- Artikel
- Lesezeit ca. 11 Minuten
Genesis – Live beim Dress Rehearsal in der EXPO Hall 5 in Brüssel 2007
Brüssel, 4.6.2007 – Genesis spielen vor etwa 250 Leuten ein Dress Rehearsal, eine Art Generalprobe mit voller Bühnenproduktion. Das ganze fand in der EXPO Halle 5 statt. Die it-Redaktion war vor Ort und Christian Gerhardts schildert euch seine Eindrücke…
Zugegeben, die Überschrift fand auf dieser Homepage schon oft Verwendung, insbesondere in Zusammenhang mit The Musical Box. Genesis selber taten dies auf vergangenen Tourneen eher selten – die große Reise durch die Bandgeschichte blieb meist aus. Natürlich auch deswegen, weil neue Alben regelmäßig viel Platz im Set einnahmen.
Es sieht so aus, als würden Genesis auf ihrer kommenden Stadion-Tournee nun doch etwas mehr Historie bieten, als viele erwartet haben. Dabei geht es gar nicht „nur“ um die Setlist, sondern das Gesamterlebnis.
Die Messehalle 5 auf dem EXPO-Gelände in Brüssel war Schauplatz für ein Dress Rehearsal, bei dem erstmals der komplette Set vor Publikum und mit voller Bühnenproduktion dargeboten wurde. Das Publikum bestand in diese Fall aus geladenen Gästen, Fanclub-Repräsentanten, Freunden und Familien der Band, Vertretern von Plattenfirmen und Konzertveranstaltern sowie diverses Personal von Firmen, die direkt mit der Produktion zu tun hatten.
Für den deutschen Genesis Fanclub it waren Helmut Janisch, Peter Schütz und Christian Gerhardts vor Ort.
Vor dem Einlass warteten wir draußen und konnten mit Vertretern von InsideOut Music und Maria Costa von Ultrastar etwas plaudern. Schließlich wurden wir hereingelassen – die Ausweise mussten zwar vorgezeigt werden, aber entgegen aller Verbote bzgl. Fotografieren wurden keine weiteren Kontrollen durchgeführt.
Die Halle hat ein schlauchiges Format und ein bahnhofsartiges Kuppeldach. Auf Grund der Größe der Bühnenproduktion musste die Bühne quer und leicht in die Hallenmitte versetzt aufgebaut werden. Nur so passte die Bühne auch höhenmäßig in die Halle.
Der Teil der Bühne, auf dem Tony Banks, Phil Collins, Mike Rutherford, Daryl Stuermer und Chester Thompson musizieren, ist kleiner als auf früheren Tourneen, die Band rückt quasi zusammen. Hinter der Band baut sich dann ein modern geformtes Licht- und Großleinwandspektakel auf. Ganz rechts und Links gibt es zusätzlich zu der Hintergrundleinwand hochkant-ovale oder eiförmige hochauflösende Screens. Die Lightshow wird durch etliche Vari-Lites gestaltet, die oben und unten an den Bühnenabgrenzungen angebracht sind sowie an mehreren Säulen, die etwa 30 Meter in die Luft ragen. An diesen Säulen fahren Elemente der Lightshow auf und ab.
Vor der Bühne standen einige Stuhlreihen, dahinter war das Mischpult aufgebaut und dahinter befand sich eine Art Büro-Bereich. Viel mehr Platz war nicht. So gut es ging war die Halle abgedunkelt, das Konzert war ja bereits für 14 Uhr angesetzt.
Nick Davis trafen wir als erstes und er riet uns, sich möglichst weit hinten hinzusetzen, da der Sound in der Halle eine Katastrophe sei, was an dem Queraufbau und dem Hall liegt. Nick versicherte uns aber, dass der Sound in den Stadien sehr gut sein wird. Wir hätten uns aber ohnehin relativ weit nach hinten gesetzt (soweit das bei 7 oder 8 Stuhlreihen möglich ist), denn man wird von der Größe der Bühne regelrecht erschlagen. Schon zu diesem Zeitpunkt hatten wir den Eindruck, dass diese Show eher etwas für „weiter weg“ ist, als für den Kampf um die Plätze in der ersten Reihe (ähnlich wie bei Pink Floyd 1994).
