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Tony Banks – Interview: FIVE und anderes – Januar 2018
Im Februar erscheint das neuen Tony Banks Album FIVE. Christian Gerhardts sprach mit Tony Banks über die Hintergründe seines dritten Klassik-Albums, sole Solokarriere, Optionen für die Zukunft und die richtige Musik gegen Brexit und Trump.
Tony Banks war seit der Genesis Tour 2007 nicht untätig. Er veröffentlichte den Nachfolger seines Orchester-Debüts SEVEN, das SIX hieß und ihm wurde 2015 der „Prog God“-Award verliehen. Im gleichen Jahr schrieb er Musik für den Tenor John Potter und sein Soloschaffen wurde mit einer üppigen Werkschau namens A Chord Too Far in Szene gesetzt. Dazu sollten auch seine Soloalben nach und nach mit 5.1-Versionen neu aufgelegt werden, jedoch hörte man nach den Veröffentlichungen von A Curious Feeling und The Fugitive darüber nichts mehr. Im letzten Jahr wurde bekannt, dass Tony an einem neuen Klassik-Album arbeitet. FIVE wird nun am 23. Februar erscheinen und Christian Gerhardts hatte am 23. Januar 2018 die Gelegenheit, Tony ausführlich zu interviewen.
it: Hi Tony, ich hab das Album heute erst bekommen und konnte es somit auch erst zwei Mal hören, aber bevor wir in dein neues Album FIVE abtauchen: Der ursprüngliche Termin für die Veröffentlichung war ja der 2. Februar. War das Absicht, da sich an diesem Tag die Veröffentlichung der ersten Genesis-Single The Silent Sun zum 50. Mal jährt?
Tony (lacht): Nein, ich fürchte das war nicht der Grund, das war purer Zufall. Wir haben es ein wenig verschoben, weil die Plattenforma BMG mehr Zeit wollte für die Promotion, bevor wir es veröffentlichen. Das ist der Grund warum es nun später kommt. Aber das macht mich schon nachdenklich … 50 Jahre – eine lange Zeit!
it: Also, nach NAXOS ist BMG nun deine Plattenfirma für die klassische Musik. Wie kam es dazu? Gibt es eine neue Strategie?
Tony: Naja, die letzten beiden Orchester-Werke kamen ja bei NAXOS raus und die machen hauptsächlich Wiederveröffentlichungen von altem Material, aber keine neuen Produktionen. Sie haben einen guten Job gemacht bei diesen beiden Alben, aber BMG ist mehr eine Firma, die nach vorne arbeitet und sie waren auch sehr interessiert, dieses Album zu veröffentlichen – also dachten wir, lass es uns so machen. Vielleicht kann BMG auch mehr Promotion machen als NAXOS dies könnte.
it: Ist das ein Vertrag nur für dieses Album oder eine langfristigere Zusammenarbeit?
Tony: Es ist erst mal nur für dieses Album, aber wie das immer so ist: wenn es gut läuft, machen wir sicher noch mehr zusammen. Wir werden sehen, das ist der Plan.
it: Wir haben uns zuletzt 2015 gesprochen, als das A Chord Too Far Boxset herauskam …
Tony: Ja, richtig! Ich erinnere mich daran …
it: … und da hab ich dich gefragt, ob das nächste Klassik-Album dann wirklich FIVE heißen wird. Und du hast geantwortet: „Ich hoffe nicht“. Und nun?
Tony: Jaaaa, naja das hab ich eben gehofft (lacht). Ich hab tatsächlich überlegt, das zu vermeiden, aber es ist ja auch so: am Ende waren es eben fünf Stücke, weil meine klassischen Stücke immer länger werden – dann hab ich zwar keine Änderung, was die Gesamtspielzeit betrifft, aber eben weniger Stücke auf dem Album. Und dann dachte ich, dass ich mich dagegen nun auch nicht wehren sollte. Ich musste es FIVE nennen, das ist ja auch besser, als so zu tun, als wäre es irgendwas anderes, nur indem man einen anderen Titel wählt. Also blieben wir bei FIVE, ich will das nicht verstecken. Außerdem mag ich Zahlen. Instrumentalmusik ist ja an sich nichts, was irgendein spezifisches Thema behandelt. Eine Zahl ist eben abstrakt, da schwingen keine zusätzlichen Infos mit, Man hört nur die Musik und stellt sich nicht irgendwas vor.
it: Aber jetzt fühlt sich das irgendwie wie ein Countdown an. Müssen wir uns Sorgen machen, dass du eines Tages keine Musik mehr machst, weil nach weiteren vier Alben Schluss ist?
