- Artikel
- Lesezeit ca. 3 Minuten
TWR100 – Das Jubiläumsheft des Fanclubs The Waiting Room – Bewertung
Der englische Fanclub The Waiting Room feierte letztes Jahr sein 30jähriges Bestehen. Gleichzeitig wurde die 100, Ausgabe des Magazins, das seit geraumer Zeit nur noch digital angeboten wird, in Form einer gedruckten Sonderausgabe zelebriert. Martin Antes, bekennender Freund des gedruckten Wortes, hat sich damit auseinandergesetzt.
Nun ist es da, das angekündigte Jubiläumsheft Nr. 100 des The Waiting Room anlässlich des 30. Geburtstags des englischen Genesis-Fanclubs. Das sind zwei schöne runde Zahlen und darum durfte man gespannt sein, was sich Alan Hewitt – ebenfalls seit 30 Jahren der große Kopf des Vereins – hat einfallen lassen. Der stolze Preis (20 £ – ca. 23 Euro) für diese Sonderausgabe ließ ja erwarten, dass es sich um etwas ganz Spezielles handeln muss …
Das Heft macht erst mal einen guten Eindruck: A4-Format, ein fast schon zu robuster Einband, 40 Seiten Umfang, komplett vierfarbig gedruckt und ganz hübsch layoutet. Im Vergleich zu den letzten gedruckten Ausgaben des Waiting Roombefinden wir uns hier in einem völlig anderen Universum. Würde der Waiting Room alle paar Monate regelmäßig so ein Heft herausbringen, wäre das eine gute Sache. Aber dem ist ja leider nicht so. „The Genesis Web Fanzine“, wie man sich selbst nennt, ist eine sehr einfach gestrickte Internetpräsenz, optisch und technisch auf dem Stand von vorgestern – umso mehr überrascht das Jubiläumsheft.
Die Auflage beträgt 100 Stück, was mir doch sehr wenige Exemplare zu sein scheinen – schließlich ist der englische Fanclub seit 30 Jahren aktiv. Allerdings waren die Vermarktung und auch der Bestellvorgang über Facebook und via Persönliche Nachrichten an Alan wenig professionell und schien sich eine ganze Weile hinzuziehen. Im deutschen Fanclub wurde das Sonderheft zum 20. Jubiläum dagegen auf der Website angeboten und war seinerzeit schnell ausverkauft.
Zum Inhalt des Heftes gibt es relativ wenig zu sagen. Einem Vorwort von Alan Hewitt, das leider mit Rechtschreibfehlern gespickt ist, folgen ein paar kurzgefasste News von Frühling 2017 (Druck des Heftes war September 2017 und Versand im Oktober/November!). Danach füllen diverse Artikel das Heft: zwei Konzertberichte aktueller Shows von Phil Collins und Mike & The Mechanics, eine Albumrezension zu John Hacketts 2016er Soloalbum Another Life, ein Feature über einen jungen italienischen Genesis-Fan, ein Bericht, der schwer zu beschreiben ist … irgendein Genesis-Fan aus den USA schreibt in ein paar Sätzen, was er von Peter Gabriels ersten beiden Alben hält (gab es hier nicht etwas sinnvolleres in den Archiven des TWR?), dann Teil 2 (?!) eines Interviews von Media America Radio mit Phil, Tony und Mike von 1988 (warum ausgerechnet dies aus dem Archiv geholt wurde, ist völlig unklar) und eine Vielzahl von Artikeln rund um Steve Hackett. Dabei fällt auf, dass wirklich der Schwerpunkt dieses Heftes massiv auf Hackett liegt: vier Seiten Making of Hackett-Videoclips, zehn Seiten Interview mit Steve, vier Seiten Interview mit Hackett-Drummer Gary O’Toole, vier Seiten über einige von Steves Konzerten im UK 2017 und zwei Seiten über Steves Show am 7. April 2017 in Drammen, Norwegen – also 24 Seiten insgesamt von 40, was ja erst mal nichts Negatives bedeutet, aber …
Wenn man anlässlich eines dreißigjährigen Jubiläums ein Sonderheft macht und wenn das sogar das erste Sonderheft und die erste besondere Jubiläumsaktivität eines Fanclubs ist, dann sollte einem doch schon etwas Besseres einfallen, als einfach nur aktuelle Standardartikel und -rezensionen (plus ein paar überflüssige Lückenfüller) ausnahmsweise nicht online sondern als Druckwerk zu publizieren. Da wäre so viel mehr drin gewesen … zum Beispiel ein Bericht über 30 Jahre Fanclubarbeit des The Waiting Room, eine Liste mit allen Leuten, die man interviewt hat, Fotos aus 30 Jahren, kurze Statements von Lesern, Grüße von Bandmitgliedern und den diversen Managements und noch vieles mehr. Worin liegt der Sinn, ein einziges hübsches Heft mit aktuellem Material zu füllen statt auf das Jubiläum einzugehen und den Fans etwas in die Hand zu geben, dass belegt, worin die Stärken des Fanclubs lagen und was seine Arbeit ausmacht? Gibt es in dieser Beziehung nicht viel zu erwähnen? In einer Welt, in der es moderne Websites rund um Genesis mit allem Drum und Dran gibt, mit Datenbanken und Foren, in der andere Genesis-Fanclubs (Italien, Deutschland) regelmäßig Clubtreffen und Events organisieren, in der so mancher Fanclub seit Jahrzehnten drei- bis viermal im Jahr ein gedrucktes Heft herausbringt, das mindestens auf dem gleichen Niveau ist wie das TWR-Sonderheft. Da sollte es doch möglich sein, ähnliches anzubieten?
20 £ Vorauszahlung für The Waiting Room #100 zu verlangen und dann so ein nettes aber völlig unspektakuläres Produkt abzuliefern, wird diesem Anlass einfach nicht gerecht. Während andere Fanclubs eher still aber stilvoll arbeiten und ihre Jubiläen angemessen begehen, kommt aus England dagegen leider sehr wenig. Ich habe nicht viel erwartet und bin daher zumindest positiv von der Optik des TWR#100 überrascht. Aber unterm Strich wäre doch sehr viel mehr machbar gewesen. Auch die beiden Originalautogramme von Anthony Phillips und Steve Hackett im Heft rechtfertigen nicht dessen überzogen Preis. Schade, 30 Jahre im Wartezimmer und dann so etwas …
Autor: Martin Antes