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The Mute Gods – Trilogie mit Aliens, Baertierchen und Glaeubigen
The Mute Gods sind ein Projekt des Bassisten Nick Beggs, des Keyboarders Roger King und des Drummers Marco Minnemann – die mittlerweile alle auch Teil der Steve Hackett Familie sind. Grund genug, die drei Alben der Band einmal genauer zu beleuchten und das Gesamtwerk zu betrachten.
The Mute Gods – Einführung
The Mute Gods sind Nick Beggs, Roger King und Marco Minnemann. Man darf sich The Mute Gods jedoch nicht als Band vorstellen, die gemeinsam im Probenraum jammt und ihre Songs miteinander einspielt. Tatsächlich handelt es sich im Grunde um ein Soloprojekt von Nick Beggs, der praktisch alle Songs selbst schreibt, arrangiert und fertige Demos einspielt, welche von seinen Mitstreitern, mit denen er in den Bands von Steve Hackett bzw. Steven Wilson gespielt hat, dann ergänzt werden [1]. Während der umtriebige Marco Minnemann, der als Drummer u.a. für Joe Satriani, Steven Wilson und zuletzt auf den Kreuzfahrtkonzerten (zum Beispiel bei der Cruise To The Edge 2019) von Steve Hackett in dessen Band gespielt hat und daneben seine eigene Band – das Avantgarde-Rock-Trio The Aristocrats – betreibt und einen immensen Output an Soloscheiben vorzuweisen hat, lediglich Schlagzeug und Gitarrenspuren beiträgt, fungiert Roger King, der als langjähriger musikalischer Partner von Steve Hackett hierorts keiner weiteren Vorstellung bedarf, neben seinem instrumentalen Input am Keyboard zudem als Produzent der Mute Gods. Beggs schätzt die Zusammenarbeit mit King, weil man einander mit den jeweiligen Stärken gut ergänze [2].
Der „Chef“ des Projekts ist Nick Beggs, bei den Mute Gods als Sänger, am Stick, Bass und Gitarren zu hören. Genesis Fans fiel Beggs erstmals möglicherweise im Jahr 2009 als extravagant gekleideter Bassist von Steve Hacketts Liveband auf, der seine blonden Zöpfe bevorzugt mit Zylinder kombinierte. Im Jahr 2014 übernahm er auf einer Genesis Revisited Tour zudem die 12-String-Gitarre. Das Repertoire war ihm nicht fremd, gehörten doch Seconds Out, A Trick Of The Tail und Genesis Live zu jenen Alben, auf die er in seiner Teenagerzeit besonders zurückgriff, während er sein Instrument erlernte und der Wunsch reifte, Profimusiker zu werden.
Außerhalb des Genesis-Universums erlangte Nick bereits in den 1980ern Bekanntheit mit der Synthpop-Band Kajagoogoo, die 1983 mit Too Shy einen Welthit landete. Kjagoogoo-Sänger Limahl kennen zudem sicherlich viele vom Titelsong der Verfilmung von „Die unendliche Geschichte“. Nach dessen Rausschmiss bei Kajagoogoo war Beggs auch Leadsänger, die Band löste sich jedoch 1985 auf.
Beggs arbeitete fortan mit einer ganzen Reihe von hochkarätigen Musikern: John Paul Jones, Howard Jones, Gary Numan, Cliff Richard, Steve Howe, Rick Wakeman, Midge Ure, Seal, Kim Wilde und Tina Turner. Zudem mischte er in den Bands Iona, Lifesigns und Fish on Friday mit und veröffentlichte zwei Stick-Alben: Stick Insect and The Maverick Helmsman.
Einen anderen Blick auf das Musikbusiness erhielt er durch eine zwar nur acht Monate dauernde, aber doch prägende Zeit als A&R Manager bei Phonogram Records in den frühen 1990ern. Auf diese Erfahrung griff er zurück, als ihn Steve Hackett um Rat fragte, wie er seiner Karriere Schub verleihen könne. Er riet ihm, ein Album mit allen großen Genesis-Songs aus seiner Zeit mit der Band und vielen möglichst prominenten Gastsängern zu machen: Genesis Revisited II [3]. Wie wir wissen, funktionierte dieser Karriereturbo für Hackett ganz ausgezeichnet. Tourte er vor diesem Album nur unregelmäßig und in kleineren Hallen, so ist er nun fast jährlich in zahlreichen ausverkauften Theatern unterwegs.
Wie kam es nun zu den Mute Gods? Thomas Waber von Inside Out ermutigte Beggs, ein eigenes Projekt zu starten, das auf seinem eigenen Songwriting basiert. Der Name The Mute Gods entstand als Reaktion auf das globale mediale Klima, in dem Hassprediger, die sich auf ihre Götter berufen, gehör finden, während Stimmen der Vernunft in den Massenmedien kaum durchzudringen vermögen [4].