Tony: Ach ich freue mich auf ZERO (lacht). Das ist dann ein leeres Album – nichts drauf. Nein, ich weiß es einfach nicht. Und wer würde das schon wissen? FOUR wäre eine klassische Symphonie. Das wäre vermutlich das Werk, um aufzuhören. Aber wie gesagt, das hat sich einfach so ergeben, das war kein Konzept.
„Ich wollte vermeiden, dass die Namen der Stücke allzu bedeutungsschwanger werden“
it: Wo wir grad über die Namen der Stück sprechen – wie kommen die zustande? Einer der Tracks heißt ja zum Beispiel Prelude To A Million Years und da würde man automatisch einen weiteren Track erwarten, der nur A Million Years heißt …
Tony: Diesen Titel habe ich mir von einem amerikanischen Grafikkünstler namens Lynd Ward geliehen. Er hat zwischen den 30ern und 60er eine Reihe von Büchern gemacht, die ganz ohne Worte auskamen – Geschichten ohne Worte und ich mag seine Bücher. Und einer der Titel war Prelude To A Million Years. Ich mochte diesen Titel, auch wenn er etwas angeberisch klingt. Aber es war eine gute Art, mit dem Projekt anzufangen. Und irgendwie ist das Stück auch eine Art Einleitung für das dritte Stück auf dem Album. Der Name hat nicht irgendetwas spezifisches im Sinn, aber die Idee der Zeit und wie sie vergeht ist passend. Ich war schon sehr vorsichtig mit der Namensgebung, da ich nicht wollte, dass die Titel dann allzu bedeutungsschwanger sind. Aber es ist schon eine Art Muster darin, da gibt es dieses Vorspiel [Prelude], dann eine Art morgendliche Atmosphäre, etwas zur Tagesmitte, den Abend und die Nacht. Also gibt’s eine Art Konzept, das sich hinter den Titeln verbirgt.
it: Ein wenig erinnern mich die Stücke an Filmsoundtracks. Hattest du das beim Schreiben im Sinn?
Tony: Nein, ich schreibe einfach, was ich schreibe. Außerdem sind Film Scores unglaublich einfache Stücke Musik. Sie müssen es auch sein, da sie das eine Thema haben, das oft wiederholt wird und man alles andere drum herum aufbaut. Mag sein, dass FIVE etwas thematisches hat und vielleicht auch ein bisschen filmisch ist, aber die Idee dahinter ist eine andere: Die Stücke gehen von Ort zu Ort. Es sind eine Menge verschiedene Melodien in die Stücke eingewoben. Sie sollen auf einer Art Stimmungs-Ebene funktionieren – das jeweilige Stück soll dich durch verschiedene Stimmungen tragen. Ein wenig ist das wie bei frühen Genesis Stücken. Wir haben oft leise angefangen, wurden dann laut und dann wieder leiser – man denke nur an Supper’s Ready oder The Musical Box. Da hast du diverse Wechsel innerhalb des Stücks und das ist genau das, was mich interessiert. Und das hab ich dann auch auf FIVE gemacht.
it: Die fünf Stücke haben alle diese Wechsel zwischen atmosphärischen und dynamischen Teilen. Hast du dir beim Schreiben auch mal überlegt, sowas wie den Bolerozu machen, bei dem alles auf das große Finale hinausläuft?
