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The Phil Collins Big Band – Montreux 1996 – Konzertbericht

Am 17. Juli spielte die Phil Collins Big Band ein denkwürdiges Konzert im Rahmen des Montreux Jazz Festivals.

17. Juli ’96, Montreux – Auditorium Stravinski (Schweiz)

Laut Presseberichten erfüllte sich Phil Collins einen lange gehegten Traum, als er beim 30. Jazz-Festival in Montreux zusammen mit 19 anderen Musikern auftrat. Die Phil Collins Big Band sollte Songs von Genesis und Phils Solokarriere „Big-band-gerecht“ umsetzen. Der Ansturm auf die Tickets war derart groß, dass ein Zusatzkonzert am späten Nachmittag angesetzt wurde. Ich hatte das Glück, für beide Konzerte Karten zu bekommen.

Die Nachmittag-Show

Den Konzerttag eröffnete ein gewisser Richie Havens. Einzig von seiner Gitarre begleitet, spielte die Woodstock-Legende ab 17 Uhr Songs wie zum Beispiel das packende Freedom. Havens war auf Einladung von Phil nach Montreux gekommen. Sein Auftritt war nett, aber mit einer knappen Stunde Dauer definitiv zu lang. Die Erleichterung des Publikums war spürbar, als er aufhörte und den Platz für die eigentlichen Stars freimachte.

In der Mitte und leicht erhöht saß Phil am Schlagzeug, neben und vor ihm nahmen Daryl, Brad, Nathan und die Vine Street Horns Platz sowie, zum ersten Mal mit Phil unterwegs, die Hornsection der WDR-Big-Band und ein Percussionist namens Luis Conte. Den Auftakt machte Two Hearts, und typisch für die meisten Lieder dieses Abends kam es in einer frischen, ungewohnt spritzigen Version daher.
Phil leistete ausgezeichnete Arbeit an den Drums. Zwanzig Musiker gleichzeitig seine Songs spielen zu hören, war ein großes Vergnügen. Und es erstaunte, wieviel an Neuem aus altbekannten Stücken wie That’s All herauszuholen war.

Nach und nach kamen verschiedene zusätzliche Gäste von Phil auf die Bühne: Quincy Jones, der fortan dirigierte; David Sanborn mit einem für mich enttäuschenden Auftritt unter anderem bei In The Air Tonight; und schließlich Tony Bennett. Wie schon Havens sang auch Bennett eine Spur zu lange. Nach dem Auftritt von Bennett folgten noch wenige Songs bis zur Zugabe. Erstmals an diesem Abend
stieg Phil von seinem Platz hinter dem Schlagzeug herunter und schnappte sich ein Mikrophon, um zwei sehr schöne Coverversionen zu singen. Dann kam nur noch Sussudio, und das Konzert war beendet.

Absoluter Höhepunkt des Auftritts war das relativ zu Beginn gespielte The West Side. Was Phil an den Drums fertigbrachte, ist kaum zu beschreiben und war während des Konzertes streckenweise nicht mehr nachvollziehbar. Die Geschwindigkeit und gleichzeitig die Perfektion Phils waren atemberaubend und der Sound schlicht sagenhaft gut. Das Konzert hatte eindreiviertel Stunden gedauert.

Auch wenn es einige ausgezeichnete Songs beinhaltete, reichte es mir nicht ganz. Warum spielte Phil kein einziges Stück von … But Seriously und Both Sides? Und warum brachte er nur so wenig von Genesis? Ich bin der Meinung, er hätte gut einige Lieder seiner Gäste Havens und Bennett zugunsten eigener Stücke weglassen können.

Ein weiterer Wermutstropfen war die Reaktion des Publikums, die weit kühler ausfiel, als zu erwarten gewesen wäre. Wie schon in Genf lag das hauptsächlich an den älteren Damen und Herren in den vorderen Rängen, die mit Phils Musik offensichtlich nichts anfangen konnten und wider besseres Wissen doch gekommen waren. Dass diese Leute den Saal vor der Zugabe verließen, überraschte mich dann nicht mehr.

Die Abend-Show

Aber es gab ja noch das Hauptkonzert. Mit der Hoffnung, eine bessere Stimmung und vielleicht
das eine oder andere zusätzliche Stück aus Phils Repertoire zu hören, ging ich um 21 Uhr ein weiteres Mal ins Auditorium Stravinsky. Und tatsächlich befanden sich jetzt endlich die Fans in der Mehrheit. Die Band spielte sichtbar mit mehr Begeisterung, und das Publikum nahm es dankbar auf. Phil begann, Scherze zu machen, und wandte sich immer wieder an die Zuschauer, was er im Konzert zuvor nicht getan hatte. Sein Französisch hat sich leider noch nicht gebessert, so dass er ins Englische auswich und das Prinzip des Konzertes so erklärte: ,,We’re going to play my shit, but differently!“ In Bezug auf die Songs hatte sich aber leider gar nichts verändert.

Gespielt wurde der völlig identische Set des ersten Konzertes

Die Setlist

Two Hearts
That ’s All
In The Air Tonight
Invisible Touch
The West Side
Against All Odds
Hand In Hand

Tony Bennett-Set:
Watch What Happens
Over The Rainbow
People
Old Devil Moon
The Lady Is In Love With You
There Will be Some Changes Made

Drum-/ Percussion-Duett
Los Endos
Always
Do Nothin‘ Till You Hear From Me
Sussudio

Fazit

Begeistert von fast vier Stunden Live-Musik, aber etwas enttäuscht von der mageren Collins/Genesis-Ausbeute verließ ich zum zweiten Mal die Halle. The Phil Collins Big Band? Ausgezeichneter Sound, aber etwas mehr davon würde nicht schaden .. .

Autor: Oliver Höhne
zuerst erschienen im it-Magazin #20, September 1996
Anmerkung der Redaktion: Die Setlist wurde bei der Überführung des Artikels auf die Website korrigiert, da diese zum Teil falsche Tracknamen enthielt.