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Chris Stewart – Interview 2002
2002 hatten wir Gelegenheit, mit dem ersten Genesis-Drummer, Chris Stewart, ein ausführliches Interview zu führen.
it: Fangen wir mal ganz am Anfang an. Wann und wo bist du geboren?
Chris: (lacht) Das ist in der Tat ganz am Anfang. Ich wurde am 27. März 1951 in Crawley, Sussex, im Süden Englands geboren.
it: Was kannst du uns über deine Familie sagen, deine Eltern oder Geschwister?
Chris: Ich habe zwei jüngere Schwestern und mein Vater war Kaufmann. Tja, das ist es im Grunde schon.
it: Wie war deine Kindheit bis zu der Zeit als du zur Charterhouse School kamst?
Chris: Sie war sorgsenfrei und sehr familienorientiert. Wir lebten ziemlich ruhig auf dem Land.
it: Wann kamst du nach Charterhouse?
Chris: Ich war 13 Jahre alt, das muß dann wohl 1964 gewesen sein.
it: Was waren deine ersten Eindrücke von den Jungs, die später mit dir Genesis-Bandmitglieder wurden?
Chris: Nun, bevor wir Genesis wurden kannte ich sie kaum. Ich kannte Anthony Phillips. Er und ich waren im selben Haus wie Peter Gabriel und Tony Banks, der zufälligerweise zusammen mit mir Geburtstag hat. Tony und Peter waren aber älter als ich, und man traute sich nicht mit ihnen zu sprechen. Ich wahrte eine gewissen Distanz zu ihnen. Anthony war jünger und wir kamen gut miteinander aus. Wir hatten den selben Humor.
it: Wie kam dann aber doch die Band zusammen?
Chris: Nun, es war in der Tat schwierig, in Kontakt zu kommen. Wir lebten mit ca. 60 anderen Jungs verschiedener Jahrgänge zusammen in einem Haus. Wir nahmen die Mahlzeiten zusammen ein, aber man saß immer nur mit Gleichaltrigen zusammen. Man hätte sich nicht getraut, sich zu Älteren zu setzen. Diese Art von Schulen waren etwas sehr Außergewöhnliches. Es war eine sonderbare, bizarre Art der Erziehung. Ich denke, viele Leute überstanden das nicht unbeschadet, aber wir haben es wohl geschafft. (lacht)
it: Fast alle Genesis-Bandmitglieder, die in Charterhouse waren, haben offensichtlich gemischte Gefühle, wenn sie sich an die Schule erinnern.
Chris: Vermutlich paßte keiner von uns richtig dort hin, mit Ausnahme von Tony Banks vielleicht. Tony war gut. Er war clever und musikalisch sehr talentiert.
it: Wie kam The Garden Wall zusammen und war es eigentlich eine richtige Band in dem Sinn?
Chris: Ja, ich denke schon, aber es ist schon lange her. Ich kann mich nicht mehr an Details erinnern. Es war eine Jazzband, die bei Schulkonzerten und Veranstaltungen des Hauses spielte. Ich weiß nicht mehr, wer genau in der Band spielte – vermutlich Peter. Bei Tony bin ich mir nicht sicher. Ant und ich hatten nichts damit zu tun, denn wir waren etwas jünger als die anderen. Ich denke, das war der Anfang. Es war der Beginn der Hippie-Generation. Jimmy Hendrix spielte in London. Es gab eine Menge Blues und Soul. Peter war verrückt nach dieser Art von Musik und irgendwie brachte er sie uns Jüngeren näher. Abends hörten wir stundenlang die Platten von John Mayalls Bluesbreakers oder Peter Green. Damals wollten wir alle in einer Popgruppe sein. Nach und nach passierte irgendwie etwas.
it: Das wiederspricht aber jetzt den bisherigen Informationen über das Line-up von The Garden Wall, wonach nur Tony, Peter und du in der Band waren. Du denkst also, dass noch andere Leute zur Band gehörten?
