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Anthony Phillips – The Living Room Concert (expanded) – Rezension

Im Zuge der Wiederveröffentlichungen der Alben von Anthony Phillips bekam auch The Living Room Concert ein Update mit Bonustracks. Andreas Lauer hat für euch genauer hingehört.

Mit dem The „Living Room“ Concert von 1993 reiht sich nun also das erste von drei Live-ohne-Publikum-Radiokonzert-Alben aus Anthony Phillips‘ Katalog in die laufende Wiederveröffentlichungs-Serie des Esoteric-Labels ein. Das jüngste dieser drei Alben, was sowohl Aufnahme- als auch Veröffentlichungszeitpunkt angeht, sind die in Zusammenarbeit mit Guillermo Cazenave entstandenen 1998er Live Radio Sessions, die aber wohl gar nicht Teil der Reissues-Serie werden dürften (ebensowenig wie das Album Meadows Of Englewood). Das dritte Konzert im Bunde wurde zwar früher aufgenommen und im Radio gesendet als das hier vorliegende, nämlich 1978, jedoch erst später auf CD veröffentlicht (2003, als Radio Clyde). Man hätte sich hier auch eine Veröffentlichung im Doppelpack (vergleichbar mit den Private Parts & Pieces-Boxes) vorstellen können.

Live ohne während der Aufnahme anwesendes Publikum – ist das dann überhaupt live oder nicht eher eine schnelle (oder „billigere“) Studioaufnahme? Ich denke, die Antwort liegt irgendwo in der Mitte. Abgesehen davon, dass das Wort „live“ ja auch im ersten Wort des Albumtitels steckt: Mit einem Live-Auftritt hat dieses Konzert gemein, dass alle Aufnahmen an ein und demselben Tag gemacht wurden, ohne Overdubs und (wesentliche) Nachbearbeitungen, und dass es kurze Ansagen zu einzelnen Stücken und Songs gibt; auch erlebt man viele Stücke in anderen Arrangements, die den Live-Bedingungen und beispielsweise der Nichtverfügbarkeit weiterer Musiker/innen geschuldet sind. Typisch für eine Studioaufnahme ist bei diesem Projekt, dass man trotz engem Zeitkorsett aber doch mehr als einen Anlauf. Take“) für jedes Stück hat und am Ende auch das eine oder andere Stück aussortieren kann; und man kann dem Künstler beim Spielen und Singen leider nicht zuschauen.

Anthony Phillips 1992Ein bisschen beschreibende Statistik zu den 14 Stücken, die auf der wiederveröffentlichten Scheibe (nun mit drei Bonustracks) präsentiert werden: Nur neun davon wurden damals dann tatsächlich auch im Radio gesendet, und elf waren auf der 1995er Erstveröffentlichung auf Tonträger enthalten (darunter mit Flamingo, Field Of Eternity und Sistine auch drei nicht gesendete, während das gesendete Jaunty Roads zunächst nicht den Weg auf die Scheibe fand). Zwei Titel waren in Form der hier veröffentlichten Aufnahmen also noch nie öffentlich zu hören: Let Us Now Make Loveund Lucy: An Illusion. Die Auswahl der Stücke erstreckt sich auf die Studioalben The Geese & The Ghost und Private Parts & Pieces I, IV und VIII sowie die beiden im vorigen Satz erwähnten Titel, die 1990 als Bonusstücke für die Virgin-Veröffentlichung von Ants Katalog (hier für Private Parts & Pieces II und VI) erarbeitet worden waren. Die drei Stücke von Private Parts & Pieces I sowie Which Way The Wind Blows und Conversation Piece gehörten auch zum Repertoire bei Radio Clyde, während Lights On The Hillund Lucy: An Illusion die gemeinsamen Stücke mit den Live Radio Sessions sind.