Bei einer Mischung aus Bandmitgliedern der Bands von Steve Hackett und Steven Wilson mag es wenig überraschen, dass das musikalische Ergebnis wie eine Melange der beiden Künstler klingt, angereichert um das Gespür für feine Popmelodien, das Beggs noch aus Kajagoogoo-Tagen mitbringt. Kurz: Knackiger Poprock mit der einen oder anderen angeschrägten Abbiegung, topproduziert mit stets druckvollem, differenziertem Sound. Die drei Alben sind dabei deutlich als Trilogie zu sehen: das beginnt schon beim Artwork, das jeweils von Spiegelfolie und dem „Mirror-Man“ dominiert ist und setzt sich auch musikalisch und thematisch fort, es dominieren aktuelle Beobachtungen aus dem Zeitalter des postfaktischen Populismus. Wenn man damit ohnehin täglich konfrontiert ist, erhöht es den Genussfaktor erheblich, sich auf die Musik zu konzentrieren, die sich sowohl zum nebenher hören, als auch zur wiederholten genaueren Inspektion eignet.
(1) Quelle: Sonicperspectives
(2, 3, 4) Quelle: Anil Prasad: Nick Beggs – Anything Can Happen
Do Nothing Till You Hear From Me (2016)
Das Material für das 2016 erschienene Debüt Do Nothing Till You Hear From Me entstand großteils bereits 2014. Neben der Kern-Besetzung sind auch Nick D’Virgilio (Schlagzeug auf Calling All Stations; Ex-Spock’s Beard) and Gary O’Toole (Steve Hackett-Band) an den Drums zugange, hinzu kommen Beiträge der Keyboarder Adam Holzman (Miles Davis, Steven Wilson), Rob Reed (Magenta) und Frank Van Bogaert, sowie von Multiinstrumentalist Ricky Wilde, dem Bruder und Produzenten der 1980er Ikone Kim Wilde.
Der Titeltrack bezieht sich auf eine Reihe von Beggs Lieblingsthemen, die sich durch alle Alben ziehen: Aliens, Religion, mediale Desinformation, Beeinflussung politischer Entscheidungen durch den industriell-militärischen Komplex. „Das Album bietet eine Reihe von Stimmungen“, erklärte Beggs dem Musikjournalisten Anil Prasad in einem lesenswerten Interview: „Aber insgesamt ist es ein ziemlich verärgerte Abrechnung mit der Dystopie, die wir für uns und unsere Kinder erschaffen haben.“ [5]
Das programmatische Praying To A Mute God bietet als Highlight ein instrumentales Zwischenspiel mit einen kurzen Ausflug in atonale Gefilde, um dann umso melodiöser ins Finale zurückzukommen. Es ist ein Muster, das sich auf mehreren Tracks wiederfindet.
Nightschool For Idiots ist anschließend ein balladesker, zurückgenommener Kontrapunkt, überzeugt mit Sounds zwischen Retroprog und New Artrock, Beggs Stimme schwebt über einem ebenso dichten aber luftig-melodiösen Teppich.
Feed The Troll, das Beggs all jenen widmet, die zuviel Zeit totzuschlagen haben [6] (und diese mit herumtrollen im Internet verbringen), bewegt sich dann deutlicher im Stilgewässer neuerer Prog Bands. Insbesondere Steven Wilson stand hier zwar nicht Pate, aber die Verwandtschaft zu dessen Track Index ist deutlich. Der Song changiert zwischen Industrial/Elektrogeblubber, Noisekaskaden und melodischen Bögen und zeigt damit die ganze Bandbreite der Band in einem Stück. Your Dark Ideas setzt die aggressivere Seite des Albums fort, ehe mit der ruhigen, poppigen Ballade Last Man On Earth, aus der ein sphärisches Gitarrensolo heraussticht, ein Kontrapunkt gesetzt wird. Mit dem Instrumental In The Crosshairs, das an jüngste Werke von Steve Hackett erinnert, nimmt die Platte wieder Fahrt auf, beim keyboarddominierten Strange Relationship werden dann die Steven Wilson Fans ein Déjà-vu haben.
Es folgt das Highlight des Albums in Gestalt von Swimming Horses, einer Co-Komposition von Beggs mit Nick D’Virgilio und Rob Reed. Schon das Intro lässt erahnen, welch episches Stück folgen wird, und als Beggs galoppierender Bass loslegt, die Gitarren singen und dann noch verträumte Pianopassagen hinzukommen, schlägt des Progger-Herz-höher bis zum von epischer Orchestrierung getragenen Finale.