Chris: Oh, Tony, Peter und ich? Nun, es ist nicht leicht sich daran zu erinnern. Ich glaube nicht, nein. Ich habe nur mit Ant zusammen gespielt und vielleicht noch mit irgendjemandem an der Trompete oder am Saxophon. Möglicherweise war auch noch Tony am Piano mit dabei. Aber ich kann das nicht sicher sagen. Peter spielte ja bei The Garden Wall Drums. Ich kam erst später dazu, als die Band nicht mehr The Garden Wall war. Peter brachte mir das Schlagzeugspielen bei, damit er die Hände frei hatte um Flöte zu spielen.
it: Das wäre die nächste Frage gewesen – wieso hat Peter nicht weiter Schlagzeug gespielt, sondern du?
Chris: Ich spielte Schlagzeug, weil es in Charterhouse etwas gab, das sich „The Corps“ nannte und eine Art militärische Kadetten-Truppe der Schule war. Das war eine von vielen Merkwürdikeiten an Internaten wie diesen. Einmal in der Woche oder an manchen Wochenenden mußte man Soldat spielen. Das war wirklich schrecklich. Am Besten versuchte man, Mitglied der Musikgruppe zu werden, wo man Trompete spielen oder trommeln mußte, statt all die lächerlichen Dinge zu tun, wie die anderen Jungs. Das tat ich dann auch. So lernete ich Schlagzeug zu spielen und war sogar recht gut. Peter zeigte mir dann, wie man statt zu Militär-Rhytmen beim Jazz trommelte. Das gefiel mir wahnsinnig gut. Eines Tages fragte mich Peter dann, ob ich nicht Drummer in seiner Band werden wolle, damit er sich aufs Singen und Flötespielen konzentrieren kann.
it: Kannst du dich an das legendäre Schulabschlußkonzert vom Sommer 1966 erinnern?
Chris: Ein wenig, ja. Ich war so in mein Spiel vertieft, dass ich kein Ende fand. Ich war in Gedanken versunken und schaute nicht um mich herum. Sie beendeten den Song, aber ich spielte weiter. Also spielten sie den Schlußpart noch einmal. Aber ich merkte immer noch nicht, was los war. Letzendlich haben sie den Schluß dreimal gespielt, bevor jemand mich antippte und sagte, es sei nun Zeit aufzuhören.
it: Was sind deine Erinnerungen an die Gründungsphase von Genesis?
Chris: Tja, ich denke, Anthony, ich, Peter und Tony und vielleicht noch jemand an der Trompete gaben ein Konzert für unser Haus, und Peter meinte, wir seien gut genug um ein paar Sachen zu spielen, die er geschrieben hatte. Es war absolut nicht so, dass wir eines Tages beschlossen, eine Band zu gründen und Genesis zu sein – ganz und gar nicht. Es passierte ganz automatisch im Laufe mehrerer Monate. Wir waren ziemlich aufgeregt, als wir dann schließlich nach London fuhren um mit den Aufnahmen zu beginnen. Wenn man ein fünfzehnjähriger Schuljunge ist, ist es schon mächtig spannend, plötzlich auf dem Sprung zum Popstar zu sein.
it: Warum wurdest du Schlagzeuger bei Genesis und nicht Rob Tyrell, der bei Anon Drummer war?
Chris: Gott weiß, warum. Das solltet ihr die anderen mal fragen. Ich vermute, weil wir Freunde geworden waren. Rob war ein guter Freund von Anthony Phillips und er war ein brillianter Drummer. Er hatte sogar ein eigenes Drumkit. Ich hatte meines nur von Peter geliehen. Rob hätte es werden sollen, denn er war viel besser als ich. Vielleicht wäre dann Phil Collins niemals bei Genesis eingestiegen. Rob verließ die Schule um Geld als Drummer zu verdienen, was er auch viele Jahre lang getan hat, bis es ihm wegen einer Verletzung nicht mehr möglich war. Genesis hätten ihn also nicht gefeuert, weil er ein schlechter Drummer war.
it: In der Gründungsphase von Genesis entstanden viele Song und wurden einige Demos aufgenommen. Kannst du dich erinnern, welche Stücke entstanden, als du noch in der Band warst?
Chris: Ich spielte bei The Silent Sun und That’s Me.
it: Und was ist mit A Winter’s Tale, One Eyed Hound oder den frühen Demos, die auf Genesis Archive Vol. 1 enthalten sind?
