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Tony Banks – Interview (bei Innerviews) 2019
Mit freundlicher Genehmigung von INNERVIEWS können wir euch ein interessantes Interview mit Tony Banks in deutscher Sprache zugänglich machen.
Tony Banks‘ eindringlich atmosphärische und melodische Keyboardarbeit war von Anfang an zentrales Element aller Genesis-Veröffentlichungen. Seine Beiträge als Musiker und Songschreiber waren ausschlaggebend für die Geschichte der Rockmusik während der aktivsten Jahre der Band von den 70ern und den 90ern. Sein geschmackvolles Spiel, das immer darauf abzielte, den strukturellen Anforderungen des Stückes (auch mit längeren, fließenden Keyboardpassagen) zu dienen, hat zahllose Musiker beeinflusst.
Seit 1979 hat Banks neben Genesis auch noch eine Solokarriere verfolgt. Das Gesamtkorpus seiner eigenen Rockeinspielungen ist jetzt auf dem neuen 8-CD-Boxset Banks Vaults versammelt. Es enthält seiner ersten fünf Studioalben A Curious Feeling, The Fugitive, Bankstatement, Still und Strictly Inc. Außerdem enthalten: Seine Filmmusik zu The Wicked Lady und die Compilation Soundtracks mit Musik für die Filme Lorca And The Outlaws und Quicksilver. Eine DVD mit Promovideos rundet das Paket ab. Alle Aufnahmen wurden in den Abbey Road-Studios remastert, einige auch neu abgemischt.
Die Alben bringen die Begabungen vieler bemerkenswerter und unterschiedlicher Sänger zusammen: Kim Beacon, Jim Diamond, Fish, Alistair Gordon, Jack Hues, Nik Kershaw, Jayney Klimek, Toyah Willcox und natürlich Banks selbst. Zu den renommierten Musikern, die auf den Aufnahmen zu hören sind, gehören die Gitarristen Steve Hillage und Daryl Stuermer, die Schlagzeuger Vinnie Colaiuta, Steve Gadd und Chester Thompson wie auch die Bassisten Mo Foster und Pino Palladino.
In jüngerer Zeit hat Banks seinen Schwerpunkt auf Projekte mit klassischer Musik verlegt. Seit 2004 hat er drei sehr freundlich aufgenommene Alben mit seinen Kompositionen für Orchester veröffentlicht. Seven mit dem London Philharmonic Orchestra, Six Pieces For Orchestra mit dem City Of Prague Philhamonic Orchestra und 5 mit dem Tschechischen Nationalen Sinfonieorchester. Die Albumtitel ergeben sich aus der Zahl der enthaltenen Stücke und aus Banks‘ Wunsch, dass sich die Bedeutung des Stücke aus der Musik ergeben möge und kein Titel den Hörer bei der Interpretation stören solle.
Genesis bleibt dabei für Banks nach wie vor ein Thema. In den letzten 20 Jahren war die Band eher sporadisch aktiv. Phil Collins verließ die Band 1996, nach der We Can’t Dance-Tour, bei der die Band in zahlreichen Stadionkonzerten die für sie größten Besucherzahlen hatte. Banks und Mike Rutherford überraschten dann alle Welt, indem sie beschlossen, die Band fortzuführen und mit Ray Wilson einen neuen Leadsänger zu rekrutieren. Dieses Lineup bestand 1997 und 1998, spielte ein einziges Album namens Calling All Stations ein und tourte durch Europa. Genesis schlummerte dann, bis Banks, Collins und Rutherford sich 2007 zur Turn It On Again-Tour zusammenfanden. Seitdem ist die Gruppe ohne Lebenszeichen, was auch an Collins‘ allseits dokumentierten Mobilitätseinschränkungen liegt.
2017 überraschte Collins dann aber alle, indem er eine Arenatour unternahm und während eines Großteils des Konzertes sitzenblieb. Nick Collins übernahm das Schlagzeugspiel an seiner Stelle. Der Erfolg dieser Tournee hat zur Gesprächen geführt, die die Möglichkeit einer künftigen Genesis-Reunion mit einem Line-up von Banks, Phil and Nic Collins, Rutherford und Daryl Stuermer ausloten.
Banks sprach mit Innerviews ausführlich über seine Solokarriere, einige spannende Gedanken über Genesis und Anekdoten, die bis in die späten 60er zurückgehen, und verriet auch, welches Potenzial er für die Reaktivierung der Gruppe sieht.
Innerviews: Welche Entwicklung als Songschreiber spiegelt sich in deinem neuen Boxset wieder?
Tony: Ich habe mein Solomaterial ja parallel zu Genesis geschrieben, und der Stil ändert sich etwas im Laufe der Periode, die das Boxset abbildet, übrigens genauso wie sich die Genesis-Sachen geändert haben. Ich habe die Soloalben gemacht, weil ich viel mehr Material hatte als jemals mit Genesis herausgekommen wäre, und die Sachen herausbringen wollte. Ich bin ja in erster Linie ein Songschreiber, obwohl ich die Musik auch gerne aufnehme. Ich freue mich sehr an diesen Alben. Ich war sehr zufrieden mit ihnen, als ich sie aufgenommen habe, und ich bin immer noch sehr zufrieden mit ihnen. Ich gehöre nicht zu den Leute, die ihr altes Material für Schrott erklären. Die Stücke haben immer noch ihre Geltung und können immer noch vom Genesis-Publikum geschätzt werden, vor allem vom Publikum der alten Genesis. Auch das ist ein Grund, die Alben in dieser Form zu veröffentlichen.
Ob ich mich über die Jahre so sehr verändert habe, weiß ich nicht. Ich streife immer ein bisschen herum. Das gehört zu meinem Musikstil, und so bin ich auch bei Genesis an die Dinge herangegangen. Vielleicht habe ich bei den späteren Soloalben etwas kompaktere Musik gemacht – ein bisschen wie bei Genesis. Aber ich hatte da immer noch die großen langen, weitschweifigen Stücke wie An Island In The Darkness. Das ist wahrscheinlich der stärkste Teil von Strictly Inc., und es ist 15 Minuten lang.
Das erste Album, A Curious Feeling, ist eher eine Abfolge von Stücken, eine Suite. In gewisser Weise ähnelt es darin Supper’s Ready, mit längeren und kürzeren Stücken und manchen Passagen, die stärker entwickelt waren als andere.
Während meines ganzen musikalischen Lebens habe ich immer nach ungewöhnlichen Harmonien gesucht, weil sie mir sehr gefallen. Ich mag es, wie Akkorde auf ganz verschiedene Weise zusammen wirken können. Als ich in den ersten Jahren von Genesis Watcher Of The Skies geschrieben habe, gab es da am Anfang ein bestimmtes Paar von Akkorden mit einer bestimmten Bassnote, die anders klangen als alles, was ich jemals zuvor gehört hatte. Diese Entdeckung, dass ich etwas finden kann, dass anders klingt als alles andere, hat mich fasziniert – und doch waren es nur zwei Akkorde, die an und für sich gar nicht so besonders waren.
Außerdem habe ich auch immer nach ungewöhnlichen Akkordprogressionen gesucht. Aber ich wollte auch immer sicher gehen, dass das alles zusammen noch funktioniert – an diesem Schritte habe ich viel Freude. Am besten gefällt mir diese Herangehensweise in der Welt der klassischen Musik. Diese Komponisten waren nicht an Tonarten gebunden. In ihren späteren Werken lösen sich Rachmaninoff, Schostakowitsch und Martin? ein Stück weit von den Schlüsseltonarten.