Tony: Nein, Ich versuche immer diese Wechsel zu haben, aber am Ende habe ich durchaus auch die Höhepunkte, vor allem wenn die Stücke dann zum Abschluss kommen. Die meisten Enden sind sehr dramatisch. Wie zum Beispiel bei Renaissance, da starten wir sehr atmosphärisch, aber es mündet dann in einen dramatischeren Teil. Das vermittelt auch ein sehr optimistisches Gefühl, das ist fast schon ein Song. Wobei ich darüber eigentlich gar nicht so viel nachdenke. Ich mache eben was ich mache und hoffe, dass ich damit einige Leute mitnehmen kann.
„Renaissance? Ich habe keine Ahnung, wo dieser Genesis-Bezug herkommt“
it: Wo wir grad über Renaissance reden – im Promo Text heißt es, das Stück basiert auf einer Idee, die während einer Genesis-Session entstanden ist. Kannst du mir sagen, aus welcher Session die Idee stammt?
Tony: Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wo der Genesis-Bezug her kommt, es hat nämlich rein gar nichts mit Genesis zu tun. Ich hatte dieses Stück noch, das ist soweit richtig. Ich hörte mir einige ältere Sachen an, um interessante Ideen zu finden und dieses war vermutlich für einen Filmsoundtrack entstanden. Aber es war auch nur eine Minute lang und wurde so die Einleitung für Reinaissance. Und auf der Basis hab ich dann das ganze Stück aufgebaut. ich glaube ich hab es vor 30 Jahren oder so geschrieben, aber verwendet hab ich dann auch nur 20 oder 30 Sekunden. Es ist auch das jüngste Stück, das ich geschrieben habe.
it: Du hast dieses Album „stückchenweise“ aufgenommen. Ist das nicht etwas schwierig, bei einem Orchesterwerk das große Ganze im Blick zu halten, wenn man so arbeitet?
Tony: Nein im Gegenteil, es ist viel einfacher, alles im Blick zu behalten. Ich habe ziemlich umfassende Demos aller Stücke angefertigt, die klingen schon den finalen Versionen recht ähnlich. Tatsächlich haben meine Demos als eine Art Schablone für die Stücke funktioniert. Zum Beispiel ist das Klavier auf den Stücken genau das, das ich für die Demos aufgenommen hatte. Wir haben das als Basis genutzt und haben gewissermaßen alles andere oben drauf gesetzt. Meine Demos war also das Gerüst, gegen das alle anderen Instrumente „angespielt“ haben. Beispielsweise die Trompete in Reveille, der Solist hat dann einfach auf die Demos reagiert, als er es einspielte. So konnten wir auch einfach und schnell prüfen, ob sich das gut ins Gesamtgefüge einfügt. Und dann haben wir nur noch Nuancen angepasst, bis es dann alles rund war. So kann man viel einfacher arbeiten. Man darf auch nicht vergessen: Das ist ja Musik, die noch nie jemand zuvor gemacht hat. Und das Orchester hat sie auch noch nie gespielt. Bei den letzten beiden Alben kamen wir ins Studio und das Orchester kannte schlicht die Musik nicht. Da verbringst du erstmal die erste Stunde damit, alles anzuordnen, dann muss alles einigermaßen stimmig sein und dann hofft man, dass man bereits eine gute Darbietung bekommt. Das kann sehr kompliziert sein und manchmal kommt man auch nicht dort heraus, wo man eigentlich hin wollte. Aber auf FIVEhabe ich genau das Ergebnis, das ich auch haben wollte. Ich bin sehr glücklich damit, völlig unabhängig davon, ob es den Leuten gefällt oder nicht. Es ist genau das, was ich aufnehmen wollte.
it: Okay, also hast du nicht bewusst entschieden, auf dem Album Klavier zu spielen, sondern einfach die Demos benutzt?
