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Genesis Piano Project (2021) – Album Rezension
Zwei Pianisten aus den USA, die Genesis-Klassiker auf dem Klavier neu interpretieren und ihr Album im Charterhouse aufnehmen. Andreas Lauer, selbst Musiker, hat sich dem Album genähert und beschreibt es im Detail.
Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem letzten kreativen (Studio-)Output unter dem Namen „Genesis“ wächst und wächst etwa auf Youtube die Fülle sowohl der Coverversionen zahlreicher Stücke von Genesis, als auch der Würdigungen des Werkes der Band durch anspruchsvolle Interviews mit deren Mitgliedern oder durch kundige Analysen. Dadurch wird Genesis‘ Platz in der Musikgeschichtsschreibung gefestigt und immer mehr Songs und Stücke aus dem Oeuvre arrivieren zu Klassikern.
Eine besondere Form der Würdigung des Werkes kann darin bestehen, dass Coverversionen erarbeitet werden, die auf gründlicher Analyse der Stücke basieren und es wagen, den Beweis anzutreten, dass selbst unter weitestgehender Ausblendung der Dimensionen „Klangfarbe“ und „gesungener Text“ eine faszinierende Komposition vorliegt. Diesem Anliegen verschrieben sich vor mehr als zehn Jahren auch die beiden jungen Klavierstudenten Adam Kromelow und Angelo Di Loreto. Ihr Genesis Piano Project, Konzerte mit Instrumentalversionen von Genesis-Stücken für zwei Flügel, entpuppte sich über die Jahre als eines der herausragenden Unterfangen dieser Art, nach zwei besonders nennenswerten Vorläuferprojekten, die beide bereits um die Jahrtausendwende ihren Lauf genommen hatten: von Yngve Guddal und Roger T. Matte (Norwegen, ebenfalls zwei Flügel, zwei CD-Veröffentlichungen 2000 und 2004) sowie von David Myers (Keyboarder der Genesis-Coverband The Musical Box, ein Flügel, 3 CD-Veröffentlichungen 2005, 2007 und 2010).
Zu Klaviertranskriptionen in allgemeinen wurde in den früheren Rezensionen bereits einiges gesagt. Interessant erscheint die Frage, inwiefern mit der Abstraktion der Musik auf das Klavier bzw. die Klaviere auch stilistische Abwandlungen einhergehen. Im Vergleich scheinen Guddal & Matte stilistisch den Originalen am nächsten geblieben zu sein; bei Myers gibt es kleine, charmante Einfärbungen mit klassischen Stilelementen früherer Musikepochen; Di Loreto und Kromelow sind hier ebenfalls zurückhaltend und wollen im Genre „Rock Piano“ bleiben, lassen jedoch hier und da ihre Handschrift als Jazzpianisten durchscheinen:
Sie spielen mit meist kräftigem Anschlag rhythmisch sehr auf den Punkt, wandeln bisweilen auch geradlinige rhythmische Figuren in punktierte oder synkopierte ab (eine Freiheit, die sich schon Phil als Sänger etwa bei Ikhnaton And Itsacon nahm); sie flechten an vielerlei Stellen schnelle Tonskalen ein; und sie erlauben sich die Umfärbung der einen oder anderen Durchgangsharmonie, doch stets behutsam (bei As Sure As Eggs Is Eggs und dem, was folgt, nehmen sie sich allerdings etwas mehr Freiheiten) und immer nur unter Verwendung von Harmonien, wie sie auch bei Genesis selbst hätten vorkommen können (es klingt also zu keiner Zeit nach, sagen wir, Herbie Hancock, der – nebenbei bemerkt – 1996 Peters Mercy Streetdurch seine Klavierversion plus Combo zu einem Standard erhob).
Auch wenn man zwei Flügel und vier Hände zur Verfügung hat, verpflichtet die Fülle und Komplexität der Musik von Genesis die Arrangeure auf die Kunst des Weglassens. Kromelow geht hierauf im it–Interview ausführlich ein, vor allem am Beispiel von The Fountain Of Salmacis. Und er und Di Loreto scheinen diese Kunst etwas besser zu beherrschen als Guddal und Matte – die Arrangements klingen transparenter ohne das man Elemente wirklich vermisst (freilich auch produktionstechnisch mitbedingt: 15-20 Jahre Unterschied hört man). Etwas, das nie weggelassen werden kann, ist freilich die Gesangslinie, sie wird hier nicht selten durch Oktavierung hervorgehoben; man fragt sich nur bei manchen Passagen, ob wirklich jede Silbe, die Peter/Phil im Original auf gleichbleibender Tonhöhe singt, eine Tonrepetition erfordert.
Aus seinem Repertoire hat das Duo für diese Studioaufnahme „nur“ acht Arrangements ausgewählt und bereits 2018 eingespielt. Die Stücke entstammen den Alben Trespassbis Wind & Wuthering. Die Stücke The Fountain Of Salmacis, Seven Stones und The Cinema Showhatten sowohl Guddal/Matte als auch Myers bereits aufgenommen. One For The Vine stand bei den beiden Norwegern auf dem Programm, von Stagnation, Horizons, Firth Of Fifth und Entangledgibt es Referenzaufnahmen von Myers.
Zwei der acht Arrangements vereinen je zwei Stücke miteinander. Zum einen: Firth Of Fifth geht nach Steves Solo direkt über in Tonys Solo aus der Apocalypse in 9/8, und auf die Schlussklänge von Supper’s Ready folgt wiederum das Outro von Firth Of Fifth, ausgedehnt, harmonisch etwas angereichert und schließlich mit einem Horizons-Zitat endend. Zum andern: Steves frühe (Fast-)Solobeiträge For Absent Friends und (diesmal vollständig) Horizonsfolgen im kürzesten Albumtrack unmittelbar aufeinander.
Die Arrangements sind fast durchweg hervorragend ausgearbeitet, unabhängig davon, ob das Original nun bereits klavierbasiert war wie One For The Vine oder primär gitarrenbasiert wie das – hier besonders gut gelungene – Stagnation. Man kann wohl sagen, dass Drive, Prägnanz und Transparenz diese Aufnahmen auszeichnen. Hinsichtlich der Dynamik im Spiel hatten Guddal und Matte die Nase vorn, beim Piano Project lässt sich eher eine Terrassendynamik beobachten.
In der Abmischung ist Kromelows Klavier halblinks, Di Loretos halbrechts zu hören, so wie sie auch aus Publikumsperspektive auf der Bühne plaziert waren. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zu den norwegischen Einspielungen, bei denen die beiden Instrument(alist)e(n) nicht so unterscheidbar waren. Und hatte man seinerzeit das Gefühl, mit dem Kopf neben dem Korpus des aus zweien zu einem vereinigten Flügels zu sitzen, meint man hier nun, von schräg oben in die beiden geöffneten Flügel hineinzuschauen und jeden einzelnen Saitenstrang beobachten zu können – brillant!
(PS: Und nun müsste noch eine weitere Rezension durch jemanden erfolgen, der die Musik von Genesis, zumindest die aus den 1970er Jahren, nicht kennt und der die Musik in einer Blindverkostung viel weniger voreingenommen hört, weil bei ihm nicht stets die Originale im Hinterkopf mitlaufen…)
Autor: Andreas Lauer
Genesis Piano Project ist nur als digitales Album erschienen und u.a. bei amazonMP3 verfügbar. Weitere Informationen findet ihr auf Adams Website.
Unser ausführliches Interview mit Adam findet ihr unter diesem Link.