- Artikel
- Lesezeit ca. 3 Minuten
Tony Levin – Pieces Of The Sun (2002) – Rezension
2002 erschien mit Pieces Of The Sun ein sehr homogenes Werk von Tony Levin. Harald Köhncke blickt 18 Jahren später darauf zurück.
Nach seinem vorherigen Soloalbum Waters Of Eden hatte Tony Levin insgesamt weniger zu tun. Es gab für ihn immer noch diverse Studiojobs, aber er war raus aus King Crimson, Peter Gabriel tourte gerade nicht und an anderen Projekten kam erst 2001 eine Zusammenarbeit mit dem California Guitar Trio (CG3+2) zustande.
Somit dauerte es diesmal weniger lange, bis seine nächste Soloveröffentlichung erschien. Und es ist nicht mehr so ein richtiges Soloalbum. Bei der Tour zu Waters Of Eden hatte Levin neben den bekannten Kollegen Jerry Marotta (Schlagzeug) und Larry Fast (Synthesizers) als Gitarristen auf Jesse Gress (bekannt von Todd Rundgren ab Ende der 90er) zurückgegriffen und diese drei bildeten nun auch seine Studioband. Keines der vorherigen Soloalben war von einem festen Team aufgenommen worden und folgerichtig taufte Levin die ganze Sache mit der anschließenden Tour dann „Tony Levin Band“.
Tatsächlich sind die genannten Musiker auf jedem Song des Albums dabei. Immerhin zwei Lieder wurden von allen Musikern gemeinsam komponiert, eines von Levin mit Marotta zusammen. Dazu gibt es eine neue Version des Klassikers Tequila von The Champs, ein Update des 1978 von Larry Fast veröffentlichten Stücks Phobos und ein Cover des unveröffentlichten Peter Gabriel-Songs Dog One.
Zu erwähnen ist auch noch, dass es sich nahezu um ein Instrumentalalbum handelt. Nur in Songs ist ein wenig Sprechgesang zu hören.
Tatsächlich klingt die Scheibe erstaunlich einheitlich. Für mein Gefühl haben alle von Levins ersten Alben eine Art roten Faden, der Inhalt und Sound bestimmt. Bei World Diary war es Vielfalt und Weltmusik, bei Waters Of Eden die Möglichkeiten, klassische Musik und Rock mithilfe des Cellos und Bass? miteinander zu verbinden. Und bei Pieces Of The Sun ist es thematisch unser Sonnensystem und musikalisch ein sehr synthesizerlastiger, moderner Progrocksound. Ob dies eine Folge davon war, dass von den Mitstreitern Larry Fast am meisten zu sagen hatte oder ob es ein Grundgedanke gewesen ist, ist unbekannt.
Auf dem Frontcover der CD sehen wir ein bzw. mehrere verfremdete Fotos der Sonne. Das passt zum Titel der Scheibe, wirkt aber mit zu viel Rot und einer un-günstigen Bildaufteilung eher abschreckend.
Apollo startet das Album ganz anders, als man es von den vorherigen Platten kennt: Synthies und Gitarre leiten den Song ein und auch wenn dann kurz darauf der Stick (& Bass) einsetzt, lässt sich ein proggig-avantgardistischer Eindruck nicht leugnen. Das California Guitar Trio bereichert die Sache als Gast um einen länge-ren Akustikteil, der nur teilweise mit einer E-Gitarre angereichert wird. Am Ende wird das eingängige Thema das Anfangs wieder aufgegriffen. Ein sehr abwechslungs-reiches und spannendes Stück Musik.
Im Anschluss daran kann man bei Geronimo bereits die ersten akustischen Keime von Levins späterer Band Stick Men hören, auch wenn hier zusätzlich zum Stick noch eine Gitarre dabei ist.
Dog Onelässt tatsächlich den Songwriter Gabriel erkennen. Einzuordnen ist es wohl bei der dritten oder vierten Studioplatte. Der Text beschränkt sich auf den Songtitel, das New Wave-Feeling wurde bei Levin etwas abgemildert, aber trotzdem ist dieses Lied die ideale Spielwiese für Stick-Sounds und Larry Fasts Keyboarduntermalung. Anzumerken sei noch, dass Dog Onetrotz des ähnlichen Titels nichts mit der B-Seite Soft Dog zu tun hat.
Tequila ist kaum wieder zu erkennen, aber sehr cool. Eine moderne Lounge-Version. Danach bringt das mächtige Titelstück Larry Fast und den Prog voll nach vorne. Eine Mischung aus Synergy, FM (Kanada) und eben Levin. Sehr cool! Es geht gleich weiter, während Phobos hat Fast noch mehr zu sagen, das passt aber gut in den Kontext der CD. Am Schluss kommen intensive Gitarren- und Drumattacken! Bei Ooze ist Larry Fast hingegen nicht dabei und sogleich hört sich die Sache sehr stark nach Levins erster und zweiter Soloscheibe an. Gut, aber im Rahmen dieses Albums etwas ungewöhnlich.
Dann wird es in The Fifth Man crimsonesk, denn Stick und andere Instrumente er-innern an die 80er Phase von King Crimson. Im Verlauf des Songs gibt es aber eine Richtungsänderung und wir sind wieder vollkommen im Einklang mit den ersten Liedern dieses Longplayers.
Anschließend geht es weiter, indem zunächst Cello bzw. Stick und Piano den Song Ever The Sun Will Rise dominieren. Dieses eindringliche Stück ist ein Highlight der Platte, bei dem nach dreieinhalb Minuten ein krasser Stilwechsel stattfindet und fette Synthies einsetzen. Mit knapp über neun Minuten der Longtrack der CD.
Insgesamt gesehen ist dies sowohl diejenige Soloscheibe von Tony Levin, die am meisten Synthesizer beinhaltet, als auch seine am ehesten dem Prog zuzuordnende Platte. Einige Neo-Klassik Elemente sind vorhanden, ebenso wie kleinere avantgardistische Crimson-Einflüsse, aber im Wesentlichen ist es ein Amalgam aus Levins Ideen und denen Larry Fasts.
Nachdem das Album mit einer ausgedehnten Tour präsentiert wurde, erschien dann auch Levins erstes Livealbum: Double Espresso läuft unter Tony Levin Band und haucht den Songs von Pieces Of The Sun ordentlich Leben ein. Wem also (nachvollziehbar) das Studioalbum etwas zu steif und undynamisch sein sollte, der kann mit besagter Doppel-CD neue, spannende Versionen der meisten Songs – und anderer – kennen lernen.
Autor: Harald Köhncke (November 2020)