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Tony Levin – Bringing It Down To The Bass – Rezension
2024 veröffentlichte Tony Levin wieder ein Soloalbum: Auf Bringing It Down To The Bass tummeln sich auch prominente Kollegen.
Tony Levins bis vor Kurzem letztes Soloalbum trägt den Titel Stick Man und ist von 2007. Das ist lange her. Warum hat das nun erschienene Album so lange gebraucht, kann man sich fragen, gar vermuten, der Mann sei faul gewesen.
Das Gegenteil ist der Fall. Stick Man brachte die Gruppe STICK MEN hervor, mit der Levin nicht nur vier Studioalben, zwei EPs und reichlich Liveaufnahmen herausbrachte, sondern auch – die Livealben lassen es vermuten – fast unentwegt rund um den Globus tourte.
Natürlich hat er sich „nebenbei“ weiterhin als Studiomusiker verdingt. Entscheidender für 17 Jahre Pause ist neben den Stick Men aber seine Beteiligung an diversen Touren von Peter Gabriel (2007, 2009, 2012-14, 2016, 2023) und King Crimson (2008, 2014-2021).
Auch bei Eddie Jobsons Ultimate Zero Projekt war er zeitweise dabei und mit seinem eigenen „Crimson Projekct“ (ein Zusammenschluss von Stick Men mit der Adrian Belew Band) tourte er 2012-2014.
Nicht vergessen sollte man außerdem, dass er vor der Wiederauferstehung von King Crimson am ProjeKct-Studioalbum von 2011 beteiligt war, einen Langspieler mit David Torn und Alan White aufnahm und anschließend noch zwei Alben mit dem Projekt LMR (Levin Minnemann Rudess) einspielte. Und dann waren auch die „Levin Brothers“ – Tony und sein Bruder mit Mitmusikern – zeitweise recht aktiv.
Angesichts dieser zahlreichen „Jobs“ verwunderte es dann eher, dass überhaupt noch ein echtes Soloalbum von ihm erscheint. Jedoch, der Zeitpunkt passt: Crimson machen nichts mehr, Gabriel ist momentan nicht aktiv und bei den Stick Men scheint mehr und mehr Reuter die Regie zu übernehmen.
Der Termin ist also gut, mal nach ganz unten zum Bass runterzugehen (freie Übersetzung des Albumtitels).
Beteiligte Musiker
Dass dieses Album kein Schnellschuss ist, lässt die Liste der beteiligten Musiker sofort erkennen: so hört man an den Drums etwa Manu Katché, Jerry Marotta, Jeremy Stacey, Vinnie Colaiuta, Mike Portnoy, Steve Gadd, Pat Mastelotto – alle mit Ausnahme von Marotta bei einem Song. Nach eigener Aussage hat Levin diese Schlagzeuger gezielt für die jeweiligen Songs ausgewählt. Man kann folgern, dass die Songs zu ganz unterschiedlichen Zeiten und wahrscheinlich auch an zig verschiedenen Orten entstanden sind. Fertiggestellt wurde das Album aber erst jetzt.
Und natürlich kennt der Insider schon einige der Stücke: Fire Cross The Sky wurde bereits 2016 veröffentlicht, auch On The Drums ist bereits bekannt. Tony Levin selbst ist erwartungsgemäß am Bass zu hören, aber auch am Cello, Stick (das Instrument mit Bass- und Gitarrensaiten, das durch Tapping gespielt wird) und Klavier, außerdem singt er gelegentlich. Letzteres könnte bei dem Einen oder der Anderen Sorgen erzeugen, denn sein sehr gesangsbasiertes Album (Resonator von 2006) war letztlich schwächer als die anderen.
Die Tracks
Nun zur Musik, wobei – um die Textlänge nicht ausufern zu lassen – nicht jeder Song einzeln vorgestellt wird.
Erwartungsgemäß beginnt der Titelsong und damit das Album mit dem Bass. Doch schnell setzen Gitarre (Dominic Miller) und Schlagzeug ein und dann beginnt – ungewöhnlich für ein Soloalbum Levins – die Trompete (Chris Pasin) und danach hören wir dann bald eine Orgel. Damit erfüllt dieser Instrumentalsong die Erwartungen nicht, denn das Ergebnis ist ein jazzig angehauchtes Stück mit Reminiszenz an eine Big Band. Dieser insgesamt gar nicht mal so bassbetonte Einstieg in ein abwechslungsreiches Album schwenkt dann nach viereinhalb Minuten nochmal kurz ab zum basslastigen und von einem Saxophonsolo (Jay Collins) begleiteten Schlusspart.
Ein weiterer Song (Espressoville) mit Trompete und Posaune folgt später und ist möglicherweise für diejenigen, die diesen Instrumenten weniger zugeneigt sind, etwas anstrengend.
Mit dem zweiten Track Me And My Axe kommt für den eventuell durch den Einstieg erschrockenen Hörer (oder die Hörerin) gleich die Versöhnung: das Lied könnte genauso gut auf Pieces Of The Sun erschienen sein und das nicht nur, weil Larry Fast dabei ist. Sehr melodiös streicheln Gitarre (Steve Hunter) und Bass uns die Gehörgänge und aufmerksame Filmschaffende müssten es eigentlich gleich für einen Soundtrack engagieren. Den Songtitel kann man wohl als Ironie des in Metalkreisen wenig bekannten Protagonisten deuten.