Während des Wartens kamen wir mit einigen „Kollegen“ anderer Fanclubs ins Gespräch, konnten auch kurz mit Dale Newman und Vertretern des Managements und von EMI plaudern. Kurz vor Beginn der Show erschienen die Tour-Logo Männchen auf dem großen Screen, dann kam eine Ansage, bei der wir lediglich gebeten wurden, keinen Blitz beim Fotografieren zu verwenden. Quasi zeitgleich hatten 2/3 der Anwesenden ihre Kameras griffbereit. Das Fotografierverbot wurde vom Management in letzter Minute gekippt, vermutlich weil man es zum einem nicht vollständig kontrollieren und organisieren kann, zum anderen weil im Zweifel nur „die-hard-Fans“ nach Fotos und Videos suchen würden – die große Masse der Konzertbesucher wird davon höchstwahrscheinlich nichts mitbekommen.
Mehrere Fernseher-Symbole flogen über den Bildschirm und bildeten schließlich eine Weltkarte, die dann auf Finnland zoomte und HELSINKI erschien auf dem großen Screen. Die Band hatte sich mittlerweile auf der Bühne eingefunden, die ersten Akkorde von Behind The Linesbeschallten die Halle. Auf der Setlist wurde der Opener als DUKE betitelt, aber ob es am Ende eine Langfassung von Duke’s End ist, oder eine Symbiose aus Behind The Lines und Duke’s End, ist wohl Haarspalterei. Wichtig ist, dass dieses Intro kraftvoller nicht hätte sein können. Sofort wurde man in den Bann gezogen. Auffällig war, dass Daryl hier die Lead-Gitarre spielte. Nahtlos war der Übergang zu Turn It On Again, das passend zum Tourmotto am Anfang des Sets deutlich besser aufgehoben ist. Der Song war wesentlich druckvoller und lebendiger als während der VH-1 Performance.
Weiter ging es wenig überraschend mit zwei Hits. No Son Of Mine wurde solide vorgetragen, wobei Mike’s Gitarre etwas „dreckiger“ klang als 1992. Auch Land Of Confusion wurde im Prinzip so gespielt wie immer, wenngleich die 250 Zuschauer, größtenteils noch immer erstaunt über die Bühne und den genialen Beginn, das „oh oh ohhh“ nicht lauthals mitsingen konnten. Im Stadion wird das sicher anders sein. Es gab aber wie 1992 die drei Spitting Image Karikaturen, die dann sukzessive von realen Videoeinspielungen der drei ersetzt wurden. Phil sagte nach dem Song ein paar Takte, erklärte, dass dies nicht Helsinki sei, aber der Testlauf für Helsinki und dass die Band eine große Geschichte hat, die es abzudecken gilt. Der Start für das In The Cage-Medley dürfte bei der Mehrheit der Anwesenden die erste Dauergänsehaut produziert haben. Schon als Mike sich seine neue Double-Neck Gitarre umschnallte, raunte es im Publikum. Phil sang deutlich tiefer als 1986/87, aber definitiv nicht schlechter. Erstmals kamen die Screens zum Großeinsatz. Zu sehen war ein Roboter oder maschinell verfremdeter Mensch, der über den Screen rannte. Bei der „outside the cage“ Sequenz stand Phil auf einer Plattform rechts auf der Bühne, ähnlich wie während der Mama-Tour. Bei „raindrops keep falling on my head“ gab es eine entsprechende Sequenz auf der Großleinwand – zwar keine Regentropfen, sondern eher Konfetti, aber es machte ordentlich was her.
Der Übergang zu The Cinema Show war wie gewohnt und es machte Freude, diesen Teil Genesis-Geschichte wieder zu erleben. Man muss Medleys nicht gut finden, aber diese beiden Elemente passen gut zusammen. Ein komplettes The Cinema Show wäre auch nicht zu verachten, aber der stärkste Teil des Stücks dürfte der Instrumentalteil sein und man merkt der Band die Spielfreude deutlich an. Etwas abrupt erfolgt dann der Wechsel zu Duke’s Travels, das irgendwo nach dem Einsetzen der Keyboards einsetzt. Duke’s Travelsist eines dieser Stücke, bei dem man sich fragt, warum die das nicht viel früher mal wieder live gespielt haben. Das Guide Vocal Reprise wird nicht von Phil gesungen, sondern Daryl spielt die Melodie auf der Gitarre. Der folgende Übergang zu Afterglow ist sicher etwas, das während der Tour noch verbessert werden kann. Es hakte noch etwas. Man hatte das Gefühl, als wäre sich die Band noch nicht 100%ig sicher, wie genau die Übergänge sein sollen.
Afterglow schließlich manifestierte die Gänsehaut, Phils Gesang war gut, hier gab es ja allerlei Befürchtungen. Das Ende war wie gewohnt pompös mit Chester und Phil am Schlagzeug.
Nach diesem Höhepunkt folgte das unvermeidliche –
Hold On My Heart. Es war kein wirklich großer Hit und unter Fans ist der Song genauso unbeliebt wie Schüttelfrost. Was immer die Band an diesem Song findet, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Die Darbietung war okay, Phil saß hier auf einem Barhocker.