Innerviews: Das Boxset kombiniert Neuabmischungen von ganzen Alben mit Remasters von Alben, bei denen nur ein paar Stücke neu abgemischt wurden. Erzähl mir von der Entscheidung dahinter:
Tony:A Curious Feeling und The Fugitive sind vor zehn Jahren schon neu veröffentlicht worden. Wir haben damals beide Alben neu abgemischt und 5.1-Versionen erstellt. Dadurch haben wir ihren Klang stark verbessert, und deshalb sind diese Versionen im Boxset.
Vor ein paar Jahren haben wir schonmal ein Boxset gemacht. Es hieß A Chord Too Far und war eher als Compilation angelegt. Für das Album haben wir einige Stücke von Bankstatement und von Soundtracks neu abgemischt. Als wir uns jetzt daran gemacht haben, das neue Boxset zusammenzustellen, hatten wir das Gefühl: „Wir könnten alles neu abmischen, aber es gibt keinen Zweck, dem das dienen würde.“ Wir fanden, dass es an Strictly Inc. und an Still nichts zu verbessern gibt. Sie sind, wie sie sind, und sie klingen gut. Auch die Stücke von Bankstatement und Soundtracks, die wir nicht neu abgemischt hatten, klangen auch gut, also haben wir sie gelassen, wie sie sind. Das waren unsere Beweggründe. Es gibt einige verbesserte Fassungen von Stücken, die in letzter Zeit neu erschienen sind.
Innerviews: Erzähle uns von den Veränderungen zwischen deinem Debutalbum A Curious Feeling von 1979 und deinem zweiten Album, The Fugitive (1983).
Tony:A Curious Feeling ist viel romantischer und geht in viele verschiedene Richtungen. The Fugitive ist eher ein Rockalbum. Als ich an The Fugitivegearbeitet habe, steckte ich auch gerade in einer Phase, in der ich eher direkt war. Das war ungefähr zur Zeit von Abacab. Ich hatte viel blumiges Zeug gemacht und wollte jetzt etwas weniger blumiges. Also habe ich das ausprobiert. Deshalb sind die Stücke auf dem Album kompakter und festgelegter.
Dann habe ich beschlossen, auf dem Album zu singen. Ich habe meine Stimme noch nie besonders toll gefunden, aber ich fand sie gut genug, um auf diesem Album zu singen. Es gibt eine Menge Sänger, die gar nicht mal so gut singen – aber wenn man sein eigenes Material singt, dann hat das ein gewisses Etwas. Beim Singen habe ich dann entdeckt, dass ich einen Weg finden musste, überzeugend zu klingen. Deswegen mussten die Melodien etwas einfacher werden und die Texte ziemlich direkt.
Ich hatte natürlich die Hoffnung, dass ein oder zwei von den Stücken ein Hit werden könnten – eine vergebliche Hoffnung, wie sich zeigte. Aber ein paar Stücke wurden als Single veröffentlicht und wurden auch mal im Radio gespielt – And The Wheels Keep Turning und This Is Love.
Das Album hat Spaß gemacht, das Singen auch. Es war auch kein besonderes Problem, ich habe einen Weg gefunden, es hinzubekommen. Aber als dann Themen auftauchten wie Videos und die Überlegung von Livedarbietungen in irgendeiner Form, merkte ich: Über diesen Rahmen hinaus [gemeint sind Studioaufnahmen; d.Übers.] kann ich das nicht ausdehnen. Ich bin für die Rolle des Frontmanns einfach nicht geschaffen. Und das ist schon wieder ein ganz anderes Problem. Nach diesem Album habe ich noch ein bisschen gesungen, aber nicht viel.
Innerviews: Wie hast du die Sänger ausgewählt, die dein Solomaterial interpretieren sollten?
Tony: Ich habe es sehr genossen, mit allen Sängern auf meinen Alben zu arbeiten. Die Auswahl war aber zu einem guten Teil glücklicher Zufall. Ich bekommen Vorschläge von verschiedenen Seiten. Manchmal sage ich: „Nein, mit ihm oder ihr möchte ich nicht arbeiten.“ Dann gibt es natürlich auch die Leute, die ich anfrage und die dann ablehnen, und das ist ja auch in Ordnung.
Beim Soundtracks-Album beispielsweise suchte ich nach Sängern. Mehrere Leute hatten mir schon seit längerem immer wieder vorgeschlagen, ich solle mit Fish arbeiten, und er wollte das auch gerne. Das hat Spaß gemacht. Wir haben uns getroffen, haben uns gut verstanden, und hatten dann einen Riesenspaß dabei, ein ganz und gar un-progressives Stück namens Shortcut To Somewhere aufzunehmen. Es war merkwürdig, denn Marillion war berühmt dafür, von den frühen Genesis beeinflusst zu sein – aber wir haben einen sehr geradlinigen Popsong aufgenommen; das hat ziemlichen Spaß gemacht.
Toyah hat mein Publisher mir vorgeschlagen. Ich war der Meinung, dass sie nicht mit mir arbeiten wollen würde, weil sie damals sehr tief in der Punkszene war. Wir haben uns mal getroffen, und Lion Of Symmetry gefiel ihr richtig gut. Sie hat das Stück toll gesungen. Ich habe gerne mit ihr gearbeitet. Das war das erste Mal, dass ich mit einer Sängerin gearbeitet habe – eine neue Erfahrung für mich, denn Sängerinnen haben einen ganz anderen Stimmumfang, so dass man andere Möglichkeiten hat.
Bei Jim Diamond war es so, dass ich You Call This Victory ursprünglich mit Julian Lennon einspielen wollte. Er hat sich dann aber doch dagegen entschieden, also habe ich Jim eingeladen, der mir auch wieder empfohlen wurde.
Auf A Curious Feeling hatte ich Kim Beacon; auf sie bin ich gestoßen, als mir jemand mal eine Cassette gegeben hat. Alistair Gordon und Jayney Klimek, die auf Bankstatement singen, habe ich von Steve Hillage und anderen empfohlen bekommen.
Der einzige, den ich ganz gezielt gebeten habe, auf einem meiner Alben zu singen, ist Nik Kershaw, denn ich war ein Fan. Seine Platten haben mir gefallen und die Art, wie er singt. Ich fand, das würde eine gute Kombination abgeben. Und er hat dann für Stillzugesagt. Nick Davis, ein Produzent und Toningenieur, mit dem ich gearbeitet habe, hat mir Jack Hues für Strictly Inc. empfohlen. Jack und ich sind gut miteinander klargekommen, was ziemlich gut war.
Innerviews: Wie war es, das Soundtracks-Album zu machen? Wie hast du diesen Abschnitt deiner Karriere erlebt?
Tony: Ich hatte ursprünglich Musik für eine Szene im Film 2010 geschrieben; dort wurde ich dann kurzerhand gefeuert, weil der Regisseur nicht recht wusste, was er wollte. Später habe ich eine andere Fassung dieser Musik mal dem Regisseur Roger Christian vorgespielt. Ihm gefiel sie, und ich wurde engagiert, um die Filmmusik für Lorca And The Outlaws (deutscher Titel: Redwing – Flucht vor den schwarzen Droiden) zu schreiben. Das war leider kein besonders guter Film, der auch nicht erfolgreich war im Kino. Dieses Stück ist dann als Redwing auf dem Soundtrack. Ursprünglich hatte ich es mir als Orchesterstück vorgestellt.
Ähnliches ist mit dem Film Quicksilverpassiert. Jemand hat mich vorgeschlagen, ich habe ein paar Stücke geschrieben, die haben ihnen gefallen, und wir haben das Projekt gemacht. Sowohl Lorcaals auch Quicksilverwaren Filme mit ziemlich kleinem Budget. Also habe ich die Musik zuhause zusammengestellt, mit meinen eigenen Geräten, so zwischen 1984 und 1986. Ich habe Riesenstress gehabt, eine Menge Tonbandgeräte, U-matic-Geräte und andere fürchterliche Maschinen zu bedienen. Das war ziemlich verzwickt, aber ich habe es hinbekommen.