Tony: Naja die Klavierparts waren eben da, als ich die Demos gemacht habe, aber ich war mir nicht sicher, ob sie am Ende bleiben würden. Tatsächlich haben wir das Klavier an einigen Stellen auch durch andere Instrumente ersetzt. Andere haben wir einfach weggelassen, weil sie nicht mehr benötigt wurden. Es gibt auch keine echten Soloparts für das Klavier auf FIVE, es geht nur darum, wie ich Stücke geschrieben habe und manchmal durchaus auch mit der Idee, das Klavier später durch andere Instrumente zu ersetzen. Im Kontrast dazu habe ich ja auf SIXüberhaupt nichts selbst spielen wollen und das dann auch so gemacht. Ich bin ohnehin mehr ein Komponist, weniger ein Pianist. Aber FIVEist eben anders. Manchmal dachten wir, das Klavier wird nicht überleben, aber dann klang es oft sehr gut, also blieb es. Es ist schön, es auf dem Album zu haben. Es bildet auch ein wenig das Rückgrat für viele der Stücke und hält das alles sehr gut zusammen.
it: Wo hast du Nick Ingman getroffen und was war seine Rolle in diesem Projekt?
Tony: Ich habe von ihm gehört, weil viele andere bereits mit ihm gearbeitet hatten und er ist auch jemand, mit dem ich ohnehin für dieses Projekt zusammenarbeiten wollte – einfach weil er bekannt dafür ist, mit dieser speziellen Art der Aufnahme vertraut zu sein – also die Dinge nacheinander zu bearbeiten. Er ist da sehr erfahren. Also habe ich ihm die Stücke vorgespielt und er war sehr begeistert und so haben wir einen Weg ausgearbeitet, wie wir daran zusammen arbeiten können. Sein erster Job war vor allem, meine Teile für ein Orchester zu transkribieren. Er hat auch ein wenig seine eigenen Ideen eingebracht, vor allem wenn es um Percussions geht, weil ich davon schlicht so gut wie nichts auf meinen Demos hatte. Er hatte dann noch weitere Ideen, von denen wir mache verwendeten, manche nicht und andere wieder modifizierten. Das war also seine Rolle und er fand es gut, was ich versuchte mit FIVE zu machen. Er war einfach großartig. Er hat sehr hart gearbeitet. Er ist ja nicht nur der Orchestrator, sondern auch der Dirigent. Das hilft auch sehr. Ich hatte so jemanden ja auch schon bei SIX, also jemanden, der die Musik kennt und auf der Basis seine Arbeit macht. Ingman ist vor allem sehr präzise. Er hat auf den ganzen Aufnahmen Clicktracks verteilt, vor allem, weil auch das Tempo ständig wechselt. Und er war sehr gut, das Orchester zu dirigieren und dem Orchester unsere Vorstellungen zu vermitteln.
it: Wie entscheidest du eigentlich, welches Instrument den jeweiligen Part spielen soll? Hast du da eine konkrete Vorstellung oder ist es auch ein wenig Try and Error?
Tony: Es ist tatsächlich ein wenig Try and Error. Manchmal habe ich aber auch konkrete Vorstellungen, die dann auch gut funktionieren – Stücke wie Reveilleoder Ebb And Flow zum Beispiel, bei denen es Saxophon und Trompetensolos gibt. Ich improvisiere trotzdem mit Keyboards, aber ich habe dann eben einen Trompetensound für das ganze Solo genommen. Auf dem anderen Stück habe ich dann das Saxophon-Solo mit einem Oboen-Sound gemacht, was deutlich extravaganter klingt. So ungefähr funktioniert das.
„FIVE live aufzuführen, habe ich überlegt, aber ich muss da selbst nicht spielen.“
it: Hast du dir überlegt, FIVE mal live aufzuführen? Könnte ja ein schönes Konzept sein, fünf Shows in Europa ..
Tony: Au weia, naja … ja ich habe darüber nachgedacht. Aber ich wäre glaube ich glücklicher, wenn das jemand anderes macht. Ich meine, die Musik ist jetzt ja verfügbar. Wenn das also jemand spielen will, soll er das gerne machen. Ich könnte mich natürlich beteiligen und das Projekt zusammenhalten, aber das wäre irgendwie auch etwas genießerisch. Ich habe FIVEgeschrieben und aufgenommen, aber für eine Live-Performance wäre es mir lieber, wenn das jemand anderes machen würde. Aber es könnte passieren. Es gibt einige in meinem Umfeld, die versuchen mich zu überzeugen, also ist es auch etwas, das möglich ist.
it: Wäre doch schön, du könntest ja auch Adaptionen einiger Genesis-Stücke ergänzen.