Das folgende Home By The Sea hatte eine verkürzte Ansage – keine audience participation time mehr. Die Einspielungen auf der Großleinwand erinnerten an 1992, Genesis zeigten wieder enorm viel Spielfreude und der Instrumentalteil war wie gewohnt grandios, mit einem metallischen Drumsound.
Die Ballade Follow You Follow Me machte Genesis zu einer radiotauglichen Band, insofern ist der Song im Set keine Überraschung. Aber auch Prog-Fans werden an der Drumherum-Show ihre Freude haben. Zunächst geht Phil mit einem Headset an seine drums und spielt den ganzen Song tatsächlich am Schlagzeug, singenderweise. Die Zuschauer schauen aber gar nicht nach Phil, sondern auf die Leinwand. Dort sieht man Albert (Duke-Album) über die Leinwand stiefeln und zunächst sieht das komisch aus, denn Follow You Follow Me ist von And Then There Were Three. Dann kam der Father von
We Can’t Dance, der eine Treppe hinaus zu seinem Song geht. Das ganze wieder als minimalistische Strichzeichnung. Plötzlich kommt auch Nursery Cryme’s Cynthia und Figuren von A Trick Of The Tailund die Frau auf der Bank des Selling England Covers. Für manche mag das kitschig aussehen, die meisten werde daran viel Freude haben. man hatte das Gefühl, als wären Genesis endlich mit ihrer Vergangenheit im Reinen und stolz darauf, was sie in 40 jahre Bandgeschichte geleistet haben. Das war schließlich nicht immer so. Angenehmerweise wurde der Song ausgespielt, ehe es mit Firth Of Fifth weiterging. Das ging ähnlich los wie 1998, ohne Piano-Intro und ohne Gesang – dafür wieder mit einem höher-schneller-weiter-Solo von Daryl Stuermer. Firth of Fifth ist einer dieser Momente, in dem Daryl der Arbeit von Steve Hackett seinen eigenen Stempel aufdrückt. Das muss nicht jedem gefallen, aber es ist sein gutes Recht, nicht alles stur nachzuspielen. Der Übergang zu I Know What I Like ist ähnlich wie 1992. Hier spielt die große Leinwand wieder eine zentrale Rolle. Als erstes sieht mal Peter als Rael. Was folgt war ein Filmstreifen mit verschiedenen Fotos und Videosequenzen der Bandgeschichte, u. a. auch Bilder von Anthony Phillips, Peter mit Blumenmaske usw. Hier bekommt das „it’s your show!“ eine ganz neue Bedeutung. Am Ende gibt es wie gewohnt Phils Tamburin-Einlage, nur dass diesmal sein alter ego von 1976 das Kunststück parallel auf der Leinwand hinter ihm aufführt.
Auch über I Know What I Like wurde unter Fans kontrovers diskutiert, ob es im Set sein soll oder nicht. In der Form jedenfalls ist es für viele Fans sicher eine stark emotionale Sache, die Bilder zum Song sind einfach toll.
Wer hätte gedacht, dass Genesis noch einmal Mama spielen? 1992 war es mitverantwortlich für Phils Stimmprobleme, 1998 hatte auch Ray damit seine lieben Mühen. Doch Mama hielt überraschenderweise die ganzen Proben über durch und blieb im Set. Phil singt den Song sogar relativ offensiv, aber auch kontrolliert. Es sieht so aus, als habe er einen Weg gefunden, seine Stimme mit Mama nicht zu überanstrengen. Ein Highlight! Während Mama wurden hinter der Leinwand so etwas wie Tarnnetze zwischen den Säulen aufgezogen, die dann entsprechend beleuchtet wurden.
Und eines der größten Highlights folgte sogleich –
Ripples. Viel wurde gemutmaßt, von einer akustischen Version ohne Mittelteil war die Rede – tatsächlich ist der Song nahezu komplett, inklusive eines grandiosen Gitarrensolo von Daryl und Schlagzeug. Ripples ist definitiv einer der großen Momente dieser Show. Angeblich ist es ein Wackelkandidat – wenn die Band ernsthaft erwägt, diesen Song zu kippen, wäre das für diesen Set eine Katastrophe. In Brüssel kam er extrem gut an – bleibt zu hoffen, dass dies in Helsinki, Herning und Hamburg auch so ist – dann stehen die Chancen gut, dass der Song im Set bleibt.
