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Beatrix Players – Living & Alive – Album Rezension
Amy Birks veröffentlichte 2020 und 2022 Soloalben, ehe sich die Beatrix Players, nun in ihrer dritten Inkarnation mit Manning, Dove, John Hackett u.a. zusammenfanden. Thomas Jesse hat sich Living & Alive vorab angehört.
Vorbemerkung:
Als der Rezensent den Auftrag bekam (wie soll man sich gegen die höflichen Bitten von zwei Bossen des Fanclubs wehren?), ein paar Zeilen zum neuen Album der Beatrix Players zu schreiben, lautete die erste Frage: Was haben die mit Genesis zu tun, außer dass Amy Birks bei den Prog Awards 2019 Tony Banks getroffen hatte? *1 Nun, eine Verbindung besteht über Steves Bruder John Hackett, der als neues Bandmitglied die Flöte beisteuert. Die andere ist das Gitarrenspiel von Steve, das auf Amy Birks Lied I Wish erklingt. *2 Außerdem singt Amy Birks auf dem hervorragenden letzten Rocking Horse Music Club Album Circus Of Wire Dolls. *3 Nun, geschickt eingefädelt, meine Herren von it! Der Rezensent mag die Musik von John Hackett und die von Amy Birks auch. *4
Hintergrund:
Amy Birks gründete mit Tom Manningund Helena Dove 2006 die Band. 2013 veränderte sich das Line Up. Neben Birks wirkten nun die Australierin Jess Kennedy (Klavier, Gesang) und die Spanierin Amanda Alvarez (Cello) mit.
Im Jahre 2017 erschien das Debut-Album des Trios, Magnified. *5 Das Album mit seiner düsteren kammermusikalischen Mixtur aus Pop, Prog, Folk und Klassik erinnert an die Unthanks, Kate Bush oder Tori Amos und erlangte gute Kritiken. *6
Schnell brach die Band jedoch auseinander. Amy Birks veröffentlichte 2020 und 2022 Soloalben, ehe sich die Beatrix Players, nun in ihrer dritten Inkarnation mit Manning, Dove, John Hackett u.a. zusammenfanden. *7
Der Bandname leitet sich wohl nicht vom mittellateinischen Beatrix, die Glückliche, her, sondern lehnt sich an Viatrix, der weiblichen Form vom spätlateinischen Viator, der Reisende, an. *8
Die Band möchte die Zuhörenden auf eine musikalische Reise, die tief in die menschlichen Emotionen führt, mitnehmen.
Covergestaltung und Konzept:
Der Titel des Albums, Living & Alive, beschreibt programmatisch das Konzept des Albums. Es erforscht den Mut lebendig zu sein, das Leben in die Hand zu nehmen und zu sich selbst zu finden. *9
Die Vorderseite des Covers ziert ein merkwürdig verzerrt wirkendes Foto vor dunklem Hintergrund. Es wirkt als spiegelt sich Licht bunt in einem Wassertropfen, oder einem Diamanten, oder als schaue man durch ein Mikroskop in die Mikrowelt von Einzellern. Auch hier klärt der Pressetext auf. Es handelt sich um das Bild eines künstlerisch aufgearbeiteten Scans eines sechs Wochen alten menschlichen Embryos. Es symbolisiert die Einzigartigkeit des menschlichen Lebens, die Schnelligkeit seiner Entwicklung und das Wunder, mit welcher Kraft es seinen Weg einschlägt.
Die Rückseite des Covers ziert eine auf nostalgisch getrimmte Schwarz-Weiß-Aufnahme der Band. Die acht Musikerinnen und Musiker sitzen um einen Tisch herum und pokern. Die Charaktere der Spieler, wie z. B. der Falschspieler, der Glückliche, das Pokerface, werden durch die Musikerinnen und Musiker repräsentiert. Auch hier die Anspielung auf das Thema des Albums. Die Charaktere spiegeln die Vielfältigkeit des menschlichen Lebens.
Band:
Neben den drei Ur-Mitgliedern Amy Birks (Gesang), Helena Dove (Komposition) und Tom Manning (Gitarre), sind nun John Hackett (Flöte), Oliver Doy (Gitarre), Andrew Booker(Schlagzeug), Jane Fenton(Cello), Matthew Lumb(Klavier) und Kyle Welch (Bass) hinzugekommen. Einzelne Musiker des großen Line-Ups spielten schon auf Amys Soloalben. Ein Pluspunkt bei der Produktion des Albums, kennen sie doch Amy Birks Auffassung von Musik.