Tony: Das ist es, ja, es könnte eine Show dieser Art sein. Aber vielleicht wäre das auch ein anderes Projekt. Am liebsten würde ich selbst gar nicht live auftreten (lacht). Ich meine, ich habe es geschrieben und spiele darauf, aber es wird nicht daran scheitern, wenn ich selbst nicht live spiele, also kann das auch jemand anderes machen. Ich würde mich freuen das zu hören. Es könnte passieren.
it: Du hast dieses Mal einen Chor verwendet, zum Beispiel bei Renaissance…
Tony: … ja und auch bei Reveille, da ist er nur etwas leiser und auch für Autumn Sonata, wo wir ihn sehr ausgedehnt nutzen, aber mehr als ein Instrumenent und nicht als prägnanter Part. Das war Nick Ingmans Idee. Und als wir das entscheiden haben und wir den Chor für Reveille und Autumn Sonata verwendet haben, entstand Renaissance, das ich überhaupt erst während der Aufnahmen geschrieben hatte. Und auf diesem Stück haben wir dann den Chor als Kernelement verwendet. Das hat richtig Spaß gemacht. Da gibt es etwas in menschlichen Stimmen, das ich sehr faszinierend finde und es trägt das Stück auf eine andere Ebene.
„Die 5.1-Wiederveröffentlichungen wurden vermutlich teurer, als sie sollten“
it: Lass uns mal über deine Solokarriere sprechen. Du hast ja damit angefangen, deine Alben in 5.1 zu veröffentlichen. Was ist denn daraus geworden??
Tony: Ich hab keine Ahnung. Vielleicht hat Esoteric [die Plattenfirma] kalte Füße bekommen. Ich wollte unbedingt das A Chord Too Far Boxset machen. Ich wollte etwas veröffentlichen, das so etwas wie eine Werkschau der besten Sachen ist, die ich gemacht habe. Natürlich war ich sehr glücklich darüber, dass sie auch die einzelnen Alben wieder veröffentlichen wollten. Ich denke einfach, es hat sie mehr gekostet als es hätte sollen. Ich glaube aber, dass wir nochmal darauf zurück kommen werden. Ich würde gern Bankstatement und Soundtracks noch machen. Die hatten wir schon neu gemischt, als wir an dem Boxset arbeiteten. Das wäre also recht einfach und die könnten jederzeit erscheinen, aber Still und Strictly Inc. sind da problematischer, weil sie sehr lang sind und wir sie von Grund auf neu abmischen müssten. Das ist viel Arbeit, aber das muss sich dann auch lohnen. Ich weiß nicht, ob das noch passiert. Es ist zwar schade, aber ich glaube nicht, dass das noch passiert.
it: Du hast 2015 den „Prog God“-Award bekommen …
Tony: Oh ja!
it: … direkt nach Peter Gabriel. Wie hat sich das angefühlt? Zu der Zeit warst du ja mit Ausnahme des A Chord Too Far Boxsets auch eher im klassischen Segment unterwegs.
Tony: Ich war sehr verblüfft, weil sie den Award ja im Jahr zuvor Peter gegeben haben, dachte ich, die geben den nicht zwei Jahre in Folge an dieselbe Band (lacht). Ich fühlte mich sehr geschmeichelt und war überrascht. Das war wirklich sehr schön. Ich hab ja immer sehr deutlich gemacht dass ich der Mann im Hintergrund bei Genesis bin. Ich mag es nicht so sehr, im Rampenlicht zu stehen, wie du ja weißt. Aber diese Anerkennung ist natürlich schön. Den Award haben ja auch noch Rick Wakeman und Ian Anderson, da ist man schon Teil einer sehr exklusiven Auswahl. Auf eine gewisse Weise ist es schade, dass sie ihn nicht an Keith Emerson verliehen haben, der ist ja leider nicht mehr unter uns. Aber irgendwie ist er doch der Schöpfer dieser ganzen Art Musik, denke ich. Ich habe ihn getroffen, als Rick Wakeman den Award bekam. Und ich sagte zu ihm „du wirst immer mein Prog God sein“. Er war der erste der die Orgel in unserer Musik so einsetzte – und das hat den Weg bereitet für alle anderen, denke ich.