Eine ganz feste Größe im Set ist dagegen Throwing It All Away. Diesen Song bezeichnete Chester im
it-Interview einst als seinen Genesis Lieblingssong. Die „ich-lass-das-Publikum-lustige-Geräusche-nachsingen“-Phase kommt im Stadion sicher gut. Das hat selbst in Brüssel mit 250 Leuten geklappt. Auf der Leinwand erschienen während des Songs Live-Videos vom Publikum.
Mit dem Domino Principle hatte Phil da schon eher Probleme, seine linke Seite wollte erst nicht, schließlich funktionierte es aber auch mit den 250 Leuten in der Messehalle. Domino ist ein Lightshow-Fest. Nach In The Glow Of The Night verschwindet Phil wie gewohnt, aber diesmal wird er nirgendwohin hochgebeamt, sondern steht vor irgendeiner Kamera, so dass sein Gesicht während der „Blood On The Windows“ Phase direkt im „Warp-Kanal“ auf der Leinwand auftaucht.
Für eine ordentliche Überraschung sorgte das Drum Duet. Phil und Chester standen sich gegenüber, zwischen ihnen ein oder zwei Barhocker mit Lederbezug. Sie trommelten eifrig darauf rum, zwischendurch schlug Phil auch mal frech Chester zwischen die Stöcke. Nach und nach gingen sie dann zu ihren Drums und spielten dort weiter – eine witzige Idee! Ähnlich wie 1986/87 war der Übergang zu Los Endos. Anders als erwartet war damit nicht der normale Set beendet. Sofort nach Los Endos setzte der Drumcomputer ein und die Klänge von Tonight Tonight Tonight waren zu hören. Der Song wurde wieder nur bis zum Instrumentalteil gespielt, untermalt mit Bildern einer Stadt auf der Leinwand. Unspektakulär war auch Invisible Touch. Danach war der reguläre Set beendet, was schon etwas merkwürdig war. Nach einem Feuerwerk am Ende des Songs, das in der Brüsseler Messehalle schnell an seine „Grenzen“ stieß (das Dach), verließen die Jungs erst mal die Bühne.
Erneut kündigte der Drumcomputer einen weiteren Welthit an – I Can’t Dance. Die Performance war gut, die Lightshow sogar sehr gut. So macht auch dieser Song Spaß, die Bühne wird zu einem Farbenmeer. Zunächst waren nur Tony, Mike und Phil auf der Bühne, ehe Chester und Daryl zur Mitte des Songs dazu stießen. Phil, Mike und Daryl gehen während des „walks“ auch von ihrer Kernbühne runter und stiefeln die Leinwand entlang.
Nach I Can’t Dance wurden Chester und Daryl vorgestellt, die nun „seit 30 jahren dabei“ sind. Tatsächlich, 30 Jahre sind es schon… Der letzte Song des Abends, The Carpet Crawlers, wurde wieder ohne Intro-Strophe gespielt. Ansonsten ist es natürlich ein weiteres Highlight – auf der 1992er Tour gab es The Carpet Crawlers nur ein einziges Mal! Nach all den Jahren mit poppigen Songs am Ende des Set ist eine Ballade als Abschluss sicher gewöhnungsbedürftig. Aber: Bands wie U2 machen dies immer und es funktioniert auch immer gut. Und als Fan geht man lieber mit The Carpet Crawlers nach Hause als mit I Can’t Dance.
Ziemlich genau zweieinhalb Stunden dauerte die Show und die it-Redaktion war sich schnell einig: Das war gut, sehr gut. Es war besser, als viele erwartet oder befürchtet haben. Auch ein Mino Profumo, der sich konsequent nur auf die Ära bis ’77 konzentriert, zeigte sich zufrieden – „it was much better than I expected“. Solche Kommentare gab es oft von Fans der frühen Jahren.
Wenn Genesis diesen Set auf der Tour spielen und Variationen so gesetzt werden, dass nicht etwa
Ripples oder Carpet Crawlers aus dem Set kippen, dann kann man wirklich zufrieden sein. Außerdem kann man auch gespannt sein, wie das Stadionpublikum darauf reagiert.
Nach der Show gab es viel Smalltalk mit den Köpfen der anderen Fanclubs und Websites und Leuten aus dem Genesis Umfeld, außerdem wurden Interviews mit uns gemacht, die auf der offiziellen Genesis Site veröffentlicht werden sollen. Am Abend haben sich noch einige von uns mit Maria Costa auf ein paar Bier getroffen. Insgesamt war das Dress Rehearsal eine interessante Sache und Genesis sind in guter Form. Die Europa-Tour kann kommen. Oh, ’schuldigung…..die Selection Of Shows natürlich…
Autor: Christian Gerhardts
Grafik: Helmut Janisch
Fotos: Peter Schütz