Songs:
Eine Anmerkung vorab: Leider liegen mir die Songlyrics nicht vor, so dass ich mich auf meine Ohren, die eines nicht native speakers, verlassen musste. Ich hoffe, dass ich die Bedeutungen erfasst habe.
Snowflakes (6:02)
Leise und getragen beginnt das Stück mit einem Flöten-Solo, das schließlich von Gitarre und Cello begleitet wird. Der Auftakt erinnert an einen langsam beginnenden Schnellfall: Erst schweben einige Flocken in der Luft, bevor er immer dichter wird. Amys Gesang setzt ein und gibt den Rhythmus für das sanfte Schlagzeug vor: Slow-Fox. Schon im ersten Lied fällt auf, dass Johns Flöte eine zentrale Rolle im Reigen der Instrumente zukommt. In den letzten eineinhalb Minuten des Stücks wird etwas Fahrt aufgenommen, Assoziationen an Jethro Tull erklingen, Amys Chorgesang erinnert an Kate Bushs beiden ersten Alben. Der Ausklang mit einem Klaviersolo kehrt in den bekannten Beatrix Players Sound zurück.
Somebody’s Elses Eyes (5:22)
Leise, ganz leise intonieren Cello und akustische Gitarre ein kammermusikalisches, melancholisches Stück über die Art der Lebensführung. Soll man so leben, dass man in den Augen der Mitmenschen gut aussieht? Ist das ein positives Resümee eines Lebens: Ich habe immer in den Augen der Anderen gut dagestanden, war aber nie ich selbst. Nein! Die Protagonistin möchte das nicht. Ab ca. Minute 4 spielt John ein wundervolles Flötensolo, das jedes Steve Hackett Album veredeln würde und leitet ein fröhlich – lockeres Ende des Stücks mit Piano und akustischer Gitarre ein.
This Is Your Life (5:09):
Hey, das Stück beginnt mit dem typischen Kate Bush-Acapella-Gesang, der viele Stimmen übereinanderlegt und den Titel des Liedes repetitiv wiedergibt. Beginnt der Song mit einem lockeren, folkigen Touch, bei dem Cello und Bass herausstechen, wechselt er bei ca. Minute 3:00 mit einem Solo auf der E-Gitarre, streichelndem Schlagwerk und Flöte in Richtung ruhigem Jazzrock. Wir sind nicht bei Brand X, sondern bei den Beatrix Players! So geht das Stück auch verhalten die letzten 20 Sekunden dem Ende entgegen.
Starts Again (4:57)
Ein lockerer, heiterer Popsong, eine Mischung aus Folk, Fleetwood Mac mit musikalischen Farbtupfern von Yes (Gitarre) und Jethro Tull (Flöte) folgt. Amy singt beschwingt mit unheimlicher Weite in der Stimme. Sie vereint Christine McVie, Emmylou Harris, Tory Amos mit Kate Bush und bleibt doch sie selbst. Die tanzbare Nummer macht Spaß!
A Beautiful Lie (3:51)
Die kurze Pianoballade besticht durch Amys bezauberndem Gesang und einem sehr schönen Duett von Flöte und Cello. Eigentlich ein typischer Beatrix Player Song, aber leichter, wärmer. Dieser Eindruck wird von Johns Flötenspiel erzeugt.
Overflow (4:11)
Klavier, immer wieder Klavier, aber wie schön. Eine singende E-Gitarre, Flötenakzente, Schlagzeug treiben den Song voran. Amy singt berührend über den Ausbruchsversuch aus einem in engen, geregelten Bahnen laufenden Lebens. Ab Minute 3:00 vereinen sich alle Instrumente mit Amys Gesang zu einem Ausbruch von Emotionen.
Purgatory (3:38)
Mit verhaltenen, ruhigen Klavierakkorden beginnt das Fegefeuer durch das die Protagonistin gehen muss, um gereinigt in einen neuen Lebensabschnitt zu treten. Gesang und Flöte treten hinzu, bis schließlich nach knapp einer Minute die Band einsteigt und das Tempo anzieht. Klänge einer Steelguitar sind zu hören, ab Minute 2:23 erfreut ein Solo auf der E-Gitarre den Hörer / die Hörerin. Das Lied geht über in einen schönen, sanften Rocker mit Westcoast-Feeling. Es entfernt sich von dem bekannten Soundmuster der Beatrix Players.