it: Du hast ja immer gesagt, dass du lieber im Hintergrund bleibst. Nun gibt es ja viele dieser Supergroups, bei denen Musiker verschiedener bekannter Bands sich für ein Album oder zwei zusammenfinden. Wäre das nicht auch was für dich?
Tony: Ich hab darüber noch nicht wirklich nachgedacht. Wenn jemand mit einer konkreten Idee auf mich zukommen würde, dann könnte ich das sicher in Betracht ziehen. Wobei ich nicht gut darin bin, die Musik anderer zu spielen. Ich hab meine eigene Art, die Dinge zu spielen und das ist nicht unbedingt kompatibel mit den Vorstellungen anderer, glaube ich. Ich hab jetzt kein riesiges Verlangen, sowas zu machen. Ich schreibe lieber, als dass ich spiele oder auftrete. Ich wäre mehr daran interessiert, mit anderen Leuten zu schreiben. Vielleicht wird das irgendwann passieren. Wenn ich mir meine Soloalben ansehe, dann habe ich es ja durchaus genossen, mit Leuten wie Nik Kershaw die Verantwortung zu teilen – das war auch ein anderes Flair.
it: Gibt es irgendwas am Horizont, neue Projekte oder sowas in der Art?
Tony: Nein, im Moment gibt es nur FIVE. Daran habe ich jetzt die letzten ein bis zwei Jahre gearbeitet. Ich hab auch ein paar Songs für den Tenor John Potter geschrieben. Zwei dieser Songs sind auf seinem Album erschienen [Follow Thy Fair Sun und The Cyprus Curtain Of The Night auf Amores Pasados im Jahr 2015]. Ich hab noch zwei weitere geschrieben, von denen eines das beste aus dieser Reihe ist, finde ich. Das haben sie auch oft in den Live-Shows gespielt und ich hoffe sie werden das in Zukunft auch noch mal aufnehmen und veröffentlichen.
Das andere hab ich vor ein paar Monaten gemacht, ein Stück für ein Schakespear-Sonett. Ich mag sowas, wenn die Texte bereits existieren. Ich hab so vorher noch nie gearbeitet. Es ist schön, einen Text zu haben und dann an der Musik zu arbeiten und zu schauen, wie das zusammenpasst.
„Es wird nichts bahnbrechend Neues von Genesis geben“
it: Reden wir noch einmal über 50 Jahre Genesis – können wir da irgendwas erwarten, ggf. auch Boxsets oder Wiederveröffentlichungen?
Tony: Oh Gott, nein! Weißt du, das geht doch für immer so weiter. Die Leute verpacken es neu, veröffentlichen es wieder usw. Die Band unterstützt das nicht. Wir denken das sieht nur danach aus, als wollten wir den Fans noch mehr Geld aus der Tasche ziehen. Damit fühle ich mich nicht wohl. Natürlich will die Plattenfirma das immer machen. Das Management sagt auch wir sollten es tun. Phil und ich versetzen diesen Vorhaben dann immer einen Dämpfer (lacht). Wir sind nicht interessiert, wobei man das manchmal auch nicht verhindern kann. Wir haben ja noch Zeugs wie die BBC-Aufnahmen, verschiedene Live-Versionen usw., aber da gibt es jetzt nichts bahnbrechend Neues. Wahrscheinlich wird es Neuauflagen in neuen Formaten geben, wie Blu-ray und sowas, wer weiß. Aber ich würde nicht davon ausgehen, dass da irgendwas wahnsinnig aufregendes kommt. Mir tut ja Nick Davis immer leid, der hat doch einen Song wie Home By The Sea bestimmt 500 Mal angehört – nur um rauszufinden, welche Version nun die beste ist. Das ist doch alles nun da draußen.
