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Unitopia feat. Chester Thompson – Europa Tour 2023 – Bericht

Chester Thompson schloss sich vor ein paar Jahren deraustralischen Prog-Band Unitopia an – nun spielte er erstmals mit Unitopia Konzerte in Europa. Volker Warncke berichtet.

Zur Promotion ihres neuen Albums Seven Chambers hat Unitopia im September 2023 sieben Konzerte in Italien, Schweiz, Deutschland, den Niederlanden und Frankreich gespielt, von denen ich das erste, in Revislate/Veruno, und das dritte, in Reichenbach im Vogtland, besucht habe.

Die Band Unitopia gibt es seit 1996, gegründet von den beiden Australiern Mark „Truey“ Trueack (Sänger und Songschreiber, auch bei United Progressive Fraternity (UPF)) und Multi-Instrumentalist Sean Timms (Southern Empire, Damanek, UPF), der live hauptsächlich Keyboards spielt. Bis 2012 haben sie mehrere Alben veröffentlicht, darunter zuletzt Covered Mirror, das auch ein 10-minütiges Genesis-Medley enthält (mit Auszügen aus The Silent Sun, Lover’s Leap, Moonlit Knight, und dem kompletten Carpet Crawlers). Seitdem haben Mark und Sean lange Zeit nichts zusammen gemacht, aber 2021 haben sie sich wieder zusammengerauft und ein neues Album-Projekt begonnen, das in diesem Jahr in das kürzlich erschienene Album Seven Chambers mündete. Dazu kamen John Greenwood an der Gitarre, Steve Unruh an E-Geige, Flöte und Percussion, sowie Alphonso Johnson am Bass und Chester Thompson am Schlagzeug. In den letzten ca. 2 Jahren, in denen das Album aufgenommen wurde, hatten einige Mitglieder der Band schwere gesundheitliche Probleme, darunter auch Chester, der zuletzt im Sommer 2023 eine Operation hatte, was man ihm leider auch ansieht; er ist sichtlich schlanker und macht insgesamt einen durchaus gebrechlichen Eindruck, aber wenn er sich hinter seinem Schlagzeug niedergelassen hat, klingt es immer noch sehr ordentlich, auch wenn er sicher nicht mehr soviel Power hat wie früher.

Alphonso Johnson konnte dann leider nicht mit auf diese Tournee kommen; für ihn ist Don Schiff eingesprungen (Details).

Das ganze Seven Chambers-Album befasst sich in mehreren Songs sehr direkt mit verschiedenen schweren Krankheiten, was Mark Trueack auch in seinen Ansagen bei den Konzerten deutlich macht; zudem ist John Greenwood auch selber Arzt und bezieht sich in seiner Ansage für Stroke of Midnight auf ein Erlebnis aus seiner Arbeit in einem Krankenhaus. Stroke hat hier auch tatsächlich die Doppelbedeutung von Schlag (der Uhr) und Schlaganfall.

Broken Heart hat dann auch so eine Doppelbedeutung: man denkt vom Titel her, es ist mal wieder so ein Love-Song, aber es geht darin um einen Herzinfarkt, den einer der Band-Mitlgieder erlebt hat. Am Anfang des Songs hört man im Hintergrund übrigens den charakteristischen Roland-Drum-Machine-Sound, den wir z.B. von Duchess kennen (zur Verdeutlichung).

Für Tesla (vom Album Artificial von 2010) gibt es dann die unvermeidliche „audience participation time“ (obwohl es nicht so genannt wird), wo Mark das Publikum bittet, den Refrain „We are, we are, all parts of the whole, all parts of the whole“möglichst laut mitzusingen, um es dann an der richtigen Stelle im Song selber parat zu haben, was auch jedesmal gut klappt. Unitopia hat als Band schon immer die Themen Spiritualität, Universalismus und Umweltbewusstsein betont, und das All Parts of the Whole erinnert mich doch irgendwie an „I’m just a part of everything“ eines gewissen Herrn Gabriel aus seinem Song i/o.

