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The Musical Box – Live in Mannheim 2007 (Selling England) – Fanberichte
Ihr habt das Wort: Zum letzten Mal touren The Musical Box mit den Shows zu Selling England / Foxtrot in Europa. Wir veröffentlichen Eure Berichte – hier einer aus Mannheim!
The Musical Box – Rosengarten Mannheim 2007
Ein besonders stürmischer Abend
Der Abend beginnt stürmisch. Im wahrsten Sinne des Wortes! In Deutschland wütet ein Sturm, der sogar schlimme und tragische Unfälle verursacht. Nach all den schlimmen Meldungen in Funk und Fernsehen hab ich schon die Befürchtung, das Konzert würde womöglich noch abgesagt werden. Ich mache mich natürlich trotzdem auf den Weg von Ludwigshafen nach Mannheim zum Rosengarten. Vor dem Eingang des 1903 errichteten Gebäudes stehen sehr viele Besucher, die versuchen, Karten von Besuchern loszuwerden, die wahrscheinlich aufgrund des Sturms nicht kommen können. Es schmerzt in meinen Augen, so viele TMB-Karten zu sehen, die sehr wahrscheinlich keinen neuen Besitzer finden werden.
Aber eine gute Nachricht: Das Konzert findet wie geplant statt.
Im IT-Forum habe ich einige Wochen zuvor versucht, mich mit einem anderen Forum-Mitglied am Stand des eclipsed-Magazins zu verabreden. Leider ist der Kontakt nicht zustande gekommen, aber es wäre auch recht schwierig, sich zu finden, denn der Stand ist aufgrund des Sturms nicht da. Alte Bekannte wie Michael Bäcker vom EMPIRE-Magazin und andere übliche Verdächtige sind dagegen wie immer zur Stelle.
Mein Kumpel und ich trinken noch eine Kleinigkeit und ich kann es kaum erwarten, in den Mozartsaal zu kommen und erneut nach 2003 The Musical Box mit dem Selling-Konzert zu bestaunen.
Wir wollen unsere Plätze einnehmen, doch da sitzen bereits 2 Besucher. Erstaunt schauen wir auf unsere Platznummern. Komisch….das sind die richtigen Plätze. Die 2 Herren, die auf unseren Plätzen sitzen, zeigen uns ihre Karten, und, oh Wunder, es sind die gleichen Platznummern. Als wir aber einen genaueren Blick auf deren Karten werfen, sehen wir den Titel der Veranstaltung: Roger Cicero! Cicero, der Swingpapst aus Berlin, der demnächst beim Vorentscheid zum Grand Prix d’Eurovision de la Chanson antritt. „Oh oh, das ist wohl der falsche Raum. Cicero spielt in einem anderen Saal!“ kläre ich die beiden Swingfreunde auf.
Nun kann es endlich losgehen. Der Raum verdunkelt sich. Und wir hören die ersten Mellotron-Klänge von Tony Banks, ach nein, von David Myers. „Watcher Of The Skies“ ist ein grandioser Start in diese wundervolle Zeitreise. Mitten im ersten Stück bemerken Sven (mein Kumpel) und ich einige Gäste aufstehen und zum Ausgang zu laufen. Zwei davon genau hinter uns. „Oh, das ist wohl das falsche Konzert!“ sagt einer der beiden verwundert. Naja, dass man ein halbes Watcher Of The Skieshören muss, um herauszufinden, dass es sich hier nicht um Swingmusik handelt, ist zwar seltsam, aber belustigend zugleich.
Bevor es musikalisch weitergeht, kündigt Sänger Denis Gagné in alter Gabriel-Manier das zweite Stück an: Dancing With The Moonlit Knight. Dieses Stück geht mir ganz besonders zu Herzen, da es das erste Lied der Gabriel-Ära ist, das ich als 14-jähriger gehört habe, auf Musikkassette! Damals fand ich die ersten Takte der Selling England By The Pound irgendwie grausam und hatte das komplette Album ca. 2 Jahre lang verschmäht. Erst als ich mich von der Invisible Touch bis hin zu eben dieser Scheibe zurückgearbeitet hatte verwandelten sich die damals kaum erträglichen Geräusche zu nun äußerst himmlischen Klängen, nach denen ich jetzt ca. 20 Jahre danach lechze. Übrigens, beim Schreiben dieses Berichts lausche ich bereits wieder dem Ende des oben genannten Songs. Fantastisch!