Chris: Die beiden Singles – A- und B-Seite – waren das Einzige, das ich mit Genesis aufnahm, also vier Songs.
it: Erinnerst du dich an einen der folgenden Titel: Try A Little Sadness?
Chris: Äh, ich erinnere mich, das wir ihn damals gespielt, aber sicher nicht aufgenommen haben – höchstens für ein Demo, aber nicht für eine Veröffentlichung.
it:She Is Beautiful?
Chris: Ja, daran erinnere mich. Das habe ich auch gespielt.
it: Dann ein paar Demos von 1968: Hair On The Arms And Legs?
Chris: (lacht herzhaft) Ich glaube, den Song habe ich nicht gespielt, aber ich erinnere mich an den Namen.
it:The Mystery Of The Flannan Isle Lighthouse?
Chris: Ja, sehr gut möglich, dass ich in der Schule die letzten beiden mit ihnen gespielt habe. Wir haben sie zumindest geprobt, aber ob auch Demos aufgenommen wurden, weiß ich nicht mehr.
it:Sea Bee?
Chris: Hm, nein.
it:Hidden In The World Of Dawn?
Chris: Ja, daran erinnere ich mich.
it: Ein Stück namens Hey?
Chris: Ja, o. k., hmm, ich kann es bei diesen Tracks nicht sicher sagen. Das kann ich nur bei den vier zuerst genannten.
it: Warst du am Schreiben der Songs beteiligt?
Chris: Nein, absolut nicht. Ich war nie gut darin, Musik oder Songtexte zu Schreiben. Ich habe nur das gespielt, was sie von mir wollten, und selbst beim Schlagzeug habe ich mir noch Rat von Peter geholt, denn er war ein besser Drummer als ich.
it: Warum hast du Genesis verlassen?
Chris: Sie haben mich rausgeschmissen. (lacht) Jonathan King beschloß, dass ich der Band nicht bei ihrem zukünftigen Erfolg dienlich sein würde. Ich war eben kein guter Drummer, und außerdem mußte ich noch weiter zur Schule gehen, denn meine Eltern ließen mich die Schule nicht wegen einer Karriere als Drummer verlassen. Jonathan King mochte mich nicht besonders. Er entschied, dass ich gehen muß, und das tat ich auch.
it: Das muß frustrierend für dich gewesen sein.
Chris: Es war schon sehr traurig, aber ich hab’s überwunden – heute, 35 Jahre später, sowieso. (lacht) Es hat mich vielleicht weniger getroffen, als man es erwarten würde. Ich bekam 300£, was damals sehr viel Geld war.
it: Für was bekamst du den Betrag?
Chris: Damit kaufte man mir alle meine Rechte an den Aufnahmen mit Genesis ab.
it: Bist du deshalb nicht in den Credits von From Genesis To Revelation gelistet, obwohl du u. a. bei The Silent Sun gespielt hast? Es würde dir ja immerhin ein kleiner Anteil der Verkaufserlöse dieser Platte zustehen.
Chris: Mit den 300£ war die Sache erledigt, und ich habe danach nie wieder Geld bekommen.
it: Bist du mit der Band in Kontakt geblieben, nachdem John Silver für dich bei Genesis eingestiegen war?
Chris: Nein, ich habe viele Jahre lang keinen von ihnen gesehen. Über Richard Macphail habe ich einige wieder getroffen. Richard ist ein Freund von mir.
it: Also bist du mit ihm in Kontakt geblieben?
Chris: Nein, aber ich traf ihn zehn oder fünfzehn Jahre nach Charterhouse zufällig bei einer Party in London. Über ihn lernte ich die anderen wieder kennen.
it: Hast du dich dafür interessiert, wie es mit Genesis weiterging?
Chris: Um ganz ehrlich zu sein, nein. Ich habe mir überhaupt nichts von ihnen angehört. Ich war einfach nicht an ihrer Musik interessiert und das Meiste habe ich immer noch nicht gehört. Das letzte Genesis-Album, das ich mir angehört habe, war Trespass.
it: Damit hat sich die Frage nach deinem Lieblings-Genesis-Song oder -Album quasi erledigt.
Chris: (lacht) Das wäre dann Trespass, das einzige, das ich je gehört habe.
it: In 1998 hast du alle Genesis-Bandmitglieder bei einem Dinner in London getroffen, dass nach den Promotionaktionen zu Archive Vol. 1stattfand. Was kannst du uns darüber erzählen?
