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Tony Banks – Still – Rezension
Kurz bevor Genesis 1991 mit ihrem Album We Can’t Dance Rekorde aufstellten, veröffentlichte Tony Banks wieder einmal weitest gehend unbemerkt ein weiteres Soloalbum. Still hatte vor allem eines: eine beachtlichte Gästeliste.
Still könnte heißen: „Ich versuche es immer noch“. Oder dass er einen bleibenden Eindruck hinterlassen will. Interpretationsmöglichkeiten gibt es viele. Fakt ist: Auch Still wurde unterschätzt und hätte Anfang der 90er eigentlich ein Hit werden müssen. Denn Still ist ein formidables Pop-Rock-Album, das einerseits direkt ist, andererseits viel Tiefgang hat und nicht leugnen kann, dass Tony Banks die treibende Kraft ist.
Wer das Album hört, entdeckt neben Tony vier weitere Sänger: Jayney Klimek, die bereits auf Bankstatement sang, Nik Kershaw, Andy Taylor und kein geringerer als Fish, mit dem Tony bereits den Song Shortcut To Somewhere aufnahm. Diese Multi-Sänger-Taktik könnte man kritisieren, es nimmt dem Album sicher ein stückweit Homogenität, aber es verleiht ihm eben auch ein gutes Stück Genialität. Gerade das Einbeziehen einer weiblichen Stimme sorgt für ein besonderes Flair.
Tony selbst singt auf dem Album einen Song, Hero For An Hour. Viele schätzen das flippige Stück als Schwachpunkt des Albums ein. Es wird nicht zu Ende gedacht, vielleicht ist es eine Art Füller. Und damit sind die Schwachstellen des Albums schon geklärt.
Fish singt zwei Songs auf dem Album Der ersten, Angel Face, ist eine typische Ballade, wie sie im progressive-Rock Genre häufiger vorkommt. der Unterschied ist, dass Tony großes Talent für Popsongs entwickelt hat. Fishs Stimme prägt die träge Ballade besonders. In den USA wurde der Song als potentieller Hit gehandelt, jedoch gab es dann doch keine Singleauskopplung, nur eine Promo.
Another Murder Of A Day ist einer jener Songs, mit denen Tony auf seinen Soloalben die Genesis-Fans verzückt. Auch hier singt Fish und ist auch als co-Autor aufgeführt. Another Murder Of A Dayfällt aus dem Schema des Albums, das im Prinzip aus sehr eingängigen Melodien besteht, etwas heraus. Es ist auch kein Song in der Art von Domino oder Burning Rope, sondern deutlich sperriger.
Nik Kershaw war eine der Ikone der 80er Jahre und feierte große Erfolge mit Hits wie The Riddleoder Wouldn’t It Be Good. Später zog er sich zurück, schrieb aber nach wie vor Songs, so wurde sein The One And Only auch ein Hit – allerdings von Chesney Hawkes. Nik singt gleich drei Songs auf Still: Red Day On Blue Street eröffnet die Platte und ist am Ende vielleicht etwas zu lang geraten für diese Art Popsong. Tony beschrieb des Song oft als sein Lieblingsstück des Albums, Nik war hier auch als Co-Autor beteiligt. I Wanna Change The Score ist ein weiterer Track mit Nik als Sänger und hier war er auch am Schreibprozess beteiligt. Der Song wurde als Single ausgekoppelt und hing irgendwann sogar im Niemannsland der deutschen Single-Charts. Der letzte Song des Albums, The Final Curtain, wird ebenfalls von Nik gesungen und ist ein würdiges wie passendes Finale für dieses Album.
Mit Andy Taylor ist auch ein eher unbekannter Sänger auf Still vertreten. Zum einen singt er den kurzweiligen Popsong The Gift, der ebenfalls als Single ausgekoppelt wurde, zum anderen prägt er den vielleicht besten Song des Albums, Still It Takes Me By Surprise. Schon alleine der Text vermittelt mit dem groben Thema „Altern“ etwas neues in Tonys Schaffen, besonders intensiv ist diese Ballade aber mehr durch Tonys Piano-Arbeit, inklusive eines langen Solos in der Mitte. Still It Takes Me By Suprise hat zu Recht dem Album seinen Namen gegeben.
Fast die gleiche Kombination von Songs singt Jayney Klimek. Zum einen die Ballade Water Out Of Wine, der Janey mit ihrer intensiven Stimme einen deutlichen Stempel aufdrückt, zum anderen den flotten Popsong Back To Back, der aber qualitativ hinter den meisten Songs des Albums etwas abfällt.
Nicht nur die Sänger bilden eine illustre Gästeliste – dazu kommen viele weitere Musiker, die sich sehen lassen können. Neben den üblichen Verdächtigen wie Daryl Stuermer (Gitarre) gibt es weitere interessante Gäste: Vinnie Colaiuta und Graham Broad am Schlagzeug, Luis Jardim an den Percussions, Martin Robinson am Saxophon und Pino Palladino am Bass. Produziert wurde Still von Nick Davis.
Rein soundtechnisch klingt Still an manchen Stellen noch etwas nach 80er Jahre, insgesamt hat es aber einen neuen, frischeren Sound, der allerdings auch herzlich wenig mit den 90ern zu tun hat.
Das Potenzial des Album war riesig. Die Gästeliste ist beachtlich, die Songs eingängig, gleich drei Singles wurden ausgekoppelt, doch es passierte weitest gehend nichts. Stillist für Neulinge im Tony Banks-Kosmos der perfekte Einstieg, bevor man sich z.B. einem Album wie A Curious Feeling widmet.
Autor: Christian Gerhardts