Es folgen das grandiose The Cinema Show, die „Hitsingle“ I Know What I Like und dann das legendäre Firth Of Fifth mit dem bis heute wohl am häufigsten live gespielten Genesis-Gitarrensolo, bei welchem man auch wieder mal sieht, zu was Mike Rutherford damals an seinem Instrument so alles fähig war. Für mich neben Chris Squire von Yes einer der besten Bassisten. TMB-Bassist (und natürlich auch Gitarrist bei einigen Stücken) Sébastien Lamothe meistert diese Aufgabe mit links. Die Doppeldeutigkeit ist gewollt, denn der Kanadier spielt auf speziellen Linkshänder-Saiteninstrumenten.
Beim nächsten Stück The Musical Box merkt man, wie sehr sich die Musik von Genesis vom 1971 bis 1973 entwickelt hat, und das meine ich ohne Wertung! Das Stück zeigt, dass es einen härteren Sound hat als das komplette Selling England-Album.
So nach 3 ½ Minuten geht es dann richtig ab. Ich liebe die Dynamik dieses Ausnahmeliedes. Die Bühnenshow beeindruckt einmal mehr und zeigt, wie es damals wohl gewesen sein muss, als noch nicht jeder Drittklasse-Sänger die Möglichkeit hatte, Vari-Lights oder andere Lichteffekte zu nutzen. Genesis damals und The Musical Box heute zeigen, dass es das Zusammenspiel zwischen Bühnenshow und Musik ist, das die Magie entwickelt. Als Denis Gagné als alter Mann auf die Bühne kommt und der wie Hackett damals eher zurückhaltend wirkende François Gagnon die End-Sektion des Stücks einleitet, durchläuft mich ein Schauer.
Nun sollte eigentlich More Fool Me kommen, das ich 2003 so genial fand, da Drummer Martin Levac eine solche Ähnlichkeit mit Phil Collins hat, das es schon fast unheimlich ist. Er sieht von weitem aus, wie Phil, er singt wie Phil, er spielt Schlagzeug wie Phil (insbesondere die Haltung des Kopfes beim Spielen) und er spricht sogar wie Phil. 2003 war das Publikum von seiner Ansage des Songs so überrascht, dass es einen kleinen Zwischenapplaus gab.
Statt More Fool Me gibt François Gagnon Horizons zum Besten. Das Publikum lauscht den schönen Klängen der akustischen Gitarre. Und automatisch höre ich nach dem Ende in Gedanken schon die ersten Takte von Supper’s Ready, doch das kommt erst später. Zuvor zeigt diese geniale Band, dass The Battle Of Epping Forrest eins der schwierigsten Stücke von Genesis ist. Dieses Lied war noch nie mein Liebling, aber live beeindruckt es mich doch.
Dann war es endlich soweit und der Frontmann kündigte mit der klassischen Wiesen-Wurm-Vogel Geschichte Supper’s Readyan. Die Art wie Denis Gagné die Titel ansagt, mit den Gabriel-typischen abgehackten Sätzen, bei dem man den Eindruck hat, er habe Probleme beim Luftholen oder Schlucken, ist einfach genial. Als das Stück dann mit „Walking across“ beginnt laufen bei mir Freudentränen, da ich mit meinen 33 Jahren all diese Lieder nie habe live erleben dürfen, also zumindest nicht von Genesis selbst. Supper’s Ready ist da halt etwas ganz Besonderes. Das komplette Stück über genieße ich die Performance der dieser Band und vergesse alles andere um mich herum.
Der Rahmen schließt sich, denn nach dem Sturm vor dem Konzert ist die Zugabe The Knife der stürmische Abschluss, der wieder einmal zeigt, dass The Musical Box viel mehr als nur eine Cover-Band ist. Die Konzerte sind schon eher Theateraufführungen. Das Wörtchen „Musical“ bekommt hier schon fast eine Doppeldeutigkeit. Schade, dass dieses Erlebnis wahrscheinlich nie mehr zu sehen sein wird.
Das Konzert Anfang des Jahres hat noch mehr Lust auf Genesis 2007 gemacht, auch wenn man da natürlich nur Ausschnitte der 70er erwarten darf. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja doch noch eine Reunion mit Gabriel und Hackett. Ich fang schon mal an zu sparen!
Autor: Marcus Dörr