Chris: Ich hatte einen wirklich guten Abend mit verdammt gutem Essen. Es war toll, alle nach so langer Zeit wieder zu sehen. Ich traf zum ersten Mal Phil Collins und sprach den Großteil des Abends mit ihm und mit Anthony Phillips. Es war wirklich ein sehr schöner Abend. Das Essen und der Wein waren großartig und es war toll, alte Freunde zu treffen. Außerdem traf ich Steve Hackett. Wir sprachen über Gitarren und er interessierte sich für einige Dinge, die ich über Flamenco weiß.
it: Hast du nach 1968 weiter Schlagzeug oder ein anderes Instrument gespielt?
Chris: Nach Genesis habe ich weiter Drums gespielt. Ich habe mich geärgert, dass ich es verpaßt hatte, Rockstar zu werden und arbeitete ein paar Jahre lang sehr hart an meinem Spiel. Ich war in kleineren Bands und später wurde ich Drummer beim einem Zirkus. Wir tourten im Norden Englands und es war eine tolle Erfahrung. Das war vermutlich der Zenith meines Schlagzeugspiels. Zur selben Zeit, als ich Drums lernte, lernte ich auch Gitarre zu spielen, gab es aber bald wieder auf. Erst als ich mit 21 Jahren mit der Landwirtschaft begann und dafür mit dem Schlagzeugspielen aufhörte, fing ich wieder an, Gitarre zu spielen. Ich habe das Schlagzeugspielen zwar nicht verlernt – ich tue es nur einfach nicht mehr.
it: Würdest du bei einem Genesis-Reunion-Konzert mit der Band spielen, wenn man dich fragen würde?
Chris: Natürlich würde ich das tun – schon allein aus Spaß an der Sache. Allerdings kenne ich keinen ihrer Songs. (lacht) Bei dem Dinner in 1998 erzählte mir Phil von einer Bigband-Tour durch Europa, die er machen wolle, und dann sollte ich neben ihm ein zweites Schlagzeug spielen. (lacht) Ich weiß nicht, ob er das ernst gemeint hat – wohl eher nicht.
it: Du spielst aber immer noch Gitarre?
Chris: Nicht professionell, nur für mich selbst.
it: Hast du einen Lieblings-Komponisten oder eine Lieblingsband?
Chris: Ich höre mir ziemlich viel an: Klassik, Jazz, ein wenig Weltmusik, Rock und Folk. Ich mag ziemlich viele Interpreten, aber mein All-time-Favorit ist Jimmy Hendrix. In meinen Augen hat nie wieder jemand so gespielt wie er. Peter Green finde ich auch großartig. Auf klassischer Seite mag ich Bach sehr, von dem ich ein wenig auf der Gitarre spiele – das eignet sich Abends sehr gut zum Entspannen.
it: Was hast du seit dem Rausschmiß bei Genesis bis zu deinem Umzug nach Spanien gemacht?
Chris: Ich beendete die Schule mit keinem guten Ergebnis. Ich war nicht nur ein schlechter Drummer sondern auch in akademischer Hinsicht nicht sehr clever. Danach spielte ich Drums in verschiedenen kleinen Bands und im Zirkus. Mit 21 Jahren begann ich Landwirtschaft zu betreiben und wandte mich der Gitarre zu. Anfang der ’70er Jahre studierte ich in Spanien Gitarrenspiel und kam danach sehr oft wieder nach Spanien zurück. Ich lernte, wie man Schafe schert und verdiente lange mein Geld als Schafscherer in England und Schweden. Das Geld, das ich in Schweden mit dem Scheren verdiente, verwendete ich für mein Gitarren-Studium in Sevilla. So entstand auch der Traum, eines Tages in Spanien zu leben. Später hatte ich dann in England meine eigene Schafherde und züchtete Schafe. Irgendwann heiratete ich und ging nach Spanien um dort zu leben. Das ist in groben Zügen die Geschichte.
it: Kommen wir nun zu deinem Buch, Driving Over Lemons, dass 1999 erschien und ziemlich erfolgreich ist. Die deutsche Übersetzung, Unter den Zitronenbäumen, ist ja auch seit Anfang 2001 erhältlich.
