- Artikel
- Lesezeit ca. 4 Minuten
Tony Levin – Waters Of Eden – Album Rezension
Im Jahr 2000, fünf Jahre nach World Diary, veröffentlichte Tony Levin sein zweites Soloalbum Waters Of Eden. Harald Köhncke schaut genauer hin.
Im Jahr 2000 – fünf Jahre nach World Diary – veröffentlichte Tony Levin sein zweites Soloalbum Waters Of Eden. Warum brauchte er so lange dafür? Vermutlich, weil diverse Projekte (From The Caves Of The Iron Mountain; Bozzio Levin Stevens; Bruford Levin – Upper Extremities; Liquid Tension Experiment; Crimson ProjeKcts) ihn beanspruchten und natürlich auch, weil er in der Zwischenzeit auf über 50 Veröffentlichungen als Sideman zu hören war.
Während World Diary ein improvisativer Schnellschuss mit Weltmusikeinschlag war, ist das „Konzept“ dieses Albums ein ganz anderes: zwar sieht Tony Levin auf dem Cover mit seinen (selbst erfundenen) Funk Fingers, dem ärmellosen Shirt und der Glatze sehr martialisch aus, im Gegensatz dazu werden musikalisch Cello und Bass in ruhigen Songs mit Klassikeinflüssen in den Mittelpunkt gestellt. Es sei daher schon vorweg genommen, dass keine crimson’schen Momente auf dieser CD zu finden sind und sie manchem Hörer zu ruhig und relaxed erscheinen könnte. Und genau dies hat Levin sich selbst einige Jahre später angekreidet. Auf der anderen Seite könnte gerade die ruhige Stimmung manchem Peter Gabriel-Fan gefallen.
Die auf Waters Of Eden vertretenen Musiker sind teilweise aus anderen Zusammenarbeiten mit Levin bekannt: Larry Fastam Synthesizer (ex-Peter Gabriel); Jerry Marotta am Schlagzeug (ex-Gabriel und im Berg mit Levin); Steve Gorn spielt Flöte (auch in den Eisenbergen dabei); David Sancious ist an Tasteninstrumenten zu hören (auch mal live bei Peter Gabriel); David Torn spielt Gitarre und Oud (bei den Upper Extremities mit dabei).
Neu im Zusammenhang mit Tony Levin ist Jeff Pevar als Gitarrist (der aber auf der Tour zum Album schon von Jesse Gress ersetzt wurde).
In vielen Songs von Waters Of Eden ist ein Weltmusikanteil vorhanden, aber er äußert sich weniger in fetten Percussions, sondern eher in Stimmungen und ein paar exotischen Instrumenten (s.o.). Außerdem sind die Drums nicht gerade das, was man von modernen Rockbands so hört, denn Jerry Marotta hat einen Hang dazu „native drums“ mit einzubauen.
Beides ist gut beim einleitenden Song Bone And Flesh zu hören. Rumpeliges Getrommel, ein verzerrtes Cello und für Larry Fast nicht untypische Keyboards dominieren die Musik, erzeugen eine Art schwüle Sommernachtsstimmung mit Erwartung in der Luft. Die Flöte und David Torns geloopte Gitarren spielen hier eine untergeordnete Rolle. Eigentlich sollte auch Shankar auf Bone And Flesh spielen, aber dann merkte Levin, dass er das Cello so eingespielt hatte, dass keine Violine mehr nötig war.
Der Grundton der Platte ist ruhig und dies wird von der offensiven Benutzung des viersaitigen Tieftöners (und des schon erwähnten Cellos) noch unterstrichen. Die Musik hat einen deutlichen Klassik-Touch und ist nicht als Rock einzuordnen. So beginnt der Titelsong mit den akustischen Gitarren des California Guitar Trio, die Levin von einer Tour mit King Crimson kannte. Dazu kommt ein feines Piano und obendrauf mehrere Spuren an Cello und Bass.
Gecko Walkist eines des wenigen Lieder, das die Gitarre mehr in den Vordergrund stellt. Von surrenden Synths begleitet, darf sie sogar solieren und somit ist der Song am nächsten dran an einem poppigen Rocksong.
Auf Belle spielen Tony und sein Bruder Pete zu zweit, wie sie es schon als Kinder getan haben. Das Stück ist der Mutter der beiden gewidmet und mit ihm greifen sie die Tradition auf, für den Geburtstag ihrer Mutter jedes Jahr ein Duett zu spielen. Klavier und Bass reichen völlig, um eine träumerische Atmosphäre zu weben. Das würde sich sogar gut als Filmsoundtrack eignen, doch andererseits ist es zu wenig Hintergrundmusik und die Fertigkeit der Musiker ist zu hoch, um tatsächlich „bloß“ ein Soundtrack zu sein.
Bei Boulevard Of Dreams ist Warren Bernhardt am Piano zu hören, den Levin aus seiner Zeit mit Mike Mainieri kennt. Nur der (elektrische) Bass gesellt sich als weiteres Instrument hinzu und damit kommt das Stück klassischer Musik so nahe wie kein anderer Track.
Eine akustische Gitarre trifft in Opal Road auf flirrende Synthies und den dominanten, einschmeichelnden Bass. Dadurch zeigt sich der Song sehr schön ausgewogen zwischen altmodisch und modern und im Hintergrund gibt es noch weitere Instrumente zu entdecken.
Zum Schluss kommen wir in Utopia an und das geleitet uns sanft im (fast) Pop/Rock-Gewand zum Ende der CD. Mancher mag finden, dass zu wenig passiert in diesem Stück und natürlich hätte man alle Akkorde und Riffs und das Solo in einem nur halb so langen Song unterbringen können. Doch das wäre dann zu hastig für den Gesamtkontext von Waters Of Eden. Auf seinem Album Resonator (2006) hat Levin aber genau dies versucht und Utopia neu aufgenommen. Er singt sogar dazu. Dabei sind die Akkorde, Riffs und das (etwas andere) Solo noch immer sehr schön, trotzdem halte ich die ältere Version für deutlich überlegen zur neueren.
Waters Of Eden hört sich unheimlich geschlossen an. Ich finde, es ist eine betörende Scheibe, die ich immer wieder mal aus dem Regal ziehe, obwohl dort noch so vieles anderes steht. Ich habe einfach keine andere Platte, die zu dieser ähnlich wäre. Tony Levins eigene Beschreibung der Musik auf der Rückseite der CD lautet: „passionate, meaningful music“ – und die trifft voll ins Schwarze!
Erschienen ist die CD bei Narada, welches von Wikipedia als Label mit Veröffentlichungen in Weltmusik, Jazz, Akustikgitarre u.a. gekennzeichnet wird. Außerdem hatte Narada bis 2008 die amerikanische Real World Lizenz (Peter Gabriels Label).
Drei der Songs sind in anderen Versionen auch auf dem Livealbum Double Espresso (2002) zu hören.
Man kann die Musik auf Tony Levins Bandcamp-Seite hören und auch bestellen.
Quellen: Booklet zur CD; Tony Levins Homepage; Wikipedia
Autor: Harald Köhncke (Juli 2019)