The Garden (vom gleichnamigen Album von 2008 und eingeleitet von einer Art Dschungel-Flöte, die Tierfreunde vielleicht aus der Fernsehsendung „Elefant, Tiger & Co.“ kennen…) kommt besonders das spirituelle Umwelt-Thema zur Sprache. Das ist als Anfang der Show auf jeden Fall gut geeignet, um das Publikum in den richtigen „Spirit“ einzuführen. Dazu tragen auch die durchgehenden Hintergrundprojektionen bei, die besonders auf dem Festival in Italien mit der großen und sehr hellen LED-Wand zum Tragen kamen. Das Stück erinnert zum Ende hin schon sehr an die letzten Minuten von Supper’s Ready, so ca. ab „Can’t you feel our souls ignite“; da ist fast die komplette Melodielinie gleich und die Gitarrenparts passen dann auch sehr gut dazu.

Als Zugabe funktioniert The Great Reward (auch vom Album Artificial von 2010) ebenfalls bestens; man könnte sagen, proggiger geht’s wirklich nicht mehr, mit dem Gesang und der Melodie, welche praktisch direkt von Neal Morse stammen könnten, und dem instrumentalen Schlussteil inklusive E-Geigen-Solo, das diese Melodien entsprechend variiert.

Bis auf das erste und die letzten beiden Stücke bei den beiden Shows, die ich gesehen habe, sind alle Songs vom aktuellen Album. Auf den anderen Konzerten haben sie teilweise auch noch Bittersweet und Something Invisible gespielt, aber die beiden Shows in Revislate und Reichenbach hatten die gleiche Setlist. Somit haben wir hier also den Seven Chambers-Block im Set, der von Mark mit dem Hinweis auf alle möglichen Krankheiten einiger ihrer Mitglieder eingeführt wird – wobei er den Spruch „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ eher ablehnend erwähnt, und ihn umdichtet in „Was uns nicht umbringt, macht uns lauter!“

Die meisten Locations auf dieser Tournee sind defintiv die wohlbekannten „Prog-Tempel“, wie in Reichenbach, Aschaffenburg, Zoetermeer, Pratteln und natürlich das Festival in Italien mit „Prog“ im Namen. Und doch gab es von den äußeren Bedingungen große Unterschiede zwischen den Konzerten. Am größten und auch für die Band am beeindruckendsten war logischerweise die erste Show, in Revislate, eine große Open Air-Bühne mit gut 1200 Zuschauern, die sehr dankbar auf die Darbietung reagierten. Auch die Art und Weise, wie die Künstler dort hinter der Bühne behandelt werden, wird durchgehend gelobt. Auch mit der Technik gab es offenbar keine allzugroßen Probleme, obwohl so etwas auf einem Festival mit kaum einer halben Stunde zwischen zwei Acts erfahrungsgemäß eher schwierig ist. In Reichenbach war es dann doch alles etwas anders. Das Neuberinhaus dort ist ein kleines Theater mit Balkon, das klassische Stadttheater einer Kleinstadt, würde ich sagen. Auf dem Ticket steht „Platzwahl frei“. Als ich dann dort ankam, musste ich allerdings feststellen, dass das Konzert gar nicht im Großen Saal stattfinden würde, sondern kurzfristig in einen kleinen Nebensaal im ersten Stock verlegt wurde. Dort gab es keine Bestuhlung, außer einzelne Stühle direkt an den Wänden, und die Bühne ist natürlich wesentlich kleiner und nur ca. 30 cm hoch, so dass man während des Konzerts bei normaler Körpergröße kaum etwas von den Musikern auf der Bühne sehen konnte. Der Veranstalter vor Ort, Uwe Treitinger, bekannt als Chef des Bergkellers in Reichenbach. Das Wohnzimmer des Prog“), hielt denn auch zu Beginn eine kurze Ansprache, um das zu erklären. Es liegt, mal wieder, am Geld – die Saalmiete für den großen Saal liegt um mehrere Tausend Euro über der Miete für den kleinen Saal, und aufgrund des Vorverkaufs hätte er andernfalls massiv drauflegen müssen. Ich kann Publikumsgrößen immer schwer schätzen, aber ich würde sagen, es waren nicht mehr als 150 – 250 Besucher da. Uwe erwähnte auch, dass Big Big Train einige Tage zuvor in Pratteln nur 80 Besucher gehabt hätte [was nicht stimmt, es waren gut 250 zahlende Gäste], während Unitopia dort, ebenfalls nur einige Tage zuvor, deutlich mehr Besucher gehabt habe. Allerdings hatte Big Big Train kurz zuvor auch im Neuberinhaus gespielt, und zwar im großen Saal, wobei man sagen muss, die hätten auf der Bühne im kleinen Saal sowieso keinen Platz gehabt. Wie viele Besucher sie dort hatten, weiß ich allerdings nicht.