Chris: Die Frau meines Arztes, die Deutsche ist, hat gesagt, dass ihr die deutsche Version besser gefallen hat als die englische. (lacht)
it: Das Buch läßt den genauen Zeitraum der Handlung offen. Um welche Jahre handelt es sich genau?
Chris: Wir kamen 1988 nach Spanien und das Buch beschreibt unsere ersten fünf Jahre, denke ich. Es handelt sich also um die Jahre 1988 bis 1993.
it: Wie kam dir die Idee, das Buch zu schreiben und wann fingst du damit an?
Chris: Während der langen Zeit, die ich vorhin nur kurz angerissen habe, war ich auch einmal in China. Dort schrieb ich für die Rough Guide-Buchserie die Ausgabe über China. Ich lernte die Herausgeber kennen, und sie besuchten uns vor etwa sechs Jahren in Spanien. Sie fanden meine Geschichte interessant und mochten den Ort wo ich lebe und meinten, ich solle darüber ein Buch darüber schreiben. Das tat ich dann auch. Sie waren gerade dabei sich von Rough Guide zu trennen um einen neuen Verlag aufzubauen, und das erste Buch das sie herausbrachten war meines. Ich weiß nicht, wieviele hunderttausende Autoren einen Verlag suchen. In meinem Fall war es allerdings so, dass der Verlag mich gesucht hat. Das war in 1996. Es hat lange gedauert das Buch zu schreiben, denn ich habe nicht ständig daran gearbeitet. Zuvor hatte ich nur Reiseführer wie den über China – aber auch andere – geschrieben.
it: In dem Buch schreibst du ja autobiografisch über dein Leben und das deiner Familie und Bekannten. Hattest du jemals Bedenken, der Welt so viel Einblick in dein Privatleben zu geben?
Chris: (lacht) Nun, es ist nichts wirklich Privates enthalten. Ich mag es sehr zu schreiben aber ich kann nur autobiografisch schreiben. Ich bin ständig überrascht von den Leuten, die hier her kommen und mehr über uns wissen als wir selbst. Es passiert wirklich, dass Leute hier auf einmal in der Tür stehen.
it: Was hältst du von diesen Leuten?
Chris: Das ist schon etwas problematisch. (lacht) Es ist ein kleiner Eingriff in die Privatsphäre. Auf der anderen Seite bin ich aber auch geschmeichelt. Ich bin also nett zu den Leuten. Es hat inzwischen ohnehin nachgelassen. Früher passierte das zwei oder drei Mal in der Woche, und wir hatten schon Leute aus der ganzen Welt hier: Deutsche, Holländer, Italiener, Amerikaner und sogar Chinesen. Ja, das Buch ist auch in Chinesisch erschienen. Es ist schon sehr schmeichelhaft, wenn jemand von so weit weg uns sucht und ziemliche Anstrengungen in Kauf nimmt, hier heraus auf unseren Hof zu kommen.
it: Hast du deine Frau und eure Freunde um Erlaubnis gefragt, über sie zu schreiben? Wie haben sie reagiert?
Chris: Meine Frau habe ich nicht gefragt. (lacht) Sie mußte Bestandteil des Buches werden. Mit allen anderen, die im Buch vorkommen, habe ich vorher darüber gesprochen. Lediglich Pedro Romero habe ich vorab nicht gefragt, aber ich habe es ihm später erzählt.
it: Hast du Pedro nach seinem Weggang von El Valero jemals wieder getroffen?
Chris: Ja, wir haben uns wieder getroffen. Das ist noch nicht so lange her und wir wurden wieder Freunde.
it: Hast du ihn wegen der Lügen angesprochen, die er damals über dich und deine Frau verbreitete?
Chris: Nein, das wäre nicht sehr diplomatisch gewesen. (lacht) Es spielte keine Rolle. Wir sind in unserer Gemeinde recht bekannt. Die Leute wissen, wer wir sind, und ich denke, man mag uns auch ziemlich. Ich denke nicht, dass die Leute hier irgendetwas, das Pedro über uns sagt, ernst nehmen würden. Ich hatte Pedro sehr lang nicht gesehen, aber ich war sehr erfreut, ihn wieder zu treffen. Er ist heute ein alter Mann.
it: Wie geht es ihm ohne den Hof?