Auf Soundtracksfindet sich dieses ganze Material und dazu noch drei Stücke, die ich etwas professioneller im Studio aufgenommen habe. Shortcut To Somewhere mit Fish hat sich aus einer Szenenmusik entwickelt, die ich für Quicksilver geschrieben hatte. Die beiden anderen Stücke, You Call This Victory mit Jim Diamond und Lion Of Symmetry mit Toyah, habe ich spezifisch für Lorca And The Outlaws geschrieben.
Die Idee hinter Soundtracksbestand darin, all diese Musik auf einem Album zu versammeln, denn wenn auch die Filme nicht erfolgreich waren, fand ich die Musik gut.
Innerviews:Bankstatementwar dann stärker in Richtung Pop orientiert. Erzähl uns von deinem Wunsch, diesen Bereich 1989 stärker zu erkunden.
Tony: Ich sehe es nicht recht als Pop an, aber ich kann schon verstehen, dass die Leute sowas sagen. Nachdem ich The Fugitive gemacht und dabei gelernt hatte, dass ich nicht als Frontmann in einer Band tauge, wollte ich versuchen, eine Art Band mit festen Sängern zusammenzustellen. Außerdem wollte ich wieder mit einer Sängerin arbeiten.
Die Sachen, die mir damals dann eingefallen sind, hatten ein paar Pop-Elemente, aber es gab da auch ein paar sehr verwickelte Tracks, die diese typischen Banks-Harmonien hatten, wenn man so will. Das hört man besonders auf That Nightund The Border. Diese Stücke finde ich nicht poppiger als The Fugitive. Dass ich auf Bankstatementnicht gesungen habe, hat das Album meiner Meinung nach glatter gemacht. Alistair Gordon hat eine ziemlich angenehme Stimme, die ich sehr mag.
Ich war mit Bankstatementsehr glücklich, und die Plattenfirma auch. Aber wir haben es wieder nicht geschafft, dass die Singles gespielt wurden, und darum ist das Album sang- und klanglos untergegangen.
Innerviews: Wie kamst du darauf, statt deines eigenen Namens Bankstatementauf das Album zu schreiben?
Tony: Es sollte ein Gruppenprojekt sein. Bankstatementwurde vorgeschlagen, weil es ein Wort ist, das wir alle kennen („bank statement“ = Kontoauszug; d.Übers.) und weil es mehrere Ausdrücke kombiniert (Wortspiel mit „Banks’s statement“ = die Erklärung von Banks;d.Übers.). Das schien ein passender Name für eine Aussage von mir. Außerdem sollte der Titel ein wenig von mir ablenken, wobei es aber immer noch mein Projekt sein sollte. Wenn es Erfolg gehabt hätte, hätte ich vermutlich als Bankstatement auf Tour gehen können. Aber er hatte keinen Erfolg, und es ging nicht weiter. Ich hatte kein besonderes Bedürfnis, denselben Weg nochmal zu beschreiten, als ich mit dem nächsten Album anfing, also blieb es ein einzelnes Projekt.
Innerviews: Wie war die Arbeit mit Steve Hillage als Coproduzent auf Bankstatement?
Tony: Steve ist einzigartig. Jeder, der mal mit ihm gearbeitet hat, wird das bestätigen. Er kann sich sehr in bestimmte Themen verbeißen. Insgesamt sind wir gut miteinander klargekommen. Wir hatten ein paar Probleme miteinander, aber das passiert oft im Studio, glaube ich. Mit dem Ergebnis war ich aber sehr zufrieden, und ich finde, dass wir gut zusammengearbeitet haben.
Das einzige Problem bestand darin, dass er der Gitarrist auf dem Album war, aber gerade in einer Phase steckte, in der er sich als Gitarrist nicht besonders sicher fühlte. Darum war es sehr schwierig, ihm Mut zu machen, dass er viel spielte. Ich habe ihn dazu bewegen können, auf einigen Tracks ein bisschen zu spielen; das Album ist daher etwas dünn, was die Gitarren angeht. Wenn ich gewusst hätte, dass er sich beim Gitarrespielen so ziert, hätte ich jemand anderen für die Gitarrenteile geholt, denn ich finde, Gitarre hat in der Rockmusik viel zu bieten. Sie ist die wichtigste Zutat nach dem Schlagzeug. Ich brauche die Power, die die Gitarre bietet.
Innerviews: Auf Still(1991) finden sich viele verschiedene Herangehensweisen. Wie siehst du das Album heute?
Tony: Ich wollte das Gruppenkonzept nicht nochmal aufgreifen und habe daher beschlossen, einfach eine Platte zu machen. Ich hatte damals die Einstellung: „Ich bin ein Songwriter. Ich versuche einfach mal, den besten Sänger für jedes Stück zu kriegen.“ Ich habe Sänger geholt, die meinem Empfinden nach zu den Stücken passten. Wie schon gesagt, habe ich Nik Kershaw angerufen, ob er Lust hätte, und er hatte. Aber ich wusste schon, dass er nicht für alle Stücke der Richtige war. Es gab drei Stücke, von denen ich überzeugt war, dass er sie gut singen konnte, aber für andere Stücke habe ich mich weiter umgesehen. Ich habe Fish wieder zum Singen eingeladen, weil ich mit ihm wieder arbeiten wollte. Er hat den Text für Another Murder Of A Day geschrieben und hat meinen Text für Angel Face gesungen. Beides hat er hervorragend gemacht.
Jayney Klimek habe ich von Bankstatementübernommen. Sie hat Water Out Of Wine und Back To Back gesungen, weil ich ihre Stimme sehr mag. Der letzte im Bunde war Andy Taylor, ein Sänger, der nichts mit Duran Duran zu tun hat. Viele Leute glauben, er sei in der Band gewesen, aber das stimmt nicht. Ich suchte jemanden mit einer Stimme wie Ray Charles, konnte aber niemanden finden. Also habe ich mit Andy gearbeitet, der zwar kein toller Sänger ist, aber diese Stimmfärbung hat, die gut funktioniert. Ich finde auch heute noch, dass die Stücke, auf denen er singt (The Gift und Still It Takes Me By Surprise), mit seinem Gesang gut klingen. Still It Takes Me By Surprise ist ein sehr persönlicher Song für mich. Es ist einer der wenigen Fälle, in denen ich einen Song von meinem Standpunkt geschrieben habe und nicht aus einem ausgedachten.
Außerdem habe ich zu diesem Zeitpunkt – das war ja 1991 – schon für die CD geschrieben, also hatte ich mehr Zeit. Da hat man eine Stunde und nicht nur die 40 oder 45 Minuten für eine LP. Also konnte ich einen größere Bandbreite an Musik unterbringen. Still hatte meiner Ansicht nach Abschnitte, in denen ich versucht habe, auszutesten, was mit Harmonien alles geht – besonders in der Mitte von The Final Curtain, wo ich mich mal von der Leine lasse. Deshalb ist das auch eine meiner Lieblingspassagen auf der Platte.
Ich dachte auch, wir hätten einen Hit mit I Wanna Change The Score. Leider war es keiner. Nik Kershaw, der das Stück gesungen hat, hatte keine besondere Lust, Werbung zu machen oder im Fernsehen damit aufzutreten, und das hat es natürlich nicht besser gemacht. Was soll ich sagen? Vielleicht hatte der Song nicht das gewisse Etwas, aber wenn ich es heute höre, finde ich immer noch, dass es wie ein Hit klingt. Drücken wir es mal so aus: Wenn Genesis das Stück aufgenommen hätte, wäre es ein Hit geworden. Auch dieses Album war nicht so erfolgreich wie ich gehofft hatte, aber ich habe Freude gehabt, es aufzunehmen.