Mit Road Dogs geht es nahtlos weiter und hier kommen zu perlenden Keyboards (diesmal Pete Levin) noch rockige Gitarren (Markus Reuter) und verzerrter Stick hinzu und getragen wird alles vom direkten Schlagzeugspiel von Jeremy Stacey. Das passt, sowohl im Song als auch an dieser Stelle des Albums. Erstmals gibt es nun auch Vocals zu hören – Gesang wäre zu viel gesagt – indem Tonys verfremdete Stimme immer wieder die Phrase ‚Road dogs‘ intoniert und am Schluss sogar ein bisschen rappt. Cool!
Song Nummer vier, Uncle Funkster, stellt Levins Stick dann ordentlich ins Rampenlicht. Hier wird in bester Stick Men-Manier, und mit Begleitung lediglich vom Schlagzeug, abgebasst. Das klingt tatsächlich etwas funky, ist aber dennoch kein Funk im eigentlichen Sinne, denn die Nähe zum Jazzrock ist ebenfalls gegeben.
Diese ersten Songs weisen den Weg für den Rest des Albums. Mal ruhiger, mal lauter, mit viel Gitarre (Earl Slick und David Torn geben sich noch die Ehre) oder doch eher mehr Bass, spielt uns Tony das ganze Spektrum seiner Kompositionskunst vor. Da wird das sanfte Cello brutal von einem sehr verzerrten Cello unterbrochen. Oder der Bassist weist im Chor mit sich selbst darauf hin, dass die erste Seite des Albums jetzt um ist. Shankars wundervolle Violine ziert das nach Levins erstem Buch (Beyond The Bass Clef) benannte Stück. Und gelegentlich werden auch mal nachdenkliche Töne angestimmt. Für den Fan klingt vieles vertraut und doch ein klein wenig anders als früher. So auch der Gesang, der überwiegend ein Sprechgesang ist und dann meistens doch keine Sorgen bereiten muss, weil er zu den jeweiligen Songs passt.
Eine Besonderheit stellt der Titel On Drums dar, bei dem gar keine Instrumente außer Tony Levins Stimme zu hören sind. Der vielstimmig gesungene Songtext besteht ausschließlich aus den Namen von Schlagzeugern, mit denen Levin irgendwann einmal gespielt hat. Das ist witzig und war wohl nach Aussage des alleinigen Sängers auch sehr arbeitsaufwendig, ohne dabei alle Drummer der ursprünglichen Liste berücksichtigen zu können. Am Ende ist es aber eine Kuriosität, die man sich wohl seltener anhören wird.
Fazit
Zusammenfassend ist Tony Levin ein sehr buntes und hörenswertes Album gelungen! Und auch wenn der Titel es suggeriert, steht der Bass oft gar nicht so sehr im Mittelpunkt, sondern die Stücke werden erst durch die anderen Instrumente zu einer runden Sache.
Tony Levin ist nun 78 Jahre alt. Er hat sein Leben dem Bass gewidmet und im Begleitkommentar auf seiner Website überlegt er selbst, wie es dazu gekommen ist. Ein Kunstwerk seines Vaters, das einen Bassisten mit seinem Instrument verschmolzen zeigt, könnte ihn unbewusst beeinflusst haben. Und mit dieser Idee ergibt sich ein weiterer Deutungsansatz des Albumtitels: alles wird am Ende zu Bass. Dieses Bild passt auch aus physikalischer Sicht, denn die (akustischen) Wellen des Basses sind besonders lang und bei Energieumwandlungsprozessen werden überwiegend kürzere Wellen in längere umgewandelt anstatt umgekehrt.
Da Levin vor der Fertigstellung des Albums an mindestens doppelt so vielen Stücken gearbeitet hatte, können wir hoffen, dass ein weiteres Album irgendwann kommen wird. Dabei sollte er sich dann aber nicht wieder 17 Jahre Zeit lassen…
Autor: Harald Köhncke
(Oktober 2024)
Fotos: Tony Levin (Websiteinfo zum Album)
Anmerkung:
Leider hat sich die Auslieferung der physischen Version dieses Albums verzögert, so dass nicht auf die Angaben im Booklet wie etwa Songtexte und Fotos der verwendeten Bässe eingegangen werden konnte.
Auch erhältlich ist das Album als Blu-Ray, die Dolby Atmos- und Surround-Mixe enthält. Diese Varianten und eine rein digitale Version können auf Tony Levins Bandcamp-Seite bestellt werden. Den Dolby Atmos Mix gibt es außerdem auch auf AppleMusic.
Album-Tracklist:
01 Bringing It Down To The Bass
02 Me And My Axe
03 Road Dogs
04 Uncle Funkster
05 Boston Rocks
06 Espresso Ville
07 Give The Cello Some
08 Turn It Over
09 Beyond The Bass Clef
10 Bungie Bass
11 Fire Cross The Sky
12 Floating In Dark Waters
13 On The Drums
14 Coda
Mitwirkende
Tony Levin (Bass, Cello, Vocals)
Manu Katche (Drums)
Jerry Marotta (Drums)
Jeremy Stacey (Drums)
Vinnie Colaiuta (Drums)
Mike Portnoy (Drums)
Steve Gadd (Drums)
Pat Mastelotto (Drums)
Dominic Miller (Guitars)
Steve Hunter (Guitars)
Earl Slick (Guitars)
Marcus Reuter (Guitars)
Joe Caro (Guitars)
David Torn (Guitars)
Pete Levin: (Keyboards)
Larry Fast (Keyboards)
Gary Husband (Keyboards)
Chris Pasin (Trumpet)
Josh Shpak (Trumpet)
Don Mikkelsen (Trombone)
Alex Foster (Alto Sax)
Jay Collins (Baritone Sax)
Shankar (Violin)
Colin Gatwood (Oboe, Horn)
Robert Fripp (Soundscape)
Linnea Olsson (Cello)
Bess Brydolf (Cello)