Chris: Es geht im gut. Er ist alt und geht an zwei Stöcken. Er lebt in der Nähe der Stadt und macht nicht mehr viel. Ich denke, er vermißt den Hof schon. Eines Tages setze ich ihn vielleicht in mein Auto, um ihm zu zeigen, wie es heute hier aussieht. Er würde es aber vermutlich nicht mögen und sich sehr aufregen. Vielleicht aber auch nicht. Ich hatte damals die Maschine hier, um den Weg zum Hof zu schieben. Im Buch habe ich auch darüber geschrieben. Ich dachte, wie schlimm das sei, die schöne Natur deswegen zu zerstören. Pedro fand das gar nicht so schlimm. Er war enthusiastischer als ich. Vermutlich würde ihm alles sogar gut gefallen. Wir leben hier inzwischen ja ziemlich komfortabel. Früher war es schon recht hart. Es war zwar absolut herrlich anzusehen, aber so zu leben war die Hölle.
it: Wie sieht der Komfort in El Valero heute aus?
Chris: Wir haben kein Fernsehen und nur Solarenergie als Stromquelle. Aber es ist eine recht gute Solaranlage. Es ist hell genug, um abends zu lesen. Wir haben fließendes Wasser aus einer Quelle. Wir heizen selbst im kältesten Winter das ganze Haus mit einem einzigen offenen Kamin. Verglichen mit westeuropäischem Standard ist es sehr primitiv, aber wir lieben es.
it: Ist Driving Over Lemons inzwischen auch ins Spanische übersetzt worden?
Chris: Leider nicht. Es ist in vielen Sprachen erschienen, aber nicht in Spanisch. Ich hoffe, dass das geschieht, wenn mein nächstes Buch auf dem Markt ist.
it: Hat trotzdem irgend jemand, der eine Rolle im Buch spielt, es gelesen?
Chris: Unsere holländischen Nachbarn haben es im Englischen gelesen und Domingos Freundin, die auch Holländerin ist, hat ihm die Stellen, in denen er vorkommt, ins Spanische übersetzt vorgelesen. Aber sie sagte, er sei nicht am Rest des Buches interessiert. (lacht) Pedro Romero weiß, dass es das Buch gibt und ich sagte zu ihm, dass es ihn berühmt gemacht habe – berühmt als Koch. (lacht) Die Leute in aller Welt würden nun wissen, wer er ist und dass er berühmt für seine „papos a lo pobre“ ist.
it: Wie reagierte er darauf?
Chris: Er lachte.
it: Was passierte denn so alles auf El Valero seit dem Ende des Buches?
Chris: (lacht) Vieles wird in meinem neuen Buch stehen. Aber wie man sich vorstellen kann, hat sich das Leben ziemlich verändert. Wir waren lange Zeit sehr arm. Wir kamen nicht hier her um ein Buch zu schreiben. Wir wollten nur hier leben und wußten nicht so recht, wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen würden. Wir leben nun von der Schafzucht, vom Oliven- und Orangenanbau und wir haben auch ein Ferienhaus. Wir überlebten, aber wir waren niemals reich. Manchmal haben wir uns längere Zeit von nichts anderem als von Zwiebeln und Kartoffeln ernährt. Das ist heute nicht mehr so. Es ist einfacher für uns, und wir können nun Sachen am Haus machen, von denen wir früher nur geträumt haben, wie z. B. Malerarbeiten oder das Dach abzudichten. Im neuen Buch wird einiges darüber stehen.
it: Weißt du schon, wann es veröffentlicht wird?
Chris: Es soll im Juni 2002 in England erscheinen. Ich weiß nicht, ob es auch in Deutschland herauskommen wird. Wenn das erste Buch sich gut verkauft hat, kann man normalerweise davon ausgehen, dass der Verlag auch die Rechte am zweiten Buch kauft.
it: Du hast ja früher mal Deutsch gelernt. Kannst du es immer noch?
Chris: (auf Deutsch) Ein klein bißchen, ja, aber sehr wenig.
it: Das hört sich aber sehr gut an.