Innerviews:Strictly Inc von 1995 ist dein unbekanntestes Soloalbum. Wie ist das Album entstanden?
Tony: Bei diesem Album habe ich zum ersten Mal mit einem Sänger gearbeitet, der auf dem ganzen Album mehr gemacht hat als nur zu singen. Kim Beacon hat auf A Curious Feeling gesungen, aber keine Texte geschrieben. Jack Hues hat einige Texte geschrieben. Er war auch viel dabei, während ich das Album gemacht habe. Auf einigen Stücken hat er Gitarre gespielt, aber er wollte nicht Leadgitarre spielen. Er war zufrieden damit, kleine Stückchen hier und da zu spielen, und das hat gut funktioniert. Strictly Inc. war eher eine Gemeinschaftsarbeit mit Jack Hues und Nick Davis, der das Album produziert hat.
Ich fand, dass ich viele starke Stücke für Strictly Inc.geschrieben habe, aber besonders glücklich bin ich über An Island In The Darkness. Das war ein langes Stück und für mich das Rückgrat des Albums. Jack hat darauf so gesungen, wie ich gerne singen würde, wenn ich es könnte. Ich fand, er klang toll bei dem Stück. Strictly Inc. hat mich begeistert. Wir haben es uns angehört, als es fertig war, und Jack sagte: „Also, das ist fantastisch. Wenn das das neue Genesisalbum wäre, wären alle glücklich.“
Dieses Album hatte für mich alles, was nötig war. Es hatte eine Bandbreite und Qualität an sich, die es besonders machten. Natürlich scheute ich immer noch davor zurück, „der Mann auf dem Album“ zu sein. Deshalb habe ich es als Strictly Inc. veröffentlicht, und genau deshalb wiederum hat das Album keinen interessiert. Es wusste ja niemand, dass das ein Tony Banks-Album war. Das bedauere ich am meisten an dem Projekt. Ich hätte sehr gerne mehr Aufmerksamkeit für das Album gehabt.
Innerviews: Worin bestehen die großen Herausforderungen, die du als Solokünstler meistern musstest?
Tony: Ein Publikum jenseits des Genesis-Publikums zu gewinnen – oder einen größeren Teil des Genesis-Publikums. Das war die Herausforderung, die ich nie gemeistert habe.
Als ich an A Curious Feelinggearbeitet habe, war ich ein bisschen gehemmt. Ich wusste, dass ich nicht trommeln kann, also habe ich Chester Thompson, einen guten Freund und hervorragenden Drummer, gebeten, auf dem Album zu spielen. Ich habe einen Sänger geholt, der einfach nur die Stücke singt, und dann versucht, alles anderes selbst zu machen – einschließlich Gitarre und Bass; das war eine ganz schöne Herausforderung. Akustische Gitarre war kein Problem, aber die elektrische Leadgitarre war knifflig. Ich habe das einigermaßen hinbekommen.
Dann stellt sich jedesmal die Frage, wie man diese Alben machen kann. Mit der Zeit habe ich andere Musiker mit mehr Selbstvertrauen angesprochen. Daryl Stuermer, ein fantastischer Musiker, habe ich ziemlich oft für meine Soloalben geholt. Er war mir bei The Fugitive eine große Hilfe. Er hat Diagramme für die anderen Musiker gezeichnet, damit die sich orientieren konnten, und er hat fantastische Gitarre gespielt auf dem ganzen Album. Außerdem hatte ich den Weltklassedrummer Steve Gadd auf dem Album. Unter diesem Blickwinkel war das eine gute Erfahrung, denn ich hatte ja auch die Verantwortung als Sänger und machte also mehr. Eigentlich habe ich auf dem Album nur Keyboard gespielt und gesungen.
Nach The Fugitive fühlte ich mich viel wohler dabei, andere Leute stärker einzuspannen. Ich hatte genug Vertrauen in meine eigene Musik gewonnen, sodass ich andere Leute einbinden konnte, ohne mich zu genieren, dass sie die Musik spielen. Ich habe Leute wie Vinnie Colaiuta für Stillund John Robinson für Strictly Inc. gewinnen können. Als es zu Strictly Inc. kam, hatte ich völlige Selbstsicherheit als Songwriter. Ich kannte meine Rolle und wusste, was ich zu tun hatte. Ich kümmerte mich nicht mehr darum, was die Leute so über die Musik dachten und habe mein Ding durchgezogen.
Innerviews: Es frustriere dich, hast du oft gesagt, dass deine Solokarriere nie die Dimensionen von Phil Collins‘ und Mike Rutherfords Karrieren angenommen habe. Warum war dir das wichtig, zumal Genesis ja so immens erfolgreich war?
Tony: Ich möchte einfach nur geliebt werden! [lacht] Aber du hast vollkommen recht. Ich stehe dem Thema sehr philosophisch gegenüber. Ja, ich habe fantastischen Erfolg mit Genesis gehabt, einen Erfolg, von dem die meisten Songschreiber nur träumen können. Darum möchte ich die Enttäuschung auch nicht überbetonen. Aber wenn man mich fragt: „Hättest du gerne mehr Erfolg als Solokünstler gehabt?“, dann lautet die Antwort: „Ja.“ Ich sage das, weil ich der Meinung bin, dass ein großer Teil der Musik auf meinen Soloalben so gut ist wie die Sachen, die ich mit Genesis gemacht habe. Und dafür hätte ich mir mehr Aufmerksamkeit gewünscht. Das zu wollen ist sicher nicht falsch.
Der Erfolg von Mike + The Mechanics hat dann allerdings nochmal Salz in die Wunde gerieben. Phils Sachen hatten Erfolg, weil er ein Sänger ist und so weiter. Aber bei dem Erfolg, den Mike + The Mechanics hatten, fühlte ich mich sehr zurückgesetzt, wie „das andere Bandmitglied“. Es hätte schon gut getan – meinem Ego wenigstens, nehme ich an – auch solo erfolgreich zu sein. Das ist aber kein dauerhaftes Problem für mich. Bei manchen Alben habe ich mir große Hoffnungen gemacht. Es war allerdings schon enttäuschend und niederdrückend, eine Platte herauszubringen und die Hoffnung zu haben, dass da jetzt mal was passiert – und dann passiert nichts. Das muss ich ehrlich zugeben. Das kann ich nicht abstreiten.
Besonders überrascht hat mich dabei Strictly Inc., das überhaupt nicht beachtet wurde. Ich glaube, nicht mal die Fans haben das gekauft. Das war eine merkwürdige neue Erfahrung, die ich mit diesem Album gemacht habe.
Innerviews: Wie sah eigentlich die Unterstützung durch die Plattenfirma aus, wenn du deine Solo-Rockalben veröffentlich hast?
Tony: Die haben mich immer unterstützt. A Curious Feeling ist ja bei Charisma erschienen. Das ist das Album, wo es am besten gelaufen ist. Also, es lief ganz gut. The Fugitive sollte eigentlich bei Stiff Records erscheinen, aber bei denen habe ich sozusagen das Vorstellungsgespräch versemmelt. Als wir uns getroffen haben, haben sie gemerkt, dass ich nicht die Sorte Mensch bin, mit denen sie wirklich arbeiten konnten. Also erschien das Album auch bei Charisma, und die waren gut.