Also wenn die Leute sowas haben wollen, dann … naja es wird schon irgendwie mal was davon geben. Unser 50jähriges Jubiläum – wir haben uns ja noch nie wirklich um solche Jubiläen gekümmert. Es ist ne ziemlich lange Zeit. Vielleicht sollten wir einfach The Silent Sun nochmal veröffentlichen, unsere erste Single. Vielleicht wird das dann ja ein großer Hit (lacht). Sollte damals schon ein großer Hit werden, aber das kam ja dann anders.
it: Deine Bandkollegen, inklusive Richard Macphail, haben Bücher über ihr Schaffen und ihr Leben geschrieben. Wäre es nicht an der Zeit für dich, das auch mal zu machen?
Tony: Ich bin diese ganzen Bücher so satt, wirklich! Wir haben das Chapter And Verse mit Genesis gemacht und dann hat Mike sein Buch gemacht. Das mochte ich überhaupt nicht, weil er mich etwas geringschätzig darstellte. Ich hab Phils Buch nicht gelesen und Richards auch nicht. Ich denke aber, dass sowohl Phil als auch Richard etwas freundlicher mit anderen umgegangen sind. Naja Phil vielleicht nicht mit sich selbst, aber egal – was sollte ich tun? Ein Buch über mich schreiben? Ich glaube, dass jeder seinen eigenen Beitrag zum Ganzen sehr aufbläst in diesen Büchern. Und am Ende ist es dann nur noch die Frage, wer die meisten Punkte gemacht hat? Das brauche ich wirklich nicht. Ich muss das nicht machen. Ich glaub, sogar Steve arbeitet grad an einem Buch?
it: Naja der hat ja gerade kaum Zeit, Der tourt ja das ganze Jahr oder nimmt neue Musik auf …
Tony: Ja okay, also ich denke die Leute sollen das machen wenn sie das wollen, aber von mir wird es das nicht geben. Ich werde weiter Musik schreiben. Ich bin Musiker und möchte als Musiker bewertet werden und nicht als Buchautor.
„Es wäre ja schon schön, wenn die Menschen Musik mit mehr als vier Akkorden hören würden“
it: Wir haben es uns zur Angewohnheit gemacht, mit einer ungewöhnlichen Frage das Interview zu beenden, also: In Zeiten von Trump, Brexit und Globaler Erwärmung – welche Musik sollten wir uns anhören?
Tony: Einfach die Musik, die ihr mögt. Es ist grad irgendwie eine merkwürdige Zeit. Und wenn wir über Musik sprechen, so vieles davon ist so austauschbar und unbedeutend. Es wäre ja schon schön, wenn die Menschen Musik mit mehr als vier Akkorden hören würden. Da gibt es so viel Popmusik, die sich nur um die immer wieder gleichen Akkorde dreht. Nicht gerade sehr einfallsreich. Manchmal wünschte ich mir, die Leute würden ein wenig zurück in der Zeit gehen und sowas machen wie die Beatles oder die Beach Boys, das hatte doch noch richtig Saft! (lacht). Nun denn.
it: Danke für Deine Zeit, Tony und viel Erfolg mit deinem neuen Album!
Tony: Ich danke auch, war schön, wieder mit dir zu sprechen! Ciao.
Eine ausführliche Rezension des Albums findet ihr unter diesem Link.
Das neue Album FIVE ist (vor-)bestellbar:
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Tony Banks‘ Werkschau A Chord Too Far (4CD-Boxset) ist nach wie vor bei amazonund JPC erhältlich.
John Potters Album Amores Pasados mit zwei Songs von Tony Banks gibt es bei amazonund JPC.
Interview, Transkription, Übersetzung: Christian Gerhardts
Fotos: Emily Banks
Besonderer Dank geht an Ben Pester und Jo Greenwood