Chris: Das ist schon alles, was ich kann. Ich lernte in der Schule Deutsch, als ich fünfzehn Jahre alt war. Später studierte ich noch ein Jahr lang in Altaussee im Salzkammergut in Österreich Deutsch. Ich kann mich immer noch an das eine oder andere erinnern. Ich mochte es, die Sprache zu sprechen. Sie ist sehr reizvoll.
it: Weißt du, wie erfolgreich Driving Over Lemonsin den verschiedenen Ländern war, in denen es erschienen ist?
Chris: Eigentlich nicht. In England war es überaus erfolgreich. Man hat mir gesagt, dass es auch in Frankreich gut angekommen ist. Das hat mich sehr gefreut, denn die Franzosensind sehr chauvinistisch, was ausländische Literatur angeht. In Finnland hat es sich auch gut verkauft. Aber darüberhinaus weiß ich nicht, wie das Buch in anderen Ländern angekommen ist.
it: Wie kam es dazu, dass Peter Gabriels Kommentar über das Buch auf der Rückseite abgedruckt ist?
Chris: Es war die Idee meines Verlegers. Er meinte, eine Kurzkritik von Peter Gabriel auf dem Buchrücken wäre etwas Außergewönhliches, denn er ist sehr bekannt, und es gibt diese Verbindung zwischen ihm und mir. Und normalerweise ist er auch nicht jemand, der so etwas oft macht. Ich hatte Peter schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen, aber da mein Verleger auch Richard Macphail kennt, der wiederum Peter ganz gut kennt, arrangierte Richard die Sache dann für uns.
it:Driving Over Lemonsist ja auch als Audio-Buch erschienen. Nun fehlen auf den drei CDs aber einige Passagen und sogar manche Kapitel des Buches. Wer wählte die Teile aus, die weggelassen werden sollte, und war diese Entscheidung nicht schwierig?
Chris: Es wäre sicher höllisch schwer für mich gewesen, das zu entscheiden. Damit hatte ich nichts zu tun. Das hat der Autor eigentlich nie. Der Verlag hat dafür Angestellte, die diese Arbeit professionell machen. Es ist ein schwieriger Job, aber ich denke, sie haben das sehr gut hinbekommen.
it: Du sprichst ja den Text selbst. Wie lief das ab? Hast du das ganze Buch gelesen und man hat später die entsprechenden Teile weggelassen?
Chris: Nein, ich habe nur die gekürzte Version gesprochen. Aber ich habe das komplette Buch noch einmal für eine andere Firma gesprochen, die Audio-Bücher für Blinde herausbringt. Audio-Bücher sind eigentlich gar nicht so interessant. Ich kaufe mir keine. Man bekommt nur sehr wenig von dem, was das eigentliche Buch beinhaltet.
it: Aber ist schon interessant, wenn, wie in deinem Fall, der Autor selbst spricht.
Chris: Das ist es sicherlich, und es hat auch wirklich Spaß gemacht, es zu sprechen. Mein Verleger kam eines Tages mit der Nachricht, dass eine Firma das Buch gekauft habe, um es als Audio-Version zu veröffentlichen. Jemand anderer solle es sprechen. Ich schlug vor, dass ich selbst das mache. Man sagte mir, ich solle nicht so albern sein – es sei ein geübter Sprecher notwendig, um ein Audio-Buch aufzunehmen. Aber ich bekam meine Chance und sie waren begeistert.
it: Bist du damit zufrieden, wie man den Text für die Audio-Version gekürzt hat?
Chris: Ja, das bin ich, denn ich hätte das nicht selbst machen wollen. Ich weiß, dass ein Audio-Buch niemals annähernd so gut ist wie ein gedrucktes Buch. Aber sie haben es nicht schlecht gemacht. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich es mir nicht ein einziges Mal angehört, nachdem die Aufnahmen vorbei waren. (lacht) Ich hatte keine Lust, mir das noch einmal anzuhören. Es wäre einfach zu langweilig.
it: Als nächstes erscheint nun dein neues Buch. In deinem Gruß für die Fanclub-CD hast du schon verraten, dass es A Parrot In A Pepper Tree heißen wird, richtig?
Chris: Ja. Wie heißt das in Deutsch?
it: Ein Papagei im Pfefferbaum.