Jeremy Lascelles von der Künstlerbetreuung von Virgin hat mir vorgeschlagen, mit Steve Hillage zu arbeiten. Jeremy war bei vielen Aufnahmen für Bankstatement anwesend und hat sich die Sachen angehört. Er war ganz begeistert. Die wollten wirklich, dass es läuft, weißt du? Aber es lief nicht.
Seit Bankstatementsind die Plattenfirmen immer ordentlich gewesen. Mein Erfolg mit Genesis hatte eben auch die Wirkung, dass ich immer jemanden gefunden habe, der meine Platten herausbringt. Virgin war immer noch interessiert an mir, als es zu Stillund zu Strictly Inc. kam. Die Firma hat jetzt nicht so viel Geld für die Alben ausgegeben wie für Michael Jackson, aber sie hatte ein gewisses Budget eingeplant. Wenn man keine Reaktionen bekommt, kann man aber auch nur eine begrenzte Menge an Werbung machen.
Innerviews: Was denkst du: Warum haben deine Rockalben nicht beim Mainstream Klick gemacht?
Tony: Es liegt daran, dass ich nie eine Hitsingle hatte, denke ich. Ich bin nicht besonders gut, was Eigenwerbung angeht. Ich kann anderen Leuten nicht gut Honig um den Bart schmieren. Mike Rutherford – neben allen anderen Begabungen – ist ein ziemlich guter Plauderer, und das hilft. Wenn man das kann, dann kommt man mit den Leuten gut klar, und dann wird alles ein bisschen einfacher. Ich veröffentliche Alben immer sozusagen im Dunkeln, auf meine Art und Weise.
Aber warum die Musik nicht im Mainstream gelandet ist, weiß ich nicht. Wie schon gesagt: I Wanna Change The Score mit Nik Kershaw fühlte sich für mich nach einem potenziellen Hit an. Die Plattenfirma fand ihn echt klasse. Aber es kam auch ein Moment, in dem ich nicht mehr Werbung damit machen konnte, dass ich der Keyboarder in Genesis bin. Wenn du in einer tollen Band der Sänger bist, hast du automatisch einen gewissen Vorteil. Die Leute kennen deine Stimme, du hast schon ein gewisses Profil. Und wenn du dann noch mit etwas so Gutem ankommst wie Phil mit Face Value, dann hast du gewonnen. Ab dem Moment läuft deine Karriere.
Mike hat das sehr geschickt gemacht. Mike & The Mechanics hat offenbar gleich von Anfang an funktioniert. Er hatte offenbar etwas, das ihm Aufmerksamkeit eingebracht hat, mit Musik, die auch radiofreundlich war.
Innerviews: Deine letzten drei Alben waren Projekte mit klassischer Musik. Welchen Ambitionen bist du damit nachgegangen?
Tony: Nach dem im Verhältnis gesehen erfolglosen Genesis-Album Calling All Stations stand mein 50. Geburtstag ins Haus. Da dachte ich mir: „Hm, vielleicht war’s das. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich etwas anderes mache oder gar nichts.” Ich hatte all diese Soloalben aufgenommen und nicht viel Erfolg damit gemacht. Genesis schien auch dahinzuschwinden. Was sollte ich also tun?
Im Laufe der Jahre haben mir die Leute gesagt, dass sie die zweite Hälfte des Soundtracks für The Wicked Lady mochten, den Teil, den das National Philharmonic Orchestra gespielt hat. Das Hauptthema klang sehr viel besser, wenn es von einem Orchester gespielt wurde statt nur auf dem Klavier. Also dachte ich mir: Bevor ich aufgebe, schaue ich mal, ob ich ein Orchesterprojekt hinbekomme.
Ich habe mich also hingesetzt und versucht, ein paar Sachen zu schreiben – zum Beispiel Black Down für Seven, meiner Meinung nach bei weitem das beste Stück auf der Platte. Als ich das geschrieben hatte, war mir klar: „Ich muss unbedingt versuchen, das hinzukriegen, damit wenigstens dieses Stück aufgenommen wird, und wenn sonst nichts weiter draus wird.“ Ich habe ein paar andere Stücke geschrieben, noch weitere aus meiner Vergangenheit hinzugenommen, fürs Orchester arrangiert und eine Plattenfirma angesprochen. Die war interessiert, also haben wir alles organisiert und sind dann mit dem London Philharmonic Orchestra ins Studio gegangen. Die kann man, wie alle anderen, einfach buchen.
Eine der ersten Aufnahmesessions lief nicht gut. Es klang alles nicht besonders. Am Ende war ich sehr enttäuscht und niedergeschlagen. „Vielleicht ist das auch einfach alles falsch“, dachte ich. Aber die anderen haben mir Mut gemacht und gesagt: „Nein, du musst das wirklich mal machen.“ Dann habe ich mich mit Nick Davis zusammengesetzt; mit ihm hatte ich ja schon oft gearbeitet. Er war mir eine große Hilfe. Wir haben versucht, anders an die Sache heranzugehen. In die nächste Aufnahmesession sind wir mit einer sehr positiven Einstellung hineingegangen und haben beschlossen, mal zu schauen, was passiert. Und das hat einen großen Unterschied gemacht. Ich hatte einen anderen Dirigenten engagiert, Mike Dixon. Er war sehr viel zuträglicher für das Projekt. Sein Vorgänger war ein sehr klassischer Dirigent und ganz bestimmt ein guter Dirigent, aber er verstand nicht recht, was ich da schaffen wollte; Mike dagegen verstand es.
Sevenkam dann 2004 heraus, und ich war total aufgeregt. Merkwürdigerweise wurde es ziemlich oft sehr positiv besprochen und hatte auch ganz ordentlichen Erfolg – mehr als meine Rockalben jemals hatten. Also dachte ich, damit könnte ich weitermachen. Das habe ich dann auch gemacht, und seitdem zwei weitere Alben veröffentlicht: Six Pieces For Orchestra und 5.
In mancherlei Hinsicht war ich mir nicht sicher, ob ich ein zweites Album machen würde. Aber während der Genesis-Revival-Tour 2007 wurde ich immer wieder gefragt: „Was machst du als nächstes, Tony?“ und ich habe immer wieder geantwortet: „Ach, vielleicht noch ein klassisches Album“, weil ich ja irgendwas sagen musste. Und weil Phil und Mike scheinbar genau wussten, was sie als nächstes vorhatten. Also habe ich das gemacht. Als wir anfingen, Six Pieces For Orchestra aufzunehmen, fühlte ich mich viel sicherer. Ich habe mich entschieden, die Aufnahmen in Prag zu machen, mit dem Philharmonie-Orchester der Stadt Prag unter der Leitung von Paul Englishby. Dieses Orchester eignete sich besser für das, was ich vorhatte. Das London Philharmonic Orchestra war ein bisschen hochnäsig zu mir und unglaublich teuer. In Prag bekam ich sogar Probenzeit und konnte mit Leuten arbeiten, die sich für die Musik auch begeisterten. Das Ergebnis war ein viel besseres Album.
An 5, mein neuestes Album mit klassischer Musik, bin ich wie an ein Rockalbum herangegangen. Ich habe mit meinen Klavierparts angegangen und dann Schicht um Schicht darübergelegt. Ich wollte wirklich jeden Aspekt unter Kontrolle haben, auch das Tempo. Ich wollte, dass das Orchester es genau so spielt wie ich es haben wollte. Ich habe dafür mit dem Tschechischen Nationalen Sinfonie-Orchester und –Chor gearbeitet und mit Nick Ingman als Dirigent.
