechanics vor sechs Jahren neu formiert und danach durch exzessives Touren zu einer echten Band zusammenwachsen lassen. Er ließ sich viel Zeit für ein neues Studioalbum, das nun am 7. April bei BMG erschienen ist. Die beiden (immer noch neuen) Sänger Andrew Roachford und Tim Howar sind in den Entstehungsprozess der Songs eingebunden und eine Reihe interessanter Co-Autoren und Co-Produzenten sind ebenfalls an Bord. Das Songmaterial liegt zwischen solide und sehr gut. Eventuell vermisst man einen echten Kracher, wobei dies auch am insgesamt ähnlich guten Niveau der Songs liegen kann. Einen richtigen Ausreißer nach unten gibt es genauso wenig wie ein Stück das sich von den anderen absetzt. Man hört den Songs an, dass ihnen frische Ideen zugrunde liegen und dass hier eine Band am Werk ist, die es schlicht noch mal wissen will. Das ist nichts für tunnelblickende Progressive Rock Fans, sondern ein Album zum Konsumieren mit der Gewissheit, vernünftige Songs angeboten zu bekommen. 32 Jahre nach dem Debütalbum gelingt Mike + The Mechanics mit Let Me Fly ein wunderbares Popalbum und es gibt überhaupt keinen Grund warum dieses Album ihr letztes sein sollte. Mike lässt seine Mechanics endlich von der Leine. Und sie fliegen gut.
Anspieltipps: Let Me Fly, Are You Ready, Wonder, The Letter, I’ll Be There For You
Autor: Christian Gerhardts
Bestellungen
Das Album kann nun unter folgenden Links bestellt werden:
CD:amazon | JPC
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Mike + The Mechanics: Let Me Fly live 2017
Die Band wird im September ein Europa touren, darunter zwölf Shows in Europa. Details findet ihr auf der Toudatenseite.
Die Tracklist:
01 Let Me Fly[4:42]
(Clark Datchler, Andrew Roachford, Mike Rutherford)
Produziert von Mike Rutherford, Brian Rawling & Paul Meehan
02 Are You Ready [4:27]
(Clark Datchler, Tim Howar, Mike Rutherford)
Produziert von Mike Rutherford, Brian Rawling & Paul Meehan
03 Wonder [4:36]
(Clark Datchler, Andrew Roachford, Mike Rutherford)
Produziert von Mike Rutherford, Brian Rawling & Paul Meehan
04 The Best Is Yet To Come [4:00]
(Clark Datchler, Mike Rutherford)
Produziert von Mike Rutherford, Brian Rawling & Paul Meehan
05 Save The World [4:42]
(Clark Datchler, Andrew Roachford, Mike Rutherford)
Produziert von Mike Rutherford, Brian Rawling & Paul Meehan
06 Don’t Know What Came Over Me [4:20]
(Clark Datchler, Andrew Roachford, Mike Rutherford)
Produziert von Mike Rutherford, Brian Rawling & Paul Meehan
07 High Life [2:49]
(Ed Drewitt, Mike Rutherford)
Produziert von Harry Rutherford und Mike Rutherford
08 The Letter [4:55]
(Clark Datchler, Patrick Mascall, Andrew Roachford, Mike Rutherford, Mark Taylor)
Produziert von Mark Taylor und Mike Rutherford
09 Not Out Of Love [4:17]
(Tim Howar, Andrew Roachford, Mike Rutherford)
Produziert von Harry Rutherford und Mike Rutherford
10 Love Left Over [3:27]
(Clark Datchler, Tim Howar, Mike Rutherford)
Produziert von Harry Rutherford und Mike Rutherford
11 I’ll Be There For You [3:31]
(Patrick Mascall, Andrew Roachford, Mike Rutherford, Mark Taylor)
Produziert von Mark Taylor und Mike Rutherford
12 Save My Soul [4:49]
(Andrew Rochford, Mike Rutherford, Fraser T Smith)
Produziert von Harry Rutherford und Mike Rutherford
Let Me Fly, Are You Ready und Not Out Of Love wurden in den letzten Monaten und Jahren bereits hier und da live gespielt.
Bislang keine Infos gibt es zu den beteiligten Musikern der einzelnen Songs und man kann nach aktuellem Stand abseits der drei bekannten Tracks auch nur vermuten, wer welchen Song singt.
Beteiligte Musiker:
Mike Rutherford: Gitarre, Bass
Andrew Roachford: Gesang, Keyboards
Tim Howar: Gesang
Gary Wallis: Drums
Luke Juby:Keybards
Anthony Drennan: Gitarre
Clark Datchler:Piano (5, 6, 9)
Zak Kemp: Spezielle Drum-Programmierung Tracks 5, 6
Patrick Mascall: Ergänzende Programmierung (8, 11)
Interessant ist der Blick auf die Co-Autoren und Produzenten:
Clarc Datchler
Jahrgang 1964, den meisten vermutlich als Sänger der Band Johnny Hates Jazz ein Begriff. Datchler hatte auch in Peter Gabriels Real World Studios gearbeitet – Teile seines Albums Tomorrow sind dort entstanden. In den letzten Jahren kam es auch zu einer Reunion von Johnny Hates Jazz und nun ist er also an gleich acht Songs des neuen Mechanics-Albums beteiligt.
Weitere Infos: Wikipedia | Discogs
Ed Drewitt
Jahrgang 1988, ist ein Songwriter, der vor allem für The Wanted, Olly Murs und One Republic Songs schrieb und ist für eine ganze Reihe von Top 5 Hits verantwortlich. Als Interpret trat er zusammen mit Professor Green in Erscheinung, hier konnte er ebenfalls einen Top 5 Hit landen. Für Let Me Fly schrieb er den Titel High Life mit Mike.
Weitere Infos: Wikipedia | Discogs
Patrick Mascall
Jahrgang unklar, war ein Teil von van Tramp – also jener Band, bei der Tim Howar vor den Mechanics spielte. In der Folge trat er auch als Songwriter für Cher und Boyzone (neben vielen anderen) in Erscheinung. Auf Let Me Fly wirkte er als Autor auf zwei Tracks mit.
Weitere Infos: Discogs
Mark Taylor
Jahrgang unklar, ist ein Songwriter und Produznt und seine Referenzen sind beeindruckend: Er arbeitete für Tina Turner, Lady Gaga, Lionel Richie, war beteiligt an Chers Über-Hit Believe, dazu arbeitete er mit Rod Stewart, Ronan Keating, Britney Spears und vielen anderen – auch schon mit den Mechanics. Die Single Now That You’ve Gone entstand unter seiner Mithilfe. Taylor ist an zwei Tracks auf Let Me Fly als Songwriter beteiligt und hat das Album vermutlich auch coproduziert.
Weitere Infos: Discogs
Fraser T Smith
Jahrgang 1971, ist ein britischer Produzent, Songwriter und Musiker. Er arbeitete mit Adele, James Morrison, Craig David, Keane oder den Kaiser Chiefs (Auswahl!). Auf Let Me Fly schrieb er mit Roachford und Rutherford das letzte Stück, Save My Soul.
Weitere Infos: Wikipedia | Discogs
Brian Rawling
Jahrgang unbekannt, ist ein englischer Produzent. Er arbeitete mit Cher (mit Mark Taylor an ihrem Album Believe), Tina Turner, One Republic und auch David Bowie. Rawling ist auf Let Me Fly als Produzent beteiligt, vermutlich zusammen mit Mark Taylor.
Weitere Infos: Wikipedia
Rezension: Christian Gerhardts
Infos zusammengestellt von Christian Gerhardts und Steffen Gerlach