Chris: Ah, Ein Papagei im Pfefferbaum. Das klingt in Deutsch gut. Ich denke, es hört sich besser an als in Englisch. (lacht) Ein Papagei im Pfefferbaum – ja, das ist der Titel. Es handelt davon, was hier so alles passiert ist, aber es bezieht sich auch auf frühere Jahre. Es erzählt, dass ich ein Buch veröffentlicht habe, damit viel Geld reinkam und es mir möglich wurde, mein Leben zu verändern. Es wäre eine Lüge, nichts darüber zu schreiben. Ich denke, das neue Buch ist recht gut – etwas anders als das erste, aber es gibt auch ähnliche Bestandteile. Es ist nun bis auf ein paar Feinheiten fertiggestellt und ich freue mich auf die Veröffentlichung.
it: Wie sehen deine weiteren Zukunftspläne aus?
Chris: Ich möchte gerne mehr Zeit mit meiner Familie hier auf dem Hof verbringen, mehr Gitarre spielen und weitere Bücher schreiben. Ich stehe jetzt total darauf zu schreiben. Es hat mir so viel Spaß gemacht. Ich würde Spanien gerne noch besser kennen lernen. Es ist wundervoll hier im Süden Spaniens zu leben. Andalusien ist eine herrliche Region. Andalusien und Marokko sind für mich das Paradies. Ich würde gerne mehr über Land und Leute wissen, viel darüber lesen und auch darüber schreiben. Das und mein Leben hier auf dem Hof – so dürfte meine Zukunft aussehen. Wir sind gerade dabei, hier einen Garten anzulegen, und das bereitet mir viel Vergnügen. Konfuzius sagt: Wenn ein Mann einen Tag lang glücklich sein will, sollte er sich betrinken. Wenn er eine Woche lang glücklich sein will, sollte er sich eine Frau nehmen. Wenn er einen ganzen Monat lang glücklich sein will, sollte er ein Schwein schlachten. Aber wenn er bis zu seinem letzten Tag glücklich sein will, sollte er einen Garten anlegen.
it: Zum Schluß haben wir noch unser 5 Trivial Question, die wir …
Chris: (lacht herzhaft) Was ist meine Augenfarbe? Wer ist mein Lieblingspopstar? O. k., leg‘ los!
it: … die wir jedem Interviewpartner stellen. Welchen Berüf würdest du gerne ausüben, wenn du nicht Landwirt und Buchautor wärst?
Chris: Ich wäre gerne Drummer in einer Rockband. Oder nein, ich wäre gerne Gitarrist in einer Rockband.
it: Was machen fliegende Ameisen nach der Landung mit ihren Flügeln?
Chris: Ich denke, sie werfen sie ab. Eine großartige Frage. Hier gibt es eine Menge dieser Ameisen und ihre Flügel sind so groß, dass sie kaum laufen können. Sie müssen irgend etwas mit ihnen anstellen. (lacht) Ich vermute also, dass sie sie abwerfen.
it: Das ist richtig. Nummer drei: Was ist 9,48 Billionen Kilometer lang?
Chris: Vermutlich ein Lichtstrahl vom Mars.
it: Das war nahe dran. Es ist genau ein Lichtjahr. Nummer vier: Wie oft im Jahr haben Pinguine Sex?
Chris: (lacht herzhaft) 365 mal – einmal pro Nacht.
it: Nein, nur einmal im Jahr.
Chris: Einmal im Jahr – ich hoffe, es ist dann auch wenigstens schön. (lacht)
it: Mit wem würdest du gerne einmal zusammentreffen?
Chris: Mit einem Pinguin – einmal im Jahr. (lacht) Nun, ich denke, Helen of Troy wäre interessant. Aber noch lieber würde ich Nelson Mandela treffen, der meines Erachtens einer der großartigsten Männer dieses Jahrhunderts ist. Vielleicht werde ich ihn ja im Juni treffen. Mein neues Buch wird dann beim Hay-on-Wye-Literaturfestival vorgestellt, und Nelson Mandela wird auch dort sein. Dieser Wunsch geht also möglicherweise in Erfüllung. Ich werde sicher nicht Helen of Troy dort treffen, aber vielleicht Nelson Mandela, was ja auch schon mal etwas wäre. (lacht)
Interview, Transkription und Übersetzung: Helmut Janisch, 2002