Das Konzert von Unitopia dauerte sogar etwas länger als geplant, allerdings lag das an technischen Problemen mit dem Monitor-In-Ear-Sound der Musiker, die erst während des ersten Stücks nach und nach gelöst werden konnten. Deswegen haben sie The Garden gleich zweimal unterbrochen und einen kompletten Monitor-Soundcheck durchgeführt, bis es wieder einigermaßen ging. Mark bat das Publikum mehrfach um Verständnis für die Verzögerung und es hatte keiner ein Problem damit.

So eine kurze Tournee von Musikern aus verschiedenen Ländern, darunter USA, Großbritannien und Australien, kann man nachvollziehbarerweise wohl eher nicht als Gelddruckmaschine bezeichnen – ich weiß zwar nicht, ob es ihnen auch finanziell etwas gebracht hat, aber künstlerisch war es für uns auf jeden Fall äußerst wertvoll. Fans der 70er-Jahre Genesis können diese Musik eigentlich gar nicht wirklich schlecht finden!

Obwohl Chester Thompson selber auch gerade ein neues Album an den Start bringt, gab es auf dieser Tournee nichts davon zu hören. Es hätte sicher niemand im Publikum was dagegen gehabt, aber vom Stil her geht es natürlich eher in Richtung Jazzrock. Hier gibt es ein aktuelles Interview mit ihm.

Nicht verschweigen möchte ich die Vorband von Unitopia in Reichenbach, Marek Arnold und Manuel Schmid. Die beiden stammen aus der Gegend und waren nur bei diesem Konzert von Unitopia dabei. Marek hat auch schon bei UPF mitgewirkt und auf seinem neuen AlbumArtrock Project ist Steve Unruh als Gast vertreten. Die beiden spielten einige ihrer eigenen Stücke sowie Klassiker von z.B. City, mit Marek an Keyboards und Klarinette und Manuel an Keyboards und Gesang. Sie sind in der deutschen Prog-Szene sehr umtriebig und wer sie noch nicht kennt, kann sich hier umsehen.

Man muss sagen, sie hatten als „Lokalgrößen“ ähnlich großen Applaus wie Unitopia selber!

Hinterher waren alle Musiker noch eine Zeitlang für Autogramme und Gespräche verfügbar, auch Chester, der mal sitzend, mal stehend, alle Autogramm- und Fotowünsche geduldig erfüllte.

Setlist:

Revislate, 2 Days of Prog + 1, 3. September, 2023
Reichenbach, Neuberinhaus, 9. September, 2023

The Garden
Broken Heart
The Stroke of Midnight
Mania
The Uncertain
Tesla
The Great Reward

Weiterführende Links:

Unitopia WebsiteUnitopia bei Bandcamp
Informationen zum neuen Studioalbum Seven Chambers könnt ihr dieser Newsmeldung entnehmen.
Autor und Fotos: Volker Warncke