Ich finde, das Album ist gut. Es klingt überhaupt nicht so, als wäre es so entstanden, wie es entstanden ist. Bei den ersten beiden Klassikalben gab es ein paar tolle Momente – und manchmal waren das Glückstreffer-Augenblicke, in denen etwas noch besser klang als ich es mir vorgestellt hatte. Aber es gab eben auch andere Stücke, die nicht so gut waren. Bei 5 war alles ziemlich genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wenn es dir nicht gefällt, ist es immer noch so, wie ich es haben wollte. [lacht] Ich bin sehr zufrieden damit. Ich mag das Album sehr und halte es für eines der besten, die ich jemals gemacht habe. In England war es ungefähr eine Woche lang sehr erfolgreich, und dann verschwand es von den Monitoren. Aber mit diesen Alben habe ich Menschen erreicht, die ich vorher nicht erreicht habe, und das finde ich ungemein aufregend.
Innerviews: Wie siehst du heute die Calling All Stations-Ära von 1997 und 1998?
Tony: Das war ein interessantes Album. Wenn es ein gewaltiger Erfolg geworden wären, wäre ich wahrscheinlich so glücklich über das Album wie über alle anderen. Mike wollte das Album unbedingt so machen, wie wir zu dritt mit Phil gearbeitet haben, aber jetzt halt nur als Duo, er und ich. Wir haben uns dabei sehr auf Drumcomputer gestützt. Als Phil noch dabei war, haben wir alle gleichzeitig gespielt, und dann ergab sich etwas. Ohne Phil musste einer von uns für den Rhythmus sorgen, während der andere improvisierte. Das war schwieriger.
Wir haben eine Reihe von sehr guten Stücken für das Album produziert, finde ich. Ich wollte gerne noch ein oder zwei zusätzliche Stücke hinzubringen, die eher nach Solowerken von Mike und mir klingen. Ich mochte diese Sachen im Stil von Ripples, mit denen Mike manchmal ankam, und die experimentierfreudigeren Stücke à la One For The Vine, die ich machte. Aber Mike fand die Idee nicht so gut, also haben wir am Ende eine bestimmte Art Musik für das Album gemacht. Das Album hat etwas Einheitliches an sich, was ich bedauere. Es enthält auch ein oder zwei ziemlich schwache Stücke. Überdies haben wir zwei der besten Stücke nicht aufs Album gepackt – das war ein Fehler.
Insgesamt war ich nicht unzufrieden mit dem Album. Mit Ray Wilson hatten wir einen Sänger mit einer sehr guten Stimme, aber wir wussten erst ziemlich spät, dass er der Sänger sein würde, und das hat uns ausgebremst. Wir haben uns eine Reihe von Demobändern angehört und verschiedene Leute zum Vorsingen eingeladen. Ray hat eine tolle Stimme, aber sie hat gewissermaßen nur eine besondere Stärke und ist nicht so geeignet für andere Sachen.
Vielleicht hätten wir zwei Sänger holen sollen. Aber wenn wir Ray einfach mal machen lassen haben – wie beim Titelsong und bei There Must Be Some Other Way, dann klingt er wirklich klasse. Das sind zwei von den stärkeren Songs.
Mir hat ein Sänger wie Phil gefehlt, der improvisieren konnte, woraus sich dann etwas Neues entwickelte. Natürlich hat mir auch sein Schlagzeugspiel gefehlt – allerdings war Nir Z, der auf dem Album und auf der Tour getrommelt hat, wirklich gut.
Ein gutes Beispiel dafür, wo etwas nicht so richtig klappt, ist das Finale von One Man’s Fool. Die erste Hälfte klingt gut, aber die zweite Hälfte ist nicht wirklich ausgestaltet und bewirkt nicht, was sie bewirken sollte. Wenn wir eine Band gewesen wären und das als Band geschrieben hätten, dann wäre dabei etwas besseres herausgekommen.
So ist das eben. Das Album hat gute Passagen und auch sehr gute Passagen. Aber es hat auch ein paar Augenblicke, die vielleicht nicht so toll sind.
Lustigerweise wollte Mike sehr gerne Calling All Stationsmachen, und ich war nicht so scharf darauf. Ich sage ihm: „Wie soll denn das werden ohne Phil? Und das Publikum wird … schwierig werden.“ Die Gruppe wurde allgemein mit Phil gleichgesetzt. Nachdem wir das Album gemacht hatten, hatte ich ziemliche Lust, ein zweites Album zu machen, weil ich das Gefühl hatte, dass wir Rays Stimme jetzt wirklich verstanden hatten. Mit Nir Z. hatten wir einen tollen Schlagzeuger, und Anthony Drennan an der Gitarre hat uns auch sehr gefallen. Also habe ich vorgeschlagen: „Lass uns doch alle zusammen als Band ins Studio gehen – mal schauen, was passiert.“ Aber Mike hat kalte Füße bekommen. Er fand, Calling All Stations habe nicht so viel Erfolg gehabt wie er gehofft hatte, und das sei sehr enttäuschend. Das stimmte natürlich besonders für Amerika. Mike hielt es für das Beste, Schluss zu machen. Und aus meiner heutigen Sicht glaube ich, dass er Recht hatte. Es wäre traurig gewesen, noch mehr Platten zu machen, die den Ansprüchen nicht gerecht werden. Wir hatten schon ein Album gemacht, das vielleicht so war. Da noch ein zweites hinterherzuschieben wäre wohl eine falsche Entscheidung gewesen.
Wie gesagt: Damals habe ich ernsthaft erwogen, mich ganz aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen. Aber damals habe ich auch mit klassischer Musik angefangen, und das hat mir Impulse in eine ganz andere Richtung gegeben – ein richtiger Jungbrunnen.
Innerviews: Ich möchte dir gerne ein paar weniger bekannte Genesis-Stücke nennen und würde dich bitten, zu erzählen, was dir als erstes dazu durch den Kopf geht.
Tony: Schieß los!
Innerviews: The Dividing Line. [Calling All Stations, 1997].
Tony: Ein großartiger Rhythmus, aber von den Texten her ein bisschen schlicht. Die Melodie hätte besser sein können. Wir hatten sehr viel Spaß dabei, den Rhythmusanteil aufzunehmen. Das Stück hat durchweg tolles Schlagzeugspiel, und das gilt ganz besonders für das Schlagzeugsolo.
Innerviews:Feeding The Fire. [B-Seite von Invisible Touch, 1986]
Tony: Klingt ein bisschen nach Tears For Fears. Ein starker Song, finde ich, und ich war mit dem Text ziemlich glücklich. Das zugrundeliegende Riff ist wirklich gut. Mir gefiel die Idee, mit dem Ausdruck „feeding the fire“ [etwTony: „das Feuer schüren“, d.Übers.] zu beschreiben, wie manche Menschen ihren eigenen Sturz verursachen. Ich hätte es ziemlich gerne auf dem Album gehabt, aber wir mussten damals eine Menge Entscheidungen treffen.
Innerviews:The Brazilian [Invisible Touch, 1986] und Do The Neurotic [B-Seite von Invisible Touch, 1986]
Tony: An diesen beiden Instrumentals scheiden sich irgendwie die Geister. Viele Leute finden, wir hätten Do The Neurotic auf Invisible Touch nehmen sollen und The Brazilian weglassen. Wir haben uns für The Brazilian entschieden, weil uns das Schrullige daran so gefiel. Es ist ein viel einfacheres Stück als Do The Neurotic. Do The Neuroticist, glaube ich, die wildeste Nummer, die wir jemals aufgenommen haben. Erst kürzlich habe ich es wieder gehört. Es ist unglaublich vertrackt und hat ein paar wirklich wilde Momente. Man muss sich auch klarmachen, dass wir diese Stücke wirklich so gespielt haben. Da gab es kein Mogeln, da hat niemand nach der Aufnahme noch etwas dazugepackt. Do The Neurotic ist wahrscheinlich das Stück, bei dem wir als Band am allerbesten zusammengespielt haben – es klingt sehr, sehr gut. Wenn man sich vor Augen führt, dass wir nur ein Trio waren, ist das ein besonders spannendes Stück Musik. Im Nachhinein hätte ich es lieber auf dem Album gehabt. Aber [Jayne] Torvill und [Christopher] Dean [britisches Eiskunstlaufpaar, die Mitte der 80 Jahre höchst erfolgreich waren; d.Übers.] haben zu The Brazilian getanzt, also kann das Stück so schlecht nicht sein.