In den meisten Fällen sind die hier dokumentierten Liveversionen etwas kürzer als die Studiooriginale (Ausnahme: Jaunty Roads), was zum einen am häufig etwas schnelleren Tempo (das manchen Stücken wie etwa Reaper erfrischend gut tut, in anderen Fällen vielleicht auch der Nervosität des Künstlers geschuldet sein mag), zum anderen an den reduzierten Arrangements liegt – Ant musste ja, da er solo „auftrat“, alle Arrangements auf eine Gitarre bzw. ein Klavier umschreiben bzw. reduzieren. Reaper ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass geringfügig Elemente gekürzt wurden (eine Passage, die in der Mitte der Originalaufnahme achtmal nacheinander gespielt wurde, erschient hier nur fünfmal) und dass kleine Fehler passieren. Auffällige Fehler findet man aber kaum auf dem Album, z.B. noch bei Let Us Now Make Love bei etwa 5:22. Deutlich gekürzt wurde nur Flamingo, wo auf die modifizierte Wiederholung von Beginn an verzichtet wurde, wodurch das Stück nur halb so lange dauert. Die Originaltonarten wurden in der Regel beibehalten – Ausnahmen: Henry erklingt einen Ganzton tiefer, Flamingo einen Viertelton, Jaunty Roadsgar eine kleine Terz; Sistine dafür einen Halbton höher. Ants Gesang ist durchweg bis auf Lucy schwächer als im Original – letztgenannter Song muss aber wirklich positiv hervorgehoben werden – und die Originaltexte wurden nicht verändert. Die Reihenfolge auf der CD entspricht, wie man Jonathan Danns erneut sehr informativem Essay entnehmen kann, nicht ganz der Reihenfolge der 1993er Radiosendung.

Weitere Anmerkungen zu einzelnen Stücken

The Living Room ConcertBei Which Way The Wind Blows wurde das Nachspiel etwas verkürzt und verändert (nur viermal der E-Es-D-Teil, dann kurzer toccatenhafter Teil und offene Schlusskadenz). Henry erklingt inklusive der Reprise des Lutes Chorus; das ruhige Intermezzo bei Henry Goes To War ist verspielter als im Original. Das Conversation Piece wurde nie für ein Studioalbum aufgenommen, muss es meines Erachtens auch nicht mehr unbedingt, die Konversation klingt einfach nach viel nachdrücklich und wiederholt Gesagtem und wird nur bei 4:19 etwas würziger. Der Phillips-Klassiker Lights On The Hill kommt ohne die etwas nervige Drumbox daher und etwa 1 ½ Minuten kürzer als im Original. Wie schon auf der Anthology bilden Last Goodbyes, Collections und Sleepfall: The Geese Fly Westin eine perfekt harmonierende Abfolge. Letztgenannter Titel wurde in der Tracklist der Erstveröffentlichung des Living Room Concertsgar nicht erwähnt, sondern einfach unter Collections subsumiert.

Leider nicht mitveröffentlicht wird das Lyric Book, dem die Living Room Concert-CD in ihrer allerersten Auflage beigefügt war (erst etwas später folgte die solitäre CD-Ausgabe). Das Buch (ohne ISBN) repräsentierte damals alle Lyrics aus Ants Solowerk (außer dem ihm zu peinlich erscheinenden It’s Not Easy). Würde man es heute aktualisieren und neu auflegen, wäre außer She’ll Be Waiting wohl nichts zu ergänzen (Credo In Cantus würde wahrscheinlich wieder ausgelassen werden). So bleibt das Lyric Book eine Sammlerrarität – wie die Living Room Concert-CD mit dem köstlichen Layout von it-Gründer Helmut Janisch (bestehend aus und inspiriert von Elementen früherer Artworks von Ants Alben, vergleichbar mit Helmuts Arbeit für das 2019er Rocking Horse Music Club-Projekt, und mit Fotocollagen von Ants Veröffentlichungen, handschriftlichen Noten, Fotos etc.)

Fazit

Es ist erfreulich, dass auch ein etwas exotisches Album wie dieses wiederveröffentlicht wird. Sicher keine Einsteiger-Empfehlung für Phillips-Neulinge und wohl eher etwas für Freunde der hier neu präsentierten Stücke. Diese aber lassen sich hören, haben sie doch vielfach etwas mehr Drive gegenüber den teils eher kontemplativen Urversionen und sind zudem mit Ants unnachahmlich humorvollen Ansagen gewürzt.

Autor: Andreas Lauer
Foto: Helmut Janisch

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