Anschließend wird in Mavro Capeloetwas härter zur Sache gegangen, bevor mit dem treffend Father Daugther betitelten Vater-Tochter-Duett Beggs-Beggs (Nick und Tochter Lula) das Album mit Pianoklängen und reduzierter Percussion ausklingt.
Der Erstling zeigt sich vielschichtig und ausgezeichnet strukturiert. Beggs versteht es, durch die Abfolge der Songs und Stimmungen die Spannung auf Albenlänge hochzuhalten.
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(5, 6) Quelle: Anil Prasad: Nick Beggs – Anything Can Happen
Tardigrades Will Inherit The Earth (2017)
Tardigrada oder Bärtierchen sind meist unter einem Millimeter große Tierchen, die quasi überall unter jeglichen Umweltzuständen überleben können. Der Titel des Mute Gods-Zweitlings deutet also postapokalyptische Zustände an. Entsprechend sind auch die Themen des Albums Endzeitbeschwörend, und sei es nur in der Erkenntnis: We Can’t Carry On. So können wir nicht weitermachen mit unserer Gesellschaft und mit unserem Planeten. Beggs: „Ich glaube die Texte sind sehr düster. Es gibt einige dunkle melodische Ideen und es ist sehr knorrig. Keine Schimpftiraden wie zum Beispiel auf einem Rage Against The Machine Album. Es ist melodisch, aber das wütendste Album das ich je gemacht habe.“ [7] Gesellschaftliche Spaltung und Ressourcenverschwendung machen Beggs in einem Interview 2017 pessimistisch: „Ich habe keine großen Hoffnungen für die Menschheit. Wir bewegen uns auf dünnem Eis und haben nicht mehr lange Zeit. Das Leben wird sehr schwer werden in den nächsten 100 Jahren.“ [8]
Das Album kommt tatsächlich etwas angehärtet und weniger variantenreich daher als der Vorgänger. Untypisch ist der Introtrack Saltatio Mortis, der dem geneigten Hackett-Fan sehr vertraut erscheint, er hätte etwa problemlos auf Wolflight Platz finden könne, und siehe da, es ist die einzige Roger-King-Komposition des Albums.
Dann kommt der angesprochene Ärger zum Zug: Animal Army rumpelt böse daher und geht zum Angriff über. Das schon angesprochene We Can’t Carry On verleiht dieser Erkenntnis Ausdruck. Das Stück bewegt sich in jenen elektronischeren Gefilden, die auf dem Debüt mit Feed The Trollvertreten waren. The Dumbing Of The Stupid bewegt sich mit starken Effekten auf Beggs Stimme dem Thema zunehmender Verdummung angemessen wütenden Gefilden, bevor Early Warning mit akustischer Gitarre und glockenhellem Gesang einen benötigten Kontrapunkt setzt.
Der Titeltrack Tardigrades Will Inherit The Earth beschreibt die Vergänglichkeit menschlichen Lebens vor der mantraartigen Wiederholung des Titels, wechselt dabei zwischen seltsam fröhlich anmutendem und bedrohlichem Singsang. Window Onto The Sun zeigt dann die progressivere Seite der Band, nach einem atmosphärischem Intro legen die Mute Gods ein gefällig-treibendes rhythmisches Netz, über dem sich angeschrägte Gitarrensoli und Beggs facettenreicher Gesang tummeln. Lament ist ein leider sehr kurzes, aber umso schöneres delikates Instrumental, mit Beggs am Stick, begleitet von Orchestrierungen von King.
Der Achtminüter The Singing Fish Of Batticaloa weckt Erinnerungen an Genesis, die Synthsounds zu Beginn scheinen direkt Wind & Wuthering entnommen. Nach einem von akustischen Gitarren getragenen Zwischenspiel begegnet uns der Synth wieder und der Song nimmt Fahrt auf, ehe er mit Piano und tierischen Geräuschen ausklingt.
Hallelujah reiht sich in die galoppierend aggressiveren Songs des Albums ein, ohne diesen ein neues Element hinzuzufügen, ehe das kurze Instrumental The Andromeda Strain die Power des Trios demonstriert. Das Album schließt mit der pianogetragene Ballade Stranger Than Fiction eigentlich versöhnlich, doch nach einigen Minuten Stille folgt noch der „Hidden Track“ Jesus Thinks You’re A Fuckwit(Jesus hält dich für einen Idioten), der noch von den Sessions zum Debütalbum stammte.
Der mit der Gesamtsituation unzufriedene Beggs lässt uns mit dem Zweitling ein wenig konsterniert zurück, die Ausgewogenheit des Debüts ging im Zorn ein wenig verloren. Doch er sollte die Freude wiederfinden.
