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Un ange passe – Konzertbericht 7. Mai 1973 Paris

In der gleichen Ausgabe wie das Interview erschien 1973 im Musikmagazin Rock & Folk ein Konzertbericht über das Konzert am 07. Mai 1973 in Paris.

Peter Hammill, ehemaliger Leadsänger von Van der Graaf Generator, eröffnete das Genesis-Konzert im Olympia am 7. Mai. Für Hammill, der uns in die glorreichen Zeiten der aufgelösten Band zurückversetzen sollte, fing alles gut an, denn er wurde mit stehenden Ovationen auf der Bühne begrüßt. Aber es war ein ganz anderer Weg, den er an diesem Abend einschlug: mit seiner großartigen Stimme, intensiv und dramatisch, präsentierte er einige Balladen, auf der Gitarre oder dem Klavier, mit schönen, einfachen Melodien, aber einem Mangel an Ausdruck (auch wenn nie der Eindruck von Leere entstand, denn sein Stimmumfang erlaubte es ihm, die Nuancen unendlich zu variieren, vom Flüstern bis zum Schreien, von der Sanftheit bis zur Revolte).

Damit eine solche Musik kommunizieren kann, braucht sie ein Klima großer Intimität/Vertrautheit zwischen dem Künstler und dem Publikum, den gemeinsamen Wunsch nach etwas anderem, das Erlernen einer stillen Schönheit…

Aber Genesis wurde erwartet und Van der Graaf wurde vermisst. Also gab es Buhrufe, das idiotische Gejohle pubertierender Schuljungen, die übliche Konfrontation zwischen denen, die es lieben, und denen, die diesen Kerl loswerden wollen (Halt die Klappe – du zuerst – wenn es dir nicht gefällt, dann geh raus – halt die Klappe… und wir fangen wieder von vorne an), die mittelmäßige Zufriedenheit des anonymen Schreihalses (es ist so viel weniger riskant, wenn der Saal dunkel ist und man von seinen netten kleinen Freunden umgeben ist…). Dieser abscheuliche Fanatismus, diese Praxis der engstirnigen und systematischen Verweigerung, muss ein für alle Mal ein Ende haben.

Peter Hammill hat bewusst eine bestimmte Stimmung gewählt (die der Ballade), in dem die Ähnlichkeit der Melodien und Rhythmen den Eindruck einer Wiederholung erwecken könnte – aber wissen wir nicht, wie einsam es auf der Bühne sein kann?

Nach dem letzten Lied ging er sehr schnell weg, mit dem Rücken zum Publikum, ohne ein Wort oder einen Blick … das ist peinlich.

Im Halbdunkel leuchteten nur die weiß umrandeten Augen von Peter Gabriel, zwei faszinierende glitzernde Lichtpunkte, eine beunruhigende Präsenz, ein geheimnisvolles Unbehagen.

Der kleine Engel ist da, mit seinen Kostümen (schwarz oder weiß), seinen Masken, seinem charmanten Akzent, mit dem er die Songs vorstellt, seinen Alice-Cooper-Allüren, seiner dionysischen Flöte und seinem Tamburin…

Eine Show, in der die Farben ein integraler Bestandteil der Musik sind, Lichteffekte, die sich im Rhythmus der Texte entwickeln. Während Peter Gabriel von einem Ende der Bühne zum anderen wandert, bleibt die Band bewegungslos: Steve Hackett sitzt brav in seiner Ecke und passt mit größter Sorgfalt auf, dass er nicht das falsche Pedal bedient, Tony Banks sitzt gegenüber und drückt in aller Ruhe große Akkorde (ein Augenzwinkern an Emerson).
Die Musik ist kräftig, kantig, direkt suggestiv (Bedeutung der erzählten Geschichten), starker Gesamteindruck, perfektes Gleichgewicht zwischen Gesang und Instrumentierung…

Aber Gabriels berühmtes Spiel auf der Bühne erschien mir schon bald nicht mehr so überzeugend, als wollte man sagen: Manchmal hatte man den Eindruck, dass er nicht mehr wusste, was er tun sollte; das Hantieren mit dem Mikrofon (natürlich phallisch), die Posen, die er machte, und die Pseudo-Erotik. Erotik und Dekadenz, das wird langsam zu viel, zumal an diesem Abend alles sehr naiv und letztlich sehr sauber und brav war…

Eine Parodie auf Alice Cooper? Ja, aber dann die des armen Mannes… Die Steifheit von Steve Hacketts Spiel hingegen war eher peinlich, und abgesehen vom Klang (breit und tief, offensichtliche Auswirkung der Verstärkerarbeit) ist der Weg von ihm zu Fripp noch weit.

Supper’s Ready, eine Maske in Form einer Blume, ein Feuerball, eine Erinnerung an die gesamte neue englische Schule (von King Crimson bis Van der Graaf), mittelalterliche und elektrische Märchen, kurzum.

Genesis trat also auf, aber der schwarze Engel war blass, nett und wurde mit Muttermilch statt mit unerlaubten Substanzen gefüttert.

Hat das Genesis-Theater am 7. Mai eine Pause eingelegt?

JEAN-CHRISTOPHE LEVINSON
Übersetzung: Paul Herlitzschka
Medien: Thierry Rael Demilin