Innerviews:Keep It Dark. [Abacab, 1981]
Tony: Eins meiner Lieblingsstücke. Ich habe den Text geschrieben. Da könnten die Leute natürlich sagen: „Du hast den Text geschrieben, klar, dass du das Stück deswegen magst!“[lacht] Der Song ist unglaublich schlicht. Wir hatten einen Drumloop und ein Gitarrenriff, das sich mehr oder weniger durch das ganze Stück hindurchzieht. Ich habe versucht, so viele Akkordwechsels wie möglich über dieses sehr einfache Riff zu legen. Und es ist eine ganze Menge geworden.
Das Stück hat einen unglaublich romantischen Refrain mit sehr sachlichem Text. Ich überlegte mir, wie ich das mit den Texten kontrastieren könnte. Da tauchte die Idee in mir auf, dass der Mann in der Strophe erzählt, was ihm tatsächlich passiert ist. Er wurde in einem Raumschiff entführt und hat diese andere, wunderbare, schöne Welt gesehen. Aber er konnte niemandem davon erzählen, weil sie alle denken würden, er sei verrückt. Ich mag diese Vorstellung, dass einem niemand glaubt, dass man von Aliens entführt wurde. Dass alle einen dafür auslachen. Wenn dir das also selbst passiert, behältst du es besser für dich und lässt sie anderem im Dunkeln – deshalb heißt das Stück Keep It Dark.
Innerviews:Naminanuund Submarine[B-Seiten von Abacab, 1981]
Tony: Keines dieser beiden Instrumentals hat es aufs Album geschafft, aber ich mag sie beide sehr. In Naminanugibt es diesen Augenblick, an dem das Stück richtig abhebt und zum Ende hin richtig Fahrt aufnimmt. Das ganze Stück ist auf diesen Moment hin ausgerichtet. Der Track kann schon ein bisschen ärgerlich und gleichförmig sein, aber ich fand ihn aufregend. Wenn wir uns entschlossen hätten, ein längeres Stück zu machen, wäre Naminanuein Teil davon geworden.
Wir hatten die Möglichkeit, Dodo/Lurker auf dem Album in andere Stücke und Stückchen wie Naminanuund Submarineübergehen zu lassen, aber wir haben uns letztendlich dagegen entschieden. Wir wollten lieber den kurzen, direkteren Weg gehen.
Abacabwar sicherlich eine Zäsur für uns. Wir ließen die großen Refrains hinter uns und bewegten uns in eine etwas geradlinigere Richtung. Außerdem hatten wir diese tollen Drumsounds, die Phil entwickelt hatte, vor allem mit Peter Gabriel auf Intruder und danach auch auf Face Value. Das war ein gewaltiger Sound und schon an und für sich aufregend. Wir hätten schon fast die ganzen großen Keyboards nicht mehr gebraucht. Das war unser Vorgehen bei Abacab. Wir haben alles klein gehalten und alles außer dem Schlagzeug verworfen. Unter diesem Aspekt waren wir sehr erfolgreich.
Innerviews:Duchess. [Duke, 1980]
Tony: Noch ein Stück, für das ich den Text geschrieben habe. Ich habe oft gesagt, dass das mein Lieblingsstück von Genesis sei. Es ist über die Jahre hin ein paar Mal wiederbelebt worden. Rosanna Arquette hat mir gesagt, es sei ihr Lieblingslied. Die Hörer können sich, glaube ich, auf vielerlei Weise in dem Stück wiederfinden. Man muss kein Sänger sein, um einen Bezug zum Aufstieg und Niedergang in der Laufbahn einer Person zu finden.
Duchesswar nur der Name für eine Sängerin. Ein einzelnes Wort als Bezeichnung für sie. Der Song erzählt am Anfang ihren Wunsch nach Erfolg, dann, dass sie Erfolg hat, und am Ende, wie alles für sie schief läuft. Der große Bogen einer Karriere, wenn man so will. Eine Menge Laufbahnen haben diese Form, denke ich. Der Song hätte genausogut auch von Genesis handeln können.
Das Entscheidende an einem Rocksong – und der Grund, warum Liebeslieder so erfolgreich sind – ist das Einfache, das Direkte. Wenn man das einem Song schafft, wird er unglaublich stark. Wenn man sich den Text von Duchess auf Papier anschaut, ist das nichts besonderes. Wenn man ihn aber mit der Musik zusammenbringt, entsteht etwas ungemein Starkes. Das Stück hat diesen übergreifenden Charakter.
Innerviews:One For The Vine. [Wind & Wuthering, 1976]
Tony: Aha, du hast alle Stücke herausgesucht, für die ich die Texte geschrieben haben, stimmt’s? Bei diesem Stück habe ich alles geschrieben. Das war in der Phase, in der ich den Jungs ein komplettes Stück vorgespielt habe, während sie daran gearbeitet haben. Wir haben es so gemacht, dass wir erstmal Phil und mich im Studio aufgenommen haben. Ich habe am Klavier gesessen und Phil am Schlagzeug. Und dann haben wir alle weiteren Spuren darüber gelegt.
Ich finde, das Stück ist ziemlich gut geworden und ist dann live noch besser geworden. Es wäre schön gewesen, wenn wir es noch öfter hätten proben können, bevor wir es aufgenommen haben. Aber so, wie es ist, hat jeder die Gelegenheit, ein bisschen was Schrulliges einzubringen, vor allem bei Phil’s Schlagzeug und Steves fantasievollem Gitarrenspiel. Steve klingt wirklich toll hier in all den kleinen Dingen, die er hier spielt.
Das Stück war wie eine zehnminütige Mini-Suite mit einem starken, dramatischen Ende. Vom Text her ähnelt es The Lamb Lies Down On Broadway; es geht um einen Mann, der genau zu dem wird, was er ursprünglich verachtet, eine Art Messias. Am Ende ist er davon sehr desillusioniert – das geht vermutlich sehr vielen Leuten mit den verschiedensten Lebensläufen so, vor allem in der Politik.
Innerviews:Where The Sour Turns To Sweet. [From Genesis To Revelation, 1969]
Tony: Jetzt gehst du aber wirklich weit zurück! Peter Gabriel und ich haben dieses Stück vor langer, langer Zeit geschrieben. Es hatte erst einen anderen Refrain, der nicht so gut war wie der jetzige. Am Ende haben wir den Refrain aus der Einleitung gebaut, und damit wurde das Stück viel besser.
Es war das vierte Stück, das wir zusammen geschrieben haben. Damals war das meistens so, dass ich Klavier gespielt habe, während Peter dazu sang. Peter spielte Klavier, wann immer er mal konnte.
Wenn ich dieses Stück höre, bin ich sofort wieder in dieser Anfangszeit mit Anthony Phillips und den anderen. Wir waren damals sehr naiv. Wir kamen alle aus diesem sehr beschützten Hintergrund und hatten keine Ahnung von irgendwas. Also ergab sich dieses süßliche Stück mit dem starken Refrain. Wahrscheinlich deutet sich da schon an, was wir später mal machen würden. In diesen Anfangstagen haben wir ganz klar noch in anderen Kategorien gedacht.