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(7, 8) Quelle: Progessive Music – Interview with Nick Beggs
Atheists And Believers (2019)
Mit einem Lachen begrüßt und Nick Beggs am Beginn des Titelsongs, ein gefälliger, straighter Rocksong mit knackigem Bass im nunmehr bereits als typisch zu bezeichnenden Mute Gods-Aufbau folgen im instrumentalen Break vertraut schräge Soli. Atheists and Believersbehandelt die Suche nach intelligentem Leben im Universum vor dem Spiegel eher unintelligenter Medien auf der Erde.
Das Leben ist nur eine chemische Reaktion, heißt es in One Day, das mit einem Gastauftritt von Alex Lifeson (Rush) veredelt wird. Nicht wie man vermuten würde das Gitarrensolo, sondern das akustische Intro und Outro stammen vom Rush-Gitarristen. Er hatte es ursprünglich für den Schlussteil aufgenommen, aber Beggs fand so sehr gefallen daran, dass er daraus auch eine Einleitung bastelte und den Track quasi nach vorne verlängerte. [9]
Knucklehed klingt elektronischer, herausragend ist Beggs Slap-Bass. Lyrisch sind wir in vertrautem Gelände, eine Abrechnung mit den titelgebenden „Schwachköpfen“ und ihren Wahlentscheidungen: „Sie starren den ganzen Tag in eine Maschine (…) Sie wählen Leute, die uns unsere Rechte wegnehmen wollen“.
Mit Envy The Dead bleibt Beggs musikalisch aggressiv und lyrisch an der Welt verzweifelnd, werden hier bei der Betrachtung der Welt aus dem nur durch Medikamente erträglichen Alltag-Lebens gar die Toten beneidet.
Das Instrumental Sonic Boom mit Drummer Craig Blundell (Steven Wilson; ab April 2019 Drummer bei Steve Hackett) ist ein treibender, wuchtiger Rocker mit verspieltem Mittelteil, der uns aus der negativen Melancholie wieder ein wenig herauszuholen vermag.
Im zweiten Teil des Albums erinnern sich die Mute Gods, dass sie es auch weniger brachial können. Old Men beginnt verträumt an der akustischen Gitarre und an der Flöte, so dass man unwillkürlich an die pastoralen Klänge der frühen Genesis oder von Ant Phillips Soloalben erinnert wird. Das verträumte The House Were Love Once Lived ist vergleichsweise zurückhaltend akustisch und luftig arrangiert, mit einer schönen Gesangsleistung von Beggs.
Mit Iridium Heart kehren wir musikalisch und lyrisch zurück in kältere Gefilde. Nach einem längeren instrumentalen Intro setzt Beggs stark verzerrte Stimme ein. Der Track nimmt in seinen sechs Minuten einige Wendungen, ein interessanter Twist ist, mit welcher melodischen Eingängigkeit der Refrain seine Botschaft transportiert.
Dass sich in Twisted World Godless Universe erneut keine besonders fröhlich-optimistischen Botschaften verbergen, dürfte an dieser Stelle bereits klar sein. Im längsten Track des Mute Gods Repertoires wechselt Beggs zwischen klarem und stark verzerrtem Gesang, instrumental ist von Orchestrierung über elektronisch klingenden Passagen bis vorwärtstreibenden Rock alles vertreten, es endet in einem immer dichter werdenden Finale. Das abschließende Instrumental I Think Of You ist dann das heimliche Highlight des Albums: verträumt akustisch instrumentiert entlässt es uns positiv versöhnlich gestimmt aus der Beggschen Abrechnung mit dem Status quo.
Insgesamt konnte Atheists And Believers an die Klasse des Debütalbums anschließen und macht es gemeinsam mit diesem zur Empfehlung für Mute-Gods-Einsteiger. Auch der schwierige Zweitling Tradigradeshat seine Momente, fällt allerdings insgesamt ein wenig ab.
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Das Projekt Mute Gods scheint nach dem dritten Album abgeschlossen zu sein. Nick Beggs wollte das Projekt bewusst auf drei Alben beschränken und stilistisch prägnant bleiben. Allerdings schränkt er ein – wir Genesis Fans kennen die Aussage – „never say never“. Sollte sich die Möglichkeit ergeben, mit den Mute Gods zu touren, könnte es weitergehen, zumindest live. [10]
(9, 10) Quelle: Sonicperspectives
Autor: Siegfried Göllner
Diskussionen über das Projekt The Mute Gods findet ihr im it-FORUM in diesem Unterforum!
Quellen:
Anil Prasad: Nick Beggs. Anything can happen, https://www.innerviews.org/inner/beggs.html