You Can’t Hit a Nail (5:27)
Einer tickenden Uhr gleich (Vergehen der Lebenszeit?) intoniert das Klavier eine wunderschöne Ballade mit leicht treibendem Schlagzeug und Gesang. In der Mitte des Liedes brilliert John mit einem atemberaubenden Flötensolo, das von einem Cello begleitet wird. Herrlich melancholisch wird in Chorgesang gewechselt. Amy singt herzzerreißend. Das Highlight des Albums!
Free (4:04)
Gesang und Akustische Gitarre im folkigen Duett prägen die erste Minute. Mit dem sehr schönen Refrain setzt die Band ein und musiziert an amerikanischen Country-Rock mit Prog-Einschüben erinnernd frei und luftig dahin. Ein klasse Cello – Solo ist zu hören, die E-Gitarre gibt sich die Ehre. Ja, das ist die Flowerpower-Stimmung der späten sechziger / frühen siebziger Jahre, die gut zum Text passt. Er berichtet vom sich Befreien aus einer Beziehung, eines festgefahrenen Lebensabschnitts, beengenden (sogar politischen?) Verhältnissen.
Me I Am Me (5:30)
Das letzte Stück des Albums beglückt den Hörer, die Hörerin mit einem folkigen Spiel von akustischer Gitarre und Gesang. Amy beweist ihre Nähe zu Kate Bush und singt vom Sich selbst sein, zu sich selbst finden. Nach ca. zwei Minuten wird es munterer, eine E-Gitarre soliert, duelliert sich mit Flötenspiel, das Cello erklingt. Ist das ELO-Feeling? Wer sich ein bombastisches, krachendes Finale wünscht, wird enttäuscht. Die Beatrix Players bleiben sich mit eher getragener Musik treu.
Fazit:
Dieses Album stellt eine Weiterentwicklung im Sound der Band dar. Verblüfften Beatrix Players 2017 mit ihrem Erstling noch durch clever gemachten kammermusikalischen Rockpop, erweitern sie ihr Spektrum nun durch die Vergrößerung auf ein Oktett um Längen. Sie sind nun nicht mehr auf Gesang und Piano reduziert, sondern bauen auch Flöte und Gitarre als Leadinstrumente ein. Dieser Schritt lohnt sich, beugt Ermüdung vor und bietet jedem Musikfan etwas: Der bekannte Kammermusikpop wird um Jazz, Prog, Folk, Country erweitert. Eine gelungene Mixtur aus bezaubernden Klängen. Ein Album zum intensiv zuhören, aber auch als Hintergrundmusik bei Hausarbeit u. ä. Nach wie vor steht Amys Stimme, die nicht „nur“ Kate Bush oder Tori Amos zitiert, im Vordergrund. Facetten einer Loreena McKennitt, ohne deren Süßlichkeit (dafür ist die Musik zu spannend), oder sogar einer Christine McVie leuchten auf. Wer hätte das gedacht, dass man hier sogar an Fleetwood Mac, oder auch Jethro Tull erinnert wird. Nein, nein, hier wird nicht plagiatiert! Beatrix Players haben ein eigenständiges, gelungenes Werk geschaffen. Es lohnt sich, ihm ein Ohr zu spenden und abzutauchen in einen verzauberten Garten schöner Klänge, nachdenklich stimmender Lyrics und eindrucksstarkem Gesang. Am Ende des Albums fühlt man sich eins mit der Welt. Das ist viel wert, oder?
Autor: Thomas Jesse
Living & Alive erscheint am 22. September und kann bei Bandcamp vorbestellt werden.
Anmerkungen:
1. Schönes Foto
2. siehe hier
3. siehe hier
4. Sie hatte Auftritte mit der John Hackett Band
5. hier zu hören
6. siehe hier
7. All That I Am & All That I Was, 2020 / In Our Souls, 2022 Erhältlich über Bandcamp
8. siehe hier und hier
9. aus: Pressetext zur Veröffentlichung des Albums.