Innerviews: Phil Collins ist wieder aktiv und auf Tournee. Letzten Juni hat Mike Rutherford in Berlin mit ihm Follow You Follow Me gespielt. Habt ihr drei mal über eine Genesis-Reunion gesprochen?
Tony: Wir sprechen gelegentlich davon. Ich hatte nicht erwartet, dass Phil tatsächlich in der Lage wäre, so aufzutreten und mit dieser Häufigkeit, wie er es jetzt tut. Die Möglichkeit besteht offensichtlich. Es wäre aber deutlich anders. Phil kann nicht mehr Schlagzeug spielen. Sein Sohn Nic ist ein hervorragender Drummer und kann seinem Vater sehr ähnlich spielen, aber es gäbe da immer noch eine Reihe von logistischen Problemen, wie man das hinbekommen könnte, wenn man es machte.
Aber wir reden darüber. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist. Wie Mike immer sagt: „Sag niemals nie.“ Das sagen wir ständig. Es ist jetzt sicherlich wahrscheinlicher als vor zwei oder drei Jahren, als ich nicht geglaubt hätte, dass Phil jemals wieder auftreten könnte. Aber wenn er jetzt auftritt und gut klingt, wenn er singt, muss wohl eine Chance bestehen. Aber wir haben keine Pläne. Wir haben aber keineswegs genauer oder verbindlicher darüber gesprochen. Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken, aber das Thema taucht auf.
Innerviews: Wie würde ein Genesis-Konzert deiner Vorstellung nach funktionieren, wenn Collins die ganze Zeit sitzt und sein Sohn Schlagzeug spielt?
Tony: Also, es kann natürlich funktionieren, aber es wäre schon anders. Phil hatte ein paar sehr dramatische Momente auf der Bühne mit Genesis. So intensive, dramatische Momente, wie wir sie bei Domino, Home By The Seaoder Afterglowhatten, kann er nicht wieder haben, wenn er dabei auf einem Stuhl sitzt. Die Effekte können da natürlich ein bisschen unterstützen.
Also sagt man einfach: „Er wird diese Stücke nicht wie früher bringen.“ Wir spielen einfach die Stücke. Wir haben eine Menge guter Stücke – das ist also kein Problem. Aber ich glaube, wir können nicht dieses ausgedehnte Keyboardsolo haben wie 2007, wo wir ein bisschen von allem drin hatten. Das würde auch keinen Sinn ergeben, denn der Sinn war, dass Mike, Phil und ich gemeinsam spielen, wie wir es bei Stücken wie Duke’s Travels gemacht haben. So ein Konzert hätte eine andere Intensität und eine anderen Setlist. Aber ich sehe keinen Grund, aus dem es nicht gemacht werden könnte, solange alle halbwegs gesund sind und Lust dazu haben.
Innerviews: Fehlt es dir, mit Genesis vor riesigen Menschenmassen aufzutreten?
Tony: Nein. Dieses Bedürfnis habe ich nicht. Aber ich würde es tun, denn ich sehe keinen Grund, es nicht zu tun. So bin ich. Ich bin, im Kern, ein Rockmusiker. Hoffentlich bin ich auch ein Songwriter und ein Komponist. Ich finde, das ist auch aufregend. Wenn ich das Konzert von jemand anderem besuche und hinter die Bühne komme, habe ich dieses Gefühl wieder.
Als wir 2007 die letzte Tour gemacht haben, ging es nicht nur um die Band mit Daryl Stuermer und Chester Thompson, sondern auch um die Crew. Da herrschte eine tolle Stimmung, mit all den Frauen und Kindern und zu sehen, wie die Kinder groß geworden sind. Das war ein wunderbarer Moment. Wir mussten niemandem etwas beweisen – das war schön. Wir hatten kein neues Material, also haben wir einfach die Musik gemacht. Wenn wir dir nicht gefallen haben, bist du nicht hingegangen. Wenn du uns gemocht hast, bist du hingegangen. Das Publikum hatte die Möglichkeit, die Stücke zu hören, die sie hören wollten, und vielleicht auch Stücke, die sie nicht hören wollten. Aber im Ganzen haben wir hoffentlich so viele Sachen gespielt, die die Leute hören wollten, dass es sich für sie gelohnt hat.
Ich habe nicht das Gefühl: „Also, das wollen wir jetzt nicht nochmal.“ Es ist aufregend, dort hinauszugehen und vor einer großen Menge aufzutreten. Das kann ich nicht abstreiten. Ich habe mich immer ein bisschen als Zuschauer gefühlt. Ich spüre die Menge und wie sie auf die Musik reagiert. Ich bin der Vermittler, und so soll es auch sein. Und zweifellos ist das aufregend.
Innerviews: Was bringt die Zukunft für dich als Musiker?
Tony: Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Es gibt allerlei Möglichkeiten. Eine Option besteht darin, noch ein klassisches Ding zu machen. Ich möchte auch noch eine Rocksache machen. Es gibt auch noch andere kleine Projekte, an denen ich gearbeitet habe, die mir Spaß gemacht haben – meine Arbeit mit John Potter beispielsweise. 2015 habe ich zu seinem Album Amores Pasados (bei ECM erschienen) beigetragen. Er ist ein klassischer Tenor. Ich habe zwei Gedichte vertont, die auf das Album gekommen sind. Zwei weitere werden hoffentlich auf einem späteren Album erscheinen. Da gibt es keinen Druck. Er macht damit, was er will, und sie sind sehr schön geworden.
Ich habe diese Musik sehr schnell schreiben können, weil ich die Texte schon hatte. Das ist ein Bonus. Daraus habe ich gelernt, warum Elton John so schnell Stücke schreiben kann – weil er immer schon die Lyrics von Bernie Taupin hat. Da kommt die ganze Stimmung in Bewegung. So etwas zu schreiben ist ziemlich interessant und macht Spaß.
Ich mache gerne Sachen, bei denen ich nicht der Mann ganz vorne bin. Ich wäre sehr gerne einfach nur ein Songschreiber gewesen, dessen Musik von anderen Leuten verkauft wird, statt aufstehen und die Musik selbst darbieten zu müssen. Aber das sollte halt nicht sein.
Innerviews: Hat deine Musik eine spirituelle Komponente?
Tony: Nein. Überhaupt nicht, muss ich sagen. Ich bin sehr erdverbunden. Was ich sagen kann: Ich erlebe Musik sehr rein. Ich höre Musik als Musik. Ich höre sie nicht anders. Ich versuche sie also auch nicht zu analysieren. Wenn ich das versuche, wird Musik etwas anderes. Wenn ich Musik nicht analysiere, passiert in meinem Gehirn etwas, das keine Verbindung zu irgendetwas Physischem hat. Es ist ganz und gar jenseits dessen.
Ich habe manchmal Probleme, Texte für ein Lied zu finden, wenn ich ein Instrumental und einen Titel dazu habe. Der Titel gibt dem Song immer einen gewissen Charakter. Auf Seven wollte ich die einzelnen Stücke One, Two, Three, Four, Five, Six und Sevennennen. Das Label hat es mir verboten. Ich wollte vermeiden, dass den Stücken irgendeine Eigenschaft mit dem Titel eingeprägt wird.
Eines meiner Lieblingsstücke, Schostakowitschs Zehnte Sinfonie hat keine Titel für die einzelnen Sätze. Wenn man es hört, kann man einfach nur da sein. Es ist nur Musik, und es ist wunderbar. Man kann die Musik einfach auf dieser Ebene erleben. Das mag ich. Ich möchte, dass die Menschen dieselbe Erfahrung mit meinen Arbeiten machen: einfach nur Musik.