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The Musical Box – Phil Collins über seinen Gastauftritt in Genf

Phil Collins über seinen Gastauftritt bei The Musical Box – vor und nach dem Ereignis in Genf vor 20 Jahren.

Phil Collins hat für seinen Gastauftritt im Rahmen der Show von The Musical Box in Genf am 24. Februar 2005 nicht nur eine Ankündigung geschrieben, sondern auch danach eine Nachlese auf seiner damaligen Website veröffentlicht. Beide Statements haben wir für euch in diesem Artikel zusammengetragen.


Guten Abend, meine Damen und Herren, Freunde und Fans…

Nun, 30 Jahre sind wie im Flug vergangen, und wir befinden uns auf einer Jubiläumsreise zurück ins Jahr 1974, um jenes alte Werk wiederzuentdecken… The Lamb Lies Down On Broadway.

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: An die Schreibsessions im rattenverseuchten Headley Grange, nahe Guildford. Pete in einem Raum mit einem Flügel und Stapeln leeren Papiers, die darauf warteten, mit Texten gefüllt zu werden. Ab und zu gesellte sich Peter zu uns, während wir uns durch verschiedene Jams und unfertige Songfragmente kämpften, die in der Luft schwebten. Der unglaubliche Tag, an dem wir The Waiting Room „schrieben“… damals noch Evil Jam betitelt, wild improvisierend durch unser Wörterbuch der fiesesten Geräusche, die wir finden konnten. Und dann, als sich plötzlich unsere „Stimmung“ änderte, tat es das Wetter draußen auch, von Donner und Platzregen zu Sonnenschein und Regenbogen… Ich schätze, man musste dabei gewesen sein, aber es WAR etwas ganz Besonderes!!!

Die Aufnahmen auf einem Bauernhof irgendwo in Wales. Wir waren in einer Scheune aufgebaut, mit dem Island Mobile neben dem Schweinestall geparkt… John Burns immer bereit mit einer selbstgedrehten Zigarette!!! Da wir mehr Material hatten als Zeit, es fertigzustellen, endeten wir damit, 24-Stunden-Sessions in den Island Basing Street Studios zu machen, jetzt Sarm West (Heimat von Frankie Goes to Hollywood und der Band Aid Single, um nur einige zu nennen). Wir beeilten uns, die Tracks fertigzustellen, damit wir alles rechtzeitig abschließen konnten, um nach Amerika zu gehen und das gesamte Doppelalbum vor einem verwirrten Publikum zu spielen, das noch keinen einzigen Ton davon gehört hatte, da es noch nicht veröffentlicht worden war!!! Das WAR wirklich interessant!!!

Das führt mich auch zu dem Grund, warum ich dies schreibe. The Lamb wurde nie für die Nachwelt gefilmt. Es gibt einige sehr kurze, lückenhafte Videos von sehr kratziger Qualität, die von Fans aus der Publikumsperspektive aufgenommen wurden… aber ansonsten nichts, um Ihr Gedächtnis aufzufrischen, bis jetzt.

The Musical Box ist eine Gruppe von Künstlern, die über die Jahre hinweg verschiedene Perioden der frühen Genesis-Jahre akribisch nachgestellt haben, mit erstaunlicher Genauigkeit und Bravour. In den frühen Tagen, wann immer wir eingeladen wurden, in eine Bar zu gehen, um eine Band zu sehen, die einige unserer Stücke spielte, war ich immer erstaunt, wie sie es tatsächlich BESSER spielten als wir. Heutzutage gibt es einige Bands da draußen, die das tun, aber ganz oben auf der Liste stehen diejenigen, die Sie heute Abend sehen werden… The Musical Box.

Ich habe schon seit Ewigkeiten von ihnen gehört, aber es nie geschafft, sie TATSÄCHLICH zu sehen. Nachdem ich es getan habe, muss ich sagen, es ist ein unheimliches Gefühl, denn sie haben auf unheimliche Weise UNS VON DAMALS in jeder Hinsicht eingefangen. Sie verwenden die originalen Rückprojektions-Dias aus unserer alten Show und haben nun den Vorteil der Technologie, die uns damals nicht zur Verfügung stand. Wir haben wahrscheinlich nur eine Handvoll Shows (höchstens) geschafft, bei denen alles so funktionierte, wie es sollte.

Heute Abend werden Sie, so Gott will, die Show sehen, wie sie damals hätte sein können und sollen, wenn der Projektor nicht Feuer gefangen hätte oder wenn der Bediener nicht versehentlich den falschen Knopf gedrückt und die Dias zum nächsten Lied vorgespult hätte!!! Hey, das waren die 70er, erinnern Sie sich!!! Jedenfalls ziehe ich meinen Hut vor den Jungs und ihrer Crew… sie haben den Staffelstab aufgenommen und sind damit losgelaufen, und das ist für alle zu sehen. Genießen Sie es.

Phil Collins (der singende Schlagzeuger)

… und hier könnt ihr (um chronologisch in der richtigen Reihenfolge zu bleiben) zunächst unseren Konzertbericht lesen und von dort gelangt ihr wieder zurück um Phils Nachlese studieren zu können.


Phil mit The Musical Box - Foto: Martin Christgau

Phil Collins‘ eigene Nachlese der Musical Box-Show in Genf

… darüber gab es viele Fragen, und ich werde mal versuchen, die ganze Angelegenheit in Relation zu setzen…. Ursprünglich hatte mich die Band gebeten, ein paar Sätze für das Tourprogramm zu schreiben. Kein Problem, sagte ich, und deutete an, dass ich sie mir anschauen könnte, wenn sie irgendwo in meiner Nähe aufträten. Als sich herausstellte, dass sie in Genf spielen würden, schlug ich vor, dass ich ja mit ihnen spielen könnte. Am Ende beschlossen wir, dass ich die Zugabe spielen würde – The Musical Box. Bis zum Tag der Show ließ ich es erstmal links liegen.

Das war keine gute Idee! Ich ging also in den Keller, wo mein Schlagzeug steht, und versuchte mit der Genesis-Version mitzuspielen. Eine Katastrophe! Was anderen Schlagzeugern Probleme bereitet hätte, die schnellen Trommelpartien etwa, fiel mir leicht … aber alles andere … Oje!! Dann merkte ich, dass ich versuchte so zu spielen, wie ich vor dreißig Jahren gespielt hatte. Das würde nicht funktionieren.

Ich kam zum Soundcheck und wir spielten das Stück einmal durch… ich klang wie ein blutiger Anfänger. Auch beim zweiten, dritten und vierten Versuch. Ich musste auf Martins Schlagzeug spielen – das hatte ich überhaupt nicht berücksichtigt. Ich versuchte also nicht nur zu spielen wie „ich vor dreißig Jahren“, sondern auch noch auf einem fremden Schlagzeug. Okay, natürlich war das schon „mein“ Schlagzeug, aber alles war ungefähr 15 Zentimeter näher an mir als bei meinem Aufbau. Auch nachdem ich alles ein wenig zurechtgerückt hatte, kam ich mir immer noch vor, als trüge die Schuhe von jemand anderem. Die Band und ihre Crew waren unglaublich hilfsbereit…. aber ich war das Problem. Schließlich waren wir uns einig, dass es „OK“ war. Da wurde ich hellhörig…. Ich hatte etwas erwartet wie „Wow, das klingt klasse!“ Innerlich wusste ich, dass ich mich übernommen hatte.

Als die Show begann, hörte und sah ich genau hin. Die spielten den Kram besser als wir es jemals geschafft hatten. Allerdings hatten wir es auch geschrieben, und das macht einen Unterschied. Es ist immer einfacher, etwas wieder zu erschaffen als etwas ganz neu zu erschaffen. Aber sie spielten wirklich besser als wir. Vor allem Martin [Levac], der jede Einzelne meiner eigenen Nuancen sowohl beim Singen als auch beim Trommeln verinnerlicht hatte. All diese kleinen Füllsel mit den Timbales. … so vieles, das ich vergessen hatte – aber er erinnerte sich.

Und es erinnerte mich daran, dass es gut war. Dann kam mein Auftritt. Ich zog meine Glücksbringer-Converse an und ein T-Shirt, das die Band für mich gemacht hatte, und betrat die Bühne unter warmem Applaus. Dann kam die Realität. Zweimal fiel mir an entscheidender Stelle ein Drumstick herunter… verfehlte alles, nach dem ich zielte, und kam von der Bühne, schwitzend und wütend darüber, dass ich nicht so gut war, wie der Anlass erfordert hätte. Naja, ihr wolltet ja wissen, was passiert ist.

Meine Frau, die The Lamb ja damals nicht persönlich erlebt hatte, fand die Songs reizvoll und herausfordernd. Sie fand auch, dass ich toll gespielt hätte. Aber ich wusste… ich merkte, dass ich nicht mehr aussah wie der Typ damals – dass ich nicht mehr der Typ von damals bin… eine bemerkenswerte Erfahrung. The Musical Box waren fantastisch… sie alle sind hervorragende Musiker, die, was sie tun, mit Liebe tun. Und sie tun es wunderbar. Das Problem war ich.

Übersetzung: Martin Klinkhardt
Quelle: Forum der offiziellen Phil-Collins-Webseite 2005, mittlerweile offline
Foto: Bettina Dörr
Foto (Header): Videostandbild


Links

Konzertbericht – Phil Collins als Gastmusiker bei The Musical Box in Genf
Phil Collins im